Sonntag, 16. Mai 2021

Ein bisschen wie Downton Abbey. Aber nicht auf die gute Art

Ok, hier kommt ein vollkommen neues Problem, mit dem vermutlich niemand in diesem Blog gerechnet hätte, und ich zu allerletzt. Und das, obwohl ich mich seit vielen Jahren immer wieder beharrlich und mit Recht als Fusselhirn bezeichne. Folgendes ist passiert: Wir waren mit der ganzen Familie unterwegs in den Mini-Urlaub nach Föhr. Auf eine Insel, auf der wir schon drei mal waren. In ein Haus, in dem wir auch schon mal eine Woche verbracht hatten. Also eine Reise auf ziemlich ausgetretenen Pfaden. Letzten Freitag fuhren wir bei Nieselregen und vielleicht acht Grad auf die Autofähre, ich kaufte den Kindern ein Eis und L. und mir eine Cola, und während L. im WLAN des Bordrestaurants noch schnell unsere Corona-Tests auf der Insel vorbuchte, ging ich mit den Kindern hoch an Deck, um mich ein bisschen durchpusten zu lassen. Wobei, bevor ich hochging, wurde mir noch schnell ein bisschen schwurbelig. Es fühlte sich ungefähr so an, wie wenn einem unwillkürlich das Auge zuckt - nur eben im Kopf. Ich kenne das Gefühl, hab das bestimmt schon fünfzig mal erlebt, es macht mich trotzdem jedes Mal nervös. "Ich weiß auch nicht", sagte ich zu L. "Mir ist irgendwie schwindelig. Eigentlich würde ich mich gerne kurz hinlegen." L. buchte und rollte die Augen. Derlei Spirenzchen mit Hinlegen und so sind für ihn typisch "einen auf gestresste Ehefrau machen". Also wuchtete ich mich hoch, die Kinder waren auch schon außer Sicht, und dann waren wir da oben. Und da ging alles ziemlich schnell. Ich hatte ein merkwürdiges Flackern im Gehirn. Das Flackern wurde stärker. Ich konnte plötzlich fast nichts mehr sehen. "Kinder! Holt Papa! Schnell!" Schrie ich noch, und dann hatte ich plötzlich das Gefühl, als hätte jemand ein Stahlseil an einem Ende an meiner Kleidung eingehakt und mit dem anderen Ende an einer Achterbahn. Als würde ich mit mehreren gewaltigen Rucken hundert Meter durch die Luft gerissen ohne die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. An diesem Punkt muss ich wohl um Hilfe geschrieen haben. Ich habe auch noch diffuse Erinnerungen daran, dass zwei Fahrgäste mich mit ihren Telefonen filmten - vielleicht war das auch nur Paranoia. Und das nächste, was ich weiß, ist, dass ich zusammengekrümmt, mit nasser Hose und vollkommen erledigt auf dem Deck liege, zwei Rettungssanitäter neben mir knien und ich kurz danach in einen Hubschrauber geladen werde. Der Hubschrauber flog mich ins Krankenhaus nach Flensburg, und nach einigen Untersuchungen sieht es jetzt so aus: ich hatte einen Epileptischen Anfall. Meinen ersten, so weit ich weiß. Ich habe keinen Gehirntumor und ich hatte keinen Schlaganfall. Und niemand weiß, ob das noch mal passieren wird. Ein nicht so tolles Zeichen ist zumindest, dass ich das Flackern im Kopf - die Vorzeichen des Anfalls - schon so oft hatte. Ich darf erst mal nicht mehr Auto fahren. Das elektrische Lastenfahrrad, dass ich für den Urlaub gemietet habe, durfte jetzt auch nur L. fahren, wäre ja auch nicht so schön gewesen, wenn ich mit den Kindern an Bord einen zweiten Anfall hätte und vor einen Laster fahren würde. Ich hab einen Termin beim Neurologen in Hamburg, wenn auch erst im September, schneller gab es keinen. Und obwohl es jetzt schon über eine Woche her ist, vergeht doch keine wache Minute, in der ich nicht daran denke und mir nicht fast schon wieder in die Hose mache vor Angst, es könnte wieder passieren. Denn das war ein so schauderhaftes, ekliges, furchteinflößendes Erlebnis - ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es körperlich möglich ist, solche Angst zu haben. Ich habe jetzt noch Muskelkater im Kiefer und im Genick von der Anspannung. Jedes Mal, wenn ein Vogel an meinem Augenwinkel vorbeifliegt, ein Auto vorbei fährt, die Sonne sich auf dem Wasser spiegelt oder sich sonst etwas bewegt (oder auch nicht bewegt), erstarre ich. L. und die Jungs sind heute früh zurück nach Hamburg gefahren, meine Eltern haben auch ein Haus hier gemietet, in dem es ein freies Zimmer gibt - dort bleiben die Kleinste und ich noch ein paar Tage. Meine Bosse haben sich wieder mal als die Besten der Welt erwiesen und mir noch ein paar spontane Urlaubstage gegegeben. Jetzt sitze ich hier zwischen Eis essenden, Minigolf spielenden, buddelnden und tiefenentspannten Menschen und mache alle Moves mit in der Hoffnung, dass die Botschaft irgendwann bis ins Hirn durchdringt, dass die Welt doch ein sicherer, freundlicher Ort ist. Und nicht so eine komische Matrix-artige Kruste, die nur ganz dünn und trügerisch die monströse Realität verhüllt. Epilepsie, jetzt echt? Ich meine mich zu erinnern, dass in "Das Boot" jemand Epilepsie hatte. Der wurde von allen verachtet, es war ganz klar mega-peinlich und unangebracht, wie der da umfiel und zuckte. Jedenfalls wollte den niemand in der Mannschaft haben. Und gab es nicht auch jemanden in Downton Abbey? Das hat jedenfalls definitiv eine Erste-Hälfte-Zwanzigstes-Jahrhundert-Note. Ungefähr in der gleichen Liga wie Schwindsucht, die ich auch nicht gerne haben wollte. Was passiert denn jetzt? Elektroschocks oder Eiswassergüsse? Blutegel? Ich weiß es noch nicht, und bisher versuche ich auch (zumindest hier im Urlaub) nicht zu googlen. Ist hier noch so eine wie ich? Weiss eine was?