Mittwoch, 26. Oktober 2011

Der Fluchtplan lebe hoch

Gestern fragte sich eine Kommentatorin (und damit auch mich), ob es denn wirklich ein Grund zur Freude wäre, für die Cosmopolitan zu schreiben, denn die wäre ja eigentlich genau wie die Bild der Frau.

Liebe unbekannte Blogleserin, ich wollte eigentlich nicht so patzig werden, wie ich dann doch war, aber vielleicht verstehst du mich und meine Euphorie über diese Nachricht eher, wenn ich dir kurz schildere, warum jeder Auftrag in einem neuen Berufsfeld, das NICHT Werbung ist, eine saugute Nachricht ist.

1. In den letzten Jahren hatte ich tatsächlich oft unmittelbar mit Menschen zu tun, die in einem Fort Wendungen wie "wir schlagen da am Dienstag auf", "Wir müssen den Kunden da abholen, wo er steht", "Da geht der Pipimann runter", "ASAP", "Zeitnah", "Geilomat", "ich komm auf dich zu" oder auch "wir wollen heiße Scheiße machen" verwenden.
2. Die Vorstellung vieler Werber von einem rundum gelungenen Fest ist Wodka mit Red Bull und ein Mann, der auf der Tanzfläche einen geblasen bekommt.
3. Ab und zu müssen wir uns mit Menschen aus dem Marketing auseinandersetzen. Große Schnittmengen mit Punkt 1.
4. Ich möchte endlich in Würde altern können.
5. 98% von allem, was ich da so treibe, landet am Ende in der Tonne, oder, noch schlimmer, mit einigen Last-Minute-Korrekturen aus der Feder des Kunden tatsächlich auf einer Plakatwand, so dass ich erst vor Scham, dann vor Zorn erbleiche und hinterher wieder niemand versteht, was ich eigentlich will. ("Was will sie nur?" "Heiße Scheiße machen".)
6. Ich habe die Nase voll von Notfällen, die keine Notfälle sind, sondern schlampige Terminkalender anderer Leute.
7. Ich mag nicht so gern Kaffee wie viele andere Menschen.
8. Die Agentur, in der ich gerade arbeite, ist ganz anders. Wunderbar! So nette Chefs hatte ich noch nie. Aber die Damentoilette befindet sich unmittelbar vor ihrer immer offenen Bürotür. Und seit Neuestem habe ich eine Kollegin, welche, habe ich noch nicht herausgefunden, aber wenn, dann gnade ihr Gott, die immer die Tür offenstehen lässt, wenn sie schon fertig ist, ich aber noch nicht mal angefangen habe.
9. Diese ewigen Mittagspausen laufen meinen WW-Plänen diametral entgegen. Wenn jetzt eine schreibt, ich soll doch einen Apfel essen und einen Spaziergang um die Alster machen, hat sie entweder nichts verstanden oder verwechselt mich offensichtlich mit einer anderen Hamburger Unfruchtbarkeitsbloggerin mit Gewichtsproblemen.
10. Wenn ich jemand Neuen kennenlerne und er mich fragt, was ich mache, dann nuschele ich "bin Texterin" um dann sofort viel lauter und deutlicher hinterherzuschieben "Aber nicht nur!!!"
11. Lange, lange Zeit habe ich dauernd gesagt, dass ich gerne texte. Dass ich keine von denen bin, die eigentlich lieber was Anderes geworden wäre, aber dann kam ein Praktikum, dann ein Jobangebot, und jetzt ist es eben doch nur Werbung geworden. Dass ich es toll und aufregend finde, jeden Morgen an den Schreibtisch zu kommen und nicht zu wissen, was mich erwartet. Dass es großartig ist, einen Job zu haben, bei dem man nur durch die Energie und den Hirnschmalz, die man reinsteckt, selbst entscheiden kann, ob er Routine ist oder jeden Tag ein neues Abenteuer. Das habe ich jetzt schon sehr, sehr lange nicht mehr zu irgendwem gesagt.

Und jetzt wird sich hier gefälligst mit mir gefreut. Ich zuerst, Achtung:

Sonntag, 23. Oktober 2011

Glück und Gemütlichkeit, wie leicht bricht das

Und wenige Minuten nach dem Gemütlichkeitspost meldet sich die raue Realität und setzt mir einen dicken Haufen Arbeit auf den Schreibtisch. Harrrrrrgh. Ich glaube, ich brauche einen Platz in irgend einem dieser Zeugenschutzprogramme, so dass ich von Donnerstags bis Sonntags in meine Ersatzidentität flüchten kann, wo mich niemand findet. Für L. und Lili muss dabei natürlich auch gesorgt sein. Ich wäre auch bereit, eine Perücke zu tragen. Und Kostümchen! Und High Heels! Und roten Lippenstift!

"Gemütlichkeit" ist ein extrem beliebtes Wort

Vor ein paar Tagen habe ich im Netz etwas über die schönsten Wörter der deutschen Sprache gefunden. Eine Jury aus solchen Top-Mitgliedern wie Herbert Grönemeyer und Fritz Pleitgen hatte sich zusammengesetzt und eingesandte Wörter in vermutlich nächtelangen Diskussionen bewertet. Und die Gewinner waren unter anderem: Habseligkeiten, Gemütlichkeit, Geborgenheit und Liebe. Kann auch sein, dass die Reihenfolge nicht stimmt. Ich bin jedenfalls mit der Wahl nicht einverstanden. Gerade "Liebe" mit dem langen "iiiiii" in der Mitte ist zwar eine schöne Sache, aber deshalb kein schönes Wort. Für mich macht ein schönes Wort auch aus, dass es zu dem bezeichneten Gegenstand passt. "Hund" ist für mich ein sehr schönes Wort. Einsilbig und mit einem U in der Mitte könnte ich mir kaum eine bessere Bezeichnung für das fellige Viech ausdenken, das gerade Gemütlichkeit verströmend neben mir auf dem Sofa sitzt und mir liebevolle Blicke zuwirft. Ein bisschen mehr Phantasie hätte ich der Jury außerdem gewünscht. Auf so eine Auswahl wäre ja wohl auch ein Konferenzraum voller Bild-der-Frau-Leserinnen gekommen. Auch aus dem Ausland gab es Wortempfehlungen, und auch dabei stand Liebe ganz weit vorn. Holland mag ich jetzt noch ein bisschen lieber als vorher schon, weil die Niederlande das Wort "Fingerspitzengefühl" ins Rennen geschickt haben, an das ich zwar niemals gedacht hätte, das ich aber immer noch lieber mag als "Liebe". Für die USA war das Wort Nr.1 "Gemütlichkeit".
Wieso ich jetzt drauf komme? Seit ewigen Zeiten sitze ich heute mal wieder im Pölterchen auf dem Sofa, eine Wolldecke um mich geschlungen, der Hund nach Erledigung aller Geschäfte neben mir, auf der Sofalehne steht eine Tasse Tee, und ich weiß, dass ich noch mindestens zwei Stunden lang so hier sitzenbleiben und auf dem Rechner herumpuzzlen kann, denn L. war gestern Abend aus und kam spät und voll wie ein Amtmann nach Hause. Das will ich ihm herzlich gönnen. Jetzt liegt er oben, der Süße, und braucht noch ein paar Stündchen. Ich dagegen habe gestern um zehn den Krimi zugeklappt, mich noch ein bisschen in meiner Anständigkeit gesonnt und dann fast 12 Stunden lang geschlafen. Nachher bringe ich ihm einen mit viel Liiiiiiebe zubereiteten Capuccino und ein paar Brote mit gestern vorsorglich angeschafftem Fischsalat nach oben, hat aber keine Eile. Die Gemütlichkeit wird, falls überhaupt möglich, noch gesteigert durch das behagliche Brummen, Summen und Schlürfen der Spülmaschine und durch die Gewissheit, dass sich unten im Keller eine Ladung Handtücher nach Persil duftend in der Maschine dreht. (Das ist das Tollste an solchen Maschinen, man drückt auf einen Knopf und fühlt sich reinlich und tüchtig.)
Solche Morgende sind wirklich viel zu selten. Erstens kommt L. so gut wie nie voll nach Hause, zweitens ist der Hund meistens anstrengender um die Zeit (vermutlich ist sie ausgelaugt vom langen angstvollen Warten auf Herrchen), drittens muss ich meistens arbeiten gehen und kann hier nicht rumschluffen, und viertens ist gerade L. morgens voller Tatendrang, und ich muss mit.
Ich glaube, ich mag das Wort "Gemütlichkeit" auch gut leiden.
Aber am allerbesten hat mir das Lieblingswort der Kinderjury gefallen: "Libelle". Wäre ich Fritz Pleitgen oder Herbert Grönemeyer, würde ich mich ein bisschen schämen, da nicht drauf gekommen zu sein.

Ach ja: aus dem neuen Geheimprojekt, das mich jetzt vier Wochen lang in Atem gehalten hat, ist leider nichts geworden. Wobei wir das "Leider" gleich wieder streichen können, denn eigentlich ist es so fast noch besser: ich werde in Zukunft noch öfter und noch mehr für die Cosmo schreiben, und das sind doch eigentlich ganz fabelhafte Aussichten. Sogar eigene Themenvorschläge von mir wollen sie. Es scheint, als würde es diesen Herbst doch noch mehr von dieser Rechner-auf-dem-Schoß-Gemütlichkeit geben. Pah, Endometriose - wenn ich nicht der größte Glückspilz bin, wer denn dann?

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Auf ganz, ganz dünnem Eis

Ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich die richtige Person bin, um Abnehmtipps zu geben. Denn seht mich an: mein Bauch hat gerade Körbchengröße D, und seit fast vier Wochen bewegt sich genau nichts auf der Waage. Andererseits habe ich auch schon IVF-Tipps gegeben, und höre ich hier fröhliche Kinderstimmen? Nein, ich höre das Klappern meiner Tastatur und den Sound von Simfy.

Vielleicht sollte ich das noch kurz erklären, bevor ich zu den Specktipps komme: Simfy ist ein Programm, mit dem man legal im Netz Musik hören kann. Ich bin erst seit drei Wochen dabei, obwohl eine Freundin mir seit einem Jahr davon erzählt. In dieser Zeit habe ich schätzungsweise 800 Euro bei itunes gelassen, das Geld hätte ich mir sparen können. Falls ihr Musik mögt - damit meine ich, ihr besitzt mehr als zehn CDs, solche Ich-interessiere-mich-nicht-für-Musik-CDs wie "Buena Vista Social Club" oder Michael Bublé nicht mitgerechnet, dann macht nicht den gleichen Fehler, sondern guckt euch das mal an. Es gibt eine Gratis-Variante, da kann man im Monat nur soundsoviel Stunden hören und bekommt ab und zu wohl noch Werbung, aber schon für knapp fünf Euro im Monat kann man da so lange sein, wie man will. Auch nach drei Wochen ist das Kind-im-Bonbonladen-Gefühl nicht verschwunden. So unendlich viel Musik! Und ich kann mir davon Playlisten basteln, die ich dann auf jedem Rechner mit Netzanschluss anhören kann. Überall und immer! Lege ich noch mal fünf Euro drauf, dann geht das auch ohne Internet und auf dem Telefon, was itunes endgültig überflüssig machen würde. Und nein, wieder mal zahlt mir niemand etwas dafür, dass ich das hier schreibe, auch wenn es natürlich nett wäre, wenn.

Jetzt zu den Abnehmtipps. Kein Anspruch auf Vollständigkeit, und auf mein Fusselhirn habe ich mehrfach hingewiesen, also auch keinerlei Rechtsansprüche, wenn das bei euch nicht funktioniert und ihr nach drei Tagen immer noch nicht in die dünne Jeans passt.

1. Extreme Geschmäcker sind gut. Ich hab immer das Problem, dass Essen mit wenig Fett und wenig Kohlenhydraten sich meistens nicht wie echtes Essen anfühlt. Wenn aber hinterher die Zunge brennt, sich Blasen am Gaumen bilden oder die Augen noch eine Viertelstunde lang tränen wegen des vielen Chilis/Wasabis/Salzes, dann merkt man wenigstens, dass man etwas gegessen hat.
2. Im Zweifel eher wenig von etwas "Echtem" als ein halbes Kilo seelenloser Mist. Damit will ich sagen, lieber 50 Gramm Gorgonzola, bei dem die Scheiben schon springen, als 200 Gramm von etwas mit "Light" im Namen. Das ist nur meine Erfahrung!
3. Eine Ausnahme sind Lebensmittel, die von Natur aus nicht so fettig sind. Wenn es also unbedingt viel sein muss, und das muss es bei mir oft, dann nehme ich z.B. lieber eine Riesenschüssel selbstgemachtes salziges Popcorn (VIIIIEL, viel Salz, s.o.) mit wenig Fett als eine halbe Tüte Light-Chips. Es tut mir so leid für mich selbst, aber mein Magen lässt sich nicht betrügen. Chips sind fettig, genau wie Käse, Mayo oder Pizza. Das in fettarm bringt es nicht, ich esse lieber eine schöne scharfe Thai-Nudelsuppe, wenn Pizza nicht drin ist.
4. Bloß nicht ständig allen erzählen, dass man gerade Diät macht. Erstens denken dann auch die, die es bisher noch nicht dachten, man wäre zu dick, und zweitens sind die meisten Menschen höflich und werden deshalb versuchen, es uns auszureden, aus welchen Gründen auch immer. Und wenn sie wirklich denken, wir hätten es nicht nötig (weil sie z.B. selbst noch mal fünf Kilo mehr wiegen), verbreiten sie am Ende noch die Geschichte, wir wären ja wohl essgestört. Was ich nicht bin (wer mich einmal essen gesehen hat, weiß das) aber derzeit wird der große und ernst zu nehmende Themenkomplex Ess-Störungen leider ständig vermischt mit dem Themenkomplex Diät, und die beiden haben zwar eine große Schnittmenge, sind aber trotzdem nicht das Gleiche. Oh Gott, ich ziehe jetzt schon den Kopf ein vor den Kommentaren, die es gleich hageln wird.
5. Ich brauche zum Durchhalten jede Hilfe, die ich kriegen kann. Und eine Sache, die mir hilft, ist, mich für die Zeit, in der ich abnehme, irgendwie "heilig" zu fühlen. Das schaffe ich, indem nicht nur im Kühlschrank, sondern auch im Bad ein anderes Regime die Macht ergreift: Thermalwasserspray, Weleda-Duschcremes, Massageöle, Haarkuren aus dem Biomarkt, Hauschka-Melissencreme zur Nacht. Natürlich versuche ich abzunehmen, um dünner zu sein, nicht um ein besserer Mensch zu werden. Aber das muss ich mir ja nicht verraten.
6. Er hat mir schon mehrere Tops für immer ruiniert, denn diese bräunliche Farbe geht nicht raus, und es hat eine Weile gedauert, bis ich dafür auf schwarze Rollis umgestiegen bin. Aber brauner Tigerbalm auf der Brust duftet mich Nachmittags auf eine Art an, die gleichzeitig appetitlich ist und jede Lust auf Süßigkeiten vertreibt.
7. Die üblichen Tipps wie "viel trinken" oder "iss doch einfach mal einen Apfel" spare ich mir, wir haben schließlich unsere Würde.

So viel dazu. Wenn mir noch was einfällt, reiche ich das nach. Jetzt lege ich Tigerbalm nach.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Kein Löffelchen für Flora

Jeder Tag fängt bei Null an, ganz frisch und unschuldig und mit allen Chancen, einen Preis für die perfekten 24 Stunden zu gewinnen. Nein, keine Angst, das wird kein Artikel über Klowand-Philosophie, sondern über mein Leben in den letzten Wochen mit Weightwatchers. Ich stehe jeden Morgen auf mit null Punkten auf der Uhr. Und es geht entsprechend perfekt weiter, zumindest von Montag bis Mittwoch: abends weiche ich meine Bircher-Muesli-Mischung aus organischen Flocken, Nüssen und Körnern in Milch ein, und die hübsche Plastikdose mit der Mischung nehme ich dann mit ins Büro, wo ich sie mit fast fettfreiem Joghurt, gefrorenen Beeren und einem Löffel Honig auffülle. Das ganze hat dann eine bestimmte Punktzahl. Welche, will ich nicht verraten, denn ich habe mir sagen lassen, dass Weightwatchers das Internet keine Sekunde aus den Augen lässt auf der Suche nach Leuten, die der Welt gratis das verraten, wofür sie selbst einen wenn auch bescheidenen Geldbetrag pro Monat nehmen. Und Hormonärger reicht mir an Stress, danke. Jedenfalls bin ich nach diesem Tugendbold-Frühstück immer noch im dunkelgrünen Bereich, wäre ja auch noch schöner. Aber dann. Dann kommt die Mittagspause, und man braucht nicht viel Überredungskunst, um mich zum Fischmann oder in das niedliche Schwedische Lokal mit den guten Köttbullar oder auf ein Schnitzel mitzuschnacken. Vor Ort versuche ich dann meistens noch, Vernunft walten zu lassen, ich lasse z.B. die letzten zwei Kartöffelchen auf dem Teller oder nehme Gurkensalat statt Kartoffelsalat, aber zurück am Schreibtisch und vor dem Programm kommt der Frust: WAS, das waren XX (große zweistellige Zahl einfügen) Punkte?!? Und schon ist der Tag im Grunde schon wieder im Arsch. Denn mir wird klar, dass ich mich heute Abend auf ein bisschen in Brühe pürierten Broccoli oder gedünstete grüne Böhnchen beschränken muss, wenn ich auch nur ein kleines Glas trockenen Weißwein zum Feierabend nehmen möchte. Zwar gibt es jede Menge Extrapunkte, aber die brauche ich für das Wochenende und für die Extras. Für einen Abend mit den Mädchen oder für solche Momente, in denen ich einfach nicht zu retten bin außer durch eine große Schüssel Popcorn oder die Hälfte von L.s Pizza. Dann sind da noch die Punkte, die ich mir mit Lilis Hilfe oder beim Joggen dazuverdiene. Aber irgendwie starte ich jede Woche Montag nach dem Wiegen voller Enthusiasmus, und schon Mittwoch habe ich im Grunde genommen die Schnauze voll. Ich weiß, das geht vorbei. Ich weiß, es ist nicht für immer. Ich weiß, ich freue mir einen dritten Eierstock, wenn ich irgendwann wieder in meine dünne Jeans passe. Ich weiß, ich muss nur erst ein Standardrepertoire entwickeln von lauter Gerichten, die nur Miniminipünktchen haben, aber sich trotzdem anfühlen wie echtes Essen, und die ich jederzeit aus dem Ärmel schütteln kann, auch mit der Karte vom Pizzaservice in Reichweite oder mit Zuckerschock vorm Kühlregal. Ich wünsche mir zwei Wochen allein nur mit mir und vielleicht noch L. und dem Hund, ohne Besuch und ohne Verabredungen, und dann sollen alle mal sehen, was für ein WW-Champ ich bin.
Und dabei ist das Programm doch sogar schon für solche wie mich gemacht, die Fresser, die eines Tages im Altersheim kein Foto ihrer Lieben auf dem Nachttisch stehen haben werden, sondern das Bild eines Brathühnchens. Für die unbeherrschten, die ständig denken, sie BRAUCHEN etwas, was sie in Wirklichkeit nur möchten. Wie ist das erst bei anderen Diäten? (Es gab mal einen Freund, der hat unter ziemlich demütigenden Umständen mit mir Schluss gemacht. Dieser Freund hatte damals im Job unter anderem den Auftrag, wöchentlich neue Radiowerbung für eine der ganz, ganz schäbbigen Zeitschriften für dumme ältere Frauen zu machen, die den Schlüssel zur Traumfigur ständig neu entdeckt. Nachdem die ganz schlimme Phase dieser Trennung vorbei war, zauberte mir das jeden Montagmorgen ein strahlendes Lächeln ins Gesicht, wenn zwei fröhliche Radiosprecherinnen sich zujuchzten „Hej! Hast du abgenommen?“ „Ja, du, und supereinfach! Mit der Ananasdiät!“ oder auch, eine Woche später, „Mensch Tina, du siehst ja zum Anbeißen aus!“ „Ja, stell dir vor, das kannst du auch: mit der Mettwurstdiät bzw. den neuen leichten Sommertortenträumen!" usw. Ach, das war schön.)

Ich halte euch auf dem Laufenden über meine Fortschritte.

Dienstag, 18. Oktober 2011

Die faule Haut

Mir gegenüber sitzt ein Kollege, dessen Frau gestern in zwei Wochen vermutlich ihr erstes Kind bekommt. Vor ein paar Wochen, zwei Wochen vor Anfang Mutterschutz, hatte sie merkwürdige Schmerzen, und ihre Frauenärztin (die zufällig auch meine ist, die, bei der ich damals zu meinem ersten Nicht-Klinik-Schwangeren-Termin angetanzt bin und, tada, eigentlich nicht so schwanger war wie gehofft) hat sie krank geschrieben. Letzte Woche kam dann der bei Baby Walz georderte Kinderwagen und stand einen Tag lang in unserem Büro herum. Ich habe eine alte Bekannte, die mich in den letzten Jahren wiederholt und bestimmt mit Recht angemahnt hat, mich gefälligst mal wieder zu melden, und ich schaffe es nicht, und als ich mich vor ca. zwei Wochen mal aufraffe und gucke, was sie so auf facebook treibt, ist sie schwanger. Meine Cousine ist zum zweiten Mal schwanger. Eine Freundin von L. und mir ist schwanger. Es häuft sich gerade so, dass ich das Gefühl habe, wenn ich jedes Gespräch mit der Frage "Bist du/sie bzw. deine/ihre Freundin schwanger?" eröffnen würde, hätte ich eine Trefferquote von 30%, und ich wohne in einem Stadtteil, wo fast jeder über 60 ist. Ich freu mich für alle. Jetzt kommt kein Aber, ich freue mich. Aber... verdammt, jetzt kommt es doch. Vielleicht können wir es doch noch abbiegen in ein einerseits - andererseits: EINERSEITS freue ich mich für sie alle, bin nicht neidisch und gönne es ihnen, vielleicht ja auch deshalb, weil es da nichts zu gönnen oder zu missgönnen gibt - es ist einfach, wie es ist. ANDERERSEITS habe ich gerade zum ersten Mal seit Beginn dieser langen langen Kinderwunschgeschichte das Gefühl, all die Schwangerschaften und Kinder ziehen einfach an mir vorbei, und ich sitze hier, als hätte ich den Bus verpasst, und jetzt werfe ich einen Blick auf den Fahrplan, um zu sehen, wann der nächste kommt, und... Moment... warte mal... das ist ja doof jetzt, "nie mehr"?
Das Gefühl wird hoffentlich nicht anhalten und sich spätestens mit der ersten weggeworfenen Hormonspritzenampulle, die ich in meinen Badezimmermülleimer werfe, wieder verziehen. Aber ich bin auch gerade zum ersten Mal seit langer Zeit mal wieder dankbar für mein Fusselhirn. Es macht mir oft Kummer, dass ich so zerfahren und zerstreut bin, dass ich morgens nicht mehr weiß, was L. mir zum Einschlafen erzählt hat, dass ich mir auch sonst so wenig merken kann und dass bei mir der Weg von Aufgabe zu Erledigung immer noch über 18 Dörfer führt und ich mindestens in drei geistigen Ausflugslokalen Päuschen machen muss. Aber jetzt bin ich froh, dass ich nicht so irre konzentriert und fokussiert sein kann wie andere. Denn neben diesem Fruchtbarkeits-Mauerblümchen-Gefühl haben ganz viele andere Platz. Ich freue mich auf unsere drei Reisen in den nächsten drei Monaten (leiden auf hohem Niveau nennt man das wohl) nach Kopenhagen, New York und Wien, ich freue mich auf die viele Schreiberei, die ich diesen Winter vorhabe, und ich freue mich darauf, vielleicht mein erstes Weihnachten bei mir zuhause für meine Familie auszurichten. Und trotzdem, manchmal, wenn ich ein bisschen müde bin oder friere, dann fühlt sich dieses ganze Trotzdem Freuen an wie eine Sportart.
Nun sag mal ehrlich, Weight Watchers-bedingter Pasta-Entzug. Da hast doch du deine knochigen Finger im Spiel?

Montag, 17. Oktober 2011

Die schon wieder

Ich habe eine Weile lang überlegt, ob ich dazu überhaupt etwas schreibe. Seitenweise Blog habe ich schon darauf verwendet, darüber zu schwadronieren, wie gerne ich esse, wie wenig ich mich dazu aufraffen kann, mich dabei in irgend einer Weise zu beschränken, und wie sehr mir solche Katastrophen wie 0,1%-Milch und fettfreie Mayonnaise auf die Nerven gehen. Wiederholt habe ich mir auf die Schulter geklopft dafür, dass mich Diäten grundsätzlich mal können. Und jetzt das: seit ein paar Wochen habe ich mich wieder bei den Weight Watchers angemeldet.
Es ist eigentlich niemandem zu erklären. Ich versuche es trotzdem. Dazu brauche ich einen kleinen Umweg. Ich hoffe, ihr könnt mir dabei folgen.
In meinem ohnehin wirren Kopf können jederzeit mehrere Einstellungen zum Thema Essen in engster Nachbarschaft koexistieren. Nicht immer friedlich, aber immerhin ohne eingeschmissene Scheiben und vergiftete Haustiere.

Einstellung 1: Essen ist eine der größten Freuden auf diesem Planeten, und man wäre ein Vollidiot, wenn man sich diesen Spaß selbst verderben würde.
Einstellung 2: Ja, zu fettiges Essen macht nicht nur moppelig, sondern führt auch dazu, dass ich mich nicht besonders gut fühle. Wenn ich zu oft zu viel zu fettig esse, dann schlafe ich schlecht, bin unruhig und müde gleichzeitig und fühle mich insgesamt ziemlich unfit. Das ist kein schönes Gefühl. Aber der Weg, dieses Gefühl zu vermeiden, ist keine Diät, sondern einfach nur das fettige Essen wegzulassen, das mich nicht glücklich macht. Die automatisch reingestopfte Schokolade, der extrem mittelmäßige Kuchen im Büro, den ich nur aus Höflichkeit esse, die blöden Sandwiches im Meeting, die letzten fünf Zentimeter in der Popcorntüte: die müssen nicht sein, die lasse ich weg. Spaghetti mit Venusmuscheln, guter Kuchen, Eis, Fritten mit Mayo nachts um zwei oder auch Sturzbäche von Wein an einem Sommerabend mit Freunden, das muss sein. Und das ist auch nicht Schuld an dem Röllchen auf der Hüfte oder diesem muffigen, überfressenen Gefühl in den Knochen. Also: weitermachen wie bisher, nur das weglassen, was ich eigentlich sowieso nicht essen will - easy popeasy.
Einstellung 3: Eigentlich ist alles gut, so lange ich mich auf die Nahrungsmittel konzentriere, die mir schmecken UND gesund sind. Ich liebe getoastetes Weißbrot, aber Vollkornbrot mag ich auch, also lasse ich das Weißbrot weg. Ich bin verrückt nach Sushi, also gibt es eben das statt Glutamathühnchen der acht Kostbarkeiten. Klingt doch nach einem duften Plan.
Einstellung 4: Große Regionen meines Körpers, die eigentlich IN meiner Hose stecken sollten, ballen sich ÜBER meiner Hose. Es wird Zeit für einen Plan. Wie auch immer dieser Abnehmplan lautet, ich probiere es mal, so lange die Euphorie dafür anhält und ich noch nicht kreischend und um mich tretend aus dem Kühlschrank gezerrt werden muss, in dem ich bis zur Hüfte feststecke auf der Jagd nach einem Rest 60%-Käse.

Einstellungen 1 bis 3 haben dazu geführt, dass ich in den letzten zehn Jahren zehn Kilo zugenommen habe. Ich liebe gutes Essen (sonst hätte ich vermutlich keinen Anlass, über das Thema zu posten, wie ich mich beim Essen beherrschen kann), aber ich würde gerne besser aussehen und mich fitter fühlen. Entsprechend sinkt ihr Status gerade in meinem Fusselhirn, und entsprechend reißt Einstellung 4 gerade die Klappe auf. Ich verspreche, das hier wird nun kein Diätblog, und demnächst übernehmen ja auch wieder die Hormone das Ruder.
Gott, liegt diese fettfreie Broccoli-Suppe vielleicht schwer im Magen.

Reine Routine.

Mein letzter Post war am 6. Oktober, und ich bin kurz davor, mir selbst im dunklen Schlafzimmer aufzulauern, dann das Licht anzuknipsen, mir eine Ohrfeige zu geben und zu brüllen "Wo warst du die ganze Zeit?". Ich war arbeiten, zum Beispiel. Letzte Woche war in großen Teilen geprägt durch das neue Geheimprojekt, ich kann nicht sagen, dass ich jede freie Minute am Rechner verbracht habe, aber ich habe zumindest in jeder freien Minute (und leider auch in vielen nicht freien Minuten) an nichts anderes denken können. Heute sollte ich eigentlich mehr erfahren, habe ich aber nicht. Warten können wir Kinderwunschfrauen ja eigentlich ganz gut, sollte man jedenfalls meinen nach der ganzen Übung, die wir darin haben. Ich fing heute morgen auch stark an: ein Mail-Refresh auf dem Telefon pro Stunde. Gegen Mittag war ich runtergebrochen auf alle 30 Minuten, und bis 18:00 dann auf alle 15 Minuten. Danach war mit keinen weiteren News mehr zu rechnen. Jetzt kann ich über Nacht meine Kräfte sammeln und morgen früh wieder mit 60 Minuten einsteigen.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Manchmal sind keine Neuigkeiten die besseren Neuigkeiten

ich sage deshalb nichts, weil ich selbst noch nichts weiß. Dienstag habe ich es noch geschafft, nur einmal pro Stunde in die Mailbox meines Telefons zu gucken. Mittwoch war ich schon auf 30 Minuten eingebrochen. Inzwischen bin ich bei 15 Minuten, und heute morgen entfuhr mir ein spitzer Schrei angesichts von irgendwelcher Mailanbieter-Spam à la „Flora Albarelli, jetzt auf Premium-Mail umstellen und Millionen und Abermillionen von Euro sparen!“

Ich muss euch aber warnen. Falls es klappt, kann es gut sein, dass ich trotzdem noch ein Weilchen die Klappe halten muss.
Vermutlich hätte ich das von vornherein tun sollen, aber mach was.

Trotzdem gibt es Neuigkeiten, wenn auch nicht besonders rosige: die miese pickelige Petze HPV ist wieder da. Zwar noch nicht mit voller Kraft, aber trotzdem: zum ersten Mal seit meiner Konisation vor viereinhalb Jahren habe ich einen verdächtigen Abstrich. Ich bin dementsprechend begeistert. Im Dezember muss ich wieder hin. Meine Ärztin sagte, das könnte auch gut an meinen achtwöchigen Dauerzwischenblutungen (Zwischen was eigentlich?) liegen, und nachdem die jetzt dank Maxim verschwunden sind, kann sich der Wert bis dahin gut wieder entspannen.

Der mieseste Moment gestern im Zusammenhang damit war der, als ich es L. sagen musste. In solchen Momenten fühle ich mich immer doppelt und dreifach als Mogelpackung. Der arme Schatz, er könnte mit einer anderen längst drei, fünf, zwanzig Kinder haben, und dann komme ich alle paar Monate, stelle mich vor ihn hin, steige von einem Fuß auf den anderen, druckse ein bisschen herum und habe wieder mal dufte Neuigkeiten. Er kann nichts dafür, er hat nie auch nur ein Fünkchen zu diesem Gefühl beigetragen, aber es nimmt ihn manchmal fast mehr mit als mich. Was mich in klamme Unruhe versetzt, haut ihn um. Er warf sich aufs Sofa und sagte „das wird nie was mit den Kindern. Nie.“ Sofort versuchte ich, gegenzusteuern und ihm zu erklären, dass das alles nicht so schlimm sein muss, wie er jetzt denkt – da hatte er schon einen Plan, wie wir für mich aus den nächsten Monaten einen stressfreien Erholungsurlaub ohne scharfe Kanten machen. Wir haben dann den Ofen angemacht, ein Glas Rotwein getrunken, waren mit dem Hund Kastanien werfen, haben noch ein Glas Rotwein getrunken, und dann habe ich erstaunlicherweise acht Stunden seelenruhig geschlafen. Und heute ist schon wieder die fünfminütliche Mailabfrage auf der Prioritätenliste nach oben gewandert.
Abkürzungsdamen, drückt mir die Daumen, dass wir die Petze bis Dezember vergrault haben. HPV ist mir gerade eine Abkürzung zu viel. Man hört sich ja schon an wie die Jungs damals, während sie beim Bund waren - Wenn man die dann am Wochenende irgendwo traf, ratterte und knatterte es nur so vor lauter Abkürzungen, die kein Mensch versteht. So möchte ich mich nicht anhören.

Und wehe, eine kommt mir jetzt mit Homöopathie oder Reiki. Wir stellen uns einfach vor, ihr hättet mir jetzt zwanzig gute Tipps gegeben, und ich hätte gesagt, danke schön, lieb gemeint, aber nichts für mich. Und dann überspringen wir diese Phase. Wär das was?

Sonntag, 2. Oktober 2011

Gähn, ächz, gibt es etwas Langweiligeres als Leute, die von ihrer Schreibblockade schreiben?

Zurück von einem Spaziergang mit Lili durchs Moor, es war so unglaublich schön da draußen und das Wasser so dunkel und still, dass ich gerne hinterhergesprungen wäre in den See, als sie den Enten nachgeschwommen ist. Sie hat noch nie eine erwischt und wird auch hoffentlich nie eine erwischen, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Und jetzt sitze ich hier mit drei Stunden Zeit und weiß nicht, lege ich noch mal nach? Schreibe ich noch einen zweiten Text? Oder lasse ich es bei dem ersten, weil souveräner? Aber was, wenn der nun mal nicht besonders ist, und das war es mit meiner dicken Chance? Ich habe eine echte "bestimmt ne fünf geschrieben"-Krise. Morgen ist auch noch ein freier Tag, und ich habe einen noch nicht aufgeknusperten Krimi, und überhaupt, es ist zum Auswachsen.
Vor vielen, vielen Jahren habe ich über Nacht beschlossen, dass ich jetzt Werbetexterin werde. Zum Teil war das bestimmt eine Flucht aus der verhassten Uni und dem noch mehr verhassten Schnarch-Unistädtchen, aber zum größeren Teil war das eben so ein Fall von "plötzlich weiß ich, was ich will", und wenn man so einen Moment hat, ist keine Zeit zu verlieren. Der normale Weg, Texter zu werden, ist ein Praktikum, und ein Praktikum in einer guten Agentur bekommt man, indem man vorher in einer nicht ganz so guten Agentur ein Praktikum gemacht hat, oder indem man einen Copytest macht. Den lädt man sich aus dem Internet runter (ja, auch damals schon) und denkt sich zu den ca. zehn Aufgaben, die möglichst dem entsprechen sollten, was der Job später verlangt, etwas möglichst Schlaues aus. Weil niemand weiß, wann man sich die Aufgaben runtergeladen hat, wird einem auch niemand mit der Stoppuhr im Genick stehen (anders als später in der Agentur), und es liegt an einem selbst, wann man beschließt, dass es nun gut genug ist und besser nicht wird. Ein Albtraum für jemanden wie mich. Eine Idee, die mir heute noch gefällt, finde ich in zwei Stunden lahm und abgedroschen. Ich hätte niemals irgend einen dieser Tests abschicken können, allein schon deshalb, weil immer die Chance bestanden hätte, morgen eine bessere Idee zu haben. Hätte ich nicht irgendwann vom Werbekongress gehört, einer Rekrutierungsveranstaltung für Jungs und Mädchen, denen wirklich nichts Besseres einfällt, als Werbefifis zu werden, dann würde ich jetzt noch in meinem WG-Zimmer sitzen und mir die Haare raufen. Auch zum Werbekongress gab es einen Copytest, diesmal zum Glück mit einer Deadline. Gott schütze und bewahre Deadlines! Ohne sie, das hab ich glaube ich schon mal geschrieben, wäre ich nicht lebensfähig. Ich grübelte, füllte den Test aus, schickte ihn ab und bekam einen Platz. Und an einem Wochenende im Mai stand ich an dem Stand meiner aller-aller-Lieblings-Agentur, trat von einem Fuß auf den anderen und überlegte, wie ich die dazu kriegen würde, sich nicht nur höflich interessiert zu geben und mich dann zum Teufel zu jagen, und da kam mir die Eingebung: ich würde mir den Kongress-Copytest geben lassen und als Stunt innerhalb einer Stunde ausfüllen. Damit würde ich mir nicht nur eine wochen- wenn nicht monatelange Nervenkrise ersparen, sondern es wäre auch fast schon egal, wie gut meine Antworten waren. Die Personaltante am Stand guckte mich mehr als skeptisch an, aber ich war mir sicher, so und nicht anders würde das was werden. Vollkommen overdressed (Faltenrock aus Seide, High Heels aus Schlangenleder, spießiges Blüschen inmitten dieser ganzen Werbe-Kapuzenpulli-Gang) stand ich mit einem Kuli der Berliner Sparkasse an einem Stehtisch und schrieb wie besengt. Und es hat geklappt. Zwei Monate später fuhr ich mit dem Twingo meiner Mutter nach Hamburg, und da bin ich seitdem geblieben. Irgendwann vier Jahre später habe ich meinen alten Copytest mal wieder gesehen und mich gegruselt: das war alles grauenvoll, und niemals hätte ich das so abgegeben, wenn ich genügend Zeit gehabt hätte. Aber dank meiner selbstgebastelten Deadline hatte ich doch, und es hatte funktioniert.

Ich wünsche mir gerade nichts sehnlicher, als keine Zeit zu haben. Ich würde gerne unter Aufsicht einer Prüfungskommission an einem Tisch in einem leeren Hörsaal sitzen und mit einem Sparkasse-Kuli einen Stapel weiße Seiten vollschmieren. Aber ich habe Zeit. Also mache ich wohl das, was ich in solchen Fällen immer tue: ich grusele mich die nächsten ca. 28 Stunden lang, und dann lege ich los, kalten Schweiß auf der Stirn.

(Sollte dieses Traumprojekt tatsächlich etwas werden, dann kommt das übrigens jeden Monat auf mich zu. Das Perverse ist, ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Ächz.)

Samstag, 1. Oktober 2011

Glaubt mir, ich platze vor Mitteilungsbedürfnis

Jaja, ich weiß, immer dieses geheimnisvolle Getue, und dann hüllt die feine Madame sich wieder tagelang in Schweigen, und nüschte kommt. Vermutlich hätte ich einfach die Klappe halten sollen. Ziemlich sicher sogar. Aber Klappe halten war noch nie meine Stärke.
Es tut mir herzlich leid, ich kann euch nicht erzählen, was ich gerade ausbrüte. Vielleicht tröstet es euch ja ein bisschen, dass ich im Moment ungefähr tausendmal mehr auf die Folter gespannt werde als ihr alle. Es geht wieder mal um ein Schreibprojekt, diesmal aber eins, das überhaupt nichts mit Kindern, dem Wunsch danach oder den Gründen, warum sie nicht kommen wollen, zu tun hat. Aber auch wirklich gar nichts. Ob es etwas wird oder nicht, weiß ich noch nicht. Ich habe meinen Text geschrieben, achtzigmal gegengelesen, L. hat auch seinen Senf dazugeben, und jetzt ist er in der Mailbox einer Dame, die darüber zu entscheiden hat, ob ihr das gut genug gefällt. Und jetzt ist Wochenende. Sogar langes Wochenende. Und ich werde wohl vor Dienstag nichts hören, vielleicht sogar erst noch später. Bis dahin bin ich inwändig ausnahmsweise nicht mit Zysten und Verwachsungen gefüllt, sondern mit Wespen, Hornissen und Heuschrecken. Zum Glück sind keine Beruhigungsmittel im Haus (mal abgesehen von einer fünf Jahre alten Flasche Hustentropfen mit Codein), so bleibt mir nur, ein ums andere Mal um den Block zu rennen und den Abwasch zu machen, um nicht vollkommen durchzudrehen. (Ich habe sogar bei Budni einen Raumbedufter mit der Duftnote "Zen-Instant Calm" gekauft. Das war noch nie.) Und ich frage mich wieder mal, ob dieses Abi-Gefühl eigentlich wirklich jemals vorbei ist? Wie wäre das, ein Leben zu führen, in dem man niemals darauf hoffen muss, dass irgend etwas gut genug ist, was man getan hat? Ich habe das schon in meinem normalen Job an jedem Arbeitstag drei mal, ich stecke mein ganzes Herzblut und allen Saft, der in meinem Hirn steckt, in ein paar Zeilen auf einem weißen Bildschirm, dann ziehe ich eine oder zwei Seiten aus einem Drucker und gehe in ein Büro, wo jemand sitzt, der das gut finden muss. Bitte. Und wenn der das gut findet, ist die Prüfung noch längst nicht vorbei, sondern dann kommt irgend ein Kunde, der hoffentlich bei Trost ist. Und ich sitze da und bin immer noch manchmal ein bisschen aufgeregt. Aufgeregt genug jedenfalls, um ab und zu vollkommen automatisch an die Kaffeemaschine zu laufen und mir einen Kaffee zu holen, obwohl das zumindest das Aufregungs-Problem eher verschlimmert, oder mir Süßigkeiten aus der Süßigkeitenschublade zu holen, die mir eigentlich noch nicht mal schmecken. Diesen Zustand jetzt könnte allerdings kein Gang zur Kaffeemaschine mildern, und ich bräuchte schon einen Süßigkeitenschrank, was sage ich, eine Süßigkeitenschrankwand.

Statt Schokolade zu fressen, schreibe ich euch lieber von meinem Gynäkologenbesuch am Montag. (Ja, der Montag vor fünf Tagen. Und ich habe eine Entschuldigung: erst war da der Job, dann Migräne, dann wieder der Job, dann das Superdupergeheimprojekt. Man kommt zu nichts hier.) Ich habe meiner Gynäkologin von meinen inzwischen seit ca. sieben Wochen anhaltenden Zwischenblutungen erzählt und auch von deiner, liebe fremde Kommentatorin, Theorie, dass das an der zu schwachen Pille liegt. Und sie nickte sofort, begeistert über meinen Grad an Informiertheit, und verschrieb mir eine andere Pille. Noch am Montag habe ich die Pille abgesetzt, so dass ich jetzt seit Tagen etwas habe, das meinen Zwischenblutungen hämisch ins Gesicht lacht: gefühlt verliere ich täglich einen halben Liter Blut und krümme mich ziemlich theatralisch. Aber es gibt Ibuprofen, und das geht vorbei, spätestens, wenn ich übermorgen die erste Maxim (baugleich mit Valette, die meine Klinik mir aus Gründen nicht mehr verschreibt, an die ich mich nicht erinnere) schlucke. Dann würden eigentlich drei Wochen Maxim folgen und dann der nächste Versuch. Nur, tada: ich habe nachgerechnet, und wieder mal kommt es nicht hin, denn das würde bedeuten, dass die Punktion und vermutlich auch die Rückübertragung in den Zeitraum fallen, wenn wir unseren vom Hurricane verwehten New York-Urlaub nachholen wollen. Ich werde also erst Ende November/Anfang Dezember wieder spannende, hormongeladene Action vermelden können. Und die nächste Rübe in meinem Bauch wird dann eben ein hoffentlich langes und gesundes Leben lang im September Geburtstag haben. Mit Glück immer an so goldgrünen, knallblauen und großartigen Tagen wie denen, die hier gerade vor meinem Fenster zu bewundern sind.