Montag, 24. Februar 2014

In meiner alten Klinik hätten sie gesagt: Herzlichen Glückwunsch, Sie sind jetzt schwanger.

Da war die Rückübertragung immer eine gewaltige Sache (von der Punktion wollen wir gar nicht erst reden). Davor gab es ein Aufklärungsgespräch mit einer Arzthelferin. Ich kann mich natürlich auch täuschen und meine Phantasie spielt mir sicher manchen Streich, aber ich glaube, ich erinnere mich daran, zur Rückübertragung (nicht zur Punktion!) Papier-Überschuhe und eine Papierduschhaube getragen zu haben, damit auch ja kein Haar von meinem Kopf schwuppdiwupp in meinen Bauch gelangt. Oder vielleicht ja auch nur, damit man da nicht ständig durchwischen muss durch den Behandlungsraum, wie auch immer. Es wirkte jedenfalls deutlich raketenstartmäßiger, pompöser und ehrfurchtgebietender. In der neuen Klinik ist alles familiärer, das komplette Personal erinnert sich gut an mich (gut, nach ein paar Eiern mehr treffen wir uns dann vielleicht auch mal privat zum Germany's Next Topmodel gucken oder machen mal Raclette, wär doch nett?), Papierschuhe werden genau so wenig gebraucht wie die rätselhaften weißen Socken, die ich in der alten Klinik immer extra anschaffen musste. Ich hatte einfach ein geringeltes Minikleid an, das während der Schwangerschaft den Weg in meinen T-Shirt-Stapel gefunden hatte und das den Po knapp bedeckt, dazu meine Glückssocken mit den Bommeln, und so bin ich kurz über den Flur gehuscht und bekam von einer netten jungen Ärztin, nicht meiner, zwei Zellhäufchen zurück. Wobei, Zellhäufchen: Zellberge. Zellklöpse! Drei Tage nach Punktion waren es Achtzehnzeller. Das war noch nie. Ich bin jetzt zu faul und zu kaputt von Utrogest und Estrifam, um den Blog systematisch nach der Zellzahl meiner bisherigen Würmchen zu durchforsten, aber ich bin mir wirklich sicher, achtzehn waren es noch nie, schon gar nicht nach drei Tagen.
In der alten Klinik durfte ich einmal nicht aus der Punktion und den Jutebeutel mit den weißen Punktionssocken tragen, der war zu schwer für mich und wurde mir von der Schwester untersagt. Dafür gratulierte mir nach der Rückübertragung eine andere Schwester von Herzen, jetzt wäre ich ja quasi schwanger und müsste deshalb ab sofort sowohl Bordsteine als auch Rohmilchkäse meiden. Hier hat das niemand gesagt, die gehen zu Recht davon aus, dass Kinderwunschpatientinnen sich schon in endlosen Google-Stunden damit auseinandergesetzt haben, was alles zu beachten wäre, wären sie dann irgendwann mal schwanger. Trotzdem fühle ich mich schon wieder schwanger. Ich weiß, da spielen mir vermutlich Utrogest und Estrifam einen Streich, heute habe ich mal ganz gegen meine Gewohnheit den Nebenwirkungszettel durchgelesen, und so ziemlich hinter jede Nebenwirkung könnte man schreiben "fühlt sich also mit anderen Worten an wie schwanger, ist aber Utrogest, nur, damit das hinterher kein langes Gesicht gibt, wollten wir das mal gesagt haben".

Am sechsten ist der Test.

Ja nun. Jetzt versuchen wir wenigstens äußerlich mal, zur Abwechslung völlig ruhig zu bleiben.

Mittwoch, 19. Februar 2014

Das ist doch noch Lebensqualität.

Auf einem kurzen Gang zu Edeka und in die Apotheke, um mir Estrifam und Utrogest zu besorgen, habe ich drei betrunkene Männer in Rollstühlen gesehen. Zwei davon kenne ich vom Sehen und weiß, dass sie eigentlich ganz gut ohne Räder zurecht kommen - vermutlich war es einfach einer dieser Tage, an denen man die Dinge lieber im Sitzen erledigt. Es wird viel geraucht hier, vor allem auch von Leuten, die die Zigarettenindustrie eher ungern auf ihre Plakate druckt. Alte Frauen rauchen hier z.B. häufig. Es gibt eine Gang alter Frauen, die sich zweimal wöchentlich vor Edeka im Halbkreis auf ihre Rollatoren setzen und rauchen. Eine davon raucht lange, schwarze Zigarillos. Der Edeka ist schwer beliebt bei alten, rauchenden Mitbürgern, denn er liegt direkt neben der Ubahn, hat abends noch lange auf und ist kein Edeka dieser kalten, poshen Sorte, wo man Salz aus Ibiza kaufen kann, Pata Negra-Schinken und Olivenöl, das in Goldfolie gewickelt wird. Hier läuft auch wenig Suff-Verschleierung. Die kenne ich aus meiner alten Gegend in Eimsbüttel (und dabei war selbst das trotz explodierender Mieten damals noch eine Gegend für rauchende alte Frauen): Alkoholiker an der Kasse, die eine Flasche Schnaps, drei anderthalb-Liter-Tetrapacks Weißwein und ein Kilo gut und günstig Mehl Type 605 kaufen, um den Anschein zu erwecken, sie würden hier nur kurz die Haushaltseinkäufe erledigen, aber für diese Tarnung dann doch nicht so viel Geld ausgeben wollen, das für Racke Rauchzart besser angelegt wäre. Wenn das hier irgendwann auch losgeht mit dem Kilo Mehl, dann weiß ich, demnächst explodieren die Mieten und wir kriegen einen Laden, in dem man schicken Kaffee kaufen kann. Und Olivenöl in Goldfolie!
Ist der Schnaps erst mal gekauft, will er auch getrunken werden, und nicht alle Nachbarn trinken ihn gerne zuhause vor dem Fernseher. Einige gehen damit nach draußen, in den Park, und wenn sie dann irgendwann rechtschaffen voll nach Hause schwanken, dann lassen sie einiges liegen: benutztes Klopapier, leere Flaschen, Kotzfladen (über die die Hunde sich immer freuen, wenn ich es nicht rechtzeitig merke), Plastiktüten, Pizzakartons. Wäre ich Pizzabote, würde ich mich gruseln, wenn man mich abends um elf im Februar in einen unbeleuchteten Park bestellen würde, aber sie sind scheinbar aus härterem Holz geschnitzt als ich. In den letzten vier Wochen sind mir in unmittelbarer Nähe unseres Hauses begegnet:
- eine 80jährige, die bei zwei Grad unter Null in BH und Jogginghose draußen war,
- ein Mann, der im Papierkorb wühlte, eine leere Konservendose herausfischte, den Deckel ableckte und sie wieder reinsteckte,
- ein Spaziergänger im Park, dem ein langes, braunverschmiertes Stück Klopapier hinten aus der Hose hing,
- ein Mann, der mit einem Ghetto Blaster auf einer Parkbank saß und Anfangsmelodien von Fernsehserien der 80er hörte
- eine Putzfrauentranse - das heißt ein Mann, als Putzfrauenklischee verkleidet, und das stimmig bis ins Detail - Kittelschürze, blauer Glitzerlidschatten, seitlicher Pferdeschwanz, von einer Plastikkralle gehalten, Funkemariechenstrumpfhosen und rosa Fake-Birkenstocks
- eine Frau mit einem ca. fünf Monate altem Säugling, dem sie auf dem Markt eine dicke fette Pferdewurst gekauft hatte
- ein Mann, der seinen Regenschirm als Spazierstock einsetzte wie ein englischer Flaneur in einem alten Film, nur dass der Regenschirm ca. sechzig Zentimeter lang, rosa und voller Rüschen war, so dass er mit einem Neigungswinkel von ca. sechzig Grad flanieren musste

Das ist doch der Stoff, aus dem die Kiez-Schwärmereien in angesagten Großstadtgegenden gemacht sind. Oder? Man könnte denken, ich wohne auf Sankt Pauli. Tue ich aber nicht.
Ich finde, ich wohne in einer tollen Gegend, um ein Kind aufzuziehen. Noch ein Kind, meine ich.
Und die Chancen stehen dafür gar nicht so schlecht: von vierzehn Zellen haben sich elf 1a befruchten lassen. Freitag gibt es die erste Rutsche zurück. Nennt ihr das ruhig überzogenen Optimismus. Ich nenne das der Kinderlosigkeit den Stinkefinger zeigen, und zwar mit Klopapier hinten in der Hose.

Dienstag, 18. Februar 2014

14 Zellen.

Davon 12 gut und zwei wackelig.

Muss. Schlafen. Viel. Schlafen.

Danke für's Daumendrücken, ihr alle!

Montag, 17. Februar 2014

Einige Gründe, sich überhaupt nicht aufzuregen, wenn man am nächsten Tag Punktion hat.

Morgen um zehn bin ich fällig. Und irgendwie... irgendwie... verdammt, irgendwas fehlt doch hier? Im Moment freue ich mich fast auf den Termin - eine Punktion, soso, wir kennen uns doch von früher, wir haben doch schon so viel zusammen erlebt?!?

Eigentlich schuldet man einem Blog mehr Drama. Ich hab aber keins zu bieten gerade. Einige der Gründe dafür, warum das so ist:

1. Diese IVF lief so nebenwirkungsfrei, dass das selbst für meine Verhältnisse erstaunlich ist. Ich bin immer weitgehend verschont geblieben von Depressionen, Ausschlägen und spektakulären Verdauungsbeschwerden. Diesmal kann ich mir wirklich den Kopf zerbrechen, ich habe nicht mehr zu bieten als:
- ein paar klitzekleine Wunden von den ersten beiden Menogon-Injektionen. An Tag 3 habe ich meinen Weg gefunden, das zu vermeiden: ich lasse die geöffnete Papier-und-Folien-Verpackung erst mal an der Nadel, bis ich die Tülle gelockert habe, so hat man mehr Griff und mehr Kontrolle.
- heute nach der Brevactid gestern abend um zehn eine leichte Übelkeit.
- ähh... nee. Sonst nichts. Wirklich nichts. Noch nicht mal den Nikolaus-Bauch, an den ich mich schon gewöhnt hatte.

2. Kalle schläft oben in seinem Bettchen in seiner kleinen, krabbelfreundlichen Stretchjeans. Sollte in zwei Wochen der Test negativ sein oder morgen kein einziges brauchbares Ei herauskommen, wird er das trotzdem noch tun. Ich will damit nicht sagen, Kinderwunsch ist immer weniger schlimm, wenn man schon ein Kind hat. Aber in meinem Fall tröstet und stützt und beruhigt es mich enorm. Doch, ich will noch ein zweites Kind! Aber wenn nicht, dann nicht.

3. Getreu meinem alten Grundsatz "Doof gebucht ist halb getröstet" habe ich gestern abend meinen Flug gebucht für den ersten richtigen Sommerurlaub seit drei Jahren. Diesen Sommer, genauer gesagt diesen Juli, fliegen die Damen und ich zusammen nach Mallorca und leben zwölf Tage wie die Maden im Speck. Sollte ich dann schwanger sein, mache ich das trotzdem, siebter Monat hin oder her, es sei denn, mein Arzt sagt nein oder es sind Zwillinge unterwegs. Lesen und essen und faul sein kann ich auch schwanger. Sollte ich aber nicht schwanger sein, dann hätte dieser Urlaub eindeutig mehr zu bieten - angefangen, aber längst nicht endend damit, dass ich nicht bis zur letzten Sekunde vor Abflug zittern müsste, irgendwie könnte mir das neue Würmchen einen Strich durch die Rechnung machen. Heute habe ich angefangen, eine Playlist zusammenzustellen. Falsche Prioritäten, sagt ihr? Tja.

4. Natürlich ist es fein und toll, wenn man gleich bei der ersten IVF oder ICSI schwanger wird und bleibt. Aber irgend ein Gutes muss es doch haben, wenn man in dieses Loch eine größere Menge Geld, Nerven, Zeit und Hamsterhormone gebuttert hat. Hat es auch: alles ein ganz alter Hut. Ich fühle mich wie ein hochdekorierter Hormonveteran, wenn ich hier sitze und schon mal den Anästhesiebogen ausfülle und mir wieder mal mit hochgezogener Augenbraue denke, die könnten da ruhig ein bisschen mehr Platz lassen bei der Spalte, in die man seine vorangegangenen Operationen eintragen soll.

5. Das neue Geheimprojekt (das mit der Dusselsdeadline neulich) wäre zwar auch schwanger zu machen, aber deutlich entspannter unschwanger.

6. Irgendwie finde ich es gerade nicht in mir, mich über irgend etwas aufzuregen, ob mit oder ohne Kinderwunschbezug. Das mir! Wo ich mich so gerne aufrege, notfalls auch über Türklinken (siehe letzte Woche)! Ich weiß nicht, woran es liegt. Werde ich alt und müde?

Nichtsdestotrotz freue ich mich natürlich über gedrückte Daumen, viele Eier und ein migränefreies Erwachen aus der (gähn) Narkose.

Samstag, 15. Februar 2014

Schrieb sie und trug die Partykleider für's Erste auf den Dachboden.

Man weiß nie, oder? Kann doch immerhin sein, dass ich in zwei Wochen wieder schwanger bin und bleibe und all der schöne Quatsch, den ich so gerne mache, dann erst mal wieder vorbei ist? Und genau darum war ich gestern Abend noch mal auf einem Abschiedsbesuch in unserer neuen Lieblings-Absack-Kneipe, alle Damen waren dabei, es gab roséfarbene Getränke auf viel Eis und, versucht ruhig, mich zu schlagen, könnt ihr aber gar nicht, ist ja Internet, ätschipopätschi, auch ein paar Flüppchen.
Und das war sehr, sehr schön. Um zwei war ich zuhause, bester Laune und hundemüde.

Um halb vier war Idi das erste mal wach. So ungefähr bis zehn vor vier.
Dann wieder um fünf, wieder für eine Viertelstunde.
Und jetzt ist er seit sechs wach. Er hat keinen Hunger, er will auch nicht im Elternbett schlafen, er will einfach nur wach sein und laut sein und zappeln und mich in die Finger zwicken, weil ihn mein Glitzernagellack so interessiert, und mir Haare ausreißen und ausprobieren, wie laut genau er quaken kann, wenn er nur will.

Und jetzt ist es wohl wieder mal so weit. Jedes Jahr irgendwann kurz vor Frühjahr habe ich das dringende Bedürfnis, in den nächsten Wochen alles richtig zu machen. Ich möchte Kräutertee und Masken, abends um acht in einen frisch gewaschenen Schlafanzug schlüpfen, Suppen und Salat und scharfes sauberes vietnamesisches Essen, ich will Freitags Kuchen backen und frische Blumen auf den Tischen stehen haben statt stapelweise Krempel, ich will Ordnung und Ruhe und Schlaf und Frieden.
Das war schön gestern, da im Gedränge zu stehen und rumgeschoben zu werden und das Etikett von meinem alkoholfreien Bierchen zu knibbeln und sich in erste-Reihe-bei-Nirvana-Lautstärke zu unterhalten. Aber jetzt mit Pfefferminzduschgel* geduscht, entrauchten Haaren und einer Tasse Tee auf dem Sofa zu sitzen und dem kleinen Idi beim Krabbeln lernen zuzugucken, das ist auch schön. Und ich gebe im Kopf dem ganzen Kneipenpublikum mit höchstens zwei-drei Ausnahmen ein kleines Abschiedsküsschen und denke mir, das war es nun mal wieder, wir sehen uns bestimmt schneller wieder, als wir denken, aber eben doch nicht ganz so schnell. Ich bin noch nicht mal verkatert, falls das eine denkt - nur sehr, sehr müde - aber bester Dinge und ganz froh, dass dieser seltene Wunsch nach vernünftigem Betragen mich ausgerechnet jetzt überkommt, drei Tage vor Punktion und mit Aussicht auf ein neues Würmchen, das da sicherlich völlig einer Meinung mit mir wäre.

Bunter Abend mit buntem Publikum und bunten Getränken: Haken dran.

Damit bleiben für dieses Wochenende noch offen: Rohmilchkäsefest, Muscheln mit Fritten und selbstgerührter Mayo, Sushi, Tiroler Speck und ein blutiges Steak. (Das klingt für euch nicht gerade nach Detox? Für mich schon. Für mich schon.)

So. Und von der IVF habe ich zu berichten: fünf Eier im rechten Eierstock (den wir eigentlich schon aufgegeben hatten), ca. acht Eier links im guten Eierstock, gute Schleimhaut, perfekte Blutwerte, Dienstag wird punktiert, und es ist ein einziges Schönwettersegeln gerade. Hu. Nicht zu zufrieden werden, das bringt die Abkürzungsschutzheiligen gegen uns auf, und dann kommen sie mit einer neuen Gemeinheit aus dem Hinterhalt, aber ... klingt doch sehr gut erst mal, oder? Gut. Rohmilchkäse. Ran da. Man weiß nie.

* Da bestelle ich Ende Januar ein Paketchen Kosmetik in der Apotheke am Rothenbaum und warte und warte und warte und warte und warte immer noch. Und gestern habe ich denen geschrieben, wo mein Paketchen bleibt, denn langsam würde noch nicht mal mehr der Seewolf aus meiner Augencreme-Tube auch nur das kleinste Würstchen Augencreme mehr herausbekommen, und es wird doch langsam mal Zeit - und sie haben mich sogar zurückgerufen und mir gesagt, sie könnten sich das nicht erklären, aber plötzlich wäre so ein Andrang auf mein Lieblingspfefferminzduschgel, daher die Warterei. Und nun frage ich mich: wart ihr das? Bzw. ich? Hat hier tatsächlich eine Pfefferminzduschgel bestellt, nachdem ich neulich davon geschwärmt habe und euch sogar gesagt hatte, wo man das herkriegt? Oh. Klingel. Hoffentlich DHL mit Augencreme.

Donnerstag, 13. Februar 2014

Zehn kleine Lädelein

Vor so ungefähr fünfzehn Jahren, als ich noch in einer süddeutschen Zuckergussstadt studierte, habe ich mich immer darüber aufgeregt, dass die Einwohner dieser Stadt nette, originelle, gute kleine Läden ungefähr so behandeln wie die zahlreichen aus öffentlicher Hand gepflegten Sehenswürdigkeiten dieser Stadt. Sie entwickelten so etwas wie ungerechtfertigten Stolz auf sie, als hätten sie mit der Wahl ihres Wohnortes persönlich zu ihrem Entstehen und ihrem Erhalt beigetragen, führten auch gerne Besuch von außerhalb dorthin, aber regelmäßig reingehen und etwa Geld dalassen? Nein. "Das ist hier ein total niedlicher Käseladen, der ist schon vierzig Jahre alt, riecht mal" sagten sie z.B., um trotzdem ihren kompletten Käse vorgeschnitten und eingeschweißt im verdammten Lidl zu kaufen. "Ach, das muss ich euch zeigen, das ist echt mein Lieblingsladen in der Innenstadt, die haben alle Süßigkeiten von früher, das ist wie eine Zeitreise!". Ja, toll, aber kaufen? Nee. Gleichzeitig war die Aufregung groß, wenn ein netter kleiner Laden nach dem anderen verschwand und Platz für Handyläden, Ketten und Ramsch machte. "Die Innenstadtmieten sind Schuld" stimmt bestimmt zum Teil, aber die andere Wahrheit ist: solche Läden werden eben nicht aus öffentlicher Hand bezahlt, sie können sich nur halten, wenn man sie nicht nur romantisiert und sich freut, dass sie da sind, sondern auch dort kauft, und zwar nicht nur mit Besuch von außerhalb, sondern am besten jede Woche.

Jetzt wohnen wir in der Vorstadt, und in den letzten zwölf Monaten haben dicht gemacht: der Spielzeugladen, die Metzgerei, der Kosmetikladen (kein großer Verlust in diesem Fall), die Drogerie, die so bequem direkt gegenüber von meinem kleinen Edeka lag, der andere kleine Supermarkt an der anderen Ubahn-Station, in den ich auf dem Heimweg mal schnell für einen Liter Milch, Special K's und einen Salat huschen konnte, und der Buchladen wird als nächstes dran glauben, wenn man die leeren Regale so sieht. Ein paar hundert Meter weiter nach Süden lag bis vor zwei Jahren das niedliche Eiscafé von L.s zwei Abikolleginnen, man konnte da sitzen und nicht nur Eis, sondern auch getoastete Panini und Suppen und Kuchen bekommen, dazu einen netten Schnack mit den Wirtinnen und ein paar Klatschzeitschriften. Es war nett! An den anderen Tischen saßen oft Muttis, die sich laut darüber freuten, dass man hier bei einem Milchcafé wunderbar den Vormittag verbringen kann. Bei EINEM, wohlgemerkt. "Und bitte ein Glas Leitungswasser für Lukas". Es ist nicht mal, dass all diese Muttis kein Geld haben oder meine Vorstadtnachbarn kein Geld für Parfum, Bücher oder Fleisch. Gerade für Fleisch haben sie scheinbar eine Menge Geld, wenn man mal einen verstohlenen Blick in ihre Einkaufswagen wirft. Sie sind nur vielleicht zu geizig. Oder zu bequem, noch ein paar Meter weiter zu gehen. Oder sie kaufen grundsätzlich nirgendwo ein, wo man mehr als zehn Meter vom Parkplatz aus zurücklegen muss; ich kann mir das gut vorstellen.

Mir tut jeder leid, der in so einer Gegend und in so einer Zeit beschließt, einen Laden aufzumachen. Ist der Laden langweilig oder schlecht geführt, hat er sowieso keine Chance. Ist er toll, einzigartig, mit Liebe gemacht und gut in Schuss, verwandeln die Kunden sich in Touristen, fassen alles an und gehen wieder. Ich finde das traurig. Wenn Jan-Ole irgendwann mal groß ist, gibt es hier nur noch die zwei Riesensupermärkte, in denen es siebzehn Sorten Wiener Würstchen aus dem Glas gibt, aber keinen leckeren Rotwein und keinen ungestreckten Obstsaft, und sonst gar nichts.

Ach ja. *seufzte sie und war sich nicht ganz sicher, ob das nicht alles ein bisschen überzogen ist und ob sie wirklich niemals selbst Supermarktkäse kauft und all das...*

Wo waren wir? Tag neun der Stimulation. Ich spritze immer noch, nachdem ich meiner Ärztin noch mal eindringlich ins Gedächtnis gerufen hatte, wie das lief bei IVF Nr.4, als wir am Ende auch dachten, die Eizellen schaffen das alleine, woraufhin sie alle beleidigt eingegangen sind. Mir gehts gut, nichts drückt oder ziept, und laut letztem Ultraschall wachsen rechts so um die drei Eizellen und links irgendwas zwischen sechs und acht. Nicht schlecht für 40, finde ich! Die 5:2-Diät macht nun allerdings Pause bis zum Test. Ich habe mir sagen lassen, ich brauche das Eiweiß gerade dringender als eine kleinere Jeansgröße.

Sonntag, 9. Februar 2014

Hunderttausend heulende und jaulende Höllenhunde! Ikonoklasten! Kartoffelkäfer! Kürbisgeister! Diplodoken!

Ich neige zu fast unkontrollierbaren Wutausbrüchen auf Sachen. Zum Glück NUR auf Sachen. Bleibe ich zum Beispiel mit der Türklinke im Ärmel hängen, brülle ich. In unserem Haus sind auch die Türklinken von 1927, an denen kann man sogar von zwei Seiten hängen bleiben, beim Weg ins Zimmer und auf dem Rückweg gleich nochmal, sie haben nämlich auch am anderen Ende so ein ulkiges kleines Metallnupsi. Brüll! Brüll! In der letzten Zeit von mir angebrüllt wurden: die Tür im Windfang, die sich immer verkantet, der Trockner, der nicht getrocknet hat, meine Shampooflasche, die beim Umfüllen eine Riesensauerei gemacht hat, meine Handtasche (zu voll), die Ketchupflasche (kommt nix), das Sushi (falsche Sorte, und das, wo hier gerade wieder mal ein Demnächst-bestimmt-schwanger-Countdown mit allen Schikanen läuft), ein Messer (zu stumpf), die Reistüte (aufgerissen und ausgelaufen) mein Telefon (nicht geklingelt trotz Anruf), eine Wurzel (drüber gestolpert), die heiße Kuchenform (heiß), dieses Brett unten an den Küchenschränken (fällt immer um), einige Teile Plastikmüll (vom Wind auf dem Weg zur Mülltonne aus dem Eimer geweht und über den Garten verteilt) und Quark (abgelaufen UND runtergefallen).

Und jetzt Menogon. Zwei Jahre bin ich dem Spritzenzirkus ferngeblieben, nun bin ich wieder da, und die Menogon-Industrie hat es immer noch nicht kapiert! Flüssigkeiten verpackt man nicht in die Sorte Ampullen, die beim Öffnen in sieben klitzekleine, gemein scharfe Splitter zerbrechen. Und Schutzkappen auf Spritzen konstruiert man nicht so, dass sie erst gar nicht abgehen und dann mit einem unvorhersehbaren Ruck doch, so dass man sich erschreckt und wegzuckt und auf einmal die Nadel bis zum Anschlag in einem Fingergelenk stecken hat, gerne jedes Mal in einem neuen. Ihr könnt euch den Geräuschpegel so ungefähr vorstellen. HAAAAAAARRRRRRRRRRRRR!

Davon aber abgesehen ist diese IVF gerade so spannend wie Nasentropfen, manchmal ist mir ein bisschen schlecht (wird mir von Nasentropfen auch), davon abgesehen keine dramatischen Ereignisse bisher. Sollte doch was dran sein an diesem statistisch klar widerlegten Ding mit den entspannten Adoptivmüttern, bei denen es dann wie von selbst klappt, dann bin ich quasi jetzt schon werdende Mutter von Zwillingen. Liebe neuen Abkürzungsdamen, solltet ihr noch richtig viel Angst vor all dem haben - vor den Spritzen, den Nebenwirkungen, dem, was da kommt - dann kann ich euch feste versprechen, das, was ihr gerade vor euch habt, ist das beste Gegengift dagegen. Nichts bereitet besser auf eine IVF vor als eine IVF. Beim nächsten Mal macht ihr das dann schon pfeifend und auf einem Bein hüpfend. Es sei denn, euch steckt gerade eine dicke Bastelnadel im Handteller. Wobei auch das sein Gutes hat: danach ist der echte, ernstgemeinte Pieks in den Bauch wirklich nur noch lächerlich.

Dienstag, 4. Februar 2014

Etwas weniger Fusselbauch, bitte.

Sein neuester Knalleffekt: gerade jetzt, wo ich jeden Abend mit Blick auf meinen Menogon-Hort einschlafe und mit den Hufen scharre, wann es nun endlich losgeht, beschert er mir die erste echte Zwischenblutung meines Lebens. Oder? So klar ist es gar nicht. Von der echten Tante Rosa unterscheidet sich dieses Phänomen erst mal durch Menge. (Inzwischen ist es so weit, dass ich zu diesem feierlichen Anlass immer das gummierte Laken unter das normale Laken spanne, das ich zuletzt in Verwendung hatte, als wir minütlich mit der Geburt rechnen mussten. Ihr könnt es euch vorstellen.) Dann durch mangelnde Schmerzen. Und fünf Tage zu früh ist es außerdem. Ein Telefonat mit der Klinik hat nun Folgendes ergeben: ich soll ja sowieso erst ab Tag drei Spritzen, bis dahin beobachte ich und überlege mir, ob das nun falscher Alarm ist oder nicht. Wenn ich beschließe, dass nicht, dann lege ich am dritten Tag los, egal was. Wenn es falscher Alarm ist, bleiben die teuren Ampullen in ihrer Kiste, bis es ernsthaft losgeht.

Die Senkwehen unter den Zyklusstarts.

Inzwischen habe ich den zweiten Fastentag hinter mir, und auch der ging hervorragend. Kann das sein? So einfach? Ich habe jedenfalls beschlossen, meinen Fusselbauch in seine Schranken zu weisen. Und es gibt eine Menge Gründe für Optimismus.

1. Diese Diät liefert das perfekte Mantra für mich gleich mit: "Morgen. Morgen. Morgen. Heute lässt Du die Finger von dieser Schokolade, die böse Menschen ständig durch dein Blickfeld tragen, aber morgen! Morgen darfst Du wieder alles. Wirklich alles."

2. Es ist ganz einfach: 500 Kalorien an zwei Tagen in der Woche. An den anderen fünf Tagen ist alles erlaubt und alles egal. Das überfordert selbst mich nicht.

3. Dass an den anderen fünf Tagen die Diät Pause hat, kann ich gar nicht oft genug loben und preisen. Die paar mühsam abgesparten Extrapünktchen bei Weight Watchers kamen mir immer viel zu wenig vor, viel zu wenig Trost, viel zu wenig Essen, viel zu wenig Motivation. Hier muss ich nur einen Bruchteil meiner Zeit mit dem Quatsch zubringen, der Rest gehört mir und meiner Gier.

4. 500 Kalorien sind so wenig, dass ich gar nicht erst anfangen muss, mich mit dusseligen Light-Produkten auseinander zu setzen, die mir immer die Laune verderben. Viel Gemüse, weniger Obst und dann noch ein bisschen hochwertiges Eiweiß wie Fisch oder Tofu oder mageres Fleisch, das war es. Da müssen wir gar nicht erst diskutieren, ich und mein Bauch. Außerdem erfordert diese klitzekleine Menge, dass ich wirklich aufschreibe und zusammenzähle, nicht über den Daumen rechne und mir denke "Och, noch ein Apfel..."

5. Das mit dem Gemüse, dem Obst und dem Eiweiß habe ich beschlossen, nicht die Diät. Die Diät sagt, es ist ihr völlig wurscht, wofür ich meine 500 Kalorien verwende. Ich kann genau so gut ein Snickers essen, und gut. Ich mache es aber anders, weil ich den Bauch für möglichst wenig möglichst voll kriegen will und die Heißhungerattacken vermeiden will, die ein halbes Kartöffelchen (oder ein Snickers) unweigerlich nach sich ziehen würde.

6. In diesem Buch wird deutlich weniger moralisiert als in anderen Fastenbüchern. Das finde ich sehr schön. Die versuchen nicht, einen besseren Menschen aus mir zu machen. Ich will nicht besser werden, nur dünner.

7. Trotzdem zeigen sich bereits erste willkommene Nebeneffekte. Ich bin nicht mehr ganz so gierig. Jetzt schon! Nach zwei Fastentagen! Ja, ich habe auch gestaunt. Z.B. habe ich mich seit Tagen auf den Samstag gefreut, da wollte ich zu McDonalds gehen und mein bis dato liebstes Fressfest, die Hüttengaudi, feierlich begehen. Ich habe ein volles Tablett zu meinem Platz geschleppt. Und dann leider ungefähr die Hälfte - nein, zwei Drittel - stehen gelassen. Auf einmal war das alles nur noch pappig und fade. Den McRösti hatte ich irgendwie besser in Erinnerung. Die Fritten waren kalt und aus nicht besonders guten Kartoffeln. Der Cheeseburger wäre nicht nötig gewesen. Und die Käsegipfel... vier Stück waren in der Schachtel, zwei habe ich L. aufgenötigt. Nur die Cola habe ich wirklich gerne getrunken. Ziemlich verwundert habe ich den Laden verlassen und werde ihn vermutlich so schnell nicht mehr betreten. Und es war nicht dieses Magersucht-Phänomen, keinen Platz im Bauch zu haben. Das wäre auch lächerlich nach einem Tag. Ich hatte einfach keine Lust drauf. (Schön wäre es gewesen, wenn ich das einfach eine halbe Stunde früher gewusst hätte...). Vom selbst gebackenen Zitronenkuchen habe ich zwei Stücke gegessen, die waren sehr lecker, aber als meine Schwiegermutter gierig auf den Rest guckte, habe ich ihr den in Alufolie gewickelt und mitgegeben. Sollte das tatsächlich die erste Diät sein, die tatsächlich dafür sorgt, dass man gesünder isst, auch wenn man es nicht muss?

8. Ich habe ein klares Ziel: ich weiß genau, bis wann ich wie viel abnehmen will. Und noch habe ich das Gefühl, ich könnte das wirklich schaffen.

9. Dass der erste Fastentag der Woche der Montag ist, sorgt dafür, dass ich mich die ganze Woche fühle, als wäre ich schon morgens joggen gewesen. Zum Start gleich was richtig gemacht - schön.

So. Zweiter Tag diese Woche ist entweder Mittwoch (einziges Problem: abends Treffen mit Freundinnen) oder Donnerstag. Ich bin wirklich, wirklich bester Dinge. Wer hätte gedacht, dass eine Diät bei mir für so gute Laune sorgt?

Samstag, 1. Februar 2014

Januar ist eine gute Zeit für Neustarts, finde ich.

In einer blauen Stofftasche mit Apothekenlogo oben auf der Wäschetruhe liegen einige große weiße Schachteln. Darin mit Menogon gefüllte Ampullen, aufwendiger verpackt als Toffifee und deutlich teurer. Ich war auf dem Stuhl, der linke Eierstock sieht gut aus, der rechte hatte sich hinter der Endometriose versteckt, die Myome scheinen auch für meine Verhältnisse friedlich, und am dritten Zyklustag beginnt die nächste Runde. Jetzt ehrlich! Ganz bestimmt! Ich bin ein bisschen aufgeregt. Die Erwartungskirmes funktioniert auch wie in den Zeiten vor dem Don. "Eigentlich wäre das unverschämt, wenn wir jetzt noch mal ein Kind bekommen." "Und genau darum wird es klappen." "Ich wär mir da nicht so sicher, man wird nicht jünger... und die Endometriose zwickt auch wieder..." "Und genau DESHALB. Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwoher ein Fünfmonatsbauch her." "Das, meine Liebe, ist pillepalle, wie viel zu viele von uns erfahren mussten." "Also schön. Ihr bekommt kein Kind mehr. Dann wüsste ich aber gerne, was diese unattraktive 800-Euro-Tasche an deinem Arm macht." "Jaaaa... ich muss es eben wenigstens versuchen!" "Quatsch. Du gehst fest davon aus, dass das klappt." "Tu ich nicht! Allein schon deshalb, weil es dann garantiert nicht klappen würde!" "Weil du darauf hoffst, dass dieser sagenhafte Entspannungszauber jetzt auch bei euch wirkt. Der mit den Adoptivkindern oder den plötzlich doch auf natürlichem Weg Schwangeren, von denen es angeblich nur so wimmelt. Und an die Du angeblich nie geglaubt hast." "Hab ich auch nie! Wir hätten einfach gerne noch ein Kind, verdammte Axt! Auch, wenn die Chancen relativ beschissen stehen!" "Hm-hm." "Was guckst Du so? Guck nicht so!" Man braucht keine ernsthaft gespaltene Persönlichkeit, um so richtig wirr im Kopf zu werden. Man braucht auch keine Hormone. Allein die Anwesenheit von Hormonen im gleichen Haushalt kann schon vollkommen reichen.

Und dann das 5:2-Projekt! Ha!

Ihr reibt euch sicher schon die Hände? In Vorfreude auf die unvermeidliche Bauchlandung?

Reibt nur weiter. Denn nach Tag 1 kann ich sagen, ich glaube, das wird was.

Montag wollte ich ja eigentlich anfangen. Montag war ich aber dick erkältet, und da hatte mein massiger Körper genug mit anderen Dingen zu tun. Dienstag war auch nicht besser. Mittwoch treffen einige Damen und ich uns immer, um erst den Bachelor und dann, so lange das noch geht, das Dschungelcamp zu gucken, dazu gibt es Chips und Alkohol, also Mittwoch auch nicht. (Das ist ja eine der Stärken dieser Diät, dass sie so flexibel ist!) Donnerstag hatte ich den Kühlschrank noch voller Sachen, die weg mussten. Aber gestern, Freitag, habe ich meinen ersten Fastentag geplant, durchgezogen und überlebt. Auch L. hat ihn ohne blaues Auge überstanden. Wobei ich sagen muss, dieses Fasten ist eigentlich kein echtes Fasten. 500 Kalorien waren nämlich erlaubt, zu verteilen so, wie es mir beliebt. Es gab kein FX-Passage-Salz am frühen grauen Morgen, entsprechend keine brutale Darmentleerung. Es gab keine Schwächeanfälle, keine Kopfschmerzen, kein Zittern und keine Probleme, immer noch mit Essen umzugehen. Ich hatte meine 500 Kalorien so verteilt:
Frühstück: 100 Gramm Hüttenkäse (den ich sonst nicht mit der Kneifzange anfasse, aber ich dachte, der bringt mich in diesen Diät-Mood, der auch wichtig ist - macht also gleich morgens ein für allemal klar, dass heute anders ist als sonst) und ein Apfel. Mittags: anderthalb Möhren, in Stifte geschnitten (damit es nach mehr aussieht und sich anfühlt, als würde ich für mich kochen), gedippt in ein bisschen Sojasauce mit zwei Tröpfchen Sesamöl. Abends: 100 Gramm geräucherte Putenbrust, dazu zwei Chicoree trocken in der Pfanne gebraten und dann mit Chili und Zitronensaft geschmurgelt. Dazu scharfen Senf. Zwischendurch ganz viel Kräutertee, Ingwertee und Wasser. Und das ging gut! Ich habe nicht die Tapete von den Wänden gefressen, ich habe im Gegenteil gestern im Lauf des Tages das Essen fürs Wochenende geplant und dafür einen Schweinekrustenbraten nach Nigellas Methode mariniert. Ich habe den Lauch gekocht, den es dazu geben soll. Und ich habe einen Zitronenkuchen gebacken. Alles ohne abgekaute Nägel. Ich war auch nicht zu schwach, um den Don zu tragen, mir war nicht schlecht, ich war nicht aggressiv, sondern habe L. sogar vom Einkaufen mehrere Sorten Schokolade mitgebracht und neidlos überreicht (sogar ein bisschen hämisch, wenn ich ehrlich bin. L. macht sich einen Riesenspaß draus, mich zu piesacken und zu sabotieren, wann immer ich irgend eine Art von Diät anpacke. Und nach ca. zwanzig sarkastischen und bösartigen Bemerkungen darf ich mir wohl auch mal denken "Süßer, Schnuppi, iss du nur deine Schokolade, und wir sehen ja dann am Stichtag, wer die Wette gewonnen hat."), ich habe nicht an dem ganzen Projekt gezweifelt und versucht, mich selbst vom Weg abzubringen mit Plänen wie "Und wenn ich einfach jeden Tag auf den X-Trainer gehe?". Ich wusste nämlich die ganze Zeit: morgen darf ich wieder normal essen. Und das war gut zu schaffen. Zwischendurch hatte ich sogar ab und zu das GUTE Fastengefühl: die Klarheit im Kopf, mehr Energie und das Selbstvertrauen, das daraus kommt, wenn man erlebt, dass man eigentlich ziemlich wenig unbedingt haben muss. Wenigstens für eine Weile. Entweder Montag oder Dienstag mache ich den zweiten Tag. Und das Fressplanmaschinchen rattert. Kennt ihr Shirataki-Nudeln? Shitaraki-Nudeln? Oder wie auch immer? Die hatte ich neulich schon mal. Die sehen aus wie Glasnudeln, haben eine etwas ulkige Konsistenz, sind aus einer Pflanze und haben praktisch keine Kalorien, weder Fett noch Kohlenhydrate, fühlen sich aber einfach an wie eine neue Sorte Asia-Nudeln. Montag (oder Dienstag) nehme ich ein Pöttchen Hüttenkäse und einen Apfel mit ins Büro und außerdem eine Tupperbox mit einem kalten Salat aus gebratenem Pak Choi, Garnelen, Chili, Limette und Shirataki/Shitaraki-Nudeln. Klingt eigentlich ziemlich lecker, bis auf den Hüttenkäse.

Es hat sogar so gut geklappt, dass ich sogar jetzt, wo ich wieder dürfte und die Küche aus allen Nähten platzt vor Lieblingsessen, noch nichts gegessen habe. Ich bin um acht aufgewacht und hatte Lust auf schwarzen Tee und meinen Rechner ohne den Don im Hintergrund. Also habe ich den schlafenden L. und den schlafenden Don mucksmäuschenstill zurückgelassen und bin auf Socken ins Wohnzimmer gehuscht. Neben mir steht eine Tasse Tee. Kein Kuchen, kein getoastetes Roggenbrot mit Rinderschinken, kein Ei, kein Stinkekäse, keine Orangenmarmelade auf gesalzener Butter. Ich könnte! Aber ich tu's nicht. Das will echt was heißen.

Natürlich muss dieses ganze Programm sich daran messen, ob ich auf die Art abnehme oder nicht. Wenn nicht, dann war es das natürlich. Sobald eine befruchtete Eizelle in meinem Bauch ist, natürlich auch. Aber bis dahin finde ich das zumindest im Moment noch ganz spannend. Und es stimmt: schon nach einem Tag fasten bekommt Essen einen neuen Glanz. Ich war ein bisschen in die Phantasielosigkeit und Routine abgerutscht. Gestern habe ich zum ersten Mal wieder Kochbücher gewälzt, sabbernd über einzelnen Seiten gebrütet und Pläne geschmiedet.