Mittwoch, 31. Juli 2013

Kalle und der Schlaf

Hasst mich nicht, bittebitte. Aber Kalle schläft. Er bekommt abends so gegen halb zwölf sein letztes Fläschchen, dann lege ich ihn in die Babybay, Sekunden später sind wir beide weggeratzt. Und erst so gegen zwei, halb drei muckst er sich das nächste Mal. Dann wickele ich ihn, stille ihn und gebe ihm noch ein Fläschchen hinterher, worauf er wieder einschläft und mal um sieben, mal um acht aufwacht. Ist es eher sieben, wickele und füttere ich ihn noch mal und lege ihn dann noch mal hin. Und ehrlich, dann schläft er bis zehn! Ich so bis neun, so dass mir genug Zeit bleibt, zu duschen, zu frühstücken, mich anzuziehen und ein paar allernotwendigste Dinge zu tun, bis ich mich zurück ins Bett lege und ihn wachstarre. Ist das zu fassen? Ich weiß, ich weiß. Aber ich habe dafür im Voraus bezahlt mit 40 Jahren Schlafstörung, in denen es kein brüllendes Baby brauchte, damit ich nachts um drei mit rotgeränderten Augen an die Zimmerdecke starre und irgendwann feststelle, dass es ja jetzt auch schon sechs ist und ich mir keine Mühe mehr geben muss, einzuschlafen. Mein Kopf berührt das Kopfkissen, und ich bin weg. So muss sich das für andere Leute anfühlen!

Tagsüber sieht es schon etwas kniffliger aus. Denn gestern hat die Hebamme gesagt, das mit dem Milch abpumpen könnte ich jetzt auch mal lassen, ich sollte ihn einfach öfter stillen und ihm, wenn die Not trotzdem nicht zu lindern ist, auch mal tagsüber ein Fläschchen machen. Und jetzt stille ich ihn irgendwie den ganzen Tag und hoffe, das ist nur vorübergehend. So richtig kommt er trotzdem nicht auf seine Kosten, die Windel ist zwar immer nass, aber nie voll, und er kann ganz schön wild werden dabei, wie ein sehr, sehr wütender und energischer Specht. Lege ich ihn nach dem Trinken hin, schläft er anders als nach einem Fläschchen auch nicht ein. Den Teufel tut er. Er fängt an zu knatschen und würde am liebsten sofort da weitermachen, wo er gerade noch aufgehört hat. "Wieso lässt die blöde Flora ihr Kind denn nicht einfach zu Ende trinken?" Weil das Kind währenddessen einschläft, dann aufhört zu trinken, ich ihn dann aufwecke und neu anlege und er mich nur mit großen Augen anguckt und sein kleines Gesichtchen zu einem höflichen "Nein, Danke" verzieht. Nicht mehr zu pumpen, bedeutet, nicht mehr alle drei Stunden acht klitzekleine Plastikteile spülen und in der Mikrowelle sterilisieren zu müssen, das ist toll. Aber ich hatte es mir beim Pumpen eigentlich immer ganz nett gemacht, den Rechner dazu aufgeklappt und Nigella beim Kochen zugeguckt und dergleichen, und ich habe gerne zugeguckt, wie die Milch fließt und jeden Tag ein bisschen mehr im Becher landet. Jetzt habe ich keine Ahnung, was da rauskommt, aber es reicht nicht, um mein Kind satt und zufrieden genug zum Schlafen zu machen, und für einen ordentlichen Haufen in der Windel reicht es auch nicht. Wird sich das noch einpendeln? Wird es bestimmt, ich weiß. Bis dahin konzentriere ich mich darauf, dass dieses zauberhafteste Kind der Welt immerhin nachts schläft. Nach allem, was man hört, gibt es Eltern, die würden Eintritt dafür bezahlen, so ein Wundertier mal besichtigen zu können.

Und jetzt packen wir ihn in seinen Wagen und schieben mit ihm eine Runde am Flüsschen entlang. Nachher kommen seine Tanten, da will ich ihn vorher noch mal auslüften.

Dienstag, 30. Juli 2013

Kalle und das Trinken.

Das Tolle an Kalle ist ja, dass sein Kopf so unfassbar weich ist. Und seine Nase so glänzend und klein und kompakt und orange. Und dann, dass er so lange Finger hat, mit denen er schon richtig, richtig fest zupacken kann. Und die kleinen Geräusche, die er macht: das kleine Atmen, das kleine Niesen, das kleine Schnaufen, das kleine Schmatzen und das kleine Hecheln, wenn er gerade wieder sein kleines Headbanging auf der Suche nach etwas zu Essen macht. Und sein Geruch, der ist natürlich auch toll, so warm und süß und frisch wie ein gerade gebackener Kuchen, nur noch besser. Und die knallroten Schrumpelfüße. Und wenn er eine Flunsch zieht, dann hat er mich. Ich habe ja leider schon immer eine Schwäche für Männer, die genervt gucken, und da kann er ganz vorne in der ersten Liga mitspielen, mit solchen Größen wie Jimmy Stewart oder Daniel Craig.

Das mit dem Trinken war erst mal nicht ganz so toll.

Phase 1: dauerte ungefähr bis Montag. Aus mir kamen täglich bei allen Bemühungen samt Pumpen, Pumpen mit Baby im Blick, Pumpen mit Ausstreichen etc. und extrem, extrem häufigem Anlegen vielleicht zehn bis zwölf klebrige gelbe Tropfen. Die Hebammen sagten, das wäre normal und würde Kalle reichen so kurz nach der Geburt. Ich war da skeptisch. Draußen herrschten ca. 30 Grad, Kalle nahm fürchterlich viel ab, und sein Blut wurde irgendwann so dick, dass sie ihn bis zu drei mal pieksen mussten für einen simplen Bluttest wegen der Gelbsucht, und dann hatten sie immer noch kein vernünftiges Messergebnis. Trotzdem sagten die Hebammen auf der Station, ich sollte lieber nicht zufüttern.

Phase 2: Die Kinderärztin hatte ein Einsehen, und ich durfte Primergen zufüttern, eine Milch für ganz, ganz neugeborene Babys. Allerdings laut Hebamme nur mit einer Spritze, damit Kalle das Trinken an der Brust nicht verlernt. Primergen fand er toll, die Spritze nicht so. Außerdem dauerte jeder Trinkzyklus jetzt fast zwei Stunden und ging damit in dem Moment zu Ende, in dem der nächste eigentlich beginnen sollte: Stillen. Dann Wickeln. Dann Primergen füttern. Donnern aus der Windelregion, noch mal Wickeln. Abpumpen. Und wieder von vorne. Inzwischen war ich bei ca. 20 klebrigen Tropfen pro Tag angekommen.

Phase 3: Auf der Neugeborenenstation kam er nicht nur in eine Lichtkiste gegen die Gelbsucht, sondern bekam auch eine Infusion gegen das dicke Blut. Mir ging es zwar durch und durch, ihn an diesen Kabeln zu sehen, aber am Ende überwog die Erleichterung, dass ihm geholfen wird und dass das hier nur für einen Tag ist und es ihm danach besser geht. Außerdem erlaubten mir die Hebammen, ihn mit dem Sauger zu füttern: "Wieso, andere Kinder kriegen doch auch Schnuller und werden trotzdem gestillt? Wo ist das Problem?" Und siehe da, er trank wie ein Russe, inzwischen auch normale HA-Pre-Milch, nuckelte zwischendurch beim Stillen kräftig drauflos, die Milch wurde langsam mehr, und ein tiefer Friede kam über mich.

Zuhause machen wir das jetzt so: ich stille ihn, wenn er Hunger hat. Er trinkt auf beiden Seiten ganz ordentlich. Wenn er dabei nachlässt und sich auch nicht ermuntern lässt, neu loszulegen, dann gebe ich ihm die Milch, die ich nach dem letzten Stillen abgepumpt habe. Und hat er dann immer noch Hunger, dann bekommt er noch ein Fläschchen, das ich zubereite, während ich das ganze Pumpengerümpel spüle. Das kommt allerdings nicht oft vor, normalerweise reicht ihm eins mitten am Tag, eins abends so um halb elf und eins nachts um vier.

Es ist nicht zu fassen. Ich stille. Und zwar mein eigenes, selbstgemachtes Baby. Das mit dem weichen Kopf und den feinen, kleinen Geräuschen.

Sonntag, 28. Juli 2013

Kalle und die Geburt

Über etwas zu schreiben, auf das man fast fünf Jahre gewartet hat, ist nicht ganz einfach. (Ganz zu schweigen davon, dass ich in den letzten neun Tagen das Tippen vererlnt zu haben schiene... Mist.) Vielleicht versuche ich es mal damit: einfach der Reihe nach. Aaaalso.

Donnerstag Abend rückte meine Schwiegermutter an. Eigentlich sollte sie Freitag kommen, aber sie wollte gerne jetzt schon hier übernachten und live dabei sein, wenn wir tatsächlich, in echt und in ganz wirklich den Klinikkoffer nehmen, ins Auto steigen und uns daran machen, endlich diesen Enkel zu bekommen, von dem sie schon so lange träumt. Ich muss zugeben, ich habe meine Gastgeberpflichten an diesem Abend ein bisschen vernachlässigt und war um kurz nach zehn im Bett. Glaubt es oder nicht, ich hab sogar ganz gut geschlafen. Um halb sieben piepte der Vogelstimmenwecker, und um viertel vor acht saßen wir im Auto Richtung Krankenhaus. Als wir oben am Kreißsaal ankamen, habe ich fast schon fest damit gerechnet, dass gerade eine Busladung Frauen entbindet und ich den halben Tag im Wartezimmer verbringe, bevor hier irgend etwas passiert, aber nichts da: die Damen hatten schon auf uns gewartet, wir konnten direkt durchgehen zu einem Zimmer mit Liege und Wehenschreiber, und ich bekam meine erste halbe Cytotec. Das Mittel der Wahl, wenn es um Magenprobleme, Abtreibungen oder die Einleitung einer überfälligen Geburt geht. Ich schluckte, in meinem Kopf fiel das Tablettchen mit lautem Gepolter in Richtung Magen, und ich rechnete fest damit, dass jetzt jede Sekunde gewaltige Dinge passieren. In Wahrheit passierte erst mal nichts. Auch auf dem Wehenschreiber tat sich deutlich weniger als noch am Tag zuvor bei meiner Frauenärztin. Da hatte ich Ausschläge von über 70 gehabt, hier brachte ich es mal gerade so auf 20, 21. Und jetzt? Jetzt durften wir zwei Stunden machen, was wir wollen, nur nicht zu weit weggehen, dann wiederkommen, wieder an den Wehenschreiber und falls nötig die zweite Tablette schlucken. Also sind L. und ich losgelaufen, über das glutheiße Klinikgelände, dann verbotenerweise sogar über die Straße und durch den Park. Ein kleiner Zirkus war da, wir haben die Pferdchen gestreichelt, und ich konnte die ganze Zeit nicht fassen, wie wenig hier passiert. In meiner Not habe ich sogar einen riesigen Kaffee getrunken. Immer noch nichts. gegen eins gab es Tablette Nr.2. Und immer noch tat sich nichts. L. ging irgendwann nach Hause, das Handy mit lautestmöglichem Klingelton immer am Mann. Er war sogar noch beim Sport, mit den Hunden spazieren und einkaufen, während ich inzwischen ein anderes CTG-Zimmerchen ganz für mich allein bezogen hatte, schon mal in Jogginghose und T-Shirt geschlüpft war, im Bett lag und mich langweilte. Irgendwann fiel mir wieder ein, dass Sport die Dinge ja auch in Gang bringen soll, und ich beschloss, jetzt erst mal Treppen zu steigen. Nachdem ich die Hintertreppe sechs mal vom fünften Stock ins Erdgeschoss und zurück geklettert war, stellte ich fest, dass ich hier gar nichts zu suchen hatte und dieses Treppenhaus nur für Menschen mit Angestellten-Chip zugänglich und wieder zu verlassen war, und für ca. drei Minuten dachte ich: das wird lustig, wenn es jetzt losgeht und ich hier auf dem Treppenabsatz zwanzig Meter vom Kreißsaal liege und das allein schaffen muss. Dann kam ein Arzt, und wieder war es nichts mit Dramatik. Er hätte sich aber auch ruhig noch Zeit lassen können, denn weiterhin passierte absolut nichts. Die Mädchen kamen vorbei, kurz nachdem ich Tablette Nr.3 geschluckt hatte, und obwohl ich ihnen gerne den Gefallen getan hätte, vor ihren Augen das Fruchtwasser zu verlieren - nichts. Um zehn gab es Tablette Nr.4. Inzwischen waren die Ausschläge, falls man sie so nennen kann, so bei 9, 10 und 11. Und dann bin ich eingeschlafen.

Und nachts dachte ich schon ab und zu im Halbschlaf, Autsch. Der Wehenschreiber sagte auch dazu keinen Piep, während ich mich im Bett krümmte und dachte, das müssen jetzt Wehen sein. Die ziemlich unsympathische ältere Hebamme im Nachtdienst - die einzige Person, mit der ich während der ganzen Tage im Krankenhaus zu tun hatte, von der ich nicht hellauf begeistert war - kam und wies mich zurecht: der Wehenschreiber wäre schließlich nicht dazu da, Schmerzen aufzuzeichnen, sondern Wehen. Ja nun. Was auch immer das war, morgens um sechs hat es mit einem ziemlich starken Ziehen dafür gesorgt, dass die Fruchtblase geplatzt ist. Es gab ein leises Knack-Geräusch, und das Bett war nass. Und dann habe ich geklingelt. Dann habe ich L. angerufen. Der hat meine Freundin B. angerufen. Die Gott sei Dank neue Hebamme kam, fühlte nach und stellte fest, dass der Muttermund jetzt erst einen Zentimeter weit offen wäre. Also lag ich weiter da und hatte ersten Kontakt mit dem, was Geburten wirklich, wirklich merkwürdig macht: man unterhält sich nett mit seinem Mann und seiner Freundin, z.B. über seine Lieblingspizzeria, Urlaubspläne, Freunde, und mitten im Satz hat man plötzlich solche Schmerzen, dass es einem komplett die Luft weghaut und man eine halbe Minute lang nur noch knurren, fauchen und brummen kann, während man entweder jemandem die Finger bricht oder sich an den Möbeln festkrallt. Und dann ist es vorbei, und das Gespräch läuft weiter: "Wo war ich gerade?" als wäre nichts gewesen. Das ist ulkig.
Nach zwei Stunden war der Muttermund bei 6 Zentimetern, die Hebamme sagte den Anästhesisten Bescheid, und wir zogen um in den Kreißsaal. (Übrigens zu meiner großen Freude ein sauberer, heller und nüchterner Krankenhausraum, keine durchgebatikte Walgesang-Höhle.) Die Anästhesisten kamen, ich bekam eine Spritze in den Rücken, um mich für die dickere Nadel zu betäuben, die dickere Nadel kam, alles lief offensichtlich planmäßig - nur hatte sie nicht die allergeringste Wirkung. Der Anästhesist besprühte mich ungefähr achtmal von Kopf bis Fuß mit einer Sprayflasche und wollte wissen, wo es sich kalt anfühlt und wo nicht, und ich konnte ihm leider den Gefallen nicht tun: kalt war es überall. Von Taubheit keine Spur. Ich hätte auf einem Bein durch den Raum hüpfen können. Auf Toilette war ich auch. "Das war noch nie." (Ein Satz, den ich schon von zu vielen Anästhesisten gehört habe.) Dann kamen wieder Wehen, und die waren genau so wie die Wehen davor. Also wurde die erste Nadel gezogen und eine zweite gesetzt. Er tat mir fast schon leid, der arme Anästhesist, und vielleicht auch darum habe ich gesagt "Naja, vielleicht ist es jetzt hier ein halbes Grad kälter als da, ich weiß auch nicht so genau?" Und er zog ab. Daraufhin fühlte die Hebamme noch mal, und zack, waren wir bei zehn Zentimetern. Es war zwölf Uhr Mittags, und zu diesem Zeitpunkt schrieb B. an unsere Freundin, die gerade im Flugzeug in den Urlaub saß, wenn sie um vierzehn Uhr landet, wäre das Kind mit Sicherheit da.

Ganz so lief es dann doch leider nicht. Denn wie sich zeigte, ließ die PDA mir zwar die echten Original-Schmerzen, aber nahm den Wehen einen ziemlichen Teil ihrer Kraft. Die Ausschläge blieben itsy-bitsy, der Kopf wollte und wollte nicht tiefer rutschen, ich fauchte und krümmte mich und schnaufte und plauderte zwischendurch über neue Fernsehserien und die Vorzüge von Thermalspray und was weiß ich was noch alles, wir hatten es nett! Nur kam leider kein Kind in Sicht. Und zwischendurch wurde es schlimm, denn während der ganzen Zeit fiel vier mal der Puls von Würmchen unter einen kritischen Wert, und plötzlich war der Kreißsaal voller Menschen, die alle hektisch herumhantierten und fieberhaft konzentriert ihre Arbeit taten, während ich nicht mehr tun konnte, als tief zu atmen und das beste zu hoffen. Ich weiß nicht, wie ich das alles geschafft hätte ohne L. und B., die weltbesten Geburtsbegleiter. Habe ich schon erzählt, wie ich nur zu zwinkern brauchte und schon ein Glas kaltes Wasser bekam? Und ich habe oft gezwinkert. Habe ich schon erzählt, dass es an diesem Bett nichts zum Festhalten gab und die beiden mir durchgängig die Hand gehalten haben? Während sie gleichzeitig trotzdem zum Kiosk drei Stockwerke tiefer geflitzt sind, um mir Bountys zu kaufen? Wie sie mir gut zugeredet haben, wenn es nötig war, mich abgelenkt haben, wenn es nötig war, und sich ganz ruhig im Hintergrund gehalten haben, wenn es gerade wieder rund ging und bestimmt Anlass zur Panik bestanden hätte? Die besten Geburtsbegleiter waren das. Die allerallerbesten. Das werde ich ihnen nie vergessen.
Es war klar, dass es Würmchen nicht besser ging, je mehr Zeit verstrich. Irgendwann waren wir so weit, dass die Ärztinnen von Kaiserschnitt sprachen und davon, dass wir jetzt noch ein paar Minuten lang alles geben müssten, damit der Kopf tief genug für die Saugglocke rutscht. Zum Glück hatte ich eine Oberärztin am Bett, die wusste, wie man mit mir umspringen muss: nichts mit "Süße" und "Liebes", sondern "So, Zack jetzt, was soll das hier, streng dich gefälligst an, Kopf runter, Mund zu und los!" Und das habe ich dann gemacht. Ich glaube, in meinem ganzen Leben war noch nichts auch nur annähernd so anstrengend. Nie wieder werde ich über einen Bauch-Beine-Po-Kurs schimpfen. (Gut, im Moment kann ich mir nicht vorstellen, jemals wieder einen Bauch-Beine-Po-Kurs zu betreten... aber kommt Zeit...) Dann gab es noch mal einen heißen, heftigen Schmerz, als Ärztin Nr. 2 mir den Po aufschlitzte, weil Würmchen einfach keine Zeit mehr hatte für noch mal Drücken und noch mal Probieren und Abwarten, und dann - während ich noch am Pressen war - hatte ich ihn plötzlich auf dem Bauch liegen. Ganz rot und mit schrumpeligen Händen und Füßen und trotzdem schon ganz fertig und perfekt. Und da lag er dann erstmal. Fast eine Stunde hatten wir zusammen, bevor er gemessen und untersucht wurde. Und habe ich mich gesorgt, dass mein Baby mir erst mal fremd wäre? Hätte ich nicht tun müssen.

Damit zu den trockenen Daten:
Kalle
geboren am 20. Juli 2013 um 18:24 im UKE
3.995 Gramm
55 Zentimeter




Liebe Abkürzungsdamen, vielen vielen Dank für die unendlich vielen Glückwünsche und blaugedrückten Daumen. Ich verspreche, sobald ich hier wieder ein Päuschen habe, berichte ich weiter. Und was es noch alles zu berichten gibt!

Sonntag, 21. Juli 2013

Er ist da.

Es hat ewig gedauert und war ein wilder Ritt. Aber das ist jetzt alles egal. Er ist bei uns und ist kerngesund. Und sobald ich kann schreibe ich und zeige ihn euch. Vielen Dank für all die guten Wünsche, fürs Daumendrücken und dafür, dass ihr da seid.

Donnerstag, 18. Juli 2013

Woody, Sean und ich sind so weit.



Fast eine Stunde hing ich am Wehenschreiber. Langweilig war es entgegen dem äußeren Anschein trotzdem nicht: da waren Zacken, und zwar diese bestimmte Sorte Zacken. Die Ärztin sagte hinterher, vermutlich geht es heute noch los, heute Nacht. Wenn nicht, dann stehe ich morgen früh um acht vor dem Kreißsaal und fordere laut und energisch irgend ein Einleitungsdings.

Es fühlt sich an, als wäre das Huhn im Ofen und ich hätte gerade die erste Flasche Cremant geöffnet, die Eiswürfel wären auch schon in den Gläsern, und jetzt müssten nur noch endlich die trödeligen Gäste kommen. Eigentlich verlangt diese Stimmungslage danach, schon mal die hohen Hacken anzuziehen und eine zweite Schicht Wimperntusche aufzulegen. Aber ich denke wohl noch mal drüber nach.

Sechs.

Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Normalerweise bin ich aufgeregt angesichts der Aussicht auf einen Zahnarztbesuch, einer Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in einen mir unbekannten Stadtteil oder eines Friseurtermins. Nicht sehr, aber immerhin ein bisschen. Dass ich morgen vermutlich ein Kind bekommen werde, kommt in dem Teil meines Gehirns, der für Aufregung zuständig und sonst fast durchgängig sehr aktiv ist, aus rätselhaften Gründen nicht an. Gestern stand ich in einer Bäckerei, völlig unterzuckert, und wollte mir eine Tüte Franzbrötchen kaufen. Eins wollte ich sofort essen, eins war für L. gedacht, der Rest sollte in die Tiefkühle und steifgefroren mit ins Krankenhaus. Für die Geburt. MEINE Geburt bzw. Würmchens. Die Bäckereiverkäuferin fragte mich, wann es denn so weit wäre. Ich sagte, ich wäre fünf Tage drüber. Sie sagte, dafür würde ich aber einen extrem entspannten Eindruck machen. Ich sagte, vielleicht wäre ich ja einfach nur blauäugig, das wäre mein erstes. Wie äußert sich Geburtspanik bei anderen Frauen beim Kauf von Franzbrötchen? Stottern sie? Zittern sie? Lassen sie ihr Wechselgeld fallen? Knüllen sie die Tüte zu einem zimtigen Klumpen zusammen, sobald sie sie in den Händen halten? (Franzbrötchen, für alle Nicht-Hamburger, sind große Flatscher aus süßem Teig, durchzogen von einem klebrigen Gemisch aus Zimt, Zucker und Butter. Man isst sie ungefähr so wie eine Haribo-Lakritzschnecke, indem man sie in Streifen zieht. Manchmal gibt es auch welche mit Rosinen, Schokosplittern, Streuseln oder gebrannten Kürbiskernen, wenn Rosinen auch leider auszusterben scheinen, sie gelten zusehends als leicht eklige alte-Leute-Zutat. Franzbrötchen entschädigen mich dafür, dass es in Hamburg so gut wie unmöglich ist, ein Kümmelbrötchen oder ein wirklich gutes Laugenbrötchen zu bekommen.) Die Bäckereiverkäuferin hielt mir zum Abschied einen Teller mit frisch gebackenen Schweinsöhrchen hin und sagte, ich sollte mich bedienen, für das Baby. In diese Bäckerei gehe ich bestimmt bald wieder.

Aber was ist nun wirklich der Grund? Wie zuerst vermutet, Blauäugigkeit? Seit Monaten warte ich darauf, dass die Panik vor der Geburt einsetzt, und bisher tut sich nichts. Weiß ein pfiffiger Teil von mir, dass ich da sowieso durchmuss, Angst hin oder her, und dass ich mir das Gruseln darum genau so gut sparen kann? So viel angewandte Logik traue ich meinem Fusselhirn nicht zu. Baue ich zu sehr auf die PDA, mit der es vielleicht ja gar nichts wird? Ist das hier vielleicht die Bestätigung dafür, dass es manchmal ein Segen ist, nicht zu wissen, was auf einen zukommt? Sind wieder mal Hormone im Spiel? Die Straßen sind voller Frauen mit Kinderwagen, denen ich (bestimmt voreilig und ungerecht) nach einem Blick in ihre Gesichter überhaupt rein gar nichts zutraue. Und die haben das auch geschafft, das beruhigt mich enorm, abgesehen davon, dass es ja nichts zu beruhigen gibt. Bin ich also zu arrogant für Angst? Ist das ein gigantisches Bollwerk meines Bewusstseins gegen eine Angst, die in Wirklichkeit die ganze Zeit knapp unter der Oberfläche lauert und die mich vollkommen um den Verstand bringen würde, wenn ich auch nur den kleinsten Hauch davon schnuppern könnte? Oder habe ich einfach nur Recht und das wird überhaupt nicht schlimm?

(Irgendwo da draußen sitzt eine ganze Bande von euch, reibt sich die Hände und denkt "Wart's nur ab. Du wirst schon sehen." und lacht wie ein Rudel Disney-Hexen. Ich kann euch hören!)

Außerdem bin ich gestern in sfgirlbybays Blog auf einen Bericht der New York Times gestoßen: eine Diashow mit Bildern des Hauses, in dem Mike D. von den Beasty Boys in Brooklyn wohnt. Daraufhin dachte ich drei Dinge: erstens muss ich wieder mehr Beasty Boys hören. Wie wär's, vielleicht ja zur Geburt? Zweitens würde ich da sofort einziehen. Drittens möchte ich gerne beim nächsten New York-Besuch - wer weiß, vermutlich mit Würmchen? - die von Mike D. persönlich designte Tapete kaufen. Hier geht's zur Diashow.

Mittwoch, 17. Juli 2013

Fünf.

Inzwischen bin ich ganz sicher, dass bis Freitag nichts passieren wird und dass wir dann einleiten werden. Wie lange es danach noch dauert, lasse ich mal auf mich zukommen, immerhin habe ich nicht einen, sondern zwei Geburtsbegleiter dabei, die sich 1a ablösen können: meine Freundin B. und L., die kriegen mich da zusammen schon durch. Und weil ich mir da so sicher bin, spricht für mich auch absolut nichts dagegen, mich heute am traditionellen Mädchentag noch mal in der Stadt zu verabreden. Der Klinikkoffer ist wie immer im Kofferraum, und welchen Ort auch immer wir uns suchen - er wird näher am Krankenhaus sein als unser Haus. Ich bin entspannt. Woher Würmchen diese Unpünktlichkeit hat, wüsste ich allerdings schon gern. Mir hat die spätestens mein erster Hamburger Job ausgetrieben, der war nämlich in einer Agentur mit Prinzipien, und zu diesen Prinzipien zählte, dass alles gefälligst pünktlich zu passieren hat. Ich fand das gut. Wer zu spät ins Meeting kam, stand vor verschlossener Tür und konnte zurück in sein Büro schleichen. Theoretisch zumindest. Praktisch hätte ich mir manchmal gewünscht, es wäre wirklich so gewesen, denn während immer mehr Poser und Macker und Idioten das Ruder an sich gerissen haben, war es auch plötzlich ok, fünfzehn Minuten zu spät zu kommen, einen deutlich sichtbaren Starbucks-Becher in der Hand. Auf dem Papier galt aber immer noch: wer zu spät kommt, zeigt damit nur, dass er die eigene Zeit als wichtiger einschätzt als die anderer Leute. Dass er lieber noch schnell seine Emails liest, den end-witzigen Youtube-Film zu Ende guckt, sich noch einen Kaffee holt oder auf dem Weg zur Ubahn noch ein leckeres Teilchen trotz Schlange beim Bäcker kaufen muss, während die anderen, die sich das alles verkniffen haben oder eben einfach zehn Minuten früher aufgestanden sind, nutzlos und blöde irgendwo sitzen und warten, ist doch piepegal! (Nein, ich gehe nicht davon aus, dass Würmchen bei Starbucks ist. Das habt ihr falsch verstanden. Aber obwohl die Meetingtür immer noch sperrangelweit offen steht, darf ich mich doch fragen, wo verdammt noch mal er bleibt.)

Inzwischen erreichen mich von Zuhause Neuigkeiten, die ... ich weiß auch nicht. Mein erster Freund K. war ein Junge aus dem Nachbardorf, mit dem ich seit der fünften Klasse zur Schule gegangen bin. Sieben Jahre lang waren wir zusammen, und in den letzten zwei Jahren, als es immer mehr kriselte, hat er manchmal davon gesprochen, wir sollten doch Kinder kriegen jetzt bitte. Ich war Anfang 20 und wusste überhaupt nicht, was das jetzt soll, hatte aber den leisen Verdacht, es hatte auch damit zu tun, dass er seit einer Weile vergeblich versuchte, einen Studienplatz für freie Kunst zu bekommen und ein Kind mit zwei Studenten als Eltern der perfekte Grund gewesen wäre, diesen anstrengenden und deprimierenden Kampf erst mal ruhen zu lassen und sich für die nächsten drei bis zwanzig Jahre im kleinen, warmen und staatlich unterstützten Nestchen einzumuckeln. Bestimmt hatte es auch etwas damit zu tun, dass er damals eben Kinder wollte und ich nicht oder damit, dass er mehr an uns hing als ich - jedenfalls kamen Kinder nicht in Frage. Dann war Schluss, und es begann für mich eine zwar extrem unterhaltsame, aber trotzdem katastrophale Zeit in meinem Liebesleben, die sich bis 2006 zog und aus der ich irgendwann mal was machen muss. Er dagegen bekam endlich seinen Studienplatz, und zwar in Wien, da lebt er noch heute. Kunst hat er zwar studiert, aber davon zu leben, ist schwer bis unmöglich. Mein letzter Stand war, dass er sich mit Mini-Jobs über Wasser hält und sich um seine Kunstprojekte nach Feierabend kümmert. Mein letzter Stand war auch, dass er ein Kind bekommen hat: einen sehr dreieckigen Jungen, über den er sich fürchterlich gefreut hat. Jetzt erzählt mir meine Mutter, dass er inzwischen drei Kinder hat. Und ich weiß nicht, wie es wäre, wenn ich immer noch in der Warteschleife von IVF Nr. 7 hängen würde, aber ... das macht so gar nichts von den Sachen mit mir, die man erwarten könnte. Es deprimiert mich nicht. Ich denke auch nicht, wieso er und nicht ich. Oder irgend etwas aus der "Hättste mal"-Schule. Die Nachricht aus dem gleichen Telefonat mit meiner Mutter, dass meine alte Biolehrerin gestorben ist, hat mich viel mehr aus der Bahn geworfen. Die war toll! Eine früher ganz fitte Tennismeisterin, die durch eine Hormonerkrankung plötzlich krankhaft dick wurde und das mit dem lustigsten und schlauesten Humor der Schule aufgefangen hat. (Nicht, dass die Humorstandards an meiner Schule besonders hoch gewesen wären... trotzdem. Eigentlich wurde sie zu einem großen, 150 Kilo wiegenden, rotgesichtigen, schnaufenden, schwitzenden Trotzdem. Und ich kann nicht fassen, dass sie tot sein soll.)
K.s erstes Kind kam übrigens mitten in die erste Kinderwunschzeit und hat mich auch schon nicht so getroffen, wie es laut Kinderwunschklischees zu erwarten gewesen wäre. Vielleicht ist das alles auch schon zu lange her, um noch eine wichtige Rolle in meinem Gefühlshaushalt zu spielen. Oder es liegt daran, dass ich ihn von allen meinen Ex-Freunden am liebsten mag und es ihm wirklich gut gönnen kann. Oder ich bin doch mehr Luxusbienchen, als ich mir selbst zugestehe, und das Szenario, ohne Job in der Großstadt drei Kinder großzuziehen, scheint mir eher erschreckend. Oder es liegt eben doch alles an Würmchen und der neuen Gelassenheit, die er mit sich bringt. Oder...

Oha. L. rührt sich. Ich glaube, ich bin mal so nett und mache ihm einen Capuccino. Mittwoch, Donnerstag, Freitag - es könnte für lange Zeit der vorvorletzte sein.

Dienstag, 16. Juli 2013

Vier drüber.

Ich möchte nicht penetrant werden, aber auch heute muss ich es wieder sagen: jeder Schritt, den ich in dieser neuen Gynäkologischen Praxis mache, sagt mir, dass es genau richtig war, hier zu sein und nicht mehr bei meiner alten Ärztin. Es fing damit an, dass ich mich am Empfang anmeldete und die Sprechstundenhilfe sagte, da bräuchte ich ja wohl keinen Ultraschall, sondern müsste nur Pipi abgeben und ein CTG machen, das würden sie dann einem Arzt zeigen und damit gut. Nachdem irgendwann beides durch war, sollte ich noch mal im Wartezimmer Platz nehmen, und kaum hatte ich die ersten drei Seiten einer Zeitschrift durch, ging die Tür auf, die Vertretungsärztin meiner Ärztin kam rein und bat mich trotz des nach wie vor vollkommen ereignisfreien CTG zum Ultraschall und zur Untersuchung. Mein Blutdruck war ihr auch zu hoch. Und weil sie auf dem Ultraschall außerdem sah, dass Würmchen eine extrem volle Blase hatte, wollte sie mich in einer Stunde noch mal sehen. "Jetzt machen sie einen schönen Spaziergang, holen sich ein Eis und kommen dann wieder." Und genau so habe ich das gemacht, kam auch sofort dran, die Blase war jetzt leer und alles gut. Dank Superultraschall konnte sie außerdem auch direkt sagen, dass zwar das Bläschen voll, aber die Nieren trotzdem in fabelhafter Verfassung waren. Bei meiner alten Ärztin hätte ich a) keinen Ultraschall bekommen, und wenn doch, hätte sie bei der miesen Kartoffelsalatqualität b) nichts von der vollen Blase gesehen, und wenn doch, dann hätte ihr c) ihr Ultraschall keine Möglichkeit geboten, die Nierenfunktion zu überprüfen, woraufhin sie d) sowas gesagt hätte wie "die Blase ist aber reichlich voll. Komisch. Das könnte... aber nee, machen sie sich mal keine Gedanken, wird schon nichts sein." Donnerstag gehe ich noch mal hin, und wenn sich dann noch nichts von alleine tut, dann melden wir mich für Freitag zum Einleiten an. Liebe Damen, ich weiß, ihr meint es nur gut und habt in eurem Fall auch bestimmt mit allem Recht. Aber ich komme aus einer Familie, in der meine Mutter drei Kinder bis zur Fruchtwassertrübung und damit über den gesunden Punkt hinaus ohne die klitzekleinste Wehe mit sich herumschleppen musste. "Das Kind kommt, wenn es fertig ist" mag anderswo stimmen, bei uns wäre das fatal gewesen. Der hohe Blutdruck kommt auch noch dazu. Ich finde, Freitag ist ein guter Tag zum Kinderkriegen. Und diese Praxis ist ein guter Ort zum Schwangersein.

Montag, 15. Juli 2013

Drei drüber.

Alle drei Tage stemme ich meinen schweren Wanst vom Sofa hoch und mache das Haus besuchsfein. Ich fege die Fellmäuse von der Treppe, ich schicke den Saugroboter durch alle Zimmer ohne Teppich, ich mache Dusche und Waschbecken sauber, ich räume den ganzen Mist von den frisch bezogenen Betten für meine Familie, und dann atme ich durch, sehe mich um und kann mich für ca. einen halben Tag entspannen. Bis L. und die Hunde (und ich vermutlich auch) dafür sorgen, dass es wieder abwärts geht. L. beispielsweise stellt bevorzugt Dinge auf das Bett, in dem meine Eltern schlafen sollen. Wäschebottiche, Sporttaschen, aber auch mal einen seit fünf Jahren nicht mehr benutzten Plattenspieler. Das daraufhin dringend fällige Gespräch habe ich schon achtzig mal geführt, Danke für den Tipp, ohne Ergebnisse. Und ich weiß nicht, auf wen ich dann wütender bin: auf L., der meine mit so viel Schweiß und Schnaufen und Mühe hergestellte Ordnung immer wieder zerstört, oder auf Würmchen, das sich einfach weigert, jetzt endlich verdammt noch mal zu kommen, damit ich damit aufhören kann.

Ich fühle mich langsam aber sicher wie eine Simulantin. Ich treffe wildfremde Leute auf der Straße - die Kassiererin aus meinem Stammsupermarkt, Leute aus dem Viertel, deren Hund schon mal an Lilis Po geschnuppert hat, Handwerker, die vor Ewigkeiten mal bei uns waren - und alle fragen immer "Naaaa? Immer noch nicht?" und ich komme mir vor, als würde der Witz langsam alt und als müsste ich demnächst mal aufhören, immer mit diesem Kissen unterm Pulli rumzulaufen. Ist da jetzt ein Baby drin oder nicht?

Die Atemnot ist auch wieder da, und zwar in alter Hochform. Sitzen ist doof. Liegen aber auch. Stehen und Gehen sowieso. Gibt es eine Position, in der man sich jetzt noch wohl fühlt, dann habe ich sie noch nicht gefunden. Eine Badewanne, die jetzt ja helfen soll, haben wir nicht. Schlafen kann ich auch nicht. L. schnarcht außerdem seit ein paar Wochen, nur für den Fall, dass es mir ausnahmsweise mal doch gelingen sollte. Merkt ihr was? Diese Hormongemengelage ist nicht sehr L.-freundlich. Ich bin ohnehin meistens nicht sehr scharf auf menschliche Gesellschaft, jetzt gerade wird es extrem. Und L., der nun mal den ganzen lieben langen Tag da ist, kriegt es ab.

Inzwischen muss ich alle zwei Tage bei einem Arzt erscheinen, egal was. Gestern z.B. habe ich fünf Stunden in meiner Geburtsklinik verbracht nur für ein CTG, so ruhig und langweilig wie das Mittelmeer. Und auch da zeigte sich, dass meine armen Mitmenschen gerade eigentlich gar nichts tun müssen, um mich bis zur Weißglut zu reizen. Gestern waren da außer mir wieder mal nur Paare und Familien, die wollen sich dann unterhalten, denken aber, es wäre rücksichtsvoller, zu flüstern. Fünf Stunden Gespräche vs. fünf Stunden Flüstern - da fällt mir die Entscheidung leicht. Gespräche kann ich sofort ausblenden, aber dieses Gezischel, Geschmatze und Geraschel einer lauten Flüsterunterhaltung macht mich - na? Wahnsinnig. Dann sitze ich da und schäme mich, was ich für eine bin, und wünsche diesen flüsternden händchenhaltenden Harmoniebiestern gleichzeitig die Krätze an den Hals und schäme mich dafür noch mehr. Mit dem Ergebnis, das dann bei der Messung mein Blutdruck an der Oberkante war und ich noch mal eine Stunde liegen musste, bevor sie mich endlich, endlich haben gehen lassen. Und das nächstes Wochenende noch mal? Auf gar keinen Fall.

Ich will nicht mehr. Würmchen, es ist Montag. Ich finde, du könntest gefälligst mal an die Arbeit gehen. Und auch wenn die Ärztin, die meine Ärztin gerade vertritt, das mit den sieben Tagen nicht so eng sieht und sagt, zehn Tage drüber wären auch noch ok: nein, nicht für mich. Freitag ist Schluss. Hörst Du, Würmchen? Freitag.

Sonntag, 14. Juli 2013

14. Juli: auch kein schlechter Geburtstag.

Vor... wartet mal... 25 Jahren waren wir am 14. Juli in Frankreich. Ich war 15, und meine Eltern hatten zusammen mit zwei anderen Familien ein riesiges altes Haus in der Bretagne gemietet. In dem verpennten Fischerdorf war der 14. Juli eine vergleichsweise ruhige Angelegenheit. Das Haus war ein Chaos, es gab eine Art Rittersaal mit Flügeltüren und Kamin, mit Möbelsperrmüll zugestellte Gänge, verschimmelte Wände und Geranientöpfe und Etagenbetten, Antiquitäten und viel Plastik. Außer mir gab es noch zwei andere Teeniemädchen in den Familien, wenn auch nicht ganz so verkorkste wie mich: Sarah und Sonja. Zusammen mit ihnen und weit weg von der grauenvollen Schule fühlte ich mich allerdings ausnahmsweise weniger verkorkst als Zuhause. Fast jeden Abend fabrizierten wir zusammen ein paar Meter Knoblauchbaguette als Beilage zum Essen (was meinen Vater, der Knoblauch persönlich nimmt, in den Wahnsinn getrieben haben muss, aber er hat keinen Piep gesagt). Immer wenn das Wetter schön war (und das war es meistens) aßen wir entweder auf der langen Terrasse vor dem Rittersaal oder gleich unten im verwilderten Garten mit Blick auf das Meer. Ich erinnere mich an Artischocken, gegrillte Langustinos, und daran, dass das der Urlaub war, in dem ich zum ersten Mal gesalzene Butter zusammen mit Nutella und Marmelade aß, und seitdem führt kein Weg zurück. Heute noch müssen meine Mädchen und L. mir fassungslos dabei zusehen, wie ich mein Nutellabrot salze. Zwar war der Küstenort am Meer, aber an einer ziemlich steinigen Küste, deshalb sind wir fast jeden Tag in die Autos gestiegen und an einen der vielen unfassbar schönen Strände in der Nähe gefahren. Das Meer war überall so, wie ich es am liebsten mag: kein knallblauer, ruhiger Tümpel mit aufgereihten Sonnenliegen am Ufer wie das Mittelmeer, sondern wild, eiskalt und mit riesigen Wellen. An den vier-fünf Tagen, an denen es regnete, fuhren wir nach Quimper zum Bummeln, wanderten durch die Wälder, sahen uns alte Städte an, saßen in Creperien herum und verbrachten Stunden in französischen Supermärkten. Das war einer der schönsten Urlaube in meinem an schönen Urlauben nicht gerade armen Leben, und eines Tages möchte ich genau das noch einmal haben: meine Freunde weg vom Mittelmeer an den Atlantik locken, ein großes altes leicht angegammeltes Haus mieten und dort wochenlang hausen. Sommerurlaub, wie er mal gedacht war: nicht nur eine oder zwei kümmerliche Wochen, sondern fast ein ganzer Sommer, in dem man nichts weiter zu tun hat als Schlafen, Lesen, Essen, Schwimmen, braun werden, Sand aus Schuhen schütteln und Schalentiere knacken.

Sollte Würmchen heute kommen - wofür ich sehr wäre, denn es ist ausnahmsweise mal kühl und verregnet, und genau so wie es gutes Laufwetter gibt (das hier ist z.B. welches), gibt es bestimmt auch gutes Geburtswetter, wobei ich davon ausgehe - nachdem ich zwar schon öfter gelaufen bin, aber noch kein Kind habe - dass gutes Laufwetter auch gutes Geburtswetter ist - das sind jetzt reichlich viele Gedankenstriche für einen Satz, aber egal, ich mach weiter - dann habe ich jetzt schon den Plan, mit ihm in den ersten Jahren mal am 14. Juli in Frankreich zu sein und ihm vorzuschwindeln, das ganze Spektakel samt Feuerwerk wäre zu Ehren seines Geburtstages. Wer weiß? Vielleicht kann ich ihn auf diese Weise dazu kriegen, eines Tages etwas mehr Eifer als Mama und Papa im Französischunterricht an den Tag zu legen. (Wobei ich nichts dafür konnte, Schuld war mein grässlicher altjüngferlicher Französischrochen. Aber das ist eine andere Geschichte.) Oder aber ich lege damit früh genug den Grundstein für einen soliden Größenwahn.
Geburtstag haben heute außerdem Gustav Klimt und Ingmar Bergman. Ob die als Kinder von ihren Eltern mit Hilfe des französischen Nationalfeiertages reingelegt wurden, weiß ich nicht.
Frederik steht mit auf unserer Liste. Wenn er heute kommt, vielleicht ja sogar mit c?

Samstag, 13. Juli 2013

In extrem gemischter Gesellschaft

Geburtstagskinder heute: Gaius Julius Caesar, der Gründer des Ku Klux Klans, Günther Jauch und Harrison Ford. Und wer weiß, vielleicht ja auch Würmchen? Der Tag ist noch jung, jung genug jedenfalls, um ihm im Bademantel entgegenzutreten. Auch gestern Abend dachte ich wieder, jetzt aber bestimmt gleich. Denn der Bauch wird immer noch dicker und strammer, und neben der Angst, auf den letzten Zentimetern noch Schwangerschaftsstreifen zu bekommen, bringt das auch mit sich, dass jede klitzekleine Unvorsichtigkeit, jedes Hüsterchen, jedes zu hastige Umdrehen im Bett ziemlich ungerechte Schmerzen mit sich bringen kann, und am Stichtag kommt man da schon mal ins Spekulieren. Die Nacht war allerdings dann ganz geruhsam, und das ist in diesem Fall ein Glück, denn gestern hatte L. noch mal richtig Ausgang. Er war eingeladen auf einer Party, deren Gastgeber sympathischerweise entschieden hatte, dass er an diesem Abend weder Freundinnen noch Verlobte oder Ehefrauen, Mütter oder Schwestern sehen will, sondern nur seine Jungs. Es war ein rauschendes Fest, vermutlich hätte L. sein Telefon sowieso nicht gehört, und das meiner Mädchen, das sich gewünscht hat, unbedingt dabei zu sein bei dieser Geburt, hätte seinen Wunsch aber so was von erfüllt bekommen.
Jetzt ist L. wieder da, liegt leicht verkatert oben im Bett und schläft noch ein Stündchen oder zwei, und ist vermutlich fast ein bisschen enttäuscht, immer noch nicht Vater zu sein. Und wenn Würmchen sich heute nicht auf den Weg macht, ist heute frei. Erst morgen muss ich wieder zum Arzt, und zwar ohne Termin in meine Geburtsklinik, was im besten Fall zwei und im schlimmsten Fall acht Stunden dauern wird. Zum Trost habe ich mir jetzt schon vorgenommen, mir im Anschluss die beste Pizza der Stadt zu bestellen, die es direkt um die Ecke gibt. Der gute alte Glückscheesie in neuer, verbesserter Form! Ich muss schließlich bei Kräften bleiben, hier steht eine Geburt ins Haus. (Wenn ich es nur oft genug schreibe, passiert es vielleicht ja wirklich.)

Freitag, 12. Juli 2013

Stunde Null.

Huaaaaaah! Wer hätte gedacht, dass die totale Abwesenheit irgendwelcher Vorkommnisse so spannend sein kann. Ab und zu ziept und zwiebelt es, mal unten rechts, mal oben links. Dann wieder nichts, aber auch gar nichts. Gestern war der ca. fünfte Tag, an dem ich abends noch zu L. gesagt habe, jetzt KÖNNTE es aber nicht mehr lange dauern. Ich bin ins Bett gegangen und habe mir zum Einschlafen gewünscht, dass es wenigstens nicht vor drei Uhr früh losgeht, so dass ich noch ein paar Stunden Schlaf unter die Mütze kriege. Und dann wache ich um halb sieben auf, immer noch mit Passagier, und habe mein Eisentablettchen verpennt. Meine Mutter weiß es zum Glück aus dreifacher Erfahrung besser, aber Geschwister und Schwiegermutter haben schon die ersten "Naaaaa? Wollte nur mal so hören..."-Anrufe und -SMS geschickt. Ich sag Bescheid! Ganz bestimmt! Sollte das jetzt aber einreißen, bekommt der nächste, der fragt, zur Antwort "Ja also, seit drei Tagen ist er da, wir sind jetzt auch wieder zuhause, fahren jetzt aber erst mal für ein paar Tage weg, war ganz schön spannend, aber das erzähle ich dann irgendwann mal in Ruhe, wir sehen uns ja bestimmt irgendwann die nächsten Monate. Tschüssi, Akku alle!"

Es stellt sich nämlich heraus, dass wir doch warten müssen wie andere Leute auch. Die Untersuchung gestern hat gezeigt, dass die Plazenta jetzt sensationelle 1,1 cm von der kritischen Stelle entfernt liegt und damit 1 Milimeter über Soll, und damit ist der geplante Kaiserschnitt für heute vom Tisch, wir warten jetzt einfach, bis es losgeht. Das gestern zu erfahren, hat fast vier Stunden Hockerei mit zu enger Hose im Wartezimmer meiner Geburtsklinik erfordert, aber sollte das das Ticket zur Chance aufs zweite Kind sein, dann meinetwegen. Kind 1 bleibt, wo es ist, wiegt inzwischen 3.490 Gramm, hat immer noch schön viel Fruchtwasser in fabelhafter Qualität und hat gestern auf dem Ultraschall gekaut und dabei gelächelt. Äußerlich konnte ich ihn immer noch weder L. noch mir zuordnen (und finde diese 3D-Bilder auch eher gruselig als irgend etwas Anderes), aber charakterlich scheint er also nach mir zu kommen. Ab jetzt werde ich da alle zwei Tage antanzen müssen. Und ich lerne dazu. Ich weiß inzwischen, welcher Parkautomat in der Krankenhaustiefgarage unbedingt zu meiden ist und welche Parkplätze man lieber nicht ansteuern sollte, wenn man nicht einer Panikattacke nahe mit seinem Bauch zwischen Auto und Wand eingequetscht sein will. Ich kenne die Damen am Empfang und weiß, Dame A nickt mir zwar aufmunternd zu, aber trotzdem warte ich lieber, bis Dame B von ihrem Rechner aufsieht, denn wenn ich jetzt Dame A erzähle, was ich hier will, stehe ich in zehn Minuten noch hier und wedele mit meinem Mutterpass. Ich habe immer selbst was zu lesen dabei, weil die vermutlich schwer verkeimten Krankenhauszeitschriften immer fest in der Hand der unzähligen Kleinkinder sind, die andere Frauen samt dem Rest ihrer Familie scheinbar zu jedem Arztbesuch mitschleppen müssen. Aus dem gleichen Grund habe ich auch immer selbst eine Wasserflasche dabei, denn den Wasserspender in der Ecke machen die kleinen Engelchen plitschi-platsch ratzeputz leer. Wer hätte gedacht, dass aus mir noch ein Schwangerschaftsprofi wird?

Und jetzt muss ich los. Ich habe einen Termin mit einem Wehenschreiber und einem Ultraschall am anderen Ende der Stadt.

Mittwoch, 10. Juli 2013

Bevor ihr fragt: immer noch nicht.

Eigentlich hätte ich Hunger auf Chili. Oder auf eine größere Menge Kochkäse mit Musik (worunter man da, wo ich herkomme, eingelegte rohe Zwiebeln versteht) auf Brot. Oder auf geschmorte grüne Bohnen mit Rosmarin. Oder auf Huhn mit viel, viel Knoblauch. Aber gibt man solchen Wünschen nach, wenn man vielleicht heute noch eine Rotte fremder und unschuldiger Menschen zwingt, stundenlang zwischen seinen Beinen zu verharren? Eher nicht. Stattdessen habe ich mit dem Basteln angefangen, ich klebe mir jetzt nämlich ein Buch mit lauter Tipps rund um Babys und Kinder und Kindergeburtstage und Kinderzimmer und Hilfe in allen kinderbezogenen Notsituationen, die man sich nur vorstellen kann. Was das betrifft, war meine erste Brigitte Mom schon mal ziemlich ergiebig. Der Tipp, Kindern, die Glas verschluckt haben, Apfelmus mit zerrupften Taschentüchern zu essen zu geben, ist genau so darin gelandet wie die Schummelwaffeln aus fertigem Brownie-Teig. Selbst wenn ich da nie wieder reingucken sollte, gibt es mir doch das Gefühl, irgendwie besser vorbereitet zu sein.

Heute Abend treffen wir uns schon wieder "zum vielleicht letzten Mal", die Mädchen und ich unter freiem Himmel, und langsam wird es albern mit diesen acht letzten Malen. Meinetwegen kann Würmchen jetzt kommen. Heute z.B.! Wäre zwar schade um den netten Abend und die Pizza, die ich mir gerade schon ausmale, aber einmal muss es ja sein, und das Wetter ist sowieso nicht zum Durchdrehen, wir haben wieder mal einen Handwerker im Haus, diesmal den Maler, der Klinikkoffer steht neben der Haustür, und ein paar Bilder habe ich auch im Würmchenzimmer aufgestellt. Ich habe mir sagen lassen und glaube das auch, dass Kinder so gut wie jeden Gegenstand in ihrer Umgebung mit gleichem Interesse betrachten, deshalb habe ich statt zwei Kinderbildern ein Technicolor-Foto von Sean Connery in Badehosen und ein schwarzweiß-Bild von Woody Allen an seinem Bett aufgestellt. Das Kind braucht schließlich männliche Vorbilder! Von seinem Bett aus hat es außerdem eine prima Aussicht auf die Zweige der alten Eiche und der Buchen vor seinem Fenster, die sich im Wind wiegen. Das wird er auch mögen. Ansonsten ist das Zimmer noch ein bisschen kahl, aber ich dachte, das ist im Zweifel besser als eine völlig überladene Explosion von Niedlichkeiten. Ich warte erst mal ab, was er so für einer ist und was er mag, bevor ich jeden Quadratzentimeter durchdekoriere.

Zur Verkürzung der Wartezeit habe ich außerdem gerade Gossip Girl wiederentdeckt. Irgendwann vor ein paar Jahren hatte ich damit mal angefangen und es dann völlig vergessen, jetzt gibt es auf lovefilm die ersten vier Staffeln online. Ihr findet, das ist aber nicht der passende Zeitvertreib für eine 40jährige, der gerade so gewaltige, daseinserschütternde Umwälzungen bevorstehen? Eine Serie über reiche, verwöhnte und intrigante Teenies in New York, die ständig Champagnerparties feiern und sich SMSen schicken und in jeder neuen Einstellung beweisen, dass man richtig viel Geld für Kleidung ausgeben und trotzdem einfach nur albern aussehen kann? Tja, was soll ich sagen. Es macht mir aber nun mal Spaß. Und während die vierte Staffel Downton Abbey auf sich warten lässt und George R.R. Martin sich offensichtlich nach wie vor lieber auf Sci-Fi-Conventions rumtreibt und Fast Food frisst zur großen Sorge aller, die sich Gedanken um seinen Blutdruck machen, anstatt endlich den sechsten Band von Game of Thrones zu schreiben, werde ich damit wohl weitermachen, bis Würmchen dem einen Riegel vorschiebt.

Dienstag, 9. Juli 2013

Elf Fragezeichen

Was, wenn wir noch nicht sofort wissen, wie Würmchen heißen soll, und daraufhin wird er im Krankenhaus vertauscht, und wir bekommen das grauenvolle Kind eines grässlichen, dämlichen, schlecht riechenden Paares, während die unser Würmchen mit nach Hause nehmen dürfen? Und wir sehen ihn nie wieder?

Was, wenn er eines Tages eine Freundin mit angeklebten Nägeln hat, die den ganzen Tag mit offenem Mund Kaugummi kaut?

Was, wenn er einen dieser Freunde hat, die immer sagen, sie hätten nichts getrunken, während sie in Wirklichkeit bumsvoll sind? Und er glaubt ihm und steigt zu ihm ins Auto?

Was, wenn er eines Nachts mit seinen Jungs am Baggersee ist, und alle springen von dem alten rostigen Kran, und er denkt, er muss das jetzt auch machen?

Was, wenn wir nur einmal, nur ein einziges Mal, vergessen, das Fenster zuzumachen oder die Balkontür, nur ein einziges Mal den Topf auf der vorderen Herdplatte stehen lassen oder das Messer neben der Spüle liegen lassen, und dieses eine Mal reicht schon?

Was, wenn ich mir diese ganze Schwangerschaft nur eingebildet habe, und am Freitag holen sie aus meinem Bauch das größte Myom aller Zeiten?

Was, wenn sich jetzt gerade auf irgend einem Klettergerüst oder in einem Kaninchenbau oder an einem Softeisstand die Todesbakterie gemütlich niederlässt, die sich dort vermehren und ihn eines Tages erwischen wird?

Was, wenn heute Abend seine zukünftige Kindergärtnerin den Typen kennenlernt, wegen dem sie in den nächsten Monaten ein massives Drogenproblem entwickeln wird? Ohne dass irgendwer, geschweige denn ihr Arbeitgeber, irgend etwas davon mitbekommt?

Was, wenn in dem wuscheligen Fell unserer Hunde zwei Killermaschinen stecken, die nur auf eine passende Gelegenheit warten?

Was, wenn ich das Baby bekomme, der Himmel ist babyblau, die Sonne lacht, alles ist gut, und dann überfährt mich im Stilltran ein Bus, und L. muss mit allem allein fertig werden?

Was, wenn wir wirklich, wirklich, aber wirklich miserable Eltern abgeben?

Man braucht wirklich nicht viel Phantasie, um kurz vor der Geburt die fieseste Sorte davon zu entwickeln. Brrrrrrrrr.





Montag, 8. Juli 2013

Einmal Fritten, drei Erdbeerschnüre und zwei weiße Mäuse später

Jeden Morgen koche ich mir eine Kanne Würmchentee, der geht so: zwei Teelöffel normalen losen Earl Grey, zwei Teebeutel koffeinfreien Teekanne Schwarztee Klassik. Auf diese Weise wird der koffeinfreie Tee noch bis nächste Woche Dienstag reichen, dann ist noch ein Beutel übrig für einen Nachmittagstee, und das war es dann. Würmchen, Lieber, ich habe nicht vor, danach neuen zu kaufen. Du weißt also, was Du zu tun hast: spätestens nächste Woche Dienstag rechne ich mit Dir.

Gestern war ich mit den Mädchen im Freibad, das erste (und vermutlich leider auch letzte) Mal diesen Sommer. Zu diesem Zweck habe ich mir einen halben Schwangerschaftstankini gekauft, und auch das war vermutlich ein letztes Mal für diese Schwangerschaft, denn noch mehr Schwangerschaftskleidungsstücke werde ich jetzt nicht mehr kaufen. Der Tankini ging aber, denn er war der letzte seiner Art, die Hose dazu war weg und nirgendwo zu finden, er hatte noch nicht mal mehr ein Preisschild, und ich habe ihn für den Gnadenpreis von fünf Euro bekommen. Den Still-BH, dessentwegen ich eigentlich da war, habe ich dann doch lieber hängen lassen, denn als ich da so in der Kabine stand in diesem Baumwollenen Riesendings, habe ich mir überlegt, dass ich die Größe vermutlich erst nach dem Milcheinschuss richtig kenne. Die ersten zwei-drei Tage wird es also ohne hundertprozentig passende und funktionale Unterwäsche gehen müssen. Am Ende werde ich im Nachthemd stillen! Und auch das wird irgendwie gehen, da bin ich ganz, ganz sicher. (Ganz davon abgesehen, dass ein kleiner Teil von mir immer noch denkt, vielleicht klappt die Stillerei eh nicht, es kommt einfach nichts raus, und dann sitze ich da mit drei Exemplaren dieser unschmooven Unterwäsche.)
Das Freibad hat übrigens alle Erwartungen erfüllt, die ich an es hatte: alles voller Schwimmbadprolls samt Haaren und Ketten, das Quieken und der Chlorgeruch, ich hatte von den Mädchen neidisch beäugt eine Schale Schwimmbadpommes (immer die besten) und im Wasser war es genau so, wie man es uns Kugelbäuchen immer verspricht: Schwerelosigkeit, kühler Kopf und tiefer Friede. Ich hatte sogar meinen Privatbademeister, der am Beckenrand auf und ab ging und nur mich im Auge hatte, damit mir auch ja nichts zustößt und niemand auf mich draufspringt. (Vielleicht, ganz vielleicht hat er aber auch darauf gelauert, dass das plötzlich losgeht und er mir dann zack-zack eine Rechnung schreiben kann für einmal Poolreinigung und Neubefüllung komplett.) Allen Damen im Endstadium der Schwangerschaft kann ich das nur wärmstens empfehlen. Ich hatte zwei Zeitschriftenpremieren mit: die "Brigitte Mom" und die "Fräulein", und während die Fräulein mir nach kurzer Zeit zu anstrengend, bemüht, dämlich und langweilig wurde (und wieso schreiben die alles falsch? Haben die da niemanden, der sich darum kümmert, dass sich Gina Rowlands eigentlich Gena Rowlands schreibt usw.? Peinlich ist das. Ganz peinlich.), war die Brigitte Mom gar nicht so schlecht. Wenn ich auch die haarsträubenden anonymen Geständnisse der Mütter, die überall im Heft zu finden sind, gar nicht sooo haarsträubend und eher niedlich fand. ("Das Lieblings-T-Shirt meiner Tochter ist so hässlich, also sage ich immer, festhalten jetzt, dass es in der Wäsche ist, wenn sie es anziehen will, hihihi.") Aber vermutlich zählt auch hier der Gedanke: selbst wir Brigitte-Mom-Leserinnen sind nicht perfekt! So sanft, schmerzlos und schleichend gleitet man von einer Zielgruppe in die nächste. (Hörst Du, Würmchen? Gleiten. Sanft, schmerzlos und schleichend ist vielleicht Dein Stichwort?)

Und dann habe ich noch eine Produktwarnung auszusprechen: sicher habt ihr auch die Fernsehwerbung für diese Nivea Milk gesehen, mit der man sich unter der Dusche eincremt, und gedacht, das klingt ja praktisch und wie die Lösung für das vor allem sommerliche Problem, dass man gerade frisch geduscht ist und absolut keine Lust hat, sich schon wieder mit irgend einer Klebeschmiere einzucremen. Vielleicht denkt ihr sogar drüber nach, sie zu kaufen. Tut es nicht! Ich hab es getan. Erstens ist das Eincremen unter der Dusche mindestens so widerlich wie das Eincremen nach dem Abtrocknen. Zweitens hängt der Kleister sich, obwohl nicht spürbar, doch an die Hände. Wenn man sich dann nach dem Duschen das Gesicht eincremt, stellt man zu seiner Überraschung fest, dass man fünf Minuten später im Gesicht schwitzt wie ein Schweinchen nach drei Saunagängen. Und mit Kontaktlinsen gibt es Probleme, die ihr euch noch gar nicht vorstellen könnt oder wollt. Es nützt auch nichts, sich direkt nach dem Duschen noch mal extra die Hände zu waschen. Bäh! Zum Glück war das ein billiger Fehlkauf. Ende der Produktwarnung.

Sonntag, 7. Juli 2013

Bereitschaftsdienst.

Ich weiß noch, mitten im Winter (also vermutlich irgendwann so um den zehnten April herum) hatte ich mal geschrieben, beim Blick nach draußen könnte ich mir gar nicht vorstellen, jetzt schon im siebten Monat zu sein. Denn jetzt wäre ja Winter, und das Baby käme erst im Sommer, und da wäre noch ein Frühling dazwischen, der noch längst nicht in Sicht war. Jetzt ist Sommer, da gibt es kein Missverständnis mehr. Ich habe mir gestern endlich neue Flipflops gekauft, die Kirschen kosten vier Euro das Kilo, abends muss ich die Hortensien und den Rasen gießen, und jeden Tag esse ich mindestens ein Kilo von diesen tollen platten Mini-Nektarinen, die mir letztes Jahr noch gar nicht aufgefallen waren. Heute gehen die Mädchen und ich ins Schwimmbad, und da wollen wir mal sehen, ob es zu einer Wassergeburt im ganz großen Stil kommt. Alle winzigen Spannbettlaken (Babybay, Bett, Stubenwagen) sind gewaschen und an Ort und Stelle, die Strampler ordentlich nach Größe und Wetter in verschiedene Körbe sortiert, die Folie im Windeleimer ist geknotet und bereit für die erste volle Windel, sogar die Gebrauchsanweisung fürs Haus für meine Familie habe ich schon geschrieben. Jetzt muss sie nur noch ausgedruckt werden. Und wenn ich das noch schaffe, backe ich noch eine Dose Nussecken für sie und verstecke sie vor L., damit sich meine Eltern und Geschwister stärken können nach ihren Besuchen beim Enkelkind bzw. Neffen. (Bin ich die einzige, die immer gleich an die Ducks denkt, wenn von Neffen die Rede ist?) Äußerlich, also äußerlich ist also alles sowas von bereit. Ein paar Bilder könnte ich noch aufhängen. Das mach ich dann wohl heute. Innerlich ist eine andere Sache. Innerlich ist komisch.

Jeden Morgen beim Aufstehen tut es erst mal weh. Der Kleine drückt mir mit seiner (wenn man L. und mich als Maßstab nehmen kann) sicher beachtlichen Riesenrübe auf den Steiß und auf das Becken. Der erste Weg aufs Klo geht also nicht ohne Ächzen und Stöhnen ab. Sitze ich dann erst mal, begrüße ich ihn natürlich angemessen und bedanke mich bei ihm, dass ich eine weitere Nacht im eigenen Bett schlafen durfte, statt auf Gummibällen kauernd ungerechterweise meine Kinderwunschärztin zu verwünschen. Ich weiß nicht, wie es anderen Damen geht, aber abgesehen vom Drama spricht mich an einer nächtlichen Geburt wenig an. Morgens aufwachen, in Ruhe frühstücken und duschen und anziehen und dann irgendwann - das wäre schön. Aber wenn ich ausnahmsweise so etwas wie ein Gefühl dafür entwickelt hätte, dann würde ich sagen, vor Freitag wird das nichts. Auch wenn ich jetzt über vier Jahre Zeit hatte, mich an den Gedanken zu gewöhnen, ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass ich morgen Abend ein Baby haben könnte. Oder Mittwoch. Vielleicht habe ich deshalb auch nächste Woche wieder jede Menge vor. Vielleicht plane ich deshalb untypischerweise immer noch nicht meine erste Mahlzeit nach dem Ende der Schwangerschaftsregeln. Und vielleicht schiebe ich deshalb immer noch pfeifend meine Kugel durch Parkanlagen, Einkaufszentren und Freibäder, denn dass es JETZT und HIER losgeht, kann ja nicht sein. (Nein, liebe Damen, vorgesorgt habe ich natürlich, der Klinikkoffer ist immer im Auto und der Mutterpass griffbereit in der Tasche, und ich gehe an keinen dieser Orte ohne Telefon.) Ganz vielleicht habe ich sogar deshalb immer noch keine Angst - außer der schon besprochenen vor einem mir fremden Kind und der, es könnte ihm irgend etwas fehlen. Bin ich einfach zu blöd, zu weltfremd und zu unbeleckt für Angst? Oder ist das jetzt endlich mal meine Art, angemessen dankbar zu sein? Yay, Geburtsschmerzen?

Donnerstag, 4. Juli 2013

Stille. Tiefe, wohltuende Stille. Und damit höchste Zeit für etwas Geschnatter.

Heute ist der erste Tag nach sieben Wochen, an dem keine Handwerker kommen. Gestern hatten sie schon mal angetäuscht: der Vorarbeiter hat sich vorgestern mit der Ansage verabschiedet, morgen (also gestern) kämen sie erst mittags. Mit dem Ergebnis, dass L. und ich noch selig schlummernd und eingeknäuelt im Bett lagen, als es um halb acht klingelte und vier Handwerker samt ihren Lärmerzeugungsgeräten vor der Tür standen. Natürlich mussten sie als erstes ins Bad. Richtig fertig ist das hier noch nicht - wir haben noch keine echten Griffe an den Fenstern, zum Teil werden die Fensterbänke von kleinen Gummischnipseln in Position gehalten, sie haben die Austauschgriffe für die Balkontüren versehentlich mitgenommen, so dass meine Balkonpflanzen vertrocknen, wenn nicht wenigstens einmal täglich Regen runterkommt, und gestrichen werden muss das auch noch mal alles - aber die Sägerei, Nagelei und Hämmerei ist wohl erst mal überstanden. Und damit der Staub. Gestern habe ich das Gästezimmer gästefein gemacht in der Hoffnung, dass L. sich davon abhalten lässt, wieder all seine Sporttaschen und Dreckwäsche und Bügelwäsche und überhaupt darauf aufzuhäufen, und jetzt sitze ich zum ersten Mal seit Wochen am Esstisch mit Tee und Rechner ohne die Gesellschaft fremder Herren in Latzhosen um mich herum. Schöne Sache!

Nachdem es jetzt ja jede Sekunde vorbei sein kann mit erstens diesem ruhigen Zustand und zweitens dieser Schwangerschaft, habe ich mir überlegt, noch mal zusammenzuschreiben, was mir aufgefallen ist. Gelesen und gehört habe ich eine ganze Menge (wenn auch vermutlich nicht ganz so viel wie manche andere), einiges davon hat gestimmt, anderes war zumindest für meinen Fall Kokolores.

Für mich nicht wahr war:
Wasser in den Beinen und den Händen und überhaupt. Ich kann mir dafür noch nicht mal auf die Schulter klopfen, so gern ich das auch täte, denn eigentlich habe ich alles falsch gemacht: ich habe weiter trotz zu hohem Blutdruck (der allerdings durch Medikamente im Zaum gehalten wird) viel Salz gegessen, einfach weil mir Essen mit zu wenig Salz nicht schmeckt und ich sofort in die finsterste Stimmung gerate, wenn mir das Essen nicht schmeckt. Ich habe außerdem irgendwann im sechsten Monat aufgehört mit der Schwangerschaftsgymnastik und mir gesagt, dass Hundespaziergänge und Haushalt und Gänge zu Edeka und zurück reichen müssen. Ich hatte wohl einfach wieder mal Glück. Und dabei kenne ich gertenschlanke, große und sportliche Damen, die die letzten Monate ihrer Schwangerschaft vorübergehend (zum Glück. Immer vorübergehend.) zu gewaltigen Hüpfburgen aufgeschwollen sind. Bitte hasst mich nicht. Und wenn doch, dann kann ich euch jetzt schon versprechen, dass ihr entschädigt und auf eure Kosten kommen werdet, wenn ich vergeblich und halbherzig gegen den Schwangerschaftsspeck ankämpfen werde. Ich hab das Gejammer und Gequengel jetzt schon im Ohr.

Glück gehabt habe ich wohl auch bei ein paar anderen Schwangerschaftssymptomen: kein Streifen weit und breit, nur eine schwache linea nigra oberhalb des Bauchnabels (heißt die dann überhaupt auch linea nigra?) seit dem fünften Monat. Keine Haare an den Innenseiten der Oberschenkel und am Oberkörper. Keine seltsamen Sonnenflecken im Gesicht (vielleicht auch deshalb, weil ich zwischen April und Oktober das Haus nicht unter LSF 50 verlasse). Keine Krampfadern, keine Fußschmerzen und kein Sodbrennen. (Ich glaube inzwischen, ich werde irgendwann begraben, ohne je zu erfahren, wie sich Sodbrennen anfühlt. Vor ein paar Jahren hatte ich mal die Aufgabe, mir eine Kampagne für ein Mittel gegen Sodbrennen auszudenken. Das war schwierig, weil ich die einzige auf dem Job war, die nicht wusste, wie das ist.) Na, hasst ihr mich jetzt? Ich kenne das ja schon aus der Kinderwunschzeit, unerwünschte Nebenwirkungen lassen mich oft in Frieden. Weite Teile des "What to expect"-Buches konnte ich einfach überblättern, weil mir all die Fragen ("Was sind das für komische Dingsbumse auf meinen Beinen... wieso muss ich mich immer noch ständig übergeben... wann hört das auf mit XY an meinen Ohren...") überhaupt nichts sagten.

Jede Schwangerschaft kostet einen Zahn: obwohl ich ein bisschen schlampig damit war, meine Calcium-Tabletten regelmäßig zu nehmen, und obwohl meine Fingernägel sich zeitweilig in Blätterteig verwandelt hatten, haben meine Zähne scheinbar keinen Schaden genommen. Mein Zahnarzt ist jedenfalls ganz zufrieden. Und das, obwohl ich während der Schwangerschaft deutlich mehr Bock auf Süßigkeiten hatte als jemals zuvor und dem auch nachgegeben habe.

Der Ehemann wird plötzlich zum Hausdiener, Masseur, Kuscheltier und Experten für Gynäkologie und Geburtshilfe: L. bleibt L., schwanger oder nicht. Weder hat er es sich zur Aufgabe gemacht, meine Ernährung zu überwachen und mich zum Mittagsschlaf zuzudecken, noch hat er sich in die Grundtechniken der Nackenmassage eingefuchst. Weil mir ersteres sehr Recht war, habe ich gerne auf letzteres verzichtet. Zumal sich das mit den Rückenschmerzen in erträglichen Dimensionen gehalten hat, sobald ich einmal von meinem Schreibtischstuhl weg war. Er ist einfach nicht der Typ dafür, und das ist völlig in Ordnung für mich. Eigentlich hätte ich mir das auch denken können, denn schon während der Kinderwunschzeit war er keiner von denen, die zu jeder Blutentnahme und zu jedem Zysten-Ultraschall mit müssen. Er freut sich, aber die ganz dicke Freude kommt eben dann, wenn das Kind da ist. Und bis dahin lässt er mich machen. Und es geht uns gut dabei.

Plötzlich sind Babys das Tollste und Wichtigste auf der Welt! Mein Verhältnis zu Babys im Allgemeinen hat sich nicht verändert. Ich bin ein bisschen neugieriger geworden und habe z.B. während der Kinderwagenentscheidungszeit mehr geguckt, was andere Mütter so durch die Welt schieben. Davon abgesehen freue ich mich auf meins und bringe den Babys anderer Mütter zwar Freundlichkeit und Wohlwollen, aber nicht diesen Enthusiasmus entgegen, den andere Schwangere wohl an den Tag legen. Vielleicht ändert sich das ja, wenn Würmchen erst richtig da ist. Ich höre sehr gerne zu, wenn sie von ihren Babys und der Geburt und den ersten Wochen erzählen, man weiß nie, was man noch lernen kann. Aber es ist immer noch so, dass mich die Begegnung mit einem Hundewelpen auf der Straße in größeres Entzücken versetzt als die Begegnung mit einem Baby. Was erst los wäre, wenn man in Hamburg mit jungen Giraffen, Elefanten oder Braunbären spazieren gehen würde! Seit ein paar Tagen hat lovefilm, das Filmleihportal meines Vertrauens, den Kinofilm "Babys" im Online-Angebot, das heißt, ich könnte ihn mir jetzt sofort angucken. Fällt mir nicht im Traum ein. Als er damals im Kino kam, war ich noch mitten in der Kinderwunschzeit mit ungewissem Ausgang, aber auch sonst hätte ich trotz begeisterter Kritiken niemals ein Ticket gekauft. Jetzt müsste ich doch die perfekte Zielgruppe sein. Bin ich aber irgendwie... nicht.

Gelüste. Einmal musste es unbedingt Toast Hawaii sein, auf den ich sonst gar nicht kann, und ich hatte öfter mal Lust auf Süßes, das mich sonst nicht interessiert. Aber davon abgesehen war es in der Schwangerschaft eher weniger wild als davor. Ich hatte schon unschwangere Zeiten, da musste ich in zwei Wochen sechs mal Spareribs zum Abendbrot haben. Oder habe mich tagelang nur von eingelegten Heringen, Hühnerfrikassee, scharfer Vietnamesischer Suppe oder Bohnensalat mit Schafskäse ernährt. Demgegenüber war ich während der Schwangerschaft manchmal regelrecht ratlos, worauf ich eigentlich gerade Hunger habe. Nur Chinesisch ging durchgehend gar nicht.


Für mich wahr war:
Arbeit wird irgendwann richtig, richtig schwer und anstrengend und zur Quelle einer Mini-Depression spätestens ab Sonntag Nachmittag. Ich konnte nicht mehr. Ich hätte mehr von mir erwartet, aber ich konnte nicht mehr. Und das schlug sich so vehement körperlich nieder, dass ich sogar schon kurz davor bin, bei mir an ein psychosomatisches Phänomen zu denken. Wie kann das sein, dass ich auf dem Weg zur Arbeit oder aus der Mittagspause zurück an den Schreibtisch regelmäßig umgekippt bin und das schlagartig vorbei war, sobald ich da raus war? (Gut, das hing vielleicht auch damit zusammen, dass ich gleichzeitig die Eisentabletten bekommen habe.) Ich hätte mich eher als eine von denen gesehen, die eines Tages im Meeting einen Blasensprung bekommen. Das war sowas von nicht so, und es hat mein Bild von mir und meinem Job und dem Zusammenspiel zwischen beiden ziemlich verändert.

Die Gefühlsachterbahn: Wer diesen Blog nicht Post für Post, sondern mehrere Posts hintereinander weg liest, wird sich in den letzten Monaten öfter mal an den Kopf gepackt und sich gefragt haben "Ja wie denn nun?". Manchmal reichte eine Stunde und null äußerer Anstoß, um von buddhahafter Ruhe zu grässlichen Vorahnungen und totaler Verzweiflung zu geraten. Richtig schlimm war das, so lange ich versucht habe, mir das zu verbieten und mich dagegen zu wehren. Dann kam nämlich zu all dem Haschmich auch noch die Angst, jetzt völlig durchzudrehen. Irgendwann habe ich eingesehen, dass das nun mal gerade so ist und auch noch eine Weile so bleiben wird, und da war es dann schon viel besser. Eigentlich wie während der 13 IVF-Warteschleifen. Richtig, fast genau so.

Der Kokon: der hatte viele Gesichter. Zum Beispiel, dass ich mich vor jeder Abendveranstaltung, egal wie sehr ich mich darauf gefreut hatte und egal wie viel Spaß ich dann doch noch da hatte, fast körperlich zwingen und aus dem Haus treten musste, um nicht in letzter Sekunde doch auf dem Sofa zu bleiben. Kam auch nur das kleinste äußere Hindernis dazu (Auto springt nicht an...) war es vorbei. Ich bin wochenweise komplett verspießert. Mein Traum von einem schönen Abend war irgendwann: um acht im Schlafanzug, dann mit einem Kräutertee ins Bett und im Internet eine alte Folge von Inspektor Barnaby angucken. Das war doch nicht ich! Doch, war ich offensichtlich doch. Auch die Freude, die ich plötzlich an solchen Aufgaben wie Wäsche sortieren und Rosen düngen hatte, das war auch nicht ich. Und entsprechend das tiefempfundene Grauen angesichts des Chaos, das die Handwerker hier wochenlang reingebracht haben.

Die Mütter-Konnegge: Mein erster Freund damals hatte ein Motorrad, und wenn ich hintendrauf saß, habe ich gesehen, Motorradfahrer grüßen sich, wenn sie sich zufällig begegnen. Schwangere tun das auch. Schwangere und Mütter sehr kleiner Kinder. Es ist manchmal nur ein Lächeln oder eine kleine schüchterne "Yay!"-Grimasse, aber sie tun es. Auf Parties fand ich mich immer öfter mit den Müttern oder den Schwangeren auf einem Sofa, und es war unfassbar, wie viel es da zu besprechen gab. Ich bin froh, dass das so von alleine passiert und ich nicht gegen meine Natur plötzlich in eine dieser fürchterlichen Gruppen muss. Was mich allerdings manchmal ein bisschen wundert: im echten Leben funktioniert es doch auch ganz gut, wieso geht es im Internet so oft schief und wird so schnell feindselig? Aber darauf haben schon ganz andere keine Antwort gefunden.

Kommt Zeit, kommt Babyklamotte: die zeitweilige Panik irgendwann zwischen siebtem und achtem Monat angesichts nicht vorhandener Ausstattung fürs Baby hätte ich mir sparen können. Wie Wichtelmännchen haben sich nach und nach Freunde und Familienmitglieder gefunden, die uns mit dem ganzen Kram förmlich zugeschüttet haben. Inzwischen sitze ich hier mit beispielsweise 50 Sommerstramplern in der Größe für Neugeborene, die Würmchen vermutlich gar nicht alle tragen können wird, bevor er eine Größe weiter ist. Außerdem haben die Wichtel uns einen Stubenwagen, ein Babybay, zwei Windeleimer samt sechs Ersatzfolienkassetten, eine ganze Batterie von Muttermilchfläschchen, eine Handpumpe, eine Wickelkommode, ca. 120 weitere winzigkleine Kleidungsstücke, einen Schiebewagen von Ikea, ein Tragetuch und einen Babybjörn, ein Töpfchen und diverse geruchsdichte Boxen rund ums Wickeln vor die Tür gelegt. Den Kindersitz habe ich im Netz bestellt, und zwar war der Wunschsitz auf der ersten Seite erst nach sieben Wochen lieferbar, aber schon die nächste Seite hatte ihn zum gleichen Preis sofort auf Lager. Den Wagen haben wir einfach so, wie er da stand, mitgenommen, auch hier deshalb null Lieferzeit. (Übrigens habe ich einen Tipp: im Baby one an der Alsterkrugchaussee steht seit Monaten ein von mir zeitweilig heftig umschlichener Bugaboo Chamäleon in der todschicken Ausführung dunkelblauer Korb - rote Räder. Er kostet nur 750 Euro. Will den denn wirklich niemand haben?) Was auch immer die bevorzugte Lieblingssorge während der Schwangerschaft ist, die Anschaffung von Babykram muss euch nicht um den Schlaf bringen. (Dufte, wie schlau und entspannt ich hinterher daherschwafeln kann, oder?)

Die Esoterik-Lawine: die ist leider, leider wahr für mich. Gut, meine Toleranzschwelle sitzt da auch sehr niedrig, aber es war in meinem Fall tatsächlich so, dass der Rest der Welt denkt, weil man schwanger ist, steht man plötzlich auf all den Kram. Ihr wisst schon, auf welchen Kram. Den, den ich nicht so mag. Ich hatte auch irgendwann keine Lust mehr, mich jedes Mal auf eine Diskussion einzulassen, sondern habe nur noch leer geguckt, bin an meinen "inneren Ort" gegangen (gute Vorübung für die Geburt, habe ich mir sagen lassen) und still für mich gedacht "Meschugge. Vollkommen drei-Sterne-meschugge. Einfach Lächeln, dann geht es hoffentlich schnell vorbei."

Dienstag, 2. Juli 2013

40. Woche: The look of Heuschnupfen is on your face.

Heute ist Dienstag, seit Freitag bin ich in der 40. Woche und damit ein bisschen spät dran. Meine Entschuldigung ist ausnahmsweise nicht mein Bauch, sondern meine Augen: irgendwas stimmt da nicht. Mindestens zwei Stunden am Tag kann ich kaum gucken, dicke Tränen kullern mir übers verschwollene Gesicht, und das, obwohl es für die Heulerei nicht den kleinsten Anlass gibt. Am schlimmsten ist es, wenn ich mit den Hunden und bei offenem Fenster Auto gefahren bin. Heuschnupfen hat mich wohl endlich auch eingeholt, nachdem ich jetzt fast 40 Jahre so unberechtigt stolz darauf war, tränenfrei durch Heuschober, Frühlingswiesen und Birkenwälder toben zu können. Schöner Mist. Das bringt auch mit sich, dass jeder Tag nur in etwa drei Stunden für mich bereithält, in denen ich schmerz- und schlierenfrei auf einen Bildschirm egal welcher Art gucken kann. Das treibt einem die pünktliche Bloggerei ein bisschen aus.

So sieht das in etwa aus, jedenfalls in guten Momenten:


Diese Abkürzungsdame scheint kurz vorm Platzen zu stehen. Außerdem fällt vielleicht der einen oder anderen auf, dass ich in letzter Zeit scheinbar fast immer das Gleiche anhabe. Das trügt nicht, bei lauen 17 Grad in Hamburg variiere ich meine zwei Schwangerschaftsjeans derzeit mit drei geringelten Schwangerschaftsoberteilen durch, dann kommt die nächste Wäsche. Die vielen geräumigen Kleidchen liegen auf Bügelhalde, so lange hier noch täglich dank der Handwerker ein Sandsturm durchs Haus fegt, hab ich andere Sorgen. Dieses Oberteil ist übrigens streng genommen gar kein Schwangerschaftsoberteil, sondern ein knapp bauchnabelbedeckendes Minikleid von American Apparel. Und ich hoffe sehr, es eines Tages auch wieder so tragen zu können. Was dieses Thema betrifft, habe ich mich letzte Woche mal vorsichtig eingegoogelt zum Thema Laufen nach der Geburt und nach zehn Minuten schaudernd beschlossen, dass ich dazu erstens meine Frauenärztin und zweitens einen Sportarzt fragen werde und auf beide höre, auf sonst niemanden.

Inzwischen arbeiten wir ganz gemächlich die To-Do-Liste ab. Gestern haben wir baby bay auf die richtige Höhe eingestellt, außerdem wurden zwei passende Spannbettlaken geliefert. Dann kam noch ein Päckchen von L.s Cousine mit ihrem alten Moby Tragetuch an, und ich habe geübt, mir das umzubinden. Mit Bauch nicht so richtig überzeugend, aber ohne wird das schon. Auch wenn ich sagen muss, Krawatte binden ist ein Witz dagegen.

Was jetzt noch zu tun bleibt:
- Betten und Gästezimmer herrichten für den Einfall meiner Familie
- dazu dringend notwendig: doch noch bügeln, um Platz zu schaffen (im Moment türmen sich Wäscheberge im Schlafzimmer meiner Eltern)
- Gebrauchsanweisung für das Haus schreiben und ausdrucken, damit sie von Kaffeemaschine bis Trockner klarkommen
- Vielleicht sogar noch eine Dose Nussecken backen und vor L. verstecken

Und dann kommt wirklich nur noch Klickerkram wie Bilder im Kinderzimmer aufhängen, vielleicht nochmal zu IKEA für ein paar weitere Körbe ins Regal und einige wüste Streits mit L., damit das Gästezimmer nach der anstehenden Hauruck-Aktion gefälligst bis zur Geburt im gästefähigen Zustand bleibt.

Und sonst?
Jetzt habe ich so oft gehört und gelesen, am Ende könnte man einfach nicht mehr. Mir geht's jetzt besser als vor vier Wochen. Ich bekomme mehr Luft, ich fühle mich nicht ganz so unförmig (vermutlich einfach Gewöhnungssache), ich kann besser schlafen und ich fühle mich nicht den ganzen Tag so voll und uffjedunsen. Wenn es nur danach ginge, könnte das meinetwegen gerne noch vier bis sechs Wochen so weitergehen. Wie viel Zeit ich dann hätte! Allerdings werde ich langsam auch ungeduldiger und ungeduldiger. Und ich liege auf der Lauer. Jedes nächtliche Zwicken könnte das Zeichen zum Startschuss sein. Heute nacht habe ich mein Date mit der Eisentablette verpennt und sie erst um sechs geschluckt, daraufhin war mir schlecht. Und was sagt mein Schwangerschaftsbuch: Übelkeit, ein gängiges Zeichen, dass es losgeht. Bisher geht hier gar nichts los, und die Übelkeit hat sich jetzt auch gelegt. Dafür könnte ich mir jetzt einbilden, wenn ich mich ganz ganz doll darauf konzentriere, dass sich so etwas anbahnt wie eine leichte Blasenentzündung. Oder ist es etwa DAS? Ich habe mir sagen lassen, dass eine Geburt sich nicht besonders subtil ankündigt, also werde ich diesen Vorzeichen-Haschmich wohl einfach über mich ergehen lassen und mir immer wieder sagen, dass ich es schon merken werde. Ganz bestimmt.