Donnerstag, 28. August 2014

Chrrr-püh

Selten hatte ich so ein Schreibloch wie jetzt. Und ich hatte mir so viel vorgenommen. L. ist für ein paar Tage in den USA, hat zu diesem Anlass um seine Dicke zu entlasten das Kindermädchen durchgebucht, und der Hund ist noch bis Montag in der Pension. Morgens bringe ich mein Kind in die Kita, mittags holt sie ihn ab, und bis Abends um halb sechs kann ich tun und lassen, was ich will. Was ich will ist schreiben, dachte ich jedenfalls. Ein bisschen Blog, drei Tage Arbeit von Zuhause aus und dann noch ganz viel anderen Kram. Ich hatte mich ehrlich drauf gefreut, und an Ideen fehlt es auch nicht. Es fehlt nur an… ach, ich weiß auch nicht. Und dabei hätte ich wenigstens dem Blog ganz viel zu erzählen. Von der Hochzeit meiner Schwester, auf der wir letztes Wochenende waren, von Würmchens Zeit in der Kita, von den Zähnen, die er gerade bekommt (ca. vierzig bis siebzig scheinbar) und die uns den Schlaf kosten, was ihn weniger stört als mich, er wacht morgens nach einer Terrornacht lachend auf. Von dem Leben überhaupt mit ihm. Jetzt ist er schon über dreizehn Monate alt, und ich habe noch nicht mal vernünftig von seinem ersten Geburtstag berichtet. Was bin ich denn für eine Kinderwunschblogtante?
Es tut mir so leid, aber ich fürchte, ich muss erst mal durch die große, seit Monaten angestaute Schwangerschaftsmüdigkeit durch. Den Tag im Schlafanzug zu verbringen reicht nicht, ich muss auch schlafen. Und nichts tun. Und mich zur Abwechslung mal wieder langweilen. Und dann noch mehr schlafen. Und noch mehr. Und noch ein bisschen. (Meine Augen sind auch entzündet, was das Leben am Bildschirm nicht leichter macht, aber dazu, wenn ich ausgeschlafen bin.) Und dann schreibe ich mehr, versprochen. Noch liegen dreieinhalb lange, durchgesittete und joblose Tage vor mir, da gibt es alle Möglichkeiten. Bis dahin gute Nacht.

Freitag, 15. August 2014

Nun doch.

Ich war eigentlich vollkommen überzeugt. "Diesmal nicht" habe ich allen erzählt. "Danke, kein Bedarf." Diesmal wollte ich es ohne Hebamme schaffen. Aber der entgeisterte Gesichtsausdruck meiner Frauenärztin hat an mir genagt. "Das hier wird anders", sagte sie. "Es wird nicht ganz leicht, das mit dem Gips hinzukriegen. Und man braucht vielleicht manchmal noch ein zweites Paar Augen, die beurteilen können, ob das nun noch normal wund ist oder schon behandlungsbedürftig wund." Trotzdem habe ich mich noch eine Weile lang gesträubt, denn meine letzte Hebamme hat keinen besonders tollen Eindruck hinterlassen - ganz davon abgesehen dass ich dachte, Kind Nr. 2 hat ja in Kind Nr. 1 schon einen 1a Elternkurs, wir können das jetzt.

Jetzt habe ich doch eine. Das heißt, ich habe sogar zwei, und weil eine davon noch mindestens eine Woche im Urlaub ist, kann ich mir noch ein paar Tage überlegen, ob ich sie wirklich beide hier antanzen lassen will zum Kennenlernen.

Hebamme 1: ist dem Foto und dem online-Lebenslauf nach zu urteilen mindestens Mitte 50, hat viel Erfahrung in Krankenhäusern, hat zusammen mit anderen Hebammen eine eigene Form der Schwangerschafts- und Rückbildungsgymnastik entwickelt, von der es auch eine "Power"-Variante gibt, was manche vielleicht lächerlich finden, aber was mich erst mal stark für sie einnimmt. Sie arbeitet mit einer Hebammenpraxis zusammen, die nicht weit von hier liegt, dort bietet sie Kurse in dieser Gymnastik an, man kann dort aber auch Erste-Hilfe-Kurse für Babys etc. machen. Zum Thema Klumpfuß sagte sie "Ja, das ist doch kein Problem. Da machen Sie sich mal keine Gedanken." Ich find's gut, dass sie älter ist. Ich finde es auch gut, dass sie keine Anti-Krankenhaus-Hebamme ist. Und auf die Power-Rückbildung bin ich jetzt schon gespannt.

Hebamme 2: Ist ungefähr 40, arbeitet mit einer anderen Hebamme zusammen, in dieser Praxis gibt es auch Kurse, wenn auch keinen mit "Power" im Namen. Am Telefon hat sie mir erzählt, sie hätte in den letzten zwei Jahren fünf Babys mit Klumpfuß betreut, das kann sie also, ich würde aber mit diesem Problem vermutlich Schwierigkeiten haben, eine Hebamme zu finden. Zum Glück ist sie ja da. Ich fand sie am Telefon sehr sympathisch, aber nicht sehr angetan war ich davon, dass sie das drei mal betont hat: Klumpfuß nimmt sie gerne, andere dagegen... schwierig. Damit hat sie dem Ganzen (und sich selbst) unnötigerweise gleich wieder so eine Schwere mitgegeben, die hoffentlich gar nicht nötig ist. Sie ist die, die im Urlaub ist. Ich glaube fast, ich sage ihr ab.

Was sonst noch?

Huck hat sich das Norovirus eingefangen. Jedenfalls sagt das die Kindergärtnerin und sein Arzt. Von Wikipedias Beschreibung abweichend, ist er abgesehen von der Scheißerei aber quietschfidel. Das führte dazu, dass ich diese Woche nicht die ersehnten zwei freien Vormittage am Donnerstag und Freitag hatte, denn in der Kita durfte er nicht bleiben. Die zweite Woche erst, und jetzt das. Ich hoffe, es geht nicht so weiter. Ich hoffe auch, ich werde hier nicht demnächst Hassreden schwingen auf unverantwortliche Kita-Eltern, die ständig allen ihre Mistviren mitgeben, weil sie einfach keinen Bock (oder keine Chance wegen gnadenloser Chefs) haben, ihre kranken Kinder zu Hause zu behalten.

An Momo denke ich ständig, besonders jeden Tag zwei mal um halb zehn. Da hat sie immer ihre Epilepsie-Tablette bekommen. Nächste Woche gehe ich auf dem Heimweg mal bei ihrer alten Tierärztin vorbei und bringe ihr die restlichen Luminal und die Diazepam-Zäpfchen für Epilepsie-Notfälle; in unserem Stadtviertel gibt es mit Sicherheit einige bitterarme Leute mit epileptischem Hund, die sich darüber freuen. Der Vorrat reicht noch mindestens für drei Monate. Wieder mal glaube ich, an diesem L. ist mehr dran, als das menschliche Auge auf den ersten Blick sieht: Als ich die Tabletten irgendwann Ende Juni gekauft habe, wie immer gleich im Großgebinde für fast ein halbes Jahr, hat er in den Tagen danach ungefähr achtmal gesagt "Aber jetzt muss sie auch noch eine Weile leben, damit wir sie noch aufbrauchen können." Wieso? Keine Ahnung. Sie hat weder gekränkelt, noch war sie mit ihren neuneinhalb Jahren mit einer Pfote im Grab, und obwohl ich jedes Mal so eine Klinikmenge bestelle, hat er noch nie so etwas gesagt. Er bleibt mir ein Rätsel.

Außerdem möchte ich euch um etwas bitten. Wie sich an meinem Sieben-Monats-Bauch und dem kleinen Noro-Ndogo oben im Bettchen zeigt, scheint es ja zu wirken, wenn ihr Daumen drückt. Könntet ihr vielleicht noch mal? Es geht um Drillinge, die zu früh gekommen sind. Eine davon ist jetzt schon in Schwierigkeiten. Aber alle drei kämpfen, und ich will nicht, dass dieser Kampf umsonst ist. Also drückt, liebe Damen, drückt! Ich verspreche auch, ich drücke bei Gelegenheit zurück.

Samstag, 9. August 2014

Ich finde, Füße sind jetzt mal durch.

Liebe Abkürzungsdamen, es gibt bestimmt viele, die meine an Euphorie grenzende gute Laune gestern nach dem Ultraschall nicht nachvollziehen können. Denn der Klumpfuß bleibt ein Klumpfuß, das ist nicht falsch zu verstehen. Der rechte Fuß ist nicht nur nach Innen verdreht, sondern auch in sich nach vorne - würde man nichts unternehmen, dann müsste Ndogo irgendwann auf der querstehenden Außenkante seines rechten Fußes laufen. Und auch der linke scheint nun doch etwas schief zu stehen. Trotzdem bin ich leichten Schrittes und mit einem Lächeln aus der Praxis gewatschelt. Denn sonst scheint wirklich alles, alles in Ordnung zu sein: Hirn, Herz, Rücken, Blutversorgung und Wachstum sahen perfekt aus. Er wiegt jetzt ca. 1100 Gramm, genau richtig. An den Gedanken, mein Kind die ersten Monate seines Lebens in Gips und später zumindest nachts mit einer Schiene zu sehen, habe ich mich längst gewöhnt, mir machte mehr die Sorge Kummer, dahinter oder daneben könnten noch ganz andere, schlimmere Probleme stehen. Und ein zweiseitiges Problem ist auch nicht komplizierter zu therapieren als ein einseitiges - könnte sich sogar als Vorteil erweisen, denn nach einer Klumpfußtherapie ist der betroffene Fuß zwar voll einsatzbereit und hübsch, aber gerne ein-zwei Nummern kleiner als der andere. Ndogo müsste sich ein Leben lang immer zwei Paar Schuhe kaufen. Und ob er die Schiene nun wegen einem oder wegen zwei Füßchen tragen muss, läuft für ihn auf das Gleiche hinaus.

Momo, die alte Fluse, hat wirklich ein großes Loch in diesem Haushalt hinterlassen. Es gab in den letzten Tagen sogar Zeiten, da hatte ich fast das Gefühl, am Ende war sie mir lieber als Lili. So ist das wohl mit Muttis: die Kinder, die am meisten Kummer machen, sind ihnen am liebsten. Oder wie auch immer. Oder ganz anders. Ich komme immer noch nicht darüber weg, dass sie es nicht geschafft hat, nachdem sie so vieles andere geschafft hatte und doch schon fast über den Berg schien. Mit dem etwas unschönen Ausklang mit den Ex-Frauchen habe ich inzwischen meinen Frieden gemacht, Leute gehen eben unterschiedlich mit Trauer um. Ich bin mehr für mich traurig, und sie brauchen eben ihre kleine Klagemauer im eigenen Garten (oder wie auch immer sie das jetzt gemacht haben). Ein bisschen gefuchst hat mich letztes Wochenende, dass die Tränen in dem Moment abgestellt waren, in dem sie ihren Willen durchgesetzt hatten - aber das kann natürlich auch echte Erleichterung gewesen sein. Und nachdem L. noch ein-zwei Tage gehadert hatte, hat er nun auch einen Schlussstrich gezogen. (So weit man nach einer Woche einen Schlussstrich ziehen kann. Ich zum Beispiel gehe immer noch einen anderen Weg, wenn ich mit Lili unterwegs bin und am Horizont ein bekannter Hundebesitzer auftaucht. Ich will nicht davon erzählen müssen. Ich habe es auch noch nicht übers Herz gebracht, ihr altes Fell und das Körbchen wegzuräumen. Vielleicht übernimmt Lili sie ja. Und wenn ich die extra für die Kranke gekochte Hühnersuppe jetzt auftaue und an Lili verfüttere, muss ich rausgehen, wenn sie frisst. Aber ich fange langsam wieder damit an, Brot und Butter weniger als einen Meter weit von der Kante zu deponieren. Irgendwann stelle ich dann Kuchen vermutlich auch nicht mehr auf den Schrank.)

Seit Montag geht Huckleberry außerdem in die Kita. Er macht das ganz toll, und das sage ich nicht nur, weil ich natürlich so ziemlich alles dufte finde, was mein Goldjunge tut und lässt. Einer von uns war Montag bis Donnerstag immer in der Nähe, aber nötig wäre es nicht gewesen: er robbt seiner Wege, guckt sich neugierig und aufmerksam um und knüpft erste Kontakte zu anderen Kindern. Am Freitag haben sie mich weg geschickt, ich habe ihn um zehn gebracht, und statt wie geplant bis elf zu bleiben und dann mit ihm zusammen zu gehen, bin ich verschwunden, und er hat mit den anderen Kindern zu Mittag gegessen. Um zwölf habe ich ihn dann abgeholt. Er hat gestrahlt und mich umarmt, aber bis ich wieder aufgetaucht bin, war er ganz fröhlich und hat den Eintopf in jede Ritze seines Körpers geschmiert. Ab nächster Woche bringe ich ihn morgens auf dem Weg zur Arbeit hin, sein Frühstück in einer Box, und L. holt ihn dann um zwölf. Seine Karre darf zum Glück dort bleiben, das spart mir einiges an Rennerei am frühen Morgen. Ein neues Kapitel hat angefangen, und ich find's gut. L. findet's auch gut. Und Huckleberry scheinbar erst recht.

Montag, 4. August 2014

Momos linker Fuß. Letzter Teil. Vermutlich jedenfalls.

Den letzten Post hatte ich schon heute Mittag geschrieben, aber noch nicht abgeschickt. Inzwischen habe ich L. zusammen mit seiner Mutter überredet, einzuknicken. Stolz bin ich nicht darauf, ich weiß auch noch nicht, ob ich mich damit wirklich besser fühle, aber ich fürchte, es gab keinen anderen Weg, endlich so etwas wie Frieden zu haben und damit anfangen zu können, mit dieser ganzen traurigen Geschichte abzuschließen. Meine Argumente waren: ja, lieber L., Du hast mit allem Recht, Recht, Recht. Aber die Frau ist am Ende. Es geht ihr seit Wochen gesundheitlich furchtbar, sie hatte schon vor dem Unfall keine Kraft mehr, jetzt schon gleich gar nicht. Ihre Art mit dem Hund umzugehen ist eine andere als unsere, wir sind eher die Typen für praktische Tierliebe: pünktliche Mahlzeiten, lange Spaziergänge und eine harte Entscheidung, wenn das Tier irgendwann einfach nicht mehr kann und will. Sie dagegen lebt in einer Welt, in der ein besonderes Band zwischen Hund und Mensch besteht (das ich gar nicht abstreiten will), in der man sich in Krisenzeiten gegenseitig "Kraft schickt" und ein toter Hund nicht die Leiche von etwas ist, das man mal sehr lieb hatte, sondern auch unter der Erde auf keinen Fall allein sein darf. Dass der Hund das im Wald bei unserem Wochenendhaus nicht gewesen wäre - ein ganzes Rudel ebenfalls geliebter Jagdhunde ist dort vergraben, auch Lili wird dort in hoffentlich erst sehr vielen Jahren ihren Platz finden, dort war sie sehr glücklich und hat mit Feuereifer nach Wild geschnüffelt, wir kommen oft zu Besuch, und sein altes Frauchen hätte ihn dort trotz Privatgelände mangels Zäunen jederzeit besuchen können - war ihr egal, sie war davon überzeugt, dass sie und der Hund nur dann ihren Frieden finden, wenn er im eigenen Garten bei ihnen zuhause begraben wird. Jeder andere Vorschlag brachte sie nur wieder zum Weinen. Es gibt nun mal verschiedene Arten von Gerechtigkeit: man kann dem Recht geben, der Recht hat. Oder man richtet sich nach dem, für den mit der Entscheidung mehr steht und fällt. Wir hätten auch gerne eine Stelle gehabt, an der wir an sie denken können. Ich hätte ihr auch gerne ein paar Dinge - ihr Lieblingsfell, zernagte Schuhe, ein paar ihrer meistgeliebten Lebensmittel - mitgegeben. Aber im Gegensatz zu ihrem alten Frauchen brechen wir nicht vollkommen zusammen, wenn das alles nicht passiert. Nun sind sie vermutlich noch mittendrin, ein metertiefes (hoffentlich metertiefes, Ratten, Füchse und dergleichen haben wenig Respekt vor dem besonderen Band zwischen Mensch und Exhund) Loch im Garten auszuheben. Und ich sitze hier, hätte jetzt wirklich, wirklich gerne etwas zu trinken und darf nicht.

Heute Nachmittag bin ich in die Klinik gefahren, ich war dort mit ihr und ihrem Freund verabredet. Ich wollte noch Einiges loswerden - vor allem zu dem Thema, dass es vollkommen daneben war, wie sie am Ende mit L. umgegangen sind. Ihm nach all dem vorzuwerfen, ihm ginge es "nur ums Geld", hat ihn zu Recht schrecklich wütend gemacht. Dass er jetzt eingelenkt hat, war sehr großzügig von ihm und alles andere als selbstverständlich. Ich wollte, dass sie das verstehen. Genau so wichtig war mir aber, Momo auch noch mal zu sehen. Bis es so weit war, hat es gedauert. In einer Tierklinik gehen lebende vor toten Tieren, das leuchtet ein. Eine Ärztin musste aber dabei sein, sie hat den Hund an die beiden ausgehändigt, nachdem ich weg war. Ich habe ihr noch mal gesagt, unabhängig von den zahlreichen Vorwürfen der beiden sind L. und ich überzeugt davon, dass sie alles für Momo getan haben, was sie konnten. Dass sie bei ihnen in guten Händen war. Und dass wir wissen, dass sie den Hund auch gern hatten und sehr traurig sind, dass das alte Mädchen es nun doch nicht geschafft hat. Dann durfte ich sie sehen. Sie hatten mich vorgewarnt, dass sie gefroren wäre und kein schöner Anblick. Ich wollte trotzdem und bin froh darüber. Auch gefroren war sie hübsch, sie hatte immer noch den gleichen Gesichtsausdruck wie sonst auch, und ihre Schlappohren schlappten wie eh und je. Anfassen durfte ich sie nicht, auch weil ich schwanger bin. Aber gesprochen habe ich mit ihr. Ich habe mich bei ihr entschuldigt, dass wir nicht besser auf sie aufgepasst haben. Dass wir sie gerne noch lange Jahre bei uns gehabt hätten, dass wir ihr ein schöneres Ende gewünscht hätten, und dass wir hoffen, dass sie bei uns glücklich war. Dann haben die Ärztin und ich noch ein bisschen geweint, und dann bin ich gegangen. Ich habe das deutliche Gefühl, ich brauche keinen Hundegrabstein im eigenen Garten, um jeden Tag an sie zu denken.

Momos linker Fuß. Und meine rechte und linke Fusselhirnhälfte.

Am Samstag musste Momo eingeschläfert werden. Es ging nicht anders, sie war ganz schwach, fast zu schwach zum Atmen. Sie hatte hohes Fieber, eine Blutvergiftung, die Leber hat versagt. Und das, obwohl die Wunde inzwischen so gut wie zugewachsen war. Niemand weiß so genau, wo es herkommt. Hatte sie doch noch irgendwo einen Verletzung bei dem Unfall erlitten, die bei den Untersuchungen nicht gefunden worden war? War die anstrengende Wundheilung einfach zu viel für ihren Hundekörper? Haben die Ärzte etwas falsch gemacht? Hat sie die Medikamente nicht mehr vertragen? Als ich mich am Tag meines Abflugs von ihr verabschiedet habe, war sie so putzmunter, ich konnte kaum fassen, wie gut sie sich erholt hatte. Sie humpelte grinsend durch den Garten, bellte die Eichhörnchen aus, fraß alles, was man ihr vorsetzte oder nicht, nicht für sie bestimmte Einkäufe inklusive. Sie klaute schon wieder Essen! Sie schnurrte behaglich, wenn man sie an den Ohren kraulte. Dann hat ihr altes Frauchen sie für ein paar Tage zu sich geholt, und es ging ihr plötzlich wieder schlechter. Jetzt ist sie tot. Ich war nicht dabei, wir konnten nicht mehr warten, ich bin erst Sonntag gegen Abend wieder hier gelandet. Und auch damit ist die traurige Geschichte noch nicht zu Ende, denn nun streiten wir uns mit dem alten Frauchen darum, wo sie begraben werden soll. Es ist wirklich eine Farce, und ich stehe mitten zwischen den Fronten. L. hat mit allem, was er dazu sagt, völlig Recht. Ja, wir waren ihre neuen Herrchen und Frauchen, ja, wir möchten sie auch in der Nähe haben, ja, wir haben sämtliche Klinikrechnungen und Futter und Zeckenmittel und überhaupt alles für sie bezahlt und uns jahraus jahrein um sie gekümmert - und das zählt jetzt alles nicht? Trotzdem habe ich auch Mitleid mit dem alten Frauchen, die gerade deutlich über den Rand eines Nervenzusammenbruchs hinaus ist und die bei den täglich drei Telefonaten so sehr weint, dass ich kaum verstehen kann, was sie sagt. Dieses Mitleid und die Solidarität mit L., der in den letzten Wochen in Sachen Momo zu Hochform aufgelaufen ist und das alles ohne mich durchstehen musste und durchgestanden hat, zerreiben mich hier gerade zu einem Haufen trauriger Matsche. Ich kann einfach nicht mehr, die letzten fünf-sechs Urlaubstage standen schon nur noch im Zeichen dieser Hundekrise, und ich bin gespannt auf die Telefonrechnung für die zerheulten Gespräche, die ich noch vom Flughafen Palma aus mit L. und dem Frauchen geführt habe. Ich will L. jetzt nicht hängen lassen, vor allem, weil er Recht hat. Trotzdem kann ich auch nicht so hart sein, wie ich sein müsste, um ihm wirklich die Stange zu halten. Da hat er ein ganz schönes Weichei geheiratet. Dazwischen fehlt mir Momo immer wieder so schrecklich, ich breche beim Anblick von Gebüschen, in denen sie gerne gestöbert hat, von zernagten Schuhen, von ihrem öddeligen Ikea-Schaffell oder ihrem Senioren-Hundefutter in Tränen aus. Ich komme nach Hause, wappne mich für einen Moment gegen den fälligen Angriff der Monsterkralle, dann fällt es mir wieder ein, und ich heule schon wieder. So schnell wird das wohl auch nicht besser werden.
Inzwischen ist hier eigentlich gar keine Zeit zum Trauern und Streiten und Vermitteln. Ndogo hatte heute seinen ersten Kita-Tag. Eine Stunde waren wir da und haben ihm zugesehen, wie er unternehmungslustig sein neues Reich erkundet. Morgen muss ich wieder arbeiten. Freitag haben wir die nächste große und wichtige Untersuchung wegen Würmchen. Und dazwischen ist auch noch der andere Hund, mein Kind, das sich gerade wieder an Mama und Papa gewöhnt, das Haus, die Wäsche, der ganze Kram. Ich weiß genau, irgendwann - vielleicht in drei Wochen, vielleicht auch erst in drei Monaten - wird es einen Tag geben, wo ich beim Gedanken an Momo nicht anfange zu weinen, sondern einfach nur trocken traurig bin. Ich wollte, der wäre schon da. Und ich wollte, harmoniesüchtig wie ich bin, es gäbe irgendwie einen Weg, die Sache jetzt zu Ende zu bringen, mit dem alle leben können. Aber es sieht schlecht aus.

So ist das also, wenn man einen Pflegehund hat. Liebe Abkürzungsdamen da draußen, die den Mut gefasst haben, es mit einem Pflegekind zu versuchen: Hut ab. Ich habe wirklich den allergrößten Respekt vor euch. Ich glaube nicht, dass ich mir auch nur ansatzweise vorstellen kann, wie viel Tapferkeit, unbeirrbaren Optimismus und Konfliktfähigkeit man dazu braucht.