Samstag, 16. September 2023

Wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben und ziemlich viel Louis Cole hören

Für alle, die nach diesen ständigen, endlosen Pausen keine Lust mehr haben und nur kurz wissen wollen, was denn nun ist, bevor sie sich für immer ausklinken: Die Gebärmutter ist draußen, die haben das gut gemacht, das Albertinen kann ich nur empfehlen, und die Kriiiiiise ist nach langen, langen Jahren diesen Sommer in eine Trennung übergegangen. War schön mit Euch!

Jetzt die Maxi-Version: bei der OP ist alles gut gegangen, ich bin danach nicht in eine tiefe Depression gefallen, wie manche Leute in meiner Umgebung prophezeit hatten, und ich nehme weiter Zafrilla, die vielleicht auch etwas dazu beiträgt. Das hat weniger mit außerordentlichen Stehaufmännchen-Qualitäten zu tun als damit, dass ich drei Kinder habe und kein weiteres will. Was das mit einer Frau macht, die wegen ihrer Endometriose viele Jahre Schmerzen, Eingriffe und Kinderwunschbehandlung hinter sich hat und am Ende doch an diesen Punkt kommt, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Ich habe meinen gewaltigen Tampon-Vorrat auf die Agenturtoilette gelegt und lebe jetzt mit wenig Wehmut ohne meine Splatter-Perioden. Ich denke nur noch manchmal so um den 24. eines Monats herum, normalerweise würde ich mich jetzt tagelang krümmen und hätte vermutlich einen weiteren Urlaub genau so geplant, dass ich im Pool jederzeit damit rechnen muss, plötzlich in einer Wolke aus Blut zu treiben oder im Meer die Haie anzulocken.

Für die Wiederaufnahme meines Laufprogramms hat die OP leider weniger getan. Nach den vorgeschriebenen sechs Wochen war ich das erste Mal wieder auf einer extrem kurzen Strecke unterwegs, für einen so winzigen Lauf lächerlich professionell ausstaffiert mit Wettkampfschuhen, High Tech Jacke und Lauf-App, damit ich in der Viertelstunde nicht versehentlich das Tempo überreiße. Und es ging ganz gut! Die Knie und die Hüfte liefen noch etwas unrund, aber ich kam euphorisch und mit trockener Hose zuhause an. Der zweite Lauf, ein paar Tage später im Urlaub, endete nach 100 Metern mit schmachvoller Umkehr und tiefer Verzweiflung. Seitdem habe ich es erstmal gelassen, die Watschen muss ich mir gerade jetzt nicht nochmal abholen. Vielleicht gebe ich der Sache im Herbst, zur besten Laufzeit, wieder eine Chance. Dazwischen kann ich lange spazieren und wandern, Sport auf der Matte machen, und ich habe gerade entschieden, dass ich demnächst das Fechten wieder anfange, das hatte ich im Studium schon mal getan, dann wieder gelassen, und ich glaube, dass das ein perfektes Ventil für meinen neu erwachten Kampfgeist ist. Eine Möglichkeit wäre noch das Netz, das den Beckenboden stützt, doch diese Lösung ist nur für 15 Jahre gut, danach ist das Netz so eingewachsen, dass man es nicht entfernen und durch ein neues ersetzen kann, und ich habe vor, noch länger als 15 Jahre zu leben (und zu laufen). Außerdem scheint der Beckenboden selbst nicht das Problem zu sein. Wunder der natürlichen Geburt! Die Natur weiß es doch am Besten!

Und die Kriiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiise: kurz nach unserem Sommerurlaub war es dann so weit. Nach vielen Jahren mit immer dem gleichen Streit in leicht unterschiedlichen Farbtönen, der zu nichts geführt hat als zu Kummer und noch mehr Streit. Nach ganzen anderthalb Sitzungen beim Paartherapeuten (anderthalb, weil ich zu der zweiten alleine gegangen bin). Nach ganz viel Trauer um die guten Zeiten, nach nächtelangem Brüten über den alten Fotos von uns, als alles noch gut war. Es tut mir leid, zu viel Detail gibt es nicht, L. hat auch Augen und einen Internetzugang, und das ist alles schon schlimm genug für ihn. Er wollte erst die Nestlösung, bei der die Kinder im Haus bleiben, wir beide eine kleine Satellitenwohnung haben und uns dann die Klinke in die Hand geben. Das wollte ich auf keinen Fall, denn damit wäre zumindest der Alltags-Nervkram-Aspekt unseres Dauerstreits bis ins Unendliche weiter gegangen, und nach so langer Zeit in einem Haus, das so dermaßen eher seins als meins ist, wollte ich eine eigene Umgebung für mich und die Kinder, in der ich die Möbel aussuche, die Bilder aufhänge und den Kühlschrank befülle und die Küchenschränke genau so einräume, wie es mir passt. Ein paar verzweifelte Wochen lang habe ich nach dieser Wohnung in unserem leider und völlig zu Recht extrem beliebten Beritt gesucht, es ist so gut wie aussichtslos: auf jede Wohnung, die groß genug ist, kommen Dutzende von Bewerbern, und kein Vermieter dieser Stadt würde sie mit dieser Auswahl einer Frau ohne Mann, aber mit drei Kindern geben, egal, wie gut sie verdient. Es sei denn, er hätte genau das gleiche auch durchgemacht und ein sehr großes Herz. Dabei stand für mich die ganze Zeit die perfekte Lösung im Raum: L. überlässt mir den Mietvertrag für seine Arbeitswohnung, die zwar ein bisschen, aber nur ein bisschen zu eng für uns ist. Erst wollte er das auf keinen Fall, und es hat mich wochenlange Hartnäckigkeit und all meine Überredungskünste gekostet, ihn von seiner geliebten Junggesellenbude loszueisen.(Sagte ich Kampfgeist? Kampfgeist.) Jetzt machen wir einen neuen Mietvertrag, und zum ersten November kann ich hier rein. In Anbetracht von allem Unglück, durch das wir gerade knietief waten, ist das ein großes Glück: es wird zwei große Kinderzimmer für drei Kinder geben, die Wohnung ist zwar in einem äußerlich hässlichen Haus, ist aber selbst sehr schön und hat - Luxus über Luxus - mitten in der Stadt einen großen, schönen Garten, in dem man abends sitzen und jemandem zuhören kann, der bei offenem Fenster gar nicht mal so schlecht Klavier spielt. Von April bis Oktober gibt uns dieser Garten noch mehr Platz. Ich muss in dieser Wohnung noch nicht mal eine Waschmaschine unterbringen, die gibt es im Keller. Wir sind 12 Minuten zu Fuß vom Haus entfernt, die Kinder können weiter zu Fuß zur Schule, zum Sport und zu ihren Freunden, und sollten sie mal bei L. sein und er wird plötzlich von der Grippe gefällt, dann laufe ich kurz rum und hole sie. Sollte ein Kind sein Lieblingsschnuffeltier oder sein Matheheft vergessen, auch. Ich wohne am Rande eines Viertels, in dem es ein schönes Kino gibt, ganz viele Cafés, und das ich zwar schon gut kenne, aber in dem ich in der kinderfreien Woche durch die Straßen wandern kann, als wäre ich im Urlaub. Ich habe viel vor mit der kinderfreien Zeit. Ich werde sie vermissen, aber in ein paar Tagen habe ich sie wieder, und dann werden wir tagelang streitfrei zusammen sein. Auch wenn ich diese Momente voller Aufbruchstimmung habe, macht es mich fertig: nicht mehr zu wissen, wo ich hingehöre. Etwas aufzugeben, das ich jetzt 17 Jahre lang hatte. 50 zu sein und keine Ahnung zu haben, wie es weitergeht. Ihn so traurig, enttäuscht und wütend zu sehen (und mich auch). Die Kinder, die das bisher bewundernswert wegstecken, jedes auf seine Weise, aber das dicke Ende wird schon noch kommen (wir holen uns Hilfe, und die werden wir auch brauchen). All der Kram, den ich jetzt bedenken und organisieren muss, all die Listen, die ich schreibe und abarbeite. Das hält einerseits das Maschinchen gerade am Laufen, aber am anderen Ende all dieser Endlos-Listen wartet eine Wand auf mich, an der ich mir gewaltig den Kopf stoßen werde, bei klarer Sicht kann ich sie jetzt schon sehen.

Diesen Post schreibe ich frühmorgens, an der Terrassentür der Wohnung, für die Jahreszeit übertrieben dick eingemummelt, denn ich habe gerade zum dritten Mal Corona, habe es auch tatsächlich, und nicht nur diese fühlt-sich-an-wie-ein-Schnupfen-Variante, und habe mich zur Quarantäne hier verschanzt. Der Große hat dieses Wochenende das Klassentier, es ist jetzt schon verschwunden, ich bin nicht da, um es wiederzufinden, Fotos zu machen und am Montag auszudrucken und mit ihm in das Klassentier-Buch einzukleben, und es gibt nichts, was ich daran ändern kann. So sitze ich hier und übe schon mal für die Wochen in der Zukunft, wenn ich die Zügel aus der Hand geben muss.