Freitag, 29. Juni 2012

Das Label "Normales Leben" war selten so unangebracht wie bei diesem Post, aber die anderen passen noch weniger.

Ich lernte M2 an einem Freitag auf einem Bahnhof kennen. Er trug eine graue Mehrzweckjacke und eine Schiebermütze und sah aus wie ein schlauer junger Mann, der aus irgendwelchen Gründen die Schrulle pflegt, sich wie ein Rentner zu kleiden. Ich habe damals neben dem Studium gekellnert und für eine Zeitung geschrieben, aber machte mir schon ab und zu Sorgen, ich bräuchte noch einen Job, der mehr mit meinem Fach und erklärtem Berufsziel Psychologie zu tun hätte. Deshalb hatte ich mich beworben für einen Platz am Studenten-Sorgen-Telefon. Ich stellte mir vor, ich würde nachts um eins auf einem Cordsofa sitzen und wildfremden Menschen einen Grund geben, heute Nacht nicht vom Balkon zu springen. Ich stellte mir außerdem vor, mein Leben würde um Einiges aufregender, inhaltsvoller und bedeutsamer werden. An diesem Wochenende sollten alle zusammen - alte Hasen und neue Hasen - mit der Bahn aufs Land fahren und zwei Tage lang das Handwerk lernen, andere Menschen davon abzuhalten, sich von Balkonen zu stürzen. M2 war damals zwar auch erst seit anderthalb Jahren dabei, aber ihn umgab eine Ausstrahlung gottgegebener Autorität. Wenn sich hier jemand auskannte, dann er. Es dauerte ungefähr zehn Minuten, dann interessierte mich eigentlich nur noch, wo er gerade war, wie er gerade guckte und was er gerade sagte und dachte. Ohne ihn jemals anzusprechen, war ich wild entschlossen, für ihn und nur für ihn der klügste, fixeste, verständnisvollste, empathischste und insgesamt funkelndste neue Hase am Platz zu sein. Falls M2 etwas davon merkte, ließ er es sich nicht anmerken. Mit leicht süffisantem Gesichtsausdruck saß er still und beobachtend auf einem Cordsofa und stand über den Dingen, dammit.

Dann fuhren wir zurück in unser Schnarchstädtchen, und der Dienst begann. Es stellte sich ziemlich schnell heraus, dass diese segensreiche Einrichtung eigentlich nur zwei Kunden hatte, von denen keiner studierte und keiner akut selbstmordgefährdet war. Beide riefen zu fast jedem Dienst an und erzählten immer das Gleiche. Taten sie das nicht, blieb das Telefon stumm, und wir saßen völlig umsonst paarweise bis zwei Uhr nachts in der muffigen Telefonbude herum. Genau wie schon als Schulmädchen wollte ich M2 für mich einnehmen, aber er durfte nichts davon merken. Mich für jeden seiner Dienste einzutragen, stand also außer Frage. Aber irgendwann kam der Tag, an dem ich ganz beiläufig und unauffällig dafür sorgen konnte, dass diesen Abend die Cordcouch uns gehört. M2 kam, sah aus wie ein Rentner und guckte süffisant. Dann schlug er vor, wir sollten zusammen auf dem einen Meter dicken Fernseher in der Muffbude "Der letzte Tango in Paris" gucken, eigentlich echt zu viel für ein erstes Date (das das hier ja nicht war), aber mit dem Alibi versehen, ein Filmklassiker zu sein. Immerhin: Marlon Brando! Wir guckten uns die schöne Ferkelei also an, und ich schwitzte Blut und Wasser, während Marlon seiner Freundin ein Stück Butter in den Po schob. M2 wirkte, als würden wir uns gerade die Tagesschau ansehen. Nach dem Dienst verabschiedete er sich höflich und ging seiner Wege, und bei unserem nächsten Treffen auf dem Sommerfest tat er so, als würden wir uns nicht kennen. Ich hatte das deutliche Gefühl, hier hatte mir jemand eine Lektion erteilt, aber ich kam nicht drauf, welche.

Dann kamen die Emails. Ich hatte die Öffentlichkeitsarbeit übernommen und musste ständig Rundmails verschicken. M2 antwortete. Und was für Antworten! In meinem ganzen Leben hat sich nie vorher oder nachher jemand so viel Mühe gegeben, mich schriftlich anzuflirten. Niemals wieder habe ich solche Liebesbriefe bekommen: so raffiniert, so lustig, so eindeutig zweideutig und so unverschämt. Nach der ersten Mail dieser Art war klar, dass ich meine Rundmails aus egal welchem Anlass für ihn schrieb und nur für ihn. Es gab Tage, da stieg ich bei strömendem Regen auf mein tonnenschweres drei-Gang-Panzerfahrrad, fuhr die fünf Kilometer Landstraße in die Innenstadt, setzte mich an den Rechner in meinem Hiwi-Zimmer und schrieb eine ansonsten vollkommen überflüssige Rundmail, um danach wieder nach Hause zu fahren, mit dem Panzerfahrrad den Berg hoch und alles. Aus meinen Haaren tropfte Regenwasser auf die Tastatur, die Erkältung des Jahrhunderts bahnte sich an, aber ich war wie im Fieber. Sahen wir uns allerdings live bei einer der bräsigen Grill-Veranstaltungen oder Wanderungen, behandelte er mich wie Dreck. Einmal hatten wir uns morgens um neun noch geschrieben, und er hatte sich gewünscht, was ich zur Wanderung zwei Stunden später tragen sollte. Ich hatte daraufhin meine karierte Hose und das schwarz-weiße Top noch schnell im Waschbecken gewaschen und trockengeföhnt, nur um im Pulk fünf Stunden lang durch den Wald zu stapfen, von M2 vollkommen ignoriert bis auf einen Rüffel, das sei widerlich und ungehörig, dass ich meine Kirschkerne im Laufen in den Wald spuckte. Ich dachte, er würde sich auf mich freuen. Ich dachte, er würde vielleicht sogar meine Hand nehmen. Ich dachte, wir würden hinterher noch etwas trinken gehen. Ich dachte, das hier würde unser Offline-Date, und die anderen wären uns egal, genau wie das Online schon seit Monaten lief. M2 sah das offensichtlich anders. Das hier war scheinbar Lektion Nr.2, und man hätte mich prügeln können, ich hätte nicht gewusst, worin sie bestand und was der Sinn der Sache sein sollte. Jeder vernünftige Mensch hätte sich nach diesem Tag gesagt, weißt du was, M2, leg dich doch einfach gehackt. Ich dagegen war damals in einem Zustand, in dem vollkommen egal geworden war, was ich eigentlich von M2 hielt. Für mich zählte nur noch, was M2 von mir hielt, und offensichtlich hatte ich wieder mal etwas falsch gemacht oder nicht kapiert. Ich zeigte mich weiter von meiner besten Seite, M2 zeigte sich weiter von seiner unfreundlichsten, unzugänglichsten und arrogantesten. Es sei denn, wir schrieben. Dann war alles beim Alten.

Ein Jahr später fuhren wir wieder zum Schulungswochenende. Diesmal war ich einer der alten Hasen. Wir kamen an, ich warf meine Tasche und meinen Schlafsack auf eines der Etagenbetten, und Telefonkollegin R. warf ihre aufs Nachbarbett. Ich hatte mich keine zehn Sekunden umgedreht, da hatte M2 Rs Tasche in die Ecke geworfen und seinen eigenen Kram auf das Bett neben meinem gelegt. Kommentarlos und unnahbar wie eh und je und offensichtlich nicht zum Plaudern aufgelegt, ging er wieder seiner Wege. An diesem Abend lagen wir nebeneinander in der Dunkelheit, und M2 rückte näher und näher. Irgendwann lag sein Arm auf mir, irgendwann war sein Gesicht ziemlich nah an meinem, irgendwann hatte ich so etwas wie einen Kuss auf der Wange - falls man das Kuss nennen kann, wenn jemand seine eigene Matratze ohne Not verlassen hat, um auf der Nachbarmatratze zu liegen, dann sein Gesicht so dreht, dass es das Nachbargesicht berührt, und dabei den Mund bewegt, ohne dass ein Geräusch herauskommt.

An dieser Stelle muss ich kurz daran erinnern: wir waren damals Studenten Mitte und Ende 20, beide Singles, die sich seit über einem Jahr kennen und offensichtlich irgendetwas voneinander wollten, wenn man auch nicht wirklich sagen könnte, was genau und wozu. Hier und jetzt ist die Gelegenheit, ein ansonsten menschenleerer Schlafsaal, Gitarrengeklampfe von Ferne, und die Eltern sind auch nicht in Sichtweite. Und das war alles, was passierte? Das, liebe Abkürzungsdamen, war alles. Offensichtlich war das schon zu viel. Am nächsten Morgen schlug M2 die Augen auf, blickte in mein lächelndes Gesicht und verließ den Raum, als würde es brennen. Das tat er für den Rest des Wochenendes mit jedem Raum, den ich betrat. Ich war ratlos. Hatte er eine seltene Erbkrankheit? Seiner Mutter auf dem Sterbebett geschworen, niemals eine andere zu lieben? Roch ich aus dem Mund? Oder war er einfach nur komplett und drei Sterne meschugge?

Und haltet ihr mich jetzt für drei Sterne meschugge, wenn ich euch sage, dass es das trotzdem für mich noch nicht gewesen war? Hatte ich sie noch alle? Bzw. Schläge verdient? Jaja. Aber ihr hättet erleben müssen, wie ungerecht schwer es war, in dieser Schnarchstadt einen Jungen zu finden, der mich nicht in den Wahnsinn trieb. Und ihr hättet diese Emails lesen müssen.

Ok, die Geschichte schreit an dieser Stelle nach einer Vorspultaste. Ich spule also. Ein halbes Jahr später sitze ich bei ihm zuhause in seiner wirklich schlimm nach Jungs riechenden, winzigen Bude, auf seinem winzigen, ungemütlichen Bett, und jetzt gibt es endlich einen Kuss. Ab diesem Moment sind wir zusammen, und die Augenblicke, in denen ich mich frage, ob ich sie eigentlich noch alle habe, werden nicht weniger. Es kommt z.B. vor, dass wir beide in einem Auto sitzen, das mich kurz zuhause absetzt, wo ich eine Ladung Gepäck loswerde, woraufhin wir noch weiter fahren zu ihm, wo ich übernachten soll. Dort angekommen stelle ich fest, dass mein Waschbeutel nicht mehr im Auto ist, den ich aber brauche, so ist das, wenn man Kontaktlinsen hat (und Zähne und Haare und Achselhöhlen). Der Waschbeutel ist nicht zu finden, so kann ich hier nicht bleiben, und es ist vollkommen klar, dass M2 ihn ins Haus getragen haben muss, denn ich war es nicht. M2 bekommt einen Wutanfall. M2 wird so wütend, dass er sich komplett weiß verfärbt. M2 will jetzt nicht mehr mit mir sprechen und auch nichts davon hören, dass ich den Bus nach Hause nehme und in einer Stunde wieder hier sein kann. M2 schmeißt mich achtkantig raus. Ich fasse es nicht und will ihn von Zuhause aus anrufen, aber er geht nicht ans Telefon, so wütend ist er. Er spricht erst drei Tage später wieder mit mir, um mir mitzuteilen, dass er wirklich, wirklich wütend ist und eigentlich keinen Sinn darin sieht, mich wiederzusehen. Und was mache ich? Ich sitze rauchend und schimpfend mit meinen Freunden auf dem Balkon, und dann schleiche ich mich an einen Rechner und schreibe M2 eine Mail. Keine Bettelmail, ganz so schrecklich ist es nicht, aber immer noch schrecklich genug: eine Mail, in der ich versuche, Licht in das Dunkel zu bringen, das diesen Vorfall umgibt. Ihm zu erklären, wie verwirrend und unverständlich das alles für mich ist. Ihm außerdem noch mal zu sagen, dass vermutlich er den Waschbeutel... was tue ich hier eigentlich? Ich rekonstruiere den Fall des vergessenen Waschbeutels? Hätte ich in diesem Moment auf ihn gepfiffen und auf meine Freunde gehört, wäre es mir doch nur egal gewesen, was das alles zu bedeuten hatte (im Zweifel nichts Gutes), hätte ich ihn einfach nur ausgelacht und es sein lassen, hätte ich mir (und ihm vielleicht auch) viel Kummer erspart. Hab ich aber nicht.

Ein paar Wochen später hatte ich plötzlich von heute auf morgen einen Praktikumsplatz in der dollsten Werbeagentur des Landes und zog nach Hamburg. Jetzt hatten wir eine Fernbeziehung. Ein M2, der vor Stolz auf seine Karrierefreundin platzte, weniger von diesen Treffen, die jedes Mal ein mulmiges Gefühl zurück ließen, und täglich einen Meter betörender, hirnbetäubender und grundkomischer Emails. Ich arbeitete mir außerdem das Hirn wund und hatte einfach keine Zeit, mir Gedanken um mein Liebesleben zu machen. Wir sahen uns vielleicht zweimal im Jahr. So ging das zwei Jahre lang. Dann lud ich M2 ein, mit mir ins agentureigene Ferienhaus auf Sylt zu fahren. Schon die Fahrt war ein Desaster. M2, der von meinen organisatorischen Fähigkeiten rein gar nichts hielt, hatte es unternommen, sich um die Zugfahrt zu kümmern und dabei übersehen, dass der Zug ab Altona fuhr (wie alle Sylt-Züge ab Hamburg) und nicht ab Hauptbahnhof. Das merkten wir erst, als wir im Hauptbahnhof vor der Abfahrtstafel standen. M2s beispielloser Geiz verbot es jetzt, in ein Taxi zu springen und draufzuhalten. Wir kamen in Altona an und sahen den Zug gerade noch hämisch kichernd aus dem Bahnhof verschwinden. Der nächste fuhr eine Stunde später und hatte eine Stunde Aufenthalt in Husum. M2 war wütend. Nicht auf sich, auf mich. M2 sprach die ganze Fahrt über keinen Piep mit mir. Endlich kamen wir an, es war schon dunkel. Und M2 stratzte vorneweg und würdigte mich keines Wortes oder Blickes, während ich mit meinem tonnenschweren Koffer (der UNSER Bettzeug, UNSERE Handtücher und UNSERE Bücher enthielt) hinterherschleppte wie seine türkische Ehefrau. Das war wieder so eine Sollbruchstelle. Warum warum warum habe ich nicht, als wir beim Haus ankamen, zu M2 gesagt: so, mein Lieber, ich gehe jetzt hier rein und du nicht, ein schönes Leben noch, du weißt ja, wo es zum Bahnhof geht? Warum nicht? Wie gerne würde ich mich daran erinnern, wie ich das getan habe, und an seinen Gesichtsausdruck. Ich habe es aber nicht getan, warum auch immer. Zwei trostlose Tage später. Wir sitzen im Fischrestaurant, M2 ordert, ganz Lebemann, für uns zusammen ein Viertel Weißwein und nimmt meine Hand. Ich bin starr vor Schreck und denke, bitte bitte, lieber Gott, jetzt keinen Heiratsantrag. Ihr werdet (falls überhaupt möglich) noch verständnisloser gucken und euch fragen, wieso das denn? Nach all dem Ärger? Ich kann euch das nicht näher erklären, aber genau so war M2. Dass er ein Jackett trug und überhaupt Alkohol bestellt hatte, war schon ein Erdrutsch. Zum Glück kam kein Antrag. Stattdessen wählte M2 diesen Abend, um mir endlich zu sagen, was los war: M2 war Sadist. Nicht "jemand, der anderen gerne Vorschriften macht" oder "jemand, der gerne Fliegen die Beinchen ausreißt", sondern Sadist. Mit Orgien am Wochenende, Peitschen, Schlägen, Demütigung zum Spaß und dem Drang, jeden Pieps und jeden Mucks seines Partners immer und überall zu kontrollieren. Und ich Blödi hatte keine Ahnung gehabt. Ich dachte, M2 ist Physiker, die sind halt so. Oder ich dachte, M2 hatte noch nie eine Freundin, die sind halt so. Oder ich dachte, M2 ist halt so. Das war übrigens auch das gewesen, was M2 mir geantwortet hatte, wenn ich früher schon mal gefragt hatte - in den wenigen Momenten, in denen das keinen Wutanfall zur Folge gehabt hatte - was eigentlich los ist. Auch jetzt war M2 sich übrigens keiner Schuld bewusst, mir das nicht verdammt noch mal einfach früher gesagt zu haben. Er hatte schließlich Zeichen genug gesetzt! Ich war baff. M2 erläuterte: wenn wir zum Beispiel zusammen durch einen Supermarkt gegangen waren, er hatte den Einkaufszettel vorgelesen, und ich hatte daraufhin - auf seine ANWEISUNG hin - die Sachen aus den Regalen in den Wagen gelegt? Na? Na? Oder als er gesagt hatte, seines Rückens wegen sollte ich ihm bitte den Gefallen tun und ihm das Bett lassen, während ich auf der Matratze daneben schlief? 20 Centimeter tiefer? Na? Na? Und dergleichen mehr.

Am Ende hatte ich dreieinhalb Jahre mit jemandem verbracht, der offensichtlich so ziemlich der letzte Mensch ist, mit dem man ein Kind haben sollte. Das ist allein meine Schuld, und ich könnte mir in den Hintern beißen. Nichts von alledem ist so schrecklich für mich wie die Scham darüber, das tatsächlich alles mitgemacht zu haben wie ein blödes Schaf. Was für eine bin ich denn, mit so jemandem tatsächlich zusammen gewesen zu sein? Der Tag, an dem ich endlich und endgültig und trotz seiner Proteste (totaler Kontrollverlust. Das Schlimmste, das absolut Grauenvollste, das so jemandem passieren kann.) mit ihm Schluss gemacht hatte, war für mich ein Tag der Befreiung. Ich heulte Rotz und Wasser und war glücklich. Ob damals meine Eileiter und mein Unterbauch auch schon in so einem desolaten Zustand waren, weiß ich nicht und werde es auch nie wissen, ich hatte damals noch nicht mal eine Ahnung, was eine Bauchspiegelung ist. Und selbst, wenn M2 nicht gewesen wäre, war niemand anders in Sicht, in den ich heimlich verliebt gewesen wäre und den ich seinetwegen sausen gelassen hätte. Aber wann immer ich damit konfrontiert werde, dass ein großer Teil der Leute da draußen der Meinung ist, wir hätten halt einfach früher anfangen sollen mit dem Kinder kriegen, dann hätten wir jetzt nicht den Salat, dann denke ich an M2. Und dann denke ich Nee, Nee, Nee. So einfach ist das alles nicht. Aber längst nicht. Und dann danke ich den höheren Mächten, dass ich zwar bei aller Beklopptheit und Begriffsstutzigkeit dreieinhalb Jahre mit ihm verbracht habe, aber wenigstens haben wir kein Kind. Wenigstens das. Denn ehrlich, schlimmer, als kein Kind mit L. zu haben, wäre es, ein Kind mit M2 zu haben. Aber deutlich.

Versteht mich hier eine? Wenigstens ein bisschen?

Mittwoch, 27. Juni 2012

Ich brauche meinen schwarzen Rollkragenpullover, sofort.

Heute ist es so weit: heute ist der Tag, an dem mehr Menschen, die ich mag, tot sind als lebendig. Obwohl ich nicht mitgezählt habe, bin ich mir sicher. Nora Ephron ist tot, sie war erst 71, und sie hätte so eine fabelhafte 85jährige abgegeben.

Ich hab keine Lust, über irgendwelchen Hundekram, Adoptionskram oder Kinderwunschkram zu schreiben. Auch meine Diätbemühungen und -entmühungen sind mir heute wumpe. Stattdessen will ich euch zeigen, warum mich das so traurig macht. Hier der Link zu einem Text, den sie vor zwei Jahren im New Yorker veröffentlicht hat, und der auf einer Seite alles sagt, was an Stig Larssons Büchern so wahnsinnig blöde ist.

Ich weiß nicht, was ihr heute Abend treibt. Aber ich werde mich mit meiner "When Harry met Sally"-DVD ins Bett verziehen und dazu ein gewaltiges Stück Apfelkuchen essen, das Vanilleeis auf einem Extrateller.

Montag, 25. Juni 2012

Die Tiere sind unruhig

Wie lange ist das jetzt her, neun Tage? Warum, weiß ich auch nicht. Mich überfällt gerade so eine große, wattige Müdigkeit, sobald ich eine Tastatur unter den Fingern spüre. Könnte kompliziert werden in Job, wenn es dabei bleiben sollte. Ansonsten muss ich darauf hoffen, dass die Spracherkennungstechnologie weiter voranschreitet, sonst ist es bald Essig mit den schönen Überweisungen für selbstgebastelte Texte. Chrrr-püüü.

Inzwischen habe ich ein paar Dinge wiederentdeckt, die mir viel Spaß machen. Zum Beispiel, mehrere Abende hintereinander keinen Alkohol zu trinken und bei Eistee mit Zitrone mit einem schönen Buch auf der Couch zu sitzen. Oder den Spaß daran, die Hütte voll mit Menschen zu haben, sie zu bekochen und jede Sekunde davon zu genießen. Den Spaß am Bügeln. Doch, ehrlich! Ich habe wohl gerade eine häusliche Phase, die muss ich nutzen. Ich stapele frisch gewaschene und in der Sommerbrise auf dem Balkon getrocknete Handtücher auf Kante im Schrank, und dann schneide ich mir einen Apfel klein und lese noch ein paar Seiten. Ich versuche gerade, meinem Tag jedes kleine Fitzelchen Ruhe, Ordnung und Entspannung auszusaugen. Nötig ist es. Denn seit gestern Mittag haben wir einen Stargast: Momo ist jetzt Lilis Pflegeschwester. Ein siebenjähriges Airedale-Mädchen mit wolligem Fell und zehn Kilo weniger Muckis auf den Rippen als unser Borstenviech. Außerdem deutlich schüchterner, und Lili, die sonst so zauberhaft zu jedem Hund auf der Wiese ist (für Pinscher macht sie sich klein, damit sie keine Angst vor ihr haben, mit Labradoodeln donnert sie durchs Unterholz, dass die Erde bebt) zeigt sich plötzlich von ihrer zickigen Seite. Momo, das ist jetzt schon klar, ist erstens eher auf Frauen fixiert und braucht zweitens viele Streicheleinheiten gegen das Heimweh. Alle paar Sekunden steht sie vor mir und möchte an den weichen Ohren gekrault werden. Kaum fange ich damit an, bohrt Lili schon ihren Dickschädel zwischen meinen Knien hindurch und will auch. Gestern hat Momo einen zaghaften Versuch unternommen, zu mir auf die Couch zu steigen, da war Lili auch schon zur Stelle und hat es irgendwie geschafft, mit behaglichem Seufzen unser dreisitziges Sofa komplett auszufüllen. Sie führt sich auf wie eine Reisegruppe im All-inclusive-Urlaub, auf allem liegt ihr Handtuch. Mein Sofa, mein Wasser, mein Stock, mein Stück Fußboden, mein Park, mein Frauchen. Vor allem mein Frauchen. Momo kann kein Tröpfchen Pipi auf die Wiese machen, ohne dass Lili sofort die doppelte Menge an die gleiche Stelle setzt. Und wir sind hin- und hergerissen: einerseits soll Lili wissen, dass Momo ihr nichts von ihrem Revier und ihrem Status wegnimmt, andererseits kann man sie für ihr bulliges Benehmen auch nicht ständig belohnen. Gerade sind wir zu dem Entschluss gekommen, die zwei das unter sich ausmachen zu lassen, jedenfalls, bis Lili zu hart rangeht (was sie normalerweise nicht tut, sie verlässt sich sonst eher auf ihre Ausstrahlung als auf ihre Zähne) und ansonsten zu beiden Hunden ruhig, freundlich und bestimmt zu sein. Mal sehen, wie lange der Entschluss steht.

Und dann war da noch der Stammtisch. Eigentlich gerne sofort, aber meine Geschwister wollen zu Besuche kommen, wissen aber noch nicht, wann. Abkürzungsdamen, können wir noch zwei-drei Tage warten, bevor wir anfangen, einen Termin zu machen? Ich wäre ja aus lieber Gewohnheit wieder für die Gloria Bar. Ich bin dann die mit dem guten Buch und dem Kräutertee, gell?

Samstag, 16. Juni 2012

Wir sprengen den Haushalt und erklären das zum Feuerwerk

Heute hat L. Geburtstag. Um sieben kommen ca. 30 Gäste. Und ich sitze hier und bin so dermaßen tiefenentspannt, dass es eine wahre Pracht ist, vor allem, wenn man bedenkt, dass diese Woche bei uns die Fußböden abgeschliffen wurden (sah aus wie Sau, überall, wo es nicht staubig war, stand Möbeltetris herum) und wir nicht vorhaben, Pizza für die Party zu bestellen. Das liegt daran, dass ich gestern schon bestimmt vier Stunden in der Küche verbracht habe. Mann, war ich glücklich. Viel schöner kann es für mich nicht werden: meine Playlist auf L.s iphone-Musikdings, drei Töpfe auf dem Herd, ein Berg Zutaten, die noch verarbeitet werden müssen, und dazu ein Glas Wein. Bisher habe ich hergestellt:
1 Erdbeertorte, die um Mitternacht überreicht wurde
1 Salat aus dicken Bohnen (für die Vegetarier, die meinen Nudelsalat nicht essen können)
5 Kilo mit Knoblauch und Zitrone marinierte Hühnerflügel
1/2 Liter Dillsauce für den Gurkensalat, den ich nachher noch schnibbele
eingelegte Zwiebeln für den Tomatensalat
1 Fass Nudelsalat mit Erbsen, Tomaten, Gürkchen und Fleischwurst
Chiliöl für den Halloumi, den wir nachher für die Vegetarier grillen, die weder Hühnerflügeln noch Würstchen viel abgewinnen können
1 Kilo Zitronen-Chili-Parmesan-Kräuterbutter für die Baguettes
Crumbleteig für zwei riesige Formen mit Beerencrumble

Nun kommt L. ins Spiel. L. hatte bisher vor allem die Funktion, Dinge, die ich in den Einkaufswagen gelegt habe, wieder herauszunehmen. Ich bin nicht im Krieg aufgewachsen und auch nicht mit sieben gefräßigen Brüdern, aber irgend etwas in meiner Natur graut sich davor, dass Gäste irgend etwas wollen könnten, das aber schon alle ist. Wäre ich reich, dann würde ich für Gäste Zigaretten und Champagner bunkern. Bin ich aber nicht. Darum bleibt mir nur die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass auf dem Buffet auf jeden Fall keine Schüssel leer wird. Wenn ich also im Supermarkt vor dem Regal mit den Chips stünde und im Begriff wäre, acht Tüten in den Einkaufswagen zu legen, und jemand würde zu mir sagen "bist du SICHER, dass das reicht? Nimm doch lieber fünfzehn!" dann würde ich das sofort tun. Tut aber keiner, weil ich im Zweifel sowieso fünfzehn nehme. Die armen Mädchen können ein Lied davon singen, weil ich in unseren Urlauben in der Küche am Ruder bin und regelmäßig das Budget sprenge, damit bloß jeden Abend zwei Kilo Essen übrig bleiben.
So auch diesmal. Bis heute morgen: das Geburtstagskind erwachte nach acht Stunden erfrischendem Schlaf, rieb sich die Augen und verkündete strahlend, heute drei Sorten Sorbet zubereiten zu wollen. Welche Früchte mir geeignet erscheinen würden? Ich rieb mir auch die Augen und fragte mich leise, wo in unserer knackvollen Tiefkühltruhe die Sorbets wohl unterkommen sollten, und dankte der Vorsehung, die mich gestern schon einen Großteil der Küchenarbeit hat erledigen lassen, bevor L. anfängt, die Küche in die Montessori-Sorbetwerkstatt zu verwandeln. Heute ist in unserem Stadtteil Markt. Ich war geduscht und angezogen und wollte los. Auf meiner Liste standen fünf Kilo Hühnerflügel, außerdem ca. acht Baguettes, außerdem Sprite für Alstertrinker und drei Säcke Eiswürfel. Ich winkte aufmunternd mit dem Autoschlüssel, L. war entgeistert. "Du willst mit dem Auto fahren? Ich dachte, wir gehen schön zu Fuß?" Ich winkte noch mal. Widerstrebend fand L. sich damit ab. Mit fünf Kilo Hühnerflügeln am einen Arm und acht Baguettes unter dem anderen bummelte ich mit L. von Obststand zu Obststand. Liebe Abkürzungsdamen, was soll ich sagen: L. hat drei Säcke Tiefkühlhimbeeren, zehn Mangos und zehn (10.) Schalen Erdbeeren gekauft. Ich glaube, ich gehe gleich drei Stunden mit dem Hund.

Lieber L., solltest du das hier lesen: du bist wirklich die Sonne meines Lebens, der größte Schatz, den ich auf dem Planeten habe, und kein Mensch würde auf die Idee kommen, dass Du heute 42 geworden bist. Einen dicken, nassen Kuss für dich, und im Lauf des Abends sicher auch noch ein paar mehr. Ich bin mir sicher, das Sorbet wird köstlich. Köstlich! Ganz, ganz viel Spaß bei der Zubereitung wünscht Dir Deine

Flora

Dienstag, 12. Juni 2012

Eat, Pray, Hate.

Letztes Wochenende lag ich krank und schniefig im Bett. Der Kopf brummte zu sehr für ernstzunehmende Lektüre, genau genommen für jede Lektüre. Also habe ich mir ein paar Filme im Netz geliehen, die mir für Kino nicht gut genug gewesen waren. Einer davon war "Eat pray love". Wenn eine sagt, ich bin ungerecht, mich so über einen Film aufzuregen, den ich nur zu einem Drittel gesehen habe, hat sie Recht. Trotzdem soll man in seinem Blog ja ehrlich sein, und ich habe mich fürchterlich aufgeregt. Der Film hat mir mehr Schweiß auf die Stirn getrieben als die ca. vier Liter kochendheißer Salbeitee, die ich dazu getrunken habe.
Ich muss ein bisschen weiter ausholen, glaube ich. Hat eine von euch auch so gerne die Gilmore Girls gesehen? Alleinerziehende Mutter lebt mit blitzgescheiter Tochter in einer idyllischen amerikanischen Kleinstadt, und das Maschinengewehrmundwerk der beiden wird nur von ihrem Appetit übertroffen. In jeder Folge gibt es eine Junk-Food-Orgie aus Käsebällchen, Cookies, Eis, Pizza und M&Ms zuhause auf der Couch. Außerdem gehen sie noch zu Luke, dem charmant-granteligen Cafébesitzer. Luke macht sich Sorgen und möchte, dass die zwei ab und zu auch mal so etwas Gesundes wie Carrot Cake oder Caesar's Salad essen. Aber keine Chance! Unter einem Cheeseburger mit Fritten und doppelt Bacon tun sie's nicht. Außerdem trinken sie literweise Kaffee, und auch das macht Luke Sorgen. Offensichtlich völlig unnötig, denn Mutter wie Tochter passen locker in Größe 36 und wirken auch sonst rundum fidel. Ha! Nette Mädchen können das nämlich: Jeden Tag von Pizza, Cheesies, Speck und Kaffee leben und abends noch zum dreigängigen Menü mit Wein zu den versnobten Eltern und trotzdem dünn sein. Wie herrlich sympathisch, dass sie sich keinerlei Gedanken machen um ihre Figur, pffff!
Vor ein paar Jahren habe ich mal ein Interview gelesen mit der Schauspielerin, die Mutter Gilmore spielt. Sie wurde gefragt, ob das nicht ein Problem sei, dass sie während der Dreharbeiten ständig literweise schwarzen Kaffee trinken und tonnenweise Cheeseburger essen muss. Sie sagte (so weit ich mich erinnere), dass die meisten Einstellungen zum Glück schnell abgedreht wären und sie darum an einem halben Drehtag nur zwei-drei mal in einen Cheeseburger beißen müsste, und dass außerdem der Kaffee in Wirklichkeit koffeinfreie Cola light wäre.

Oh Gott. Was tue ich mir hier wieder an? Ich schreibe vollkommen uninformiert und blauäugig über ein so wichtiges Thema wie Essverhalten, und hinterher, wenn die giftigen Kommentare kommen, will ich es wieder nicht gewesen sein. Aber wartet mal, meine Kommentare landen doch jetzt auf einer Email-Adresse, die ich nicht mehr zwangsabfragen muss? Und ich kann mir den Shitstorm ruhig dann zu Gemüte führen, wenn es mir so gut geht, dass mir NICHTS etwas ausmachen kann? Also weiter.

Im Großen und Ganzen wissen wir ja alle, wie es geht. Wir wissen, welches Essen dick macht und welches nicht, wir wissen gleichzeitig, was wir essen wollen und was nicht, und wir wissen im Groben, was wir tun und lassen müssen, wenn wir eine bestimmte Kleidergröße für wichtig halten. Manche von uns essen vernünftig und treiben Sport und passen in Kleidergrößen um die 38, andere (zu denen gehöre ich) essen entweder gerade oder denken an die nächste Mahlzeit, und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn ich auf etwas richtig Lust habe, dann möchte ich auch gerne viel davon. Diese irre erwachsene "lieber gut, und dafür wenig"-Philosophie wird bei mir nie wirklich einschlagen. Und wir passen dann eben in Größe 40, 42 oder auch 46 oder mehr. Ich bin ganz sicher - und das schreibe ich nicht, um den unvermeidlichen Shitstorm wenigstens aus einer Richtung einzudämmen - man kann in jeder dieser Kleidergrößen fabelhaft aussehen. Ich weiß auch, außer unserem Ess- und Bewegungsverhalten gibt es da noch merkwürdige Drüsen-Kapriolen, Hormone, die gefühllosen Gene oder einfach nur Launen der Natur, die dann Menschen produzieren, die tatsächlich fressen können wie die Gilmores und trotzdem in Größen passen wie die Gilmores. Oder eben umgekehrt. Aber im Großen und Ganzen ist es das. Es nervt mich genau wie jede andere, dass die Unterhaltungsindustrie offensichtlich der Meinung ist, man könnte uns Frauen mit Größen über 36 nicht zumuten. Aber noch viel, viel mehr nervt mich, dass sie uns jetzt plötzlich Frauen mit Größe 36 als Vielfraße vorschummeln wollen, die sich von keinem Diätzwang der Welt kirre machen lassen. In "Eat, Pray, Love" hat Julia Roberts einen lebensverändernden, spirituellen Durchbruch, als sie einen Teller Pasta ißt. Tja, so ist das: das erste Mal vergisst du nie. Ein paar Tage später sitzt sie mit einer neuen Freundin in Neapel und isst Pizza, und die Freundin will nicht so recht reinhauen. Julia fragt, was denn los ist? Hach, die Freundin hat so zugenommen, sie hat jetzt sogar einen... einen... man mag es gar nicht aussprechen. "Rettungsring?" ermuntert sie Julia. Huhuhahaha, großer Frauensolimoment. Dann erklärt ihr Julia (nicht, dass hier ein Missverständnis entsteht: ich liebe die wunderschöne und fabelhafte Julia Roberts, sie war der Grund, warum ich mir den Film geliehen habe), dass man die Pflicht hat, wenn man in Neapel ist und die weltbeste Pizza vor sich hat, sie sich reinzupfeifen. Und was solls: gleich kaufen wir eine größere Jeans! Ein paar Szenen später liegt Julia auf dem Rücken in einer Umkleidekabine und versucht, in die Jeans zu kommen, mit vereinten Kräften schaffen sie es (wieder Frauensolimoment, jetzt sollen wir im Kino klatschen). Nicht das klitzekleinste Fettwürstchen quillt über den Rand der Jeans, die immer noch mit Sicherheit nicht größer als Jeansgröße 28 ist - aber hej, was solls? Lebensfreude ist nun mal wichtiger als irgend ein Schönheitsideal.

Also gut, ich weiß, dass ich mich aufgeregt habe. Warum, weiß ich immer noch nicht so genau. Ich weiß nur, es hat etwas damit zu tun, dass es inzwischen nicht mehr damit getan ist, dass Filme uns erzählen, nur Frauen mit Größe 36 wären schön. Jetzt erzählen sie uns, Frauen mit Größe 36 wären die, die drauf pfeifen, dünn zu sein, und lieber das Leben in vollen Zügen genießen. "Meine Jeans bringt mich um". Hm-Hmmmmm.

Meine Damen, dieser Post wurde geschrieben in einer viel, viel, viel zu engen Jeans im Sitzen auf unserem neuen Balkon. Gott segne diesen fabelhaften Balkon und verdamme diese Jeans.

Montag, 11. Juni 2012

Stell dich nicht so an, Elefantenkühe warten fast zwei Jahre.

Nach fast zwei Stunden im Büro der Behördendame, in denen wir uns die Schneidezähne lose geschnattert hatten, wollte sie wissen, ob wir denn jetzt noch Fragen hätten? Ich hatte eine. Im ersten Gespräch hatten wir erfahren, unsere Chancen, tatsächlich ein Kind adoptieren zu können, stünden bei 1:9. (Wobei, damit hier keine Missverständnisse entstehen, wir die nicht die 1 sind, sondern einer der 9.) Und seitdem brannte mir die Frage auf der Seele, worauf sich diese 9 beziehen: auf alle, die bei diesem ersten Termin waren? Also auch auf die, die gleich bei diesem ersten Infogespräch erfahren mussten, dass es bei ihnen wohl nichts wird - zu alt, zu unverheiratet, zu... ? Oder ob erst ab dem Moment gezählt wird, wenn wir es erfolgreich in die Kartei adoptionswilliger Paare mit Schweinchenstempel vom Amt geschafft haben? Die Antwort war leider: letzteres. Aber trotzdem bin ich eigentlich ganz guter Dinge. Sowohl beim ersten als auch beim zweiten Gespräch fühlte ich mich freundlich angestrahlt und sogar eigentlich auch gemocht. Und ich weiß nicht, ob ich das schon 80mal oder eher 200mal erwähnt habe, normalerweise gehe ich immer davon aus, dass die Leute mich eher nicht so mögen - ist so ein Tick von mir und war schon immer so. (Vielleicht ist es aber auch kein Tick, sondern bittere Realität? GASP!) Und - und das ist fast noch wichtiger für's gute Gefühl - die Dame hat uns erklärt, dass adoptionswillige Paare so gut wie nie offiziell abgelehnt werden. Wenn es bei jemandem ernsthafte Gründe gibt, warum es nichts wird, versuchen sie meistens, ihnen die Bewerbung rechtzeitig auszureden, um ihnen jahrelange und am Ende enttäuschte Hoffnung zu ersparen. Lassen sich die Paare ihren Traum nicht ausreden (und wer könnte ihnen das nicht nachfühlen?), dann kommen sie in die Kartei und warten dann eben vergebens - würde man sie offiziell ablehnen, würden sie vermutlich dagegen klagen. Letzten Endes nimmt das Amt, wenn sie ein Kind zu vermitteln haben, die Bewerber vom großen, großen Stapel, die am besten zu diesem Kind passen. Und die, die nicht passen, bleiben eben wieder und wieder liegen - nicht aus Rechthaberei oder Bosheit, sondern einfach deshalb, weil dieses Paar einfach gegenüber anderen Paaren weniger dafür geeignet zu sein scheint, diesem Kind eine glückliche, liebevolle, sichere und schöne Zukunft zu bieten. ("Wir suchen Eltern für Kinder, nicht umgekehrt" ist das schon ca. zwanzig mal gehörte und gelesene Motto.) Und weil ich - fragt mich nicht, wieso - fest glaube, dass wir für viele Kinder passen würden, glaube ich, wir sind zwar vielleicht eins von vielen Paaren, aber trotzdem - Myome, haltet euch die Ohren zu - könnte es diesmal wirklich uns treffen.

Es ist wirklich sehr, sehr merkwürdig. Seit vier Jahren wünsche ich mir nichts mehr als Kind. Und jetzt könnte es tatsächlich klappen, und zwar von heute auf morgen. So unfassbar das auch scheint, es könnte sein, dass noch dieses Jahr eine Woche mit einem ganz normalen Montag und Dienstag im Job beginnt, ab zehn Uhr fange ich damit an, über das Mittagessen nachzudenken. Dann klingelt Dienstag gegen Abend das Telefon. Mittwoch und Donnerstag hasten wir wie im Fieber durch IKEA und Baby Walz. Und Freitag nehmen wir ein Kind mit nach Hause. Das wir dann vermutlich das ganze Wochenende einfach nur anstarren. Und Montag bleibt mein Schreibtischstuhl leer.

Ich habe übrigens lange darüber nachgedacht, wie und wann ich das meinem Haupt-Auftraggeber sage. "Wie" ist glaube ich nicht schwer: immer raus damit, das wird das Beste sein. "Wann" mittlerweile auch: Sobald wir den Bescheid haben, dass unser Antrag akzeptiert ist. Was ja, wie wir jetzt erfahren haben, nur eine Frage der Zeit ist. Uff.

Wie lange noch wie lange noch wie lange noch?

Samstag, 9. Juni 2012

Man muss nicht schwanger sein, um schwanger zu sein

Wir kriegen ein Baby. Wie das wohl wird? Wird es eher so aussehen wie L. mit seinem langen Gesicht, der schmalen Nase, den immer etwas erstaunten Augen und den schlaksigen Armen und Beinen? Oder so wie ich mit rundem Gesicht, roten Haaren und viel zu heller Haut? Wird es mit L. zum Fußball gehen oder mit mir am Wohnzimmertisch in eine Staubwolke aus Mehl gehüllt Plätzchen backen? Wird es gut pfeifen können wie wir beide? Oder vollkommen unmusikalisch sein wie der größte Teil unserer restlichen Familien? Wird es genau wie ich schon im Kindergarten eine Brille brauchen, gerne auch mit einem abgeklebten Auge, wenn schon, denn schon? Wird es eher vorsichtig oder ein Draufgänger, wird es im vollsten Vertrauen darauf durch die Welt gehen, dass man es überall gern hat oder eher so wie ich lieber erst mal bis zum Beweis des Gegenteils glauben, dem Rest der Welt erst mal im besten Fall egal zu sein? Wird es gesund, glücklich, freundlich, schlau und lustig? Und um mal was ganz nebensächliches zu fragen: wird es ein Junge oder ein Mädchen?

Zwar ist das schon eine ganze Weile her, dass ich schwanger war und mir solche Gedanken gemacht habe, aber trotzdem habe ich das noch ziemlich gut vor Augen.
Diesmal ist all das plus noch einiges mehr. Was wird das für eine Mutter sein, deren Kind wir bekommen? Wird ihr ganzes Leben ein Unfall gewesen sein, und jetzt eben auch das Kind? Wenn ich sie kennen würde, würde ich sie mögen oder nicht? Hätte ich oder sonst jemand irgend etwas für sie tun können, damit sie nicht ihr Kind abgibt? Würde sie das überhaupt wollen? Wie viel von ihr wird in dem Kind stecken? Wird es eher ein Frühlings-, Sommer-, Herbst- oder Wintermensch? Freut es sich mehr über den ersten Schnee oder über das erste Mal Freibad im Jahr? Wenn ich versuchen werde, ihm beizubringen, auf zwei Fingern zu pfeifen, wird es sich dafür überhaupt interessieren? Wird es zurechtkommen mit seinem neuen Leben bei uns? Wird es uns gern haben? Wird es jedes Mal, wenn es aus irgend einem Grund zornig auf uns ist, sagen, dass es ihm jetzt reicht und es zu seiner richtigen Mutter will? Wie lange wird es bei uns sein, bis es mich Mama nennt? Wird meine Oma es noch kennen lernen? Wird es Bücher lieber vorgelesen bekommen, selber lesen oder wird es auf Bücher pfeifen? Werden wir sofort wissen, dass wir zusammengehören, wenn wir es zum ersten Mal sehen? Oder wird das viele Monate dauern oder am Ende sogar nie passieren?

Es ist wirklich aufregend. Dritter Monat, und ich habe fast das Gefühl, es tritt mich schon.

Donnerstag, 7. Juni 2012

Dienst oder Dienstmerkmal nicht möglich

Leider hat Flora heute eine Betriebsstörung, es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Schon auf der Heimfahrt vom Termin habe ich innerhalb von zwanzig Minuten sämtliche Symptome einer dicken, fetten, schleimigen, widerlichen Erkältung entwickelt. Und jetzt liege ich in einem giftgrünen Samtanzug mit Reißverschluss (so schlecht geht's mir nämlich) im Bett und hoffe darauf, dass L. bald vom Einkaufen zurück ist mit meiner Bestellung über eine Tonne Vitamine und zehn Liter Hühnersuppe. Ach je, bin ich schwach. Und elend. Und rotzig. Und reibeisen-stimmig, was L. gar nicht so schlecht zu finden scheint - einerseits eine feine Sache, andererseits - heute, röchel, leider nicht - und glücklich. Denn das war ein guter Termin. Ich hab nicht damit gerechnet, da heute in der Luft zerfetzt zu werden. Ich hatte auch nicht mit Kreuzverhören gerechnet oder damit, dass inzwischen schon so eine Art Stasi-Akte über uns existiert. Aber trotzdem bin ich froh, dass wir ein 120 minütiges, sehr sehr nettes Gespräch hatten. Viele Fragen tauchten in diesem Gespräch zum ersten Mal auf. Andere haben sich dagegen erledigt, zum Beispiel hat sich herausgestellt, dass L. es richtig verstanden hat und ich falsch: wir mussten uns entscheiden zwischen Äthiopien und Hamburg. Und nachdem Kinder aus Äthiopien so gut wie nie Säuglinge sind und die Wartezeit im Ausland noch deutlich länger sein kann, wir außerdem zusätzlich mit einer Behörde aus Süddeutschland zusammenarbeiten müssten und unsere Chancen in Hamburg auch gar nicht so schlecht stehen, haben wir uns angeguckt und dann gesagt: Hamburg. Wir wurden viel nach Dingen gefragt, die für uns ein Hinderungsgrund wären, und bei vielen davon konnte ich mich nur fragen: für wen ist das denn ein Hinderungsgrund? Hautfarbe? Prostitution als Hintergrund? Ein Kind aus einer Babyklappe? Vielleicht bin ich zu naiv, aber ich habe die Vorstellung, ein Kind in einer Babyklappe ist fast wie ein Kind, das jemand in eine Decke gewickelt vor unsere Haustür legt. Würde ich da lange fragen? Nö. Das einzige Thema, das mich wirklich ernsthaft zweifeln lassen würde, ist eine schwere Alkoholikerin als Mutter - weil, das habe ich jetzt oft genug gelesen, um es zu glauben, viel Alkohol in der Schwangerschaft viel, viel schlimmere Schäden anrichtet als selbst harte Drogen. Ganz sicher können wir uns da natürlich nie sein - Frauen, die ihr Kind abgeben und sich zu Gesprächen in einer Behörde einfinden, werden vermutlich ungern zugeben, dass es unter einer Flasche Vodka täglich nicht läuft. Aber in dem Moment, in dem klar ist, dass das mit Sicherheit so ist - in dem wir ganz sicher wissen, die Frau ist schwere Alkoholikerin - würde mir das Angst machen, und ich würde vermutlich die Finger von diesem Kind lassen. In allen anderen Fällen würden wir das tun, was andere werdende Eltern auch tun: Daumen drücken und auf unser Glück vertrauen.

Ächz. Finger zu schwer für Tastatur. Außerdem komische Quietschgeräusche in Fingergelenken und Hirnwindungen. Morgen mehr. Für heute: gute Nacht.

And now for something completely different:
An wen glaubt ihr übrigens heute Abend? Die friesische Giraffe?

Fünf Tests für ein Baby

Wie schon mein ganzes Leben lang an Weihnachten, Präsentationstagen und dem Morgen vor Adoptionsbewerbungsgesprächen bin ich ungefähr zwei Stunden früher glockenwach, als ich es eigentlich sein müsste. Jemand, den die Schlummerfunktion seines Weckers eines Tages seine berufliche Existenz kosten wird, hat heute um Viertel vor sechs seine Schilddrüsentablette genommen und darf deshalb jetzt schon bei Earl Grey mit Milch sitzen und tippen. Und ja, wir sollen eigentlich die ganze Kinderwunschbehandlung hinter uns gelassen haben, aber wenn ich mich so erinnere, dann hat das hier doch eine Menge Gemeinsamkeiten: fünf Gespräche, bis wir irgendwann in die Kartei aufgenommen oder abgelehnt werden - das ist ein bisschen wie erster Ultraschall und Blutuntersuchung, wie weit der Zyklus ist, dann zweite Blutuntersuchung und zweiter Ultraschall mit Blick auf Eibläschen, dann dritter kurz vor Punktion, dann Punktion, dann Anruf im Labor, wie es den Gören geht, dann Rückübertragung, dann Test, dann noch mal Test, dann wieder Test, dann irgendwann Herztonultraschall... Abkürzungsdamen, ich finde, diesmal, wo mir meine Eileiter, meine kapriziöse bis schrullige Gebärmutter und meine hormonelle Ausstattung mal nicht reinpfuschen können, sollte doch alles klappen?

Irgendwo da draußen, vielleicht in Afrika, vielleicht in Hamburg-Billstedt, sitzt gerade eine mir fremde Frau und kaut an den Nägeln, weil mittlerweile - nach drei Monaten gänzlich ohne Periode - wohl nicht mehr abzustreiten ist, dass Nachwuchs kommt. Vielleicht ist sie völlig verzweifelt, weil sie schon nicht weiß, wie sie ihre anderen sechs Kinder durchkriegen soll. Vielleicht hat sie schon ein paar Mal darüber nachgedacht, sich umzubringen. Vielleicht hat sie keine Ahnung, wer von diesen ganzen Kapalken der Vater ist. Oder sie hasst ihn mehr als irgend einen anderen Menschen auf der Welt, weil er sie vergewaltigt hat und ihr Leben in einen Albtraum aus Gewalt, Paranoia und Zwang verwandelt. Oder sie ist so vollkommen neben der Spur und aus der Zeit gefallen, dass sie auch im fünften Monat noch nicht versteht, dass sie schwanger ist, und sie schießt sich immer noch täglich fluchend in eine Hose, die sie fast in zwei Hälften teilt. Vielleicht ist sie auch noch viel zu jung, um zu verstehen, was passiert ist und was - au Backe - demnächst noch passieren wird, davon wollen wir gar nicht reden. Vielleicht trägt sie auch neuerdings statt bauchfrei in Größe 36 luftige Hängerchen in Größe 42, und ihre Mutter fragt sich, wieso sie sich plötzlich im Bad einschließt und nicht mit den Strandurlaub will, während sie an nichts anderes mehr denken kann als daran, dass das hoffentlich niemand merkt, das, was doch täglich lauter und deutlicher danach schreit, bemerkt zu werden. Vielleicht ist es auch so ganz anders, sie hat eine pro- und contra-Liste gemacht und denkt gerade "Nee nee, jetzt ein Balg, und dann auch noch von diesem Kapalken, das lassen wir mal", kann sich aber andererseits auch irgendwie nicht lang genug vom Sofa aufraffen, um sich um eine Abtreibung zu kümmern.
Und vielleicht gibt es in der Familie dieser Frau eine alte Tante, die mit dem Kopf wackelt und ungefragt Ratschläge verteilt, wie z.B. diesen: "Jaja, hat doch auch alles sein Gutes, jaja, wirst schon sehen, wirst schon sehen."

Da kann ich ihr nur herzlich beipflichten.

Montag, 4. Juni 2012

Crinone, Gonal, Brevactid und Menogon trifft keine Schuld

Die erste Mücke des Sommers hat mich gestochen. Und wohin? Genau zwischen die Augenbrauen. Es sieht ungefähr so aus wie ein Einschussloch. Das und der allmontägliche Schritt auf die Waage machen mich heute ein bisschen unzufrieden mit meinem Äußeren. 68.8. Von 200 Gramm Abnehmerfolg innerhalb von sieben Tagen bin ich ehrlich gesagt unterwältigt. ("Ist die eigentlich bescheuert, dem Internet zu erzählen, was sie wiegt?" Ist sie wohl. Vor ein paar Wochen habe ich nach ewigen Zeiten wieder mal meine ziemlich zerfledderte Ausgabe von "Bridget Jones" aus dem Regal gezogen, übrigens ein großartiges Buch und viel besser als der Film. Davon abgesehen gilt es als Paradebeispiel für "Spaß für den Leser durch Selbsterniedrigung der Hauptfigur". Vor jedem Eintrag schreibt sie, was sie wiegt, und zwar in irgend so einer englischen Maßeinheit wie Stone. Beim Lesen hatte ich immer den Eindruck, die ist so ungefähr mein Kaliber. Irgendwann wollte ich es genauer wissen und habe mal einen dieser schäbbig gestalteten Netzrechner ausrechnen lassen, wie viel soundsoviel Stone soundsoviel denn in Kilo sind. 57,2 war die niederschmetternde Antwort. Würde ich 57,2 Kilo wiegen, könnte man mich eventuell nur mit Gewalt davon abhalten, bauchfrei zur Arbeit zu gehen. Schrieb sie und biss noch mal in ihre Mohnschnecke.)

Im Moment lebe ich eigentlich nach der Maxime: ordentlich Sport, mindestens vier mal pro Woche, niemals den Fahrstuhl benutzen (es sei denn, ich muss unbedingt meinen Burger mit Fritten heiß an den Schreibtisch kriegen und Treppe dauert zu lang) und ansonsten essen, worauf ich Lust hatte. Als das losging, dachte ich, siehst du, erst dauert es eine Weile, bis sich was bewegt, währende sich all der Schwabbel in stahlharte Muskelmasse verwandelt, aber dann überholst du sie alle lächelnd und mit vollem Mund. Gesagt, getan. Alle zwei Tage gehe ich laufen, außerdem bin ich noch mindestens einmal pro Woche in meinem Fitness-Studio für solche Attraktionen wie Aqua-Jogging, Unter-Wasser-Kickboxen, Yogalates oder was auch immer. Letzte Woche war ich bei 69 Kilo. Stahlharte Muskeln wiegen ganz schön. Diese Woche bei 68.8. Irgendwie ist es mit diesem Plan wie damals mit meiner Kinderwunschbehandlung: THEORETISCH ist mir natürlich vollkommen klar, dass es mit dieser Methode ein Jahr dauern kann, bis drei Kilo runter sind. Aber praktisch hatte ich gehofft, dass die gefühllose Biologie für mich eine Ausnahme macht.

Und was jetzt? Bitte bitte nicht wieder Diät! Das Problem ist nämlich, ich bin zu pfiffig für Diäten. Ich schaffe es ohne Weiteres, mir vier-fünf verschiedene Diät-Prinzipien anzueignen und dann immer so zwischen ihnen umzuschalten, dass immer gerade das erlaubt ist, was ich essen will. Damit ist mittags z.B. ein Burger mit Fritten völlig ok, denn ich esse ja abends keine Kohlehydrate. Will ich abends aber doch Bratkartoffeln, dann lebe ich ganz entspannt nach dem Prinzip der Tim Mälzer-Diät: kein Weizen, kein Zucker, kein Alkohol, dann läuft das. Und will ich morgens ein Franzbrötchen, dann ist das in Ordnung, denn schließlich habe ich pro Woche ja auch ein paar WW-Extrapunkte.

(Wo sind die Hormone, wenn man sie als Ausrede braucht? Wo?)

Samstag, 2. Juni 2012

Servicewüste Eiertanz

Liebe Abkürzungsdamen und vor allem liebe eifrige Kommentatorinnen,

heute muss ich mal kurz was erklären und mich vielleicht auch entschuldigen. Viele schreiben mir hier einfach nur wunderbare Dinge, Nettigkeiten, Lob und Anteilnahme, und ich freu mir einen dritten Eierstock, wenn ich das lese. Andere wollen etwas wissen und warten dann teilweise Monate auf eine Antwort. Auf die komme ich gleich noch mal zurück. Und dann gibt es wieder welche - sehr, sehr wenige, und die meinen das auch bestimmt nicht böse - die schaffen es irgendwie, mir einen Kommentar genau im falschen Moment zu unterbreiten. Also mir in einem Moment zu schreiben (was sie natürlich nicht ahnen können), in dem ich gerade fürchterlich dünnhäutig, innerlich unsortiert und überhaupt nicht darauf vorbereitet bin. Eigentlich ist dieser Blog für mich eine große Stütze und hat seinen Zweck, mir dabei zu helfen, den Kopf während der Kinderwunschzeit über Wasser zu behalten, voll erfüllt. Tut er immer noch jeden Tag. Aber es gab auch Momente, da lief er mir furchtbar quer. Zum Beispiel damals, beim ersten und bisher auch zum Glück einzigen Kommentar, den ich jemals gelöscht habe: als mir eine schrieb, dass es mir verhältnismäßig gut ginge, würde eben bedeuten, dass ich mir ein Kind in Wahrheit gar nicht wirklich wünschen würde. Damals saß ich gerade im Enttäuschungs-Erholungs-Urlaub mit L. in New York und wollte nicht zwei ganze Tage abwechselnd vor Wut, Entrüstung und Rechtfertigungsdrang schäumen. Drei mal habe ich angesetzt zu einem Antwortkommentar mit dem wackligen Hotel-WLAN, dann habe ich gedacht "Meine Urlaubszeit kriegst du nicht, du Empathie-Günther" und den Kommentar einfach simsalabim gelöscht. So blöde wurde es nie wieder (bis auf den Troll damals, aber über Trolle kann ich zum Glück lachen), aber manchmal hatte ich nach dem Lesen eines Kommentars noch das Gefühl, ich wäre beim Schwimmen im lauen Mittelmeer plötzlich an eine Feuerqualle geraten. So genau konnte man das gar nicht immer begründen, war aber so. Nun gibt es zwar Haifischwarnungen, aber so viel ich weiß keine Quallenwarnungen, wobei mir Haie im Zweifel fast noch lieber sind als Quallen, und überhaupt, wusstet ihr eigentlich, dass jährlich viel mehr Haie durch Menschen... jajaja, rollt nur mit den Augen! (Für Quallen gilt vermutlich das Gleiche.)... aber, wo war ich: die Quallen haben doch dem Urlaubsgefühl im lauen Wasser ziemlichen Abbruch getan. Ich wollte nicht mehr um kurz vor Mitternacht, eingemuckelt mit L. auf dem Sofa vorm Feuer und mit einem Glas Wein in der Hand, plötzlich von einer Feuerqualle erwischt werden. Oder mit meinen Mädchen irgendwo bei griechischen Schweinereien und Getratsche. Oder mitten in einer Präsentationsvorbereitung, im Zahnarztwartezimmer vor der Wurzelbehandlung oder im ICE "Gude Laune" nach Frankfurt.

Darum habe ich irgendwann letzten Winter an einem langen, dunklen, stürmischen Abend beschlossen, dass eine Änderung einzutreten hat: so wichtig der Blog mir immer noch ist, er sollte nicht mehr Tag und Nacht unkontrolliert in meine Badebucht eindringen können. Darum habe ich an diesem Abend die Kommentarfunktion so umgestellt, dass ich die Kommentare nicht mehr per Mail auf eine meiner zwei Alltags-Adressen bekomme (die beide sowohl auf das fest installierte Mailprogramm meines Rechners als auch in mein iphone münden), sondern sie werden an eine neue Adresse eigens zu diesem Zweck geschickt. Alle paar Wochen versuche ich, da reinzugucken, außerdem natürlich, wenn ich gerade schreibe - dann lese ich gerne auch mal die Kommentare der letzten fünf Posts durch. Aber die Kommentare sind jetzt längst nicht mehr so präsent, oder besser, jetzt entscheide ich, wann ein guter Moment ist, um sie zu lesen und wann ich eine eventuelle Qualle, die sich zwischen all die tollen, freundlichen, lustigen, klugen und Mut machenden Kommentare gemischt hat, mit einem Lächeln wegstecken kann.

Und so kommt das, dass ich in letzter Zeit leider immer öfter Antworten schuldig bleibe auf Fragen, die doch eigentlich innerhalb von 24 Stunden zu beantworten sein sollten. Bitte seid nicht böse. Ich gebe mir Mühe. Ich verspreche es. Und ich wollte mich wieder mal bedanken: liebe Nicht-Quallen, kann sein, dass der Blog eine große Stütze für mich ist. Aber ihr seid es bestimmt noch mehr.

Und um die guten Vorsätze gleich umzusetzen: Das Buch heißt Adoption und ist von Herbert Riedle, Barbara Gillig-Riedle und Brigitte Riedle. Leider für ein Taschenbuch mit fast 30 Euro ganz schön teuer, aber ich hab das Gefühl, das ist es wert.