Dienstag, 12. Juni 2012

Eat, Pray, Hate.

Letztes Wochenende lag ich krank und schniefig im Bett. Der Kopf brummte zu sehr für ernstzunehmende Lektüre, genau genommen für jede Lektüre. Also habe ich mir ein paar Filme im Netz geliehen, die mir für Kino nicht gut genug gewesen waren. Einer davon war "Eat pray love". Wenn eine sagt, ich bin ungerecht, mich so über einen Film aufzuregen, den ich nur zu einem Drittel gesehen habe, hat sie Recht. Trotzdem soll man in seinem Blog ja ehrlich sein, und ich habe mich fürchterlich aufgeregt. Der Film hat mir mehr Schweiß auf die Stirn getrieben als die ca. vier Liter kochendheißer Salbeitee, die ich dazu getrunken habe.
Ich muss ein bisschen weiter ausholen, glaube ich. Hat eine von euch auch so gerne die Gilmore Girls gesehen? Alleinerziehende Mutter lebt mit blitzgescheiter Tochter in einer idyllischen amerikanischen Kleinstadt, und das Maschinengewehrmundwerk der beiden wird nur von ihrem Appetit übertroffen. In jeder Folge gibt es eine Junk-Food-Orgie aus Käsebällchen, Cookies, Eis, Pizza und M&Ms zuhause auf der Couch. Außerdem gehen sie noch zu Luke, dem charmant-granteligen Cafébesitzer. Luke macht sich Sorgen und möchte, dass die zwei ab und zu auch mal so etwas Gesundes wie Carrot Cake oder Caesar's Salad essen. Aber keine Chance! Unter einem Cheeseburger mit Fritten und doppelt Bacon tun sie's nicht. Außerdem trinken sie literweise Kaffee, und auch das macht Luke Sorgen. Offensichtlich völlig unnötig, denn Mutter wie Tochter passen locker in Größe 36 und wirken auch sonst rundum fidel. Ha! Nette Mädchen können das nämlich: Jeden Tag von Pizza, Cheesies, Speck und Kaffee leben und abends noch zum dreigängigen Menü mit Wein zu den versnobten Eltern und trotzdem dünn sein. Wie herrlich sympathisch, dass sie sich keinerlei Gedanken machen um ihre Figur, pffff!
Vor ein paar Jahren habe ich mal ein Interview gelesen mit der Schauspielerin, die Mutter Gilmore spielt. Sie wurde gefragt, ob das nicht ein Problem sei, dass sie während der Dreharbeiten ständig literweise schwarzen Kaffee trinken und tonnenweise Cheeseburger essen muss. Sie sagte (so weit ich mich erinnere), dass die meisten Einstellungen zum Glück schnell abgedreht wären und sie darum an einem halben Drehtag nur zwei-drei mal in einen Cheeseburger beißen müsste, und dass außerdem der Kaffee in Wirklichkeit koffeinfreie Cola light wäre.

Oh Gott. Was tue ich mir hier wieder an? Ich schreibe vollkommen uninformiert und blauäugig über ein so wichtiges Thema wie Essverhalten, und hinterher, wenn die giftigen Kommentare kommen, will ich es wieder nicht gewesen sein. Aber wartet mal, meine Kommentare landen doch jetzt auf einer Email-Adresse, die ich nicht mehr zwangsabfragen muss? Und ich kann mir den Shitstorm ruhig dann zu Gemüte führen, wenn es mir so gut geht, dass mir NICHTS etwas ausmachen kann? Also weiter.

Im Großen und Ganzen wissen wir ja alle, wie es geht. Wir wissen, welches Essen dick macht und welches nicht, wir wissen gleichzeitig, was wir essen wollen und was nicht, und wir wissen im Groben, was wir tun und lassen müssen, wenn wir eine bestimmte Kleidergröße für wichtig halten. Manche von uns essen vernünftig und treiben Sport und passen in Kleidergrößen um die 38, andere (zu denen gehöre ich) essen entweder gerade oder denken an die nächste Mahlzeit, und ich weiß nicht, wie es euch geht, aber wenn ich auf etwas richtig Lust habe, dann möchte ich auch gerne viel davon. Diese irre erwachsene "lieber gut, und dafür wenig"-Philosophie wird bei mir nie wirklich einschlagen. Und wir passen dann eben in Größe 40, 42 oder auch 46 oder mehr. Ich bin ganz sicher - und das schreibe ich nicht, um den unvermeidlichen Shitstorm wenigstens aus einer Richtung einzudämmen - man kann in jeder dieser Kleidergrößen fabelhaft aussehen. Ich weiß auch, außer unserem Ess- und Bewegungsverhalten gibt es da noch merkwürdige Drüsen-Kapriolen, Hormone, die gefühllosen Gene oder einfach nur Launen der Natur, die dann Menschen produzieren, die tatsächlich fressen können wie die Gilmores und trotzdem in Größen passen wie die Gilmores. Oder eben umgekehrt. Aber im Großen und Ganzen ist es das. Es nervt mich genau wie jede andere, dass die Unterhaltungsindustrie offensichtlich der Meinung ist, man könnte uns Frauen mit Größen über 36 nicht zumuten. Aber noch viel, viel mehr nervt mich, dass sie uns jetzt plötzlich Frauen mit Größe 36 als Vielfraße vorschummeln wollen, die sich von keinem Diätzwang der Welt kirre machen lassen. In "Eat, Pray, Love" hat Julia Roberts einen lebensverändernden, spirituellen Durchbruch, als sie einen Teller Pasta ißt. Tja, so ist das: das erste Mal vergisst du nie. Ein paar Tage später sitzt sie mit einer neuen Freundin in Neapel und isst Pizza, und die Freundin will nicht so recht reinhauen. Julia fragt, was denn los ist? Hach, die Freundin hat so zugenommen, sie hat jetzt sogar einen... einen... man mag es gar nicht aussprechen. "Rettungsring?" ermuntert sie Julia. Huhuhahaha, großer Frauensolimoment. Dann erklärt ihr Julia (nicht, dass hier ein Missverständnis entsteht: ich liebe die wunderschöne und fabelhafte Julia Roberts, sie war der Grund, warum ich mir den Film geliehen habe), dass man die Pflicht hat, wenn man in Neapel ist und die weltbeste Pizza vor sich hat, sie sich reinzupfeifen. Und was solls: gleich kaufen wir eine größere Jeans! Ein paar Szenen später liegt Julia auf dem Rücken in einer Umkleidekabine und versucht, in die Jeans zu kommen, mit vereinten Kräften schaffen sie es (wieder Frauensolimoment, jetzt sollen wir im Kino klatschen). Nicht das klitzekleinste Fettwürstchen quillt über den Rand der Jeans, die immer noch mit Sicherheit nicht größer als Jeansgröße 28 ist - aber hej, was solls? Lebensfreude ist nun mal wichtiger als irgend ein Schönheitsideal.

Also gut, ich weiß, dass ich mich aufgeregt habe. Warum, weiß ich immer noch nicht so genau. Ich weiß nur, es hat etwas damit zu tun, dass es inzwischen nicht mehr damit getan ist, dass Filme uns erzählen, nur Frauen mit Größe 36 wären schön. Jetzt erzählen sie uns, Frauen mit Größe 36 wären die, die drauf pfeifen, dünn zu sein, und lieber das Leben in vollen Zügen genießen. "Meine Jeans bringt mich um". Hm-Hmmmmm.

Meine Damen, dieser Post wurde geschrieben in einer viel, viel, viel zu engen Jeans im Sitzen auf unserem neuen Balkon. Gott segne diesen fabelhaften Balkon und verdamme diese Jeans.

11 Kommentare:

  1. Dieser Post wurde gelesen in einer super bequemen Schlumpihose. Lange lebe der Gummibund ;-)
    LG Yasmin

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  2. Dieser Post wurde gelesen ist einer superleichten Harmenshose (die Reiterhosen sehr gut verbergen!) im sonnigen Italien bei dem fünften Abend in Folge mit Pizza, Pasta und Eis zum Nachtisch!
    Ich scheiß (Verzeihung!) auf die gute Figur..

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    1. Ich habe klebrige Finger von den Erdnussflips und saue die Tastatur ein- aber das ist es mir wert! Ich konnte vor ca. 1 Jahr meinen Mann überreden, diesen Film mit mir zu sehen (bei Rotwein, vielleicht mit Schokolade oder Nüsschen dazu). Er hält es mir noch immer vor. Und er hat Recht! Mal abgesehen von den Fressorgien aus amerikanisch- weiblicher Perspektive so ziemlich der dümmlichste Film, den ich kenne und weiteren zweifelhaften messages! Now to something completely different: Stammtisch an einem lauen Abend? Wie sieht es aus? Was würde die Adoptionsbehördendame dazu sagen, wenn wir uns träfen? Beste Grüße N.

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  3. Liebe Flora,

    Danke! Du sprichst mir aus der Seele!
    LG, Jessica

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  4. Ich habe mich über diese Szene damals auch unglaublich geärgert, bin aber dann zu dem Schluss gekommen, dass JR einfach Fehlbesetzung war!

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  5. Dieses "an der Öde ihres ausgefüllten Lebens und ihrer funktionierenden Ehe verzweifelte Amerikanerin bringt durch Geldspenden ihrer reichen Freunde Glück und Selbstbestimmung in die dritte Welt" hat mich beim Ansehen des Films auch massiv gestört, obwohl ich alles andere bin als eine "verbohrte Linksaktivistin". Da ist mir die dünne Dänin, die sich nach dem Verzehr eines Pizzastückes in Größe 36 zwängt, gar nicht mehr aufgefallen.

    Vielleicht liegts nicht an der Vorlage oder JR, aber das Drehbuch ist tatsächlich hirnrissig und soll vermutlich die Hausfrau in Kansas, die sich sonst mittags vor Oprah klemmt, glücklich machen.

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  6. Das Beste an dem Film war das Lied von Marvin Gaye "Got to give it up" an der Strandbar von Bali.
    Und ja, bitte Stammtisch!!!
    LG

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  7. Das Buch war schon schlecht und langweilig, keine Ahnung warum es so einen Hype darum gab. Den Film habe ich mir zum Glück erspart!
    Ich fand die super dünnen Models schon immer zum K.. die in klein Mädchenstimme piepsen: Ich kann essen was ich will (jaja blabla wers glaubt). Mit den Desperate Housewives, Cougar Town etc wird uns jetzt auch noch gezeigt, dass man auch gern mehrere Kinder haben darf und auch mit weit über 40 bitte schön immer noch in Size Zero reinzupassen hat. Von daher: Ich kann dich gut verstehen. Schnauf LG

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    1. Wenn man aber sieht, wie krank, alt und fahl die eigentlich wunderhübsche Terri Hatcher und Marcia Cross durch ihre Magerkeit in DH aussehen, zweifelt doch sehr an Diäten als Jungbrunnen. Ab einem gewissen Alter 38+ steht Frauen Size Zero nicht mehr. Dann lieber ein paar Kleidergrößen mehr als dieses faltige respektive glatt gebügelte Gesicht...

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  8. Liebste Flora,

    da hast du dir jetzt eine neue Stammleserin geangelt. Und wer weiss was ich noch von dir lernen kann. Immerhin hab ich gestern und heute beim quer lesen schon einige Wahrheiten entdeckt dich ich mir immer mal so bei mir gedacht hab aber NIE auszusprechen gewagt hätte.

    Und zum Post: ich stehe ja nicht dazu mir solche "Frauenfilme" (*würg* bei dem Wort) ab und zu anzuschauen, wenn sich die Gelegenheit ergibt guck ich so was schon mal -ähm- quasi heimlich, oder zumindest ohne viel Wind drum zu machen. Aber den Film werd ich mir wohl sparen und meine Nerven schonen denn so ein blödes Gehabe mit der Jean brauch ich schon gar nicht ;-) Und ja, die Gilmore Girls liebe ich nach wie vor, aber die tun ja auch nicht wirklich wegen ihrer Figur herum. Und früher hab ich ja auch so wie die gegessen. Ich hab damals die 10 Jahre ältere Kollegin nicht verstanden die wegen meiner Essgewohnheiten gemotzt hat. Jetzt, nochmal 10 Jahre später weiss ich warum die so eifersüchtig war. Wär ich jetzt nämlich auch wenn ich so eine neben mir sitzen hätte die ständig Mist in sich rein mampft und nicht zunimmt. Nö, nö die Zeiten sind vorbei und ich hab auch kein Problem damit. Wobei, manchmal würd es schon gerne auf die Hormone schieben die ich grad so in mich reinschiesse...

    Ach und vor lauter Freude über den Tag hab ich vorhin ein Bierchen bei Freunden in meiner ältesten superweiten Gammelhose gezwitschert. Prost.

    Cheerio
    Eva

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  9. und noch ein kommentar von einer begeisterten leserin des blogs seit 1 monat - seit IVF-beginn - und es macht auch uberhaupt nichts wenn er im hinterstemn schubfach der special-kommentare-inbox landet: Flora, du sprichst auch mir aus dem herzen! vor allem IVF-related aber nun war es doch dieser post der mich zum kommentieren brachte. totally agree, der film war total unrealistisch und unglaubwürdig, nur hätte ich das nie so bezaubernd hin-posten können wie du das machst, es ist jedesmal eine freude! liebe grüsse, de_vi

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