Montag, 26. Dezember 2016

Weihnachtspost

Liebe Abkürzungsdamen, ich weiß, ich bin spät dran, und dann kann ich heute auch noch nicht viel schreiben. Nur so viel, dass ich Euch allen genau das Weihnachten wünsche, von dem ihr geträumt habt- nur noch schöner. Drei Tage Wunderwelt, in der alles möglich ist: die stacheligsten Menschen vertragen sich plötzlich, verstopfte Eileiter haben ihren unaufmerksamen Tag und lassen einfach so ein Ei durchflutschen, Kekskalorien zählen nicht, der Baum ist gerade und duftend und nadelt nicht, DHL hat alles schon vor einer Woche ausgeliefert, das Tesafilm lässt sich leicht abreißen und der Anfang verschwindet nie, die ganze Trump-Wahl entpuppt sich als extrem gelungener Riesenscherz, Spotify nimmt endlich "little drummer boy" aus den Weihnachtsplaylists, und schneien könnte es ja tatsächlich auch noch überall bis auf die Straßen, auf denen die Leute mit den alten Autos und den Sommerreifen bald auf dem Heimweg sind.

Wie es der Zufall so will, habe ich dieses Jahr zu Weihnachten richtig viel Zeit zum Nachdenken und komme auf ganz merkwürdige Neujahrsvorsätze. Doch davon mehr, wenn mein Rechner und ich wieder zusammen sind. Bis dahin fühlt euch unangemessen heftig umarmt von mir!

Mittwoch, 30. November 2016

Gute Kinderwunschbücher hat man nie genug, richtig? Richtig?

Ich hab's versprochen. Dann hab ich es vergessen. Aber jetzt ist es mir zum Glück wieder eingefallen:

Ich wollte Euch ein neues Buch zum Thema Kinderwunsch ans Herz legen. Geschrieben hat es unsere Hamburger Abkürzungsstammtisch-Kollegin Lea Lemon, und ich bin mir sehr, sehr sicher, dass es Euch gefallen, berühren, weiterhelfen und manchmal dämlich grinsen lassen wird. Salbadernde und uns scheinbar für doofe Trinchen haltende Bücher rund um Fruchtbarkeitsmassagen und die kindersegenstiftende Wirkung von Badeurlauben gibt es genug, das hier ist eins von der anderen Sorte.

So sieht es aus:




und hier kann man reinlesen und es kaufen.

Viel Spaß damit!

Montag, 14. November 2016

Und ihr so in den letzten zwei Monaten?

Ich würde so gerne. Aber ich bin so fürchterlich müde. Eigentlich sollte das nach den ersten drei Monaten kein Thema mehr sein, ist es aber. Ich kann ab zwölf Uhr mittags an kaum noch etwas anderes denken als den Moment, wenn die Kinder schlafen und ich in ein weites Nachthemd steigen kann und dann endlich, endlich ins Bett. Noch vor einem Jahr konnte ich mit Fug und Recht behaupten, noch nie in meinem Leben vor dem Fernseher, mit Schuhen oder mit Make-up eingeschlafen zu sein, egal wie wild oder lang die Nacht war. Das ist vorbei. Inzwischen bin ich einmal mit laufender Küchenmaschine, einmal in der Badewanne (das war knapp) und mehrmals in der Ubahn eingeschlafen. Es tut mir wirklich leid - für L., der seine Abende allein vor der Glotze verbringt, für die Kinder, die eine Schlafwandlerin als Mutter haben, für Freunde, denen ich seit Monaten unbedingt nachher noch schreiben oder die ich anrufen will und die gar nichts mehr hören, und für diesen Blog, aber ich kippe abends einfach um. Das, was dann noch vom Tag übrig bleibt, knuspern die Kinder, blöder Erledigungskram oder auch der Job, der im Moment wirklich anstrengend ist, einfach ratzeputz auf. Nom nom, weg ist die schöne Computerzeit!

Das ist auch schon die einzige Entschuldigung, die ich für die Funkstille habe. Aber heute ist es anders, heute sitze ich im Büro, habe wie durch ein Wunder nichts zu tun, das jetzt auch schon mehrfach an offizieller Stelle überdeutlich gemacht, kann trotzdem gerade noch nicht nach Hause und darf deshalb mit mir und meinem Rechner machen, was ich will. Und weil ich immer noch viel zu wütend und zu enttäuscht bin, um über das in meinen Augen gerade einzig wichtige Thema zu schreiben, schreibe ich eben über die Schwangerschaft. Der Bauch wächst, und seltsamerweise wachsen mit ihm gleichzeitig die Ängste und die Gelassenheit. Ich habe immer noch keine Ahnung, wie das alles werden soll. Ich überquere mit zwei Kindern an den Händen eine wildbefahrene Straße und kann nur denken, schön, und wann wächst mir der dritte Arm? Und welche Dimensionen erreicht die Einmischeritis, sollte ich mich tatsächlich gezwungen sehen, eins meiner Kinder an die Leine zu nehmen? Ich googele vergeblich nach Zwillings-Buggy-Boards, um auch in Zukunft noch einigermaßen koordiniert einen Supermarkt besuchen zu können, ohne dafür einen Babysitter zu engagieren. Und jedes Mal, wenn jemand ganz humorig etwas in der Richtung von "Na das kann ja heiter werden" sagt, dann möchte ich mit Sachen werfen. Irgendwie wird es gehen. Hoffentlich. Dann die immer noch sehr lebendige Angst, das Kind könnte im Laufe des Gin-Tonic-Sommers Schaden genommen haben. Ja, ich dachte auch, diese Sorge wäre vom Tisch. Aber plötzlich fängt meine (an sich sehr nette und besonnene) Frauenärztin an, während des Ultraschalls zu erzählen, sie hätte mit einer Dame von einer Stiftung zur Förderung des alkoholgeschädigten Kindes letztens auf einer Party "Über meinen Fall gesprochen". Und ich sollte mich da doch ruhig mal näher informieren. Plötzlich ist der Kopf viel schmaler als gedacht, plötzlich gehe ich wieder mit Muffen zum Frauenarzt und plötzlich habe ich wieder Albträume ohne Bezug zur Weltpolitik. Und dank der Schwangerschafts-Müdigkeit habe ich nun viel mehr Zeit für schlechte Träume!

Gleichzeitig denke ich ganz oft, das wird. Wieso soll es nicht werden, bei anderen wird es doch auch? Wieso soll dieses Kind kein wunderbarer Glückstreffer werden, ein rundum zufriedener Wonneproppen, der ganz früh ganz viel schläft? Neulich haben meine Jungs ihre zwei Monate alte Cousine kennen gelernt und waren dabei so niedlich und vorsichtig, dass ich mich doch eigentlich darauf freuen müsste, sie in Zukunft täglich einem Baby über den Kopf streicheln zu sehen. Dann packen wir eben noch eine Schippe drauf! Bzw. ich. Und dann gehe ich eben einkaufen, wenn die zwei in der Kita sind. Dann spare ich mir eben für's Erste Wochenend-Ausflüge und dergleichen und lade meine Freundinnen zu mir ein, und Fernsehserien werden warten und Job-Aufträge auch (bestimmt. Oder?) Und in anderthalb Jahren habe ich drei Kinder in der Kita und freue mich jeden Tag halb dämlich über dieses unerwartete und unverdiente Familienglück, genau so wie ich mich jetzt freue, wenn ich sehe, wie Kalle und Michel zusammen spielen und wie Michel sprechen lernt und wie groß die zwei schon sind und was für ganz eigene, einzigartige und niedliche kleine Kerlchen.

Und jetzt kommt hier doch noch Arbeit um die Ecke und es ist schon wieder Schluss mit lustig. Wir lesen uns dann in zwei Monaten, oder? Uaaaaah. Bin ich müde.

Dienstag, 20. September 2016

Mach mal weniger Ausrufungszeichen.

Ganz allmählich legt sich die Schnappatmung. Selbst die größte Aufregung nutzt sich irgendwann ab: WAAAAAAAH! EIN KIND!!!!!! UND ALL DER ALKOHOL!!!! UND DIE FLUPPEN!!!!!!!! UND MEIN JOB!!!! UND MEIN LEBEN!!!! UND MEINE NERVEN!!!!!! UND MEINE BEZIEHUNG!!!!! Und überhaupt, irgendwann geht das Fusselhirn erst in normale Groß- und Kleinschreibung über und dann zum Entspannen und Freuen und dann kommen auch schon all die kleinen Popel-Aufreger um die Ecke. Zum Beispiel der, dass wir in den letzten sechs Monaten systematisch den Babykram losgeworden sind: Fläschchen-Sterilisier-Gerät, Riesenlaufstall, Doppelkinderwagen, Maxi-Cosi in Tipptoppzustand, Babybay, Stubenwagen, Mini-Strampler und -Schlafsäcke und -Mützchen und all der andere Kram: alles unwiderruflich weg. Oder der, dass H&M zum ersten Mal nicht die übliche Bank für Schwangerschaftskram ist: wieso gibt es da gerade acht verschiedene Skinny- und Super-Skinny-Jeans und keine einzige meiner stinknormalen guten alten Schwangerschaftsjeans, auf die ich mich jetzt seit drei Wochen freue, nämlich seit mein Viermonatsbauch aussieht wie ein Sechsmonatsbauch? Und wieso ist natürlich wieder etwas, diesmal nämlich die Nabelschnur, die nur eine Arterie hat? (Spezialistinnen unter den Lesern: ich weiß, dass das hoch korreliert mit manchen Gendefekten, aber die haben wir schon so gut wie sicher ausgeschlossen.)

Und dann liege ich da auf der gepolsterten Bank, und die Ärztin glitscht mit dem Ultraschalldings auf meinem Bauch herum, und sie sagt, dass das Gesicht gut aussieht. Und das Zwerchfell. Und der Kopf und das Gehirn. Das Herz sowieso. Die Füße sind diesmal gerade, alles ist richtig lang und richtig groß und auch sonst völlig in Ordnung, und ich habe wieder ein bisschen weniger Angst vor meinem schlimmsten Albtraum - einem FAS-Baby - und dann sagt sie: "Ach ja. Hab ich schon gesagt? Es wird ein Mädchen."

Ein zähes kleines Luder! Mit kleinen Gummistiefeln und Krusten am Knie und Latzhosen! Und mit Glitzeraufklebern und Snoopy-Spardose und Wendy-Heften! (Gibt es die noch?) Und jetzt rege ich mich erst mal über gar nichts mehr auf, weder groß noch klein. Ich schaffe das nämlich. Mundwinkel hoch, Rücken gerade, Bauch raus.

Dienstag, 6. September 2016

p.s.

Diese Schwangerschaftstests, vor allem der zweite, haben mir keine Ruhe gelassen. WTF,Schwangerschaftstests? Diesmal förderte Googeln ein sinnvolles Ergebnis oder jedenfalls eine mögliche Erklärung zutage: laut einer seriös klingenden Studie sind Schwangerschaftstests häufiger falsch negativ bei Frauen, die in der Nachtschicht arbeiten. Und in den letzten Monaten gab es einige Nächte, leider oft auch drei-vier hintereinander, in denen Michel und Kalle beide zwischen Mitternacht und halb sieben so gut wie keinen Schlaf zugelassen haben.

Ich war im Studium immer ganz gut in Stochastik, also Wahrscheinlichkeitsrechnung, aber so gut nun auch wieder nicht. Kann mal kurz jemand, der das besser kann, für mich ausrechnen, wie wahrscheinlich das ist? Die Wahrscheinlichkeit folgender kombinierter Ereignisse:
1. 43, 2. mit Endometriose und eigentlich verstopften Eileitern und 3. verschobenem Zyklus, 4. extrem wenig Gelegenheit, 5. zum offiziell falschen Zeitpunkt, 6. nach wochenlangen Blutungen, 7. auch sonst keinerlei Schwangerschaftsanzeichen, mit 8. einem verpassten Arzttermin wegen eines perfekt getimten Magen Darm-Infektes und 9. auch noch in genau der richtigen hormonellen Lage, um einen falsch negativen Test in der siebten Woche zu produzieren?

Ist jetzt der richtige Zeitpunkt, mit Lotto im großen Stil anzufangen?

Ihr habt's vielleicht geahnt. Ich jedenfalls nicht.

Einmal im Jahr, so ungefähr zwischen Mitte Mai und Mitte Juni, bekommt mein Fusselhirn eine Extraaufgabe. Dann taucht neben all dem anderen Kram, der mir ständig unverlangt durch den Kopf spukt, auch noch das Thema auf, was denn nun mit den Eizellen wird? Den befruchteten Eizellen, die damals übrig waren, weil das mit Michel so sensationell und unerwartet schnell geklappt hat, nämlich gleich beim ersten Versuch nach Kalle. Die liegen bis heute im Kryoschlaf in einem Labor irgendwo in Altona (nehme ich an), und immer um diese Zeit kommt die Jahresrechnung für die Lagerung. Die Rechnung besteht aus einem freundlichen Anschreiben, dem Überweisungsvordruck und einem Formular, das man ausfüllen und abschicken soll für den Fall, dass man keinen Wert mehr legt auf diese Eizellen. Darauf gibt man dann an, feierlich und für immer, dass die kleinen Tiefkühlwürmchen entweder der Forschung zur Verfügung gestellt werden oder direkt aufgetaut und vernichtet. Vernichtet! Vernichtet. Ich war immer ein entschiedener und bei Gelegenheit auch extrem und lautstark überzeugter Abtreibungsbefürworter, selbst zu unerfülltesten Kinderwunschzeiten - jede Frau soll das selbst bestimmen können, da hat ihr kein Kirchengreis und kein CSU-Landrat reinzuquatschen. Aber es war auch immer schon ziemlich sicher, dass sich kaum Umstände denken lassen, unter denen das FÜR MICH in Frage kommt. Nicht vor der Kinderwunschzeit, nicht währenddessen (Ach?) und auch nicht danach. Und obwohl ich schon zwei mal im Leben die Pille danach genommen habe, fühlte sich dieser Embryo-Vernichtungsbogen doch anders an. Nämlich so, dass ich ihn irgendwie nicht ausfüllen und abschicken konnte, auch wenn klar war - aus hundert vernünftigen Gründen - dass ein drittes Kind ein Schnapsidee wäre. Dazu gleich noch. Die jährliche Lagerungsgebühr war zwar nicht gerade wenig, aber trotzdem ein Schnäppchenpreis dafür, diese für mich schier nicht zu treffende Entscheidung noch ein weiteres Jahr aufschieben zu dürfen. Zum Beispiel so lange, bis ich es mir anders überlege. Oder wirklich zu gebrechlich für noch ein Kind bin. Oder bis das Thema Eizellenspende gut geregelt ist. (Ich merke gerade, dass dieses ethisch ziemlich komplizierte Thema mich jetzt gerade, an diesem sonnigen Vormittag mit meiner Tasse Tee am Rechner, fürchterlich überfordert, also lasse ich das jetzt und komme vielleicht endlich zum Punkt. Welcher war das noch mal? Da war doch was...)

Ende Mai habe ich die Rechnung bezahlt, und Ruhe war, wenn auch natürlich nur wieder Ruhe auf Zeit. Das Fusselhirn gab Ruhe, und fast zeitgleich fing der Fusselbauch wieder an, Ärger zu machen. Nach einem Jahr voller Splatter-Perioden hatte ich plötzlich gar keine mehr, stattdessen fiese Dauerblutungen und ab und zu auch fiese Schmerzen. Der letzte Ultraschall sah danach aus, als wäre die Endometriose wieder stark im Kommen, da waren merkwürdige Einschnürungen oder was weiß ich, jedenfalls hatte mir meine Ärztin in Aussicht gestellt, irgendwann in den nächsten Monaten könnte es sein, dass wir eine neue Bauchspiegelung ins Auge fassen sollten. Ich dachte, na gut - nicht schön, aber andererseits, welche Mutter von zwei kleinen Kindern sagt schon nein zu drei Tagen im Krankenhaus allein mit ihrem Kindle? Jetzt schien es so weit zu sein. Ich hatte also einen Arzttermin, zu dem konnte ich aber nicht gehen, denn zwei Stunden vorher hat mir Kalle eine Magen-Darm-Grippe aus der Hölle verpasst. Dann habe ich es für ein paar Wochen aus den Augen verloren, wir haben die Kinder getauft, da war einiges zu organisieren, ich habe wieder richtig zu arbeiten angefangen, endlich, und dann sind wir für ein paar Tage nach London geflogen, L. und ich. Inzwischen war meine letzte Periode sechs Wochen her, und ich dachte - kann ja eigentlich nicht sein, aber ich mache wohl mal einen Test. Der Test war negativ. Ich holte von Zeit zu Zeit mal meinen Kalender vor und guckte, wann ich denn wohl Zeit für einen Arzttermin und einen kurzen Krankenhausaufenthalt haben würde, aber so dringend war es ja nicht, und viel Luft war da auch nicht - ich wurschtelte also weiter so vor mich hin, wozu gibt es Tampons? Dann stand eine große Hochzeit ins Haus, und immer noch keine echte Periode. Inzwischen war Mitte Juli. Ich habe noch mal einen Test gekauft, diesmal einen poshen Clearblue mit Sprachanzeige. Negativ. Urlaub, Arbeit, mehr Arbeit, Kinderbetreuen, Kitawechsel, Schmierblutungen. Und dann, vor zweieinhalb Wochen, reichte es mir doch, und ich hatte wieder mal einen Arzttermin. Ich dachte, vielleicht kriege ich die Bauchspiegelung sogar noch im September unter, bevor wir für eine Woche an die See fahren? Und vor der Hochzeit einer meiner besten Freundinnen? Am Vorabend saß ich noch mit meinen Freundinnen am Küchentisch, es gab ordentlich Vinho Verde und auch bestimmt zehn Kippchen. Auf dem Heimweg hatte ich noch kurz den Impuls, noch eine zu rauchen, dachte dann aber aus irgend einem Grund, ach lass mal.
Und dann saß ich vor meiner Ärztin und erzählte ihr das alles. Sie kennt mich noch nicht so lange, ich war vorher erst einmal bei ihr, denn die Ärztin aus der gleichen Klinik, die die Schwangerschaften betreut hat und gründlich im Bilde über all den Abkürzungskram in meinem Bauch ist, die lebt inzwischen im Rheinland. Also habe ich erzählt und erzählt. Dann bin ich auf den Stuhl gestiegen, Abstrich, weitererzählt. Inzwischen machte sie das Ultraschall-Dings klar, und ich dachte noch für eine Sekunde, bitte kein Krebs - bitte nur die gute alte Endo. Und dann sagte sie: "So, und jetzt unterbreche ich Sie nur ungern, aber - "
Und da war es. Auf dem Schirm. Ein Würmchen, eindeutig. Mit Kopf, Armen, Beinen, Herzschlag. "Ich würde sagen, 9 plus drei", sagte die Ärztin. Ich sagte erst mal gar nichts mehr und dann eine Menge.

Ich war noch nie in meinem ganzen Leben so dermaßen geschockt.

Denn das konnte, ehrlich, das konnte nicht sein.
Erstens bin ich unfruchtbar.
Zweitens 43.
Drittens gab es ehrlich gesagt nur eine Gelegenheit, überhaupt schwanger zu werden, in den letzten Monaten.
Viertens lag zu diesem Zeitpunkt meine letzte Periode schon viele, nämlich fünf Wochen zurück.
Fünftens ist die Endometriose gerade angeblich noch schlimmer als damals zu schlimmsten Abkürzungszeiten.
Sechstens war das nicht so abgemacht.
Siebtens läuft es gerade zwischen L. und mir streckenweise nicht besonders rosig. Auf jeden Fall nicht gerade "Wäre es nicht wunderbar, unserer Liebe ein weiteres, speckbeiniges kleines Denkmal zu setzen, mein Zuckerschnütchen?"-mäßig rosig.
Achtens habe ich nicht einen, sondern zwei Tests gemacht, und jetzt kommt mir nicht mit "vielleicht hast Du den falsch angewendet", wenn einer weiß, wie Schwangerschaftstest geht, dann ja wohl wir Abkürzungsdamen. Der erste Test war vielleicht noch ein bisschen zu früh, der zweite - da war ich in der siebten Woche.
Neuntens - und Schlimmstens - war das nicht der Sommer des Kamillentees und der Vollkornbrote. Wir waren auf zwei Hochzeiten, von denen eine nachts um vier nach reichlich Gin Tonics endete. Fast jeden Mittwoch saß ich an besagtem Küchentisch, vor mir ein stets gut gefülltes Glas Weißwein und eine zunehmend leerere Schachtel Kippen. L. und ich waren in einem Urlaub, in dem es eine Woche lang jeden Abend ein bis anderthalb Gläser Wein im Restaurant gab und wir hinterher in unserer Wohnung noch eine Flasche Wein aufgemacht haben. Ehrlich gesagt war das mein erster Gedanke, während ich da so breitbeinig und plötzlich im dritten Monat auf dem Stuhl hing. Nicht-Abkürzungsdamen schockt das vielleicht weniger - wenn man erst in der fünften oder sechsten Woche aus heiterem Himmel von einer Schwangerschaft erfährt, dann wäre man schon ein sehr, sehr braves Mädchen, wenn die letzten paar Wochen zufällig sowieso alkoholfrei gewesen wären. Aber nach einer IVF ist von der ersten Minute an Ausnahmezustand, und wer auch nur mit dem dicken Zeh über die Linie in verbotenes Terrain piekt, ist ja wohl selbst Schuld und muss sich nicht wundern, wenn jetzt alles schief geht. Bei Kalle und Michel war ich brav! So brav! Ich habe fast einen hysterischen Anfall bekommen, als ich einmal versehentlich in ein mit Mayonnaise geschmiertes Brötchen gebissen habe. So war ich! Nicht immer, aber oft genug. Und jetzt das: gesoffen, geraucht wie ein Schlot, von Sushi wollen wir gar nicht reden. Wieso muss das jetzt passieren? Nach diesem Sommer? Im Frühjahr z.B. hätte das glatt passieren können - sechs zufällig so gut wie alkoholfreie Wochen. Wieso Wieso Wieso?

Die Ärztin hörte sich das alles an und sagte dann, vermutlich wäre alles gut gegangen, ich sollte aber zur Sicherheit und zur Beruhigung bitte einmal mit Embryotox sprechen, die nun mal die Spezialisten für jede Art von Chemie sind, die einem Embryo schaden kann oder nicht. Das habe ich dann getan. (Natürlich hab ich auch gegoogelt, ich bin auch nur ein Mensch. Sollte hier eine mitlesen, der es ähnlich geht wie mir - gibt es so jemanden? Außerhalb von RTL2? Eine plötzlich schwangere Unfruchtbare, die es erst Mitte dritter Monat merkt? Nein? Komisch. Jedenfalls - ich denke die ganze Zeit drüber nach, aber mir fällt kein Thema ein, bei dem Googeln eine noch schlechtere Idee ist. Wirklich keins.) Embryotox wollte genau wissen, wann ich wie viel wo von getrunken habe, dann haben sie all das (es war eine Menge) in ihren Rechner eingegeben, und das Ergebnis war, dass vermutlich tatsächlich alles gut gegangen ist, eine Garantie gibt es nicht, aber die Aussichten sind sehr gut, dass Würmchen dieses wochenlange Discofieber überstanden hat. Und wehe, irgend eine will das jetzt mit aller Gewalt falsch verstehen und denkt, dieser Blog würde Werbung dafür machen, in der Frühschwangerschaft noch mal ordentlich reinzuhauen. Wehe!

Und jetzt?
L. hat es mit fröhlicher Fassung getragen. Als ich totenbleich nach Hause kam und ihm die Nachricht überbrachte, stellte sich heraus, dass er sich im Gegensatz zu mir tatsächlich Sorgen um meine Gesundheit gemacht hatte und erleichtert war. Außerdem ist das ein 1a Vorwand für seine Lieblingsbeschäftigung: nach noch größeren, noch tolleren Wohnungen zu gucken. Ich bin immer noch schwanger, seit gestern im vierten Monat. Embryotox hat mir empfohlen, doch bei den ersten Scans besonders genau hinzugucken, denn die Schäden in der Frühschwangerschaft durch Alkohol sind im Zweifel welche, die man mit etwas Glück sehen kann - ein zu kleines Hirn, ein zu kleiner Kopf, Organschäden usw. Meine Ärztin ist rührend und macht das jetzt einfach so, so dass ich jetzt innerhalb von zwei Wochen zwei extragründliche Super-Ultraschalls bekomme. Der erste war unauffällig, der Harmony-Test auf die häufigsten genetischen Störungen auch, und in neun Tagen habe ich noch einen Scan, bei dem man hoffentlich schon mehr sehen kann. Ist der auch gut, dann bekomme ich tatsächlich noch ein Kind. Einfach so. Ohne Menogon, Enantone, Gonal, Crinone, Utrogest und ohne Einnistungsspritze. Manchmal denke ich, ich stehe immer noch unter Schock. Meistens sogar. Manchmal freue ich mich fürchterlich. Manchmal denke ich, ich bin vollkommen bescheuert und schaffe das nie. Manchmal denke ich, aber ich habe doch gerade erst den Bandscheibenvorfall und die Beckenbodenschwäche hinter mir, gerade kann ich wieder arbeiten, gerade kommen die Kinder beide in die gleiche Kita in Laufentfernung, gerade wird es leichter und lustiger hier, gerade fängt Michel an zu sprechen und gerade haben wir fast den ganzen Babykram den Flüchtlingen gespendet oder verkauft. Dann freue ich mich wieder, und dann stehe ich wieder unter Schock. Und der Alkohol macht mir immer noch Angst, so schlimm, dass ich trotz der netten Ärztin von Embryotox manchmal kaum Luft bekomme.

Und jetzt ihr. Was sagt man dazu?

Freitag, 26. August 2016

Was dauert denn da schon wieder so lange?

Liebe Abkürzungsdamen,

ich weiß, ich weiß, ich weiß. Aber es gibt einen wirklichen, echten Grund jenseits von Faulheit, kein Bock oder irrem Jobstress, warum hier gerade nichts Neues steht. Ich verspreche, lange dauert es nicht mehr. Dann! Ihr werdet Augen machen. Ich zumindest habe welche gemacht und mache sie noch jetzt.

Freitag, 15. Juli 2016

Diesen Post habe ich in einer Stehjeans geschrieben, und zwar im Sitzen

In den letzten zweieinhalb Wochen habe ich gegessen: zwei große Pizzas mit viel Käse, mindestens vier Stück Kuchen mit Sahne, vier Würstchen, unzählige Käsebrote mit viel Butter und viel Käse, literweise Sahnequark, Fish&Chips und noch so einiges andere, was mir jetzt nicht mehr einfällt, und ich fürchte, ein paar Biere und Weinchen kamen auch noch dazu. In dieser Zeit habe ich zwei Kilo abgenommen.

5:2 ist wieder da! Bevor das jetzt eine meiner Freundinnen liest und sich vor den Kopf haut und faucht, was ich denn jetzt bitte mit Diät will: ganz so super war es in den letzten Wochen auch nicht mehr. Nach den Kindern hatte ich sechs Kilo weniger am Körper als vor der ersten und zweiten Schwangerschaft. Das war ziemlich toll und ist scheinbar irgendwie und einfach so passiert. Ich war ganz glücklich und habe die Kleider wieder aus den Tiefen des Schranks gezogen, die ich da gegen jeden Expertenrat aufgehoben hatte in der Hoffnung, irgendwann wieder zwei Kleidergrößen weniger zu haben. Manchmal passiert es nämlich doch! Manchmal kommen Exfreunde zurück, manchmal verschwinden Pickel von alleine, manchmal ist man besoffen ohne Kater, und manchmal passt man tatsächlich wieder in ein Kleid, das man zuletzt mit 28 anhatte!

Und dann waren es irgendwann nur noch fünf Kilo weniger. Dann vier. Dann null. Diese sechs abgeschüttelten Kilo waren innerhalb von ca. acht Wochen wieder da, und noch eins obendrauf. Ich habe kurz nachgerechnet und bin übern Daumen zu dem Schluss gekommen, dass ich bei diesem Tempo in ca. einem Jahr bei 100 Kilo angekommen wäre. Und das, obwohl ich seit ungefähr zwei Monaten wieder dreimal die Woche laufe! Die bittere Wahrheit ist, so viel, wie ich esse, und zwar nicht ausnahmsweise, sondern bei jeder Gelegenheit, kann man nicht verbrennen. Also habe ich mich erst bei Weight Watchers online wieder angemeldet und nach noch nicht mal 48 Stunden wieder ab, weil die Gefahr bestand, dass ich mich in Hitler verwandele. Ich kann das nicht, immer alles aufschreiben und abwiegen, und am miesesten wird die Stimmung, wenn WW mir erzählen will, wie locker und großzügig das alles ist und dass ich ja schließlich am Wochenende auch mal ein Stück Kuchen essen kann oder eine kleine Schüssel Chips. Ein Stück! Eine kleine Schüssel! Als Belohnung für eine ganze Woche brav sein! Ich weiß nicht, in welcher Welt Leute leben, die davon ausgehen, dass so etwas geht. Jedenfalls nicht in meiner.

Dann ist mir zum Glück 5:2 wieder eingefallen. Das hatte ich zwischen Kalle und Michel mal für ca. acht Wochen gemacht, und es hat funktioniert, und es hat auch überhaupt nicht weh getan, und ich habe auch nicht vor lauter mieser Laune versucht, in Polen einzumarschieren.

Extrem kurz gefasst, geht das so: an zwei Tagen in der Woche darf ich nur 500 Kalorien zu mir nehmen. An den anderen fünf Tagen darf ich dagegen essen, was ich will. Daher: 5:2.

Die Nachteile:
500 Kalorien sind wirklich, wirklich wenig.
Ich muss für die Fastentage ein bisschen planen und einkaufen, ad hoc funktioniert es nicht so gut.

Die Vorteile, der Übersicht halber durchnumeriert:
1. Es funktioniert. Ich esse und nehme ab.
2. Angeblich ist es nicht nur eine Methode, um abzunehmen, sondern auch noch richtig gesund: viele Blutwerte von bösem Cholesterin über Blutfett und Entzündungswerte verbessern sich. Der Körperfettanteile sinkt, die Muskeln dagegen bleiben. Man schläft besser, es ist gut für die Haut (kann ich beides jetzt schon bestätigen), und der Insulinstoffwechsel profitiert auch davon. Nachdem meine Blutwerte bei der letzten Untersuchung nicht so doll waren, hoffe ich mal, dass da was dran ist.
3. Es geht mir dabei richtig gut. Ich fühle mich auch an den Fastentagen wach und fit und wohl. Und Hunger zwar schon auch ab und zu, aber der lässt sich gut aushalten und ist meistens nach fünf Minuten schon wieder weg.
4. Ich muss nur an zwei Tagen in der Woche überhaupt darüber nachdenken. Ansonsten werde ich von dieser Diät in Ruhe gelassen. Das ist etwas, was mich an vielen anderen Diäten immer maßlos genervt hat: erst mit einem einfachen Trick ankommen, der angeblich alles wieder gut macht, und irgendwo auf Seite 30 steht dann, dass es am Ende nur funktioniert, wenn man seine Ernährung für immer umstellt und tüchtig zum Sport geht.
5. Die nächste Pizza ist im Zweifel immer nur einen Tag entfernt. Wenn ich doch mal Hunger habe oder eine Sinnkrise, dann kann ich immer denken: morgen. Morgen holst du dir ein Stück Kuchen. Oder zwei. Und wenn ich am nächsten Tag da immer noch Lust drauf habe, dann mache ich das auch. Ab fünf Uhr Nachmittags fange ich an, mir auszumalen, was ich morgen frühstücke: dann ist der Tag schon so gut wie geschafft, und das war gar nicht schwer.
6. Ich muss weder Mitgliedsbeiträge zahlen noch irgendwelchen Spezialkram kaufen. Das Buch von den Erfindern der Diät habe ich mir billig für den Kindle gekauft, aber alles Wichtige kann man auch kostenlos im Netz lesen. Viel muss man nicht wissen.
7. Wenn man richtig plant, sind 500 Kalorien schon ok. Vorgestern hatte ich z.B. einen Salat aus roher Zucchini mit viel Zitrone und Chili, ein bisschen Olivenöl und ein bisschen Schafskäse, der war extrem lecker und hatte nur 200 Kalorien. Als Mittagessen war der wirklich in Ordnung, und Abendessen habe ich dann einfach nicht mehr gebraucht. Getrocknete Tomaten (ohne Öl) sind auch eine feine Sache, die habe ich an solchen Tagen immer in der Schublade. Shirataki-Nudeln! Rohen Fenchel! Sashimi! Ist doch gar nicht so schlecht. Theoretisch dürfte ich meine 500 Kalorien auch für ein halbes Snickers verjuxen, aber ich habe den Verdacht, das würde nicht so gut hinhauen.
8. Auch für die Zeit, wenn ich wieder bei meinem Traumgewicht bin, gibt es einen Plan: um sein Gewicht zu halten, soll man von zwei auf einen Fastentag in der Woche reduzieren.
9. Ich kann mir die Tage legen, wie ich will. Normalerweise nehme ich Montag und Donnerstag. Nächsten Donnerstag bin ich für Kino verabredet, dann kann ich drüber nachdenken, ob ich Lust habe, mit einer Tüte Möhrchen und einer Flasche Wasser im Kino zu sitzen oder nicht, und den Tag dann auf Mittwoch oder Freitag verlegen.
10. Dass 500 Kalorien so wenig sind, ist auch nicht NUR schlecht. Bei Weight Watchers z.B. habe ich immer und endlos geschummelt, jedes Mal. Wenn drei Kartoffeln erlaubt sind, werden vier doch auch ok sein? Guck mal hier, das sind doch bestimmt jetzt 80 Gramm Nudeln, oder? Oder? Das zweite Stück Schokolade war doch viel kleiner als das erste, das schreib ich jetzt nicht auf? Und immer so weiter. Um wirklich nur 500 Kalorien zu essen, muss man wirklich nachmessen, wie viel Milch man sich in den Tee tut. Und im Zweifel dann eben doch lieber grünen Tee ohne Milch trinken. Jedes Spritzer Sojasauce, jede Möhre, jedes Stück Salatgurke hat Kalorien, und geschummelt wird einfach nicht. Komischerweise kriege ich das hin. Bei Diäten bin ich besser dran mit ganz kurzer Leine. Bzw. an fünf Tagen in der Woche mit überhaupt keiner Leine, Harr!
11. Trotz der beeindruckenden Fressbilanz vom Post-Start: das ist für mich normal. An den Ess-Tagen habe ich nicht das Gefühl, ich muss jetzt unbedingt für die Fastentage mitessen. Im Gegenteil finde ich sogar, mit jedem Tag, der vergeht, habe ich weniger Bock auf die fiesen, fettigen Sachen. Manchmal male ich mir z.B. am Fastentag aus, dass ich mir morgen in der Mittagspause eine Pizza hole. Dann ist die Mittagspause da, und ich will irgendwie lieber Salat. Und zwar ehrlich und in echt, nicht, damit es mit dem Abnehmen noch doller klappt oder ich mir auf die Schulter klopfen kann. Ich wundere mich sehr, aber so ist es.
12. Wenn ich dann mal was esse, dann ist es wie ein kleiner Fasteneffekt: alles schmeckt besser, und ich freue mich wirklich über jede Erdbeere und jedes Käsebrötchen.
13. Sonst war ich für Diäten immer zu dummschlau. Ich habe inzwischen in ganz viele mal reingelesen, und in diesem ganzen Diätenuniversum dann irgendwann einen Zustand erreicht, in dem immer das, was ich gerade essen wollte, aus irgend einem logischen Grund erlaubt war. Abends Pasta? Kann ich morgen ja ausgleichen. Mittags Pizza und Schokolade? Alles gut, so lange ich nach 18 Uhr keine Kohlenhydrate esse usw. Bei dieser Diät funktioniert das nicht. Ich mache sie, oder ich lasse es.

Dreizehn Vorteile. Wenn ich noch ein bisschen nachdenke, dann fallen mir sicher noch sieben ein.

Donnerstag, 30. Juni 2016

Rechts blinken, links abbiegen

Manchmal sitze ich mit meinen Freundinnen zusammen oder an einem Schreibtisch und hätte eigentlich echt was zu tun, aber starre stattdessen Fotos von den Kindern auf meinem Telefon an und mache dazu Geräusche.

Manchmal komme ich von der Arbeit nach Hause, schließe die Wohnungstür auf, im Kopf die Pläne für’s Abendessen und die Emails, die ich gleich noch beantworten muss, und sie kommen angerast und piepen “Mama! Mama!” und für einen Moment hatte ich völlig vergessen, dass es sie gibt, und zucke zusammen und denke für diese winzige Sekunde “Was zur Hölle!?!” oder etwas Ähnliches.

Manchmal gucke ich in den Spiegel und denke, eigentlich gar nicht mal so schlecht. Nicht schlecht für 43 und zwei Kinder!

Manchmal stehe ich in einer Umkleidekabine, sehe die merkwürdig verwohnte Partie zwischen den untersten Rippen und dem Bauchnabel (der in puncto Verwohntheit ganz eigene Maßstäbe setzt) und denke, es ist vorbei mit mir. Ich bin fertig, ausgelutscht, und könnte mir eigentlich jetzt statt dieses Partykleidchens hier genau so gut gleich ein Rentneroutfit in beige mit Elastikbündchen kaufen.

Manchmal streite ich mich so mit L., dass ich überhaupt nicht mehr weiß, wie ich auch nur eine einzige Stunde lang so weitermachen soll.

Manchmal sehe ich ihn mit den Kindern, und er merkt nicht, dass ich schon seit zehn Minuten nicht mehr in der Küche wurschtele, sondern einfach nur gucke, und dann weiß ich, das hier ist meine Familie. Dieser Schlackel und diese zwei kleinen Böhnchen.

Manchmal muckele ich so vor mich hin, höre dazu Musik, räume Sachen in Regale und wische Staub und falte Kinderbodys und hänge endlich mal die verdammten Bilder auf und besorge eine neue Sodastream-Kartusche und gehe auf dem Weg noch zum Altglas und zum Bäcker und stecke die Nase in die Luft und finde, das ist doch ein völlig okayes Leben, so könnte jeder Tag sein, und gleich hole ich die Kinder ab und wir gehen auf den Spieli, und dann Badewanne und Spaghetti und Bett. Wie schön!

Manchmal sitze ich in einem Kita-Elterntreffen und sehe diese Riege blonder, dünner und extrem gepflegter Damen, denen ich demnächst täglich in Kalles neuer Kita über den Weg laufen werde, und die stellen alle nur Fragen zum Thema Stunden - wie geht das, wenn ich mein Kind eine Stunde später abholen will? Kann ich das ausgleichen? Kann ich Stundengutscheine splitten? Und wenn ich morgens eine Stunde früher komme? Das mit den Stunden wollen sie ganz genau wissen, und keiner stellt solche Fragen wie “Und was machen die Kinder da eigentlich den Tag über in Ihrer Kita?”, und L. flüstert mir zu, das wäre hier ja jetzt was anderes, Mütter mit Jobs! Und ich weiß auf einmal genau, die haben keine Jobs. Die haben Pilates. Und dann kann ich nur noch denken, Danke, Danke, Danke lieber Gott, dass ich an einem Schreibtisch sitze und denke und nicht auf einem Gymnastikball und mein Powerhouse aktiviere. Die Hölle! Das muss die Hölle sein.

Manchmal sagt eine Omi in der Ubahn, Also sie an meiner Stelle würde den Kindern aber jetzt echt eine Mütze anziehen, und dann lächele ich ganz freundlich und sage, also der hier, der friert nie. Und dieser hier, der braucht genau zwei Zehntelsekunden, um sich die Mütze wieder abzusetzen und in irgendeine klebrige Pfütze zu werfen. Und dann lächeln wir uns an, und sie hat es verstanden.

Manchmal möchte Kalle in der Bäckerei eine Rumkugel, und ich weiß, der wird davon ungefähr zehn Gramm essen, der Rest ist für mich, und weil ich heute schon zweihundertmilliardenmal Nein gesagt habe, kriegt er jetzt eben seine Rumkugel, und der Bäckereifachverkäufer guckt mich von Kopf bis Fuß und von Fuß bis Kopf an und sagt, “Sie wissen aber schon, dass da Rum drin ist in der Rumkugel. Die kann ich Ihnen aber für den Kleinen nicht verkaufen”, und dann falte ich ihn Ice-Queen-mäßig so zusammen, dass es mir hinterher wirklich leid tut, aber irgendwie auch wieder gar nicht, und trotzdem gehe ich am nächsten Tag da vorbei und will mich entschuldigen, nur dass heute ein anderer Bäckereifachverkäufer hinter dem Suchtmitteltresen steht.

Manchmal bin ich eine von diesen dämlichen Ziegen, die Kinder gekriegt hat und gefälligst mal klar kommen sollte.

Manchmal bin ich doch eigentlich ganz in Ordnung. Eine von den vernünftigen, keine von den Blöden, die immer so nerven und die wir Muttibloggerinnen nicht leiden mögen.

Schizophrenie! Kriegt uns nie!
Harr.

Montag, 9. Mai 2016

Wir nehmen die Regel auf, wo sie passiert

Die Wahrheit ist, ich habe keine Ahnung. Was wird aus unseren Kindern? Was muss ich tun, damit sie glücklich werden? Gibt es überhaupt irgendwas, was ich dafür tun kann? Ich dachte lange, ich muss dafür sorgen, dass sie mit Frustrationen umgehen können. Damit, dass nicht immer alles so läuft, wie sie wollen. Damit, dass es manchmal ein bisschen dauert und man oft etwas dafür tun muss, dass alles gut wird. Aber wenn ich ehrlich bin, weiß ich es nicht. Vielleicht ist es gut, wenn man Kinder so erzieht, dass gerade Quengeln und Rumschmollen sie nicht weiter bringt. Vielleicht ist es gut, ihnen jeden nur erdenklichen Wunsch zu erfüllen, so lange sie so klein sind. Vielleicht müssen sie jetzt gerade ihr Grundvertrauen in die gute, freundliche Welt erwerben, und dafür ist es unbedingt notwendig, dass sie sich willkommen, unbedingt geliebt und jederzeit im Recht fühlen. Andererseits: Vielleicht müssen sie möglichst frühzeitig verstehen, dass Belohnungsaufschub (Psycho-Wort, Entschuldigung) und Eigenverantwortung die Schlüssel zum Lebensglück sind.

Als Kalle noch wirklich klein war, vielleicht fünf Monate alt, war ich mit den Mädchen in der Heide im Wochenendhaus meiner Schwiegermutter. Kalle robbte auf dem Boden herum und dachte und tat so seine Babysachen. Dann fing er irgendwann an zu knatschen, und ich sagte zu den Mädchen: lasst den mal, der muss lernen, sich selbst aus seiner schlechten Laune zu befreien. Dazu machte ich ein Ich-hab-den-Plan-Gesicht. Aber in Wahrheit hab ich überhaupt keinen Plan. Ich denke mal dies, mal das, und in dem Moment, in dem ich es denke, leuchtet es mir immer total ein, und einen Tag und sieben Situationen später das komplette Gegenteil. Ich kenne ein Kind, das fast überall mit nacktem Popöchen herumrennt. Oder ein Kind, das alles essen und trinken darf, was es will, und wenn es 2001er Barolo ist, Bitteschön, die Erfahrung muss es dann eben machen. Ich habe gelesen, dass Französischen Kinder schon als speckbeinige kleine Würmer mit Wasser verdünnten Wein trinken dürfen und dadurch ein extrem vernünftiges und suchtfeindliches Verhältnis zum Alkohol bekämen. Ich habe auch gelesen, dass viele Alkoholiker davon erzählen, wie ihr Papi ihnen damals auf seinem Knie sitzend den ersten Schluck Bier erlaubt hat. Im Nachhinein klingt alles total einleuchtend.
Meine erste Hebamme hat damals gesagt, ich muss unbedingt immer in Sicht sein, aber nicht immer eingreifen, wenn mein Baby weint. Dafür hatte sie die logische Erklärung, dass eine Mutter immer da sein muss, und das bildet dann im Kopf des Babys so etwas wie einen tröstenden Hintergrund, vor dem alle Nöte und Ängste sich relativieren; eine Art automatisches Grundvertrauen durch Anwesenheit. Ich dachte, was kann es Schlimmeres geben, als zu Brüllen, und die Frau, in die Du all Deine Hoffnungen setzt, steht daneben, aber lächelt nur sonnig und hilft Dir nicht? Darum bin ich nach Nebenan gegangen, wenn ich sicher war, Baby ist satt und trocken und warm genug eingepackt und muss jetzt eben mal kurz klar kommen.

Und auch das - nicht sofort hinrennen und hochreißen und an sich pressen und trösten - können bestimmt viele nicht verstehen, aus völlig logischen und nachvollziehbaren Gründen.

Was tun wir hier? Ich hatte schon mal so eine Phase, und damals hat mir eine sehr nette Stammtisch-Dame geschrieben, die Hauptsache wäre, dem Baby nicht mit der Bratpfanne auf den Kopf zu hauen. An diese Regel habe ich mich bisher gehalten. Immerhin!

Zurück in die Zukunft

In den letzten Wochen habe ich auf ebay nach folgenden Dingen gesucht:
Fisher Price Badewannenspielzeug - eine Kanne, ein Bootchen und eine Schildkröte, jeweils mit einem glatzköpfigen Männchen als Besatzung.
Fisher Price Spielhäuser aus den 70ern, die zum Aufklappen mit Tragegriffen oben dran.
Ali Mitgutsch Wimmelbücher. Ich hatte noch meine alten, aber die Kinder haben sie binnen Tagen kurz und klein gerissen.
Puppenstubenmöbel aus Holz, die gleichen, die ich als Kind hatte und von 5 bis 13 fast täglich bespielt habe, die aber jetzt meine Schwester kriegen soll.
Dieses Spiel mit den Dreiecken, Kreisen und Vierecken, bei dem man Farben und Formen lernen soll.
Eine Gänse- oder Entenlampe.
Einen Brunnen aus Plastik, bei dem man Wasser einfüllt und dann mit einer kleinen Handpumpe in einen kleinen Eimer pumpen kann.
Eine Spardose zum Aufziehen in Form eines Apfels, bei der man ein Geldstück auf einen Knopf legt, und dann kommt ein Wurm hervor und holt sich das Geld.
Ein Mäppchen aus Plastik und eine Thermoskanne mit Snoopy.
Einen Playmobil-Wohnwagen inklusive Vordach, Campinggeschirr, Liegestuhl und Sonnenschirm.

Das sind alles Dinge, die ich entweder als Kind hatte, die meine Eltern aber inzwischen weggeschmissen haben, oder Dinge, die ich als Kind unbedingt haben wollte.

Und dann fällt mir wieder ein, wie ich damals unbedingt wollte, dass mein Kind ein Mädchen wird, und das tagelange Schmollen, allen Ernstes, als klar war, das wird wohl nichts.

Und ich frage mich manchmal: will ich hier einen Versuchsaufbau herstellen, bei dem meine Kindheit bis ins Detail nachgestellt wird, nur diesmal irgendwie besser, toller, fröhlicher und auf jedem Fall mit schönerem Ausgang und diesmal mit mir am Ruder? Bin ich am Ende auch so eine, die sich selbst mit aller Gewalt in ihre Kinder projiziert und keine Ruhe gibt, bis sie nicht ein Rudel kleiner Mini-Mes geformt hat? Als wäre das eine Maxi-Me nicht schon mehr als genug? Und wenn ja, warum tue ich das?

Oder fand ich nur diesen Fisher-Price Kram schon immer toll und hätte gerne, dass meine Kinder eben auch was Nettes zum Spielen haben, was man dazu auch noch mit einem Handgriff wie eine Handtasche überall mit hinnehmen kann?

Sapristi. Es treibt mich gerade wirklich um. Und das, wo ich gerade so wenig zum Nachdenken komme. Seit Dienstag sind beide Jungs zuhause, Michel hat Hand-Mund-Fuß oder so, und Kalle muss aus Quarantänegründen auch wegbleiben. Zum Glück ist das Hamburger Wetter gerade so, wie man es vom Münchner Wetter erwarten würde. Und zum Glück bringt diese Krankheit außer roten Punkten überhaupt keinen Ärger für Michel mit sich.

Hätte ich mal damals im Psychoanalyse-Seminar weniger mit den Augen gerollt und mehr mitgeschrieben.

Freitag, 29. April 2016

Sind wir schon wieder bei Sammelposts?

Eine Schwangerschaft geht so lange, wie sie gekommen ist, das habe ich schon so ungefähr 864 mal gelesen. (Kommt das nur mir so vor, oder liest man so ziemlich alles rund um Schwangerschaften und Babies nie nur einmal, sondern immer 864 mal?) Wenn man also vier Jahre Spritzen und OPs zu meinen Schwangerschaften dazu rechnet, dann war das fast schon überhastet, dass ich mir gestern tatsächlich zwei neue BHs geleistet habe und dafür zwei inzwischen rosagrau gefärbte Still-BHs entsorgt habe. Den letzten, den schwarzen habe ich noch behalten. (Und ja, ihr habt richtig gezählt, ich besitze nun drei BHs. Erzählt das bitte nicht meinen neuen Eppendorfer Nachbarinnen.) Wäre nicht irgendwann dieser Bund aus T-Shirt-Stoff gerissen, dann hätte ich auch mit Sicherheit heute noch ab und zu eine Schwangerschafts-Jeans an. Die waren aber auch schön! Und gemütlich! Und kompatibel mit meinen Obelix-Attacken! Und wären eine sichere Wahl gewesen, hätte ich mir nur ein Schwangerschafts-Kleidungsstück aussuchen dürfen.

Michel kann laufen, und ich sehe ihm dabei zu und freue mich daran. Ich kriege das Bild nicht aus dem Kopf, das L. kurz nach der Geburt von seinen Füßen gemacht hat: zwei nach innen gebogene, krumme arme kleine Dingerchen, mehr wie Haken mit Zehen dran. Und jetzt, drei Gipse und unzählige Nächte mit dem orthopädischen Snowboard später, läuft er wie der Blitz. Vorwärts, rückwärts, um die Kurve: ich bilde mir ein, Kalle wäre nicht so schnell so schnell gewesen. Bei mir vermischen sich Hoffnung und Erwartung immer ziemlich extrem, und wenn ich mir sicher war, dass alles gut wird, dann war das vermutlich zu 80% Hoffnung. Aber es ist alles gut geworden. Liebe Schwangere da draußen, die gerade eine Klumpfußprognose bekommen haben: das wird kein Spaß, aber auch keine Tragödie. Überhaupt keine Tragödie. Es besteht kein Anlass, mit in den Pulloverärmeln vergrabenen Händen sorgenvoll auf dem Fensterbrett zu kauern und in den Regen zu starren.

Nach wie vor habe ich eigentlich keine Ahnung, was ich hier tue. Gerade heute vormittag hat L. mich angepfiffen, weil ich zu nachgiebig wäre. “Ach so, er will seinen Dingsbums mit in die Kita nehmen, und du sagst einfach Ja, ja?” Ich habe darauf geantwortet, dass ich im Moment gefühlt 300 mal am Tag Nein sage und ab und zu einfach so, aus einem Impuls heraus dann Ja sage. Ich will keine verwöhnten Kackbratzen aus meinen Kindern machen. Ich will auch weiterhin, dass Vernunft und Liebe, nicht Faulheit und Wurschtigkeit die Hauptbosse in der Erziehung meiner Kinder sind. Aber ab und zu muss doch auch mal was egal sein dürfen, oder?
Ich fühle mich also weiterhin kein bisschen kompetent, und trotzdem juckt es mich in den Fingern, Ratschläge zu erteilen. (Bei IVF war das einfacher, schon die erste IVF macht Dich zum Experten in den Augen aller, die noch keine hatten. Bei Kindern bleibst Du dagegen zeitlebens ein Depp, scheint mir.) Ich würde zum Beispiel gerne der ganzen Welt den Tipp geben, gegen wunden Po und wunden Fuß und überhaupt wundes irgendwas die gute Palliativ-Creme zu kaufen. Das ist eine Penaten-artige weiße Creme, die auch ungefähr so billig ist wie Penaten. Es gibt sie in hellgelben Dosen, man bekommt sie in der Apotheke, wenn auch meist nur auf Bestellung, aber das geht in Apotheken ja immer sehr fix. Diese Creme wirkt derartige Wunder - einmal hat sie z.B. einen Po voller offener Wunden (dank Budni-Feuchttüchern) innerhalb von 12 Stunden in einen wieder babypopo-artigen Babypopo verwandelt. An Michels Füßen hat sie auch schon gezaubert; manchmal sitzt doch mal eine Schnalle schief oder was auch immer, auf einmal ist da eine dicke, aggressiv rote Stelle, und wenn ich die dann nicht schnell in den Griff bekomme, muss er aussetzen mit den orthopädischen Schuhen - was ziemlich finstere Folgen haben kann. Die Palliativ-Creme hat mich noch nie im Stich gelassen. Sie wirkt da, wo Penaten und Bepanthen versagen. Steckt dahinter irgend ein düsteres Geheimnis wie z.B. Radioaktivität, Krötendreck und Spinnenbein oder Kryptonit, will ich es nicht wissen. Kein Mensch hat je von ihr gehört, dabei ist sie so toll. Liebe Palliativ-Creme Marketing-Bosse, wir wissen doch alle, wie es ist - da tut man und macht… solltet ihr Hilfe bei der Vermarktung Eures hervorragenden Produktes suchen, helfe ich gerne weiter! Zum Freundschaftspreis!

Unter uns wohnt ein älterer Herr. Er hat selbst Kinder, zumindest eins, es wohnt nämlich mit Frau und Kind in der Wohnung, die seiner gegenüber liegt. Er weiß also, wie das ist. Zu wissen, wie das ist, heißt aber noch lange nicht, das auch gut zu finden, wenn man jetzt, mit über 70, nachdem man diesen ganzen Mist bzw. diese Phase, wie wir Eltern sagen, längst hinter sich haben sollte, immer noch täglich um sieben aus dem Bett fällt, weil die Kinder im Stockwerk über einem mit Spielzeug werfen oder ständig den Flur rauf und runter rennen. Wir versuchen schon, sie leise zu halten. Wir hatten das Herr-X-unter-uns-Gespräch schon ca. 80 mal. Wir spielen Leise-Spiele und vertrösten und bestechen sie, damit sie die ganz lauten Sachen noch etwas aufschieben. Außerdem kaufe ich Blumen. Momentan steht der vierte Blumenstrauß in der Küche, den ich für den Herrn unter uns gekauft habe und den ich ihm dann nicht übergeben kann, weil er nicht aufmacht. Ich hoffe, das liegt daran, dass er eine Datsche hat, in die er am Wochenende fährt, um sich von der geräuschvollen Woche zu erholen. Ich hoffe nicht, dass er hinter der Tür steht und denkt “Oh Gott, die irre Olle mit den zwei irren Kindern, wenn die nicht weggeht, ruf ich die Polizei”.

Nach wie vor ist die Jobsituation finster. Die Agentur, für die ich früher und vor allem nach Kalle drei mal pro Woche gearbeitet habe, braucht mich nicht mehr so oft. Wenn sie einen Texter brauchen, fragen sie immer mich, es hat nichts mit mir zu tun, es ist nichts Persönliches. Gleich nächste Woche bin ich einen Tag da, die Woche drauf auch, na also. Das reicht aber nicht. Also habe ich mir eine Homepage mit Texten und anderem Kram gebastelt und Emails an viele Personal-Leute in vielen Agenturen geschrieben. Manche antworten gar nicht. Manche schreiben zurück, vielen Dank, das sieht ja ganz toll aus, wir melden uns. Manche antworten, sie buchen grundsätzlich keine Freien, aber wenn sie es täten, würden sie mich fragen, und ob ich mir nicht vorstellen könnte, dort fest anzufangen? Also, Vollzeit? Darauf antworte ich dann, dass ich zwei kleine Kinder habe und man irgend ein Arrangement finden müsste, was selbstverständlich theoretisch und überhaupt denkbar wäre. Dann sagen sie, au ja, das klingt toll, sie melden sich. Manchmal läuft es auch wirklich, wirklich schief. Vor ein paar Wochen war ich auf der Website einer ganz tollen Hamburger Agentur und habe begeistert festgestellt, dass eine ehemalige Kollegin, mit der ich mich damals gut verstanden habe, dort jetzt in der Personalabteilung sitzt. Da habe ich ihr geschrieben, ungefähr so: Mensch, X., wie schön, mal wieder auf Dich zu treffen! Hoffentlich geht’s Dir gut? Ich schreibe, weil ich gerade meine Homepage als freie Texterin fertig habe, und hier ist die Adresse, und ich würde mich sehr freuen, wenn es mal mit einer Buchung klappt bei euch! Darauf hat sie geantwortet, Wer bist du? Ich habe zwar kurz gestutzt, aber sofort zurückgeschrieben, klar: ich hieß damals noch Flora Dingens, hab dann geheiratet, worauf ich Flora Albarelli hieß, und ich war die Teampartnerin von Z., wir saßen in den Eckbüro in der dritten Etage, weißt Du noch? Du warst ganz oft mit einem Kaffee bei uns! Sie hat geantwortet, da klingelt nichts, müsste ich ein Foto sehen. Ich habe ein Foto geschickt. Sie hat geantwortet, sie kennt mich immer noch nicht, und meine Homepage ist Passwort-gesichert. Ist sie nicht. Und dann habe ich nicht mehr geschrieben. Und das Problem - das große Problem mit mir - ist, dass mich sowas fertig macht. Ich habe keine Ahnung, was da los ist. Ist die einfach doof? Ich habe ihr niemals etwas getan oder schlecht über sie gesprochen, die hat keinen Grund, mich zu dissen. Und auch, wenn man das selbst eigentlich nicht sagen darf, ich bin echt nicht schlecht in meinem Job, es gibt also auch keinen Anlass, mich “wegzuekeln”.
Vielleicht bin ich am Ende doch nicht zur Freelancerin geboren. Dieses Klinkenputzen geht mir wider die Natur. Ich wäre der weltschlechteste Staubsaugervertreter, als Selbstvertreter bin ich nur unwesentlich besser. Trotzdem muss ich das hinkriegen, denn eine Festanstellung ist das Letzte, was mit zwei so kleinen Jungs geht. Niemand stellt in meinem Job jemanden neu in Teilzeit an, langjährig fest angestellte und längst unentbehrliche Kolleginnen können das machen, eine Neue nicht. Und wieder mal denke ich, dass ich zwar im Job nicht schlecht bin, aber in Jobdingen eine totale Null. Ich kenne niemanden in meinem beruflichen Umfeld, der so viele kreuzdämliche Entscheidungen getroffen hat, wenn es um die eigene Karriere geht. Und nein, damit meine ich nicht, ich hätte keine Kinder kriegen sollen. Um Himmels willen! Nein. Nicht genug bezahlt zu tun zu haben, macht mich fertig. Nicht nur pleite, sondern auch fertig: es frisst am Selbstvertrauen, und wenn meine Freundinnen von ihren Jobs erzählen, gucke ich aus dem Fenster mit in den Pulloverärmeln vergrabenen Händen. In den Regen! So geht's nicht weiter.

Stammtisch! Mir fällt keine Überleitung ein. Aber Stammtisch! Donnerstag hatte ich ja vorgeschlagen. Da bieten sich die folgenden Donnerstage an: 12., 19. und 26. Mai. Sagt doch mal? Je nachdem, wie viele wir werden, können wir ja mal gucken, wo.

Mittwoch, 6. April 2016

Babyschritte

Mein Beckenbodentrainingsdings heißt, falls ihr euch erinnert, femifree. Bei femifree sitzt eine Dame, die ich damals angeschrieben habe, als ich ein Probegerät haben wollte, und sie fragt immer mal wieder, wie es so läuft. Und in den letzten Monaten hatte ich selten gute Nachrichten. Ich war dabei! Ich hab traininert! Aber dann war ich krank. Dann war ich wieder krank. Dann war der Rücken im Eimer. Dann war ich zur Abwechslung krank. Und zum Schluss hatte ich einen Husten, der gefühlt alle Trainingsbemühungen der letzten Monate, Quatsch, Jahre, innerhalb weniger Tage zunichte gemacht hat. Ich hustete wie ein ganzes Hollywoodlazarett, verbrauchte jeden Tag eine komplette Apothekenpackung Tena in der Stärke “Dicker Strahl”, und zu der Husterei kam dann auch noch ein dauerverquollenes Gesicht, weil ich jeden Tag dreimal vor Wut und Frust in Tränen ausbrach. Ehrlich, das sollte es jetzt sein? Da trainiere ich jeden Tag wie ein Uhrwerk, führe sogar ein Trainingstagebuch, und am Ende reicht eine Erkältung, und man ist wieder Pflegestufe drei? Wo ich doch eigentlich längst wieder mit iphone im Ohr um den Park rennen wollte? Ach was, bleiben wir bescheiden, wo ich doch eigentlich gehofft hatte, auch weiterhin nicht bei jedem Schritt aus der Hose zu knistern? Bleibt das jetzt so? Für immer?

Dann hat meine Ärztin mir Codein-Tropfen und ein fieses Spray gegen den Husten verschrieben, mir außerdem erklärt, dass ich für’s Immunsystem statt Vitamin C lieber Zink schlucken soll, und mich auch sonst ein bisschen aufgebaut, und nach drei Tagen war der Husten weg.

Und ich dachte, also schön, raffe ich mich eben wieder auf, noch sind genug Barnaby-Folgen auf dem Festplattendings für die ersten Trainingseinheiten. Jeden Tag habe ich mir die Manschetten umgeschnallt, das frisch geladene Therapiegerät um den Hals gehängt, die Kabel in die dafür vorgesehenen Nupsis gesteckt und mich sanftem Elektrogebrizzel ausgesetzt, während vor meinen Augen grausige Morde in idyllischer Landschaft aufgeklärt wurden.

Das tue ich jetzt seit ca. fünf Tagen. Und gestern - fragt mich nicht, wieso - war es mal wieder so weit. Meine Laufschuhe haben mich aus dem Schuhregal auf diese gewisse Art angeplinkert, und ich bin ein bisschen rot geworden und konnte nicht wegsehen. Seit Kalles Geburt habe ich das bisher vier mal versucht. Jedes Mal war ich voller Motivation und kaum zu bändigender Energie, und jedes Mal kam ich nach fünf Minuten nassgepiescht und nassgeheult mit eingeklemmtem Schwanz nach Hause geschlichen. Und gestern -

gestern ging es. Es war nur ein ganz kleines Anfängerprogramm! Fünfzehn Minuten im Ganzen, davon nur ein paar Ein-Minuten-Abschnitte Laufen, der Rest gehen! (Aber das war es die letzten Male auch.) Ich bin auch nur ganz locker getrabt! (Bin ich die letzten Male auch.) Und ich wollte es nicht übers Knie brechen, sondern einfach nur mal versuchen! (Genau wie die letzten Male.)

Und geheult habe ich auch, aber zur Abwechslung mal nicht vor Wut.

Ich weiß, dass das noch nicht das Ende meiner Beckenbodenprobleme sein muss. Kann gut sein, dass das nächste Mal wieder die Hose nass wird und das dann um so mehr weh tut. Flieg nicht zu hoch, mein kleiner Freund! Kann sein, dass ich die Playlist, die ich jetzt schon wieder für zukünftige Läufe zusammenstelle, vor allem im Sitzen hören werde. Kann alles sein. Aber auch, wenn das nicht das Ende meiner Beckenbodenprobleme ist, ist es doch der Anfang vom Ende.

Hier sitzt eine, die ist sehr, sehr einverstanden mit dem, was ihr komischer endometriosevergrützter Körper ihr in letzter Zeit so anbietet. (Über die schlimmen Haare und diese Dauererkältung reden wir ein andermal. Wer könnte da noch böse sein!)

Und darüber hinaus habe ich letzte Woche gelesen, dass Kate Winslet nun in der Öffentlichkeit über ihre Beckenbodenprobleme spricht. Kate Winslet! Die mochte ich schon immer.

Dienstag, 22. März 2016

Schizophrenie, fürchte ich.

Jeden Morgen wirft mich eins der Kinder um halb sieben aus dem Bett. Ich schlurfe noch blind ins Bad, klemme mir die Kontaktlinsen in die roten Augen, werfe meine vor-dem-Frühstück-Medikamente ein und bin mittendrin: im Gewühle, im Gebrüll, im Erfüllen von Kinderwünschen, im Broteschmieren, im Windeln wechseln, im auf und ab rennen und tausend klitzekleine Sachen zusammensuchen. Kleine Brotdosen, kleine Joghurts, kleine Rucksäcke, kleine Schuhe, kleine Mützen. Der Lärmpegel steigt, ich schicke einen flehenden Besänftigungsgedanken zu dem netten älteren Herrn, der unter uns wohnt und ohne uns sicher bis zehn Uhr behaglich schlafen könnte und der noch nie den kleinsten Vorwurf geäußert hat. Noch nicht mal mit Blicken! Dann haben alle ihre Jacken an und der Hund seine Leine, L. und ich wackeln mit der kleinen Karawane los, packen Hund und Kinder ins Auto, und dann fährt L. davon Richtung Kita, ich winke, und weg sind sie.

Ich komme zurück in die Wohnung, und da ist er: der Kram. Stofftiere, Spieluhren, kleines Kochgeschirr, das zum Spielen da ist, und großes Kochgeschirr, das eigentlich nicht zum Spielen da ist, Fläschchen, Kapuzenhandtücher, Zahnkügelchen, Schlafanzüge, zu strammen Päckchen zusammengerollte volle Windeln, Dreckwäsche, Bilderbücher, halbleere Müesli-Schüsseln, ausgespuckte Mandarinenstücke, Riesenlego, Schleichtiere, Autos, Puzzleteile, der schöne Affe ohne Arme, alles liegt überall rum, und weil Mama immer noch einen Bandscheibenvorfall hat, bückt sie sich nach jedem Teil ungefähr so, wie man das im Fernsehen bei Geishas sieht. So irgendwie seitlich und als müsste man sich dringend einen Piesch verkneifen. Das dauert ewig, und ein paar Teile bleiben immer liegen. So lange die Kinder um mich sind und brüllen und sich an den Haaren ziehen und ständig irgendwas wollen und so dermaßen DA sind, macht der Kram mich wahnsinnig. Kaum sind sie aus dem Haus, macht er mich melancholisch. Dieser leere Habitat-Bus, die Männchen kreuz und quer verstreut - wo kommt er her? Wo fährt er hin? Ich sehe ihn an und seufze.

Ich habe ehrlich einen Knall.

Sonntag, 20. März 2016

Neues von der großen Eiertanz-Kochbuch-Challenge

Sicher knabbert ihr schon an den Nägeln vor lauter Aufregung, was denn nun aus dem Gekoche geworden ist.

Naja.

Also schön. Es lief ungefähr folgendermaßen: das Kochbuch steht im Regal neben dem Küchentisch. Jedes Mal, wenn ich in den letzten Wochen einen Einkaufszettel geschrieben habe, dann habe ich das Buch dazu geholt und durchgeblättert auf der Suche nach mindestens einem Rezept, für das ich gleich einkaufen kann. Und jedes Mal habe ich das Buch am Ende zugeklappt und dumpf ins Leere gestarrt. Auf einmal hatte mich wie durch Magie jede Lust zu Kochen komplett verlassen. Lag es an den nach wie vor nervigen, gestellten, totdekorierten Fotos? Lag es an den teilweise offensichtlich hirnrissigen Anweisungen in den Rezepten, die überdeutlich machen, dass Katie zwar schön fotografieren kann, aber leider nichts vom Kochen versteht, was für eine Kochbuchautorin ja eher... nicht so gut ist? Eigentlich koche ich gerne, ich esse sogar noch lieber, und meine Kochbücher nehme ich sonst mit ins Bett, in die Badewanne, überall hin, manche sind schon völlig zerfleddert, obwohl ich erst zwei-drei Rezepte daraus probiert habe. Das war noch nie, dass ein Kochbuch mich vom Kochen abbringt, und zwar insgesamt, nicht nur vom Kochen der Rezepte auf seinen Seiten. Schlimmer als das, sogar das Träumen vom Kochen hat es mir verekelt! Und gestern habe ich es mit einem verächtlichen Schnauben zugeklappt und mir gedacht: dieser Vorsatz ist ungefähr so sinnvoll, als hätte ich mir vorgenommen, bis Jahresende mit zwanzig Herren mit Mundgeruch zu knutschen. So viel Sportsgeist habe ich nicht in mir, es unbedingt schaffen zu wollen, nur um es zu schaffen. Weg damit!

Weg überhaupt mit Einigem. Hier herrscht nämlich gerade der große Frühjahrsputz, und zwar die Sorte, zu der man keine Gummihandschuhe tragen muss. Ich habe endlich eine Art von Kosmetik für meine rote Haut gefunden und den Rest weggeschmissen, statt weiter acht Jahre alte Make-Up-Reste, ranzige Augencreme und zerklumpte Puder für schlechte Zeiten aufzuheben, nur weil sie mal teuer waren. Ich habe meine Zeitschriftenabos gekündigt (und eins davon nach ein paar Tagen Entzug online wieder neu bestellt, zu einem Fünftel des Preises und außerdem mit Archiv, so dass ich jetzt zehn Jahrgänge zu L.s großer Freude einfach ins Altpapier werfen kann) und die Sockenschublade sortiert. Das hat eine ganze Folge Barnaby lang gedauert, kann man mal sehen. Die löchrigen oder einzelnen Socken sind in eine Stofftasche gewandert, aus der ich mich jetzt bediene, wenn ich Schuhe putze oder Möbel poliere, was zur Folge hat, dass ich seitdem schon zweimal alle Schuhe geputzt und so oft den Küchentisch poliert habe, dass die Wachsdose jetzt alle ist und wieder neu besorgt werden muss. Ich habe meinen Kleiderschrank ausgeräumt und wieder eingeräumt, und ich habe nach einem langen, ehrlichen Blick in den Spiegel eine Papierschere genommen und die federfeinen Fransen, die gerade das untere Drittel meiner Frisur ausmachen, einfach abgeschnitten. Ich habe mir eine neue elektrische Zahnbürste gekauft und L. hinterlistig in einen Deal verwickelt, der ihm verbietet, mir jemals Vorschriften hinsichtlich der Ladezeiten zu machen, was er sonst immer getan hat und was mir elektrische Zahnbürsten insgesamt vermiest hatte. Ich habe mir als Vollnerd sogar die Zahnputz-App dazu geladen und bin jetzt laut App noch acht Tage von knallweißen Hollywood-Zähnen entfernt. Ich brauche meine fast leeren Shampoos auf und verbiete mir, vorher ein neues zu kaufen. Ich habe beide Wäschetruhen bis ganz unten einmal durchgewaschen, alles vom Festplattenrekorder gelöscht, was ich sowieso auf DVD habe (rümpft hier eine die Nase, wie niedrig hier die Latte inzwischen hängt? Da war Kram dabei, der lag da seit zwei Jahren, und den hatten sowohl L. als auch ich unabhängig voneinander auf DVD und ich außerdem mal aus Ungeduld bei itunes gekauft.), ein neues Fitness-Buch angeschafft, eine Großbestellung bei Pixum aufgegeben und einen Plan gemacht, was auf dem Balkon wachsen soll. Ich mache Montags To-Do-Listen, und Mittwochs habe ich sie meistens schon durch, ich trage Termine in meinen Kalender ein und gehe dann auch tatsächlich hin, und ich püttere und werkele so durch meinen Tag und fühle mich ganz gut dabei. Und die Zähne sind so schön glatt auf einmal! Herrlich. Selbstzufriedenheit, yay!

So, die Damen. Stammtisch? Wie wäre ein Donnerstag? Ich sage gleich, dass ich am 14. 4. nicht kann, und am 24.3. hab ich Geburtstag und kann auch nicht. Sagt ihr doch mal?

P.s. hat eine diesen Artikel im Spiegel Spezial gelesen? Ich hoffe nicht. Nichts gegen den Artikel, aber das Foto hat mich dazu gebracht, zu beschließen, so etwas nie, nie wieder mitzumachen. Obwohl die Fotografin so nett war. So nett, dass ich ganz zutraulich wurde. Und am Ende dachte, die hat das schon verstanden, wenn ich ihr sage, ich möchte bitte kein Foto, auf dem ich schiele oder so aussehe, als hätte ich gerade eine Marienvision.

p.p.s. das Kochthema ist nicht komplett vom Tisch, ich habe nur entschieden, ich mache es doch wieder wie letztes Jahr: ein Jahr, hundert Rezepte. Wobei heute schon der 20.3. ist, das reicht mir als verschärfte Herausforderung. Ergänzt um den Vorsatz, bis Silvester Katie und ihr Kochbuch komplett zu ignorieren.

Sonntag, 21. Februar 2016

Die große Eiertanz-Kochbuch-Challenge oder wie ich wieder mal einen großen Plan geschmiedet habe, an den ich mich wenig später so gar nicht mehr erinnern wollte. Teil 1: What Katie ate at the weekend.

Letztes Jahr hatte ich den Vorsatz, in 365 Tagen 100 mal nach Rezept zu kochen. Dabei war ausdrücklich nicht Bedingung, dass die Rezepte alle Premieren für mich sein müssen. Das hat die Sache einerseits erleichtert, denn auf diese Weise wurden auch "Wie ging noch mal der Rotweinkuchen von Mama"-Gelegenheiten Teil der 100 Rezepte. Andererseits war es so natürlich etwas weniger abenteuerlich. Dieses Jahr wird anders. Dieses Jahr gehen beide Kinder in die Kita, können laufen, demnächst vielleicht ja sogar beide sprechen und damit Sachen sagen wie "Mama, falls Du mich suchst, ich bin im Kinderzimmer und lese", darum schraube ich jetzt die Schwierigkeit und gleichzeitig den Spaßgrad für mich ein bisschen nach oben. Und zwar folgendermaßen: in meinem Kochbuchregal stehen ganz viele Kochbücher, die ich unbedingt mal haben wollte. Aufgeregt habe ich täglich auf die Sendungsverfolgung geklickt, mir Vorschauen und Kritiken online durchgelesen und das Paket dem DHL-Mann aus der Hand gerissen. Dann habe ich mich damit bei nächster Gelegenheit aufs Sofa gehauen und ein paar Eselsohren an besonders nette Rezepte gemacht. Und dann - nichts. Am Ende bin ich erstens ein Gewohnheitstier und zweitens ein viel zu großer Nigella-Fan; andere haben es wirklich schwer, da auch mal einen Fuß in die Tür zu bekommen.

Dieses Jahr wird das anders! Ich begebe mich auf große Fahrt durch mein Kochbuchregal, und ihr müsst mit. Meine Familie auch, ob sie will oder nicht. Wenn es gut läuft, knöpfe ich mir bis Jahresende zehn Kochbücher vor.

Den Anfang macht Katie Quinn Davies' "What Katie ate at the weekend".
So sieht das aus:



Wobei die Weichzeichner-Optik daher rührt, dass das von L. geliehene Handy den Geist jetzt wirklich langsam aufgibt. Und die rosa Zettelchen oben im Bild sind Post-Its, mit denen ich Rezepte markiert habe. Lasst euch übrigens vom Titel nicht täuschen, es handelt sich um die deutsche Ausgabe.

Dieses Buch habe ich mir zu meinem letzten Geburtstag von meinen Eltern gewünscht und bekommen. Es ist das zweite Buch der Autorin, die in Australien lebt und schon seit einigen Jahren den extrem erfolgreichen Kochblog "What Katie Ate" schreibt. Außerdem arbeitet sie für Magazine und als freiberufliche (vor allem Food-) Fotografin und -Stylistin. Ein ziemliches Schwergewicht also unter den Fressschreibern. Seit ich das Buch habe, habe ich schätzungsweise zehn Stunden damit zugebracht, darin zu blättern und Rezepte für irgendwann mal herauszusuchen, und eine Stunde damit, daraus zu kochen. Das Rezept - ein Blumenkohlgratin - war für etwas, was man normalerweise freestyle mal so eben aus ein paar Käseresten, Bechamel und natürlich Blumenkohl zusammenschmeißen würde, ziemlich aufwändig und dabei geschmacklich eher eine 3-. Warum koche ich dann jetzt trotzdem noch daraus? Weil ich noch nicht aufgeben will, ein paar Nieten hat jedes Kochbuch frei. Weil mich ein paar der Rezepte wirklich sehr anlachen. Und weil ich irgendwo schließlich anfangen muss.

Abgesehen vom enttäuschenden Blumenkohl habe ich aber jetzt trotzdem schon mal ein paar Dinge zu meckern. Erstens finde ich die Food-Styling-Mode, die seit ein paar Jahren ziemlich um sich greift und die eine Art angehyptes "Wie bei Muttern"-Gefühl herzustellen versucht, nicht so schön. Was soll denn immer dieser Flohmarktkram im Bild? Diese rostigen alten Löffel, von denen doch niemals jemand ernsthaft essen wollen würde, schon allein deshalb, weil man sein Essen doch eher nicht mit Rostgeschmack haben möchte? Überhaupt ist mir vieles zu überstylt: das hier ist ein Kochbuch mit Rezepten für Freunde und Familie, die am Wochenende zu Besuch kommen, da kann ich verstehen, wieso es auch Bilder von großen Tafeln und lustiger Runde gibt. Aber müssen die wirklich allen Ernstes Strohhüte aufhaben, während sie da unter einem improvisierten Baldachin hocken und jetzt mal alle total spontan und glücklich aussehen? (Willkommen beim Kochbuch-Grinch, könnte man denken. Dabei mag ich Kochbücher! Und Gäste! Und Feiern! Und Baldachine meinetwegen auch! Aber irgendwas stimmt hier nicht.)
Dann mag ich den Schreibtstil nicht besonders. Fast alle Texte, die sich nicht unmittelbar um die eigenen Rezepte drehen, sind sturzlangweilig. Italien? "Die Menschen, die Landschaft, die Geschichte, die mittelalterlichen Städte, die Sprache - alles zieht mich in seinen Bann.", und das war nur eine x-beliebige Stelle, auf die mein Blick jetzt gerade gefallen ist.
Überhaupt verstehe ich nicht, was diese seitenlangen Foto- und- Textpassagen über Dublin, Italien, New York etc. sollen, wenn sie nicht ein Kapitel über irisches, italienisches oder amerikanisches Essen einleiten sollen. Aber jetzt sind sie eben da, und ich kann sie ja überblättern, wenn sie mich nicht interessieren.

Und jetzt höre ich auf zu maulen und fange an zu kochen. Auf der Liste stehen unter anderem: Super-Smoothies, Emmersalat mit Feta, Buffalo-Hähnchen, Chorizo-Tomaten-Tarte, Rippchen mit Chilis, eine Quiche mit Forelle, Auberginen-Mozzarella-Lasagne und Brownies mit Kirschen und Salzkaramell. Sollte sich die Blumenkohl-Erfahrung aber wiederholen, dann werfe ich irgendwann auf halber Strecke das Handtuch und gehe zum nächsten Kochbuch über.

Und nein, weil ich in heiligem Respekt vor dem Copyright lebe, kann ich leider nicht die Rezepte veröffentlichen. Aber weil es eine Blog-Autorin ist, die dieses Buch geschrieben hat, gehe ich fest davon aus, dass es viele der Rezepte auf ihrer Seite online gibt. Und natürlich wird mich nichts davon abhalten, ein paar stimmungsvoll verschwommene Fotos von dem Ergebnis meiner Bemühungen zu machen und hier einzustellen und meinen Gefühlen darüber freien Lauf zu lassen.

Freitag, 19. Februar 2016

Wir sind Mama.

In letzter Zeit beobachte ich an L. manchmal eine gewisse Vorsicht beim Betreten der Wohnung. Als würde er kurz Witterung aufnehmen, wie die Stimmung so ist und was ihn heute für eine Überraschung erwartet. Ich grusele mich, aber ich kann ihn verstehen. Denn die Persönlichkeitsspaltung, die ich an mir feststellen muss, seit ich zwei kleine Kinder habe, kennt man sonst nur von extrem klischeehaften Serienmördern.

Darf ich also die Rasselbande vorstellen:
1. Psycho-Mama.
Wer denkt an Psycho-Mama? Niemand. Wenn man nicht alles selber macht. Psycho-Mama kommt nämlich im großen Stil zu kurz, und sie hält das alles hier nicht länger aus. Was genau eigentlich? Na, alles. Dass jedes Kleidungsstück innerhalb von Minuten schmutzig wird. Dass ihr in dieser Wohnung kaum noch etwas allein gehört, und die paar Dinge, die noch übrig sind, haben Macken, Sprünge und Flecken. Dass es seit zweieinhalb Jahren so gut wie keine Nacht mit mehr als vier Stunden Schlaf mehr gibt. Dass sich das ganze Leben manchmal so anfühlt, als würde sie nie wieder auf einen grünen Zweig kommen. Auf all diese Dinge könnte man mit Zähne zusammenbeißen, einem doppelten Schnäpschen oder mit einer gewaltigen Ladung Galgenhumor reagieren. Psycho-Mama denkt aber nicht dran. Sie rastet aus. Sie faucht Anweisungen, und wehe, die werden nicht sofort befolgt, dann verfärbt sie sich tiefrot und macht ihrem Zweijährigen eine Szene. Oder ihrem Mann. Oder dem Hund. Auch Tränen fließen, und es sind immer die von Psycho-Mama, denn der Rest der Familie lacht sich tot über diese Dramen. Woraufhin Psycho-Mama Fluchtphantasien schmiedet. Ihr werdet schon sehen! Manchmal träumt sie davon, einfach in Jacke und Schuhe zu steigen, kurz mit einem feuchten Schwamm die Matschbanane von der Hose zu wischen, die Tasche umzuhängen, die Haustür hinter sich zuzuziehen und dann immer der Nase nach, kein Blick zurück. Ich fürchte, Psycho-Mama schaukelt mit dem Oberkörper vor und zurück, während sie mit einem dümmlichen und sentimentalen Serienkiller-Lächeln dieser Phantasie nachhängt. Wehe, jetzt kommt jemand an und erwähnt das ebenso Offensichtliche wie jetzt gerade überhaupt nicht Weiterhelfende: Dass sie selbst unbedingt Kinder wollte und niemand sie gezwungen hat, eher im Gegenteil. Dass sie ihre Kinder heiß und innig liebt. Dass sie so ein Riesenglück hat. Dass sie sich sowieso mit Kitaplatz für beide und Kindermädchen (!!!) an drei halben Tagen in der Woche nicht zu beschweren hat und einfach mal die Klappe halten sollte. Wie gesagt: Offensichtlich, und gerade jetzt überhaupt nicht Weiterhelfend. So isse! Die gute alte Psycho-Mama.

2. Effie-Mama.
Werbefüchse wissen: Effie steht für Effizienz. Zack-Zack! Effie-Mama hat statt einem Nervenzusammenbruch immer einen Plan, sie nimmt sich einen großen Plastikbottich und geht dreimal durch die Wohnung. Bei der ersten Runde sammelt sie achtzig kleine Socken und Pullis und Hosen und Halstücher ein und wirft sie in die Waschmaschine. Zweite Runde: Geschirr, Plastiklöffel, Fläschchen. Dritte Runde: Spielzeug, ab damit in die großen Schubladen im Esszimmer. Geht doch! Dann legt Effie-Mama Michel schlafen und schickt Kalle mit Papa zu Budni, neue stinkende und klebrige Bodylotion kaufen, und weil bei Effie-Mama keine drei Minuten ungenutzt bleiben, klappt sie sofort den Rechner auf, um ruckzuck die Steuererklärung zu machen. Bringt sie einen Stapel Bilderbücher ins Kinderzimmer, nimmt sie auf dem Rückweg gleich eine volle Windel mit und klemmt sich den Teddie unter den Arm, den Michel bestimmt gleich haben wollen wird. Sie segelt durchs Leben wie eine gut organisierte Oberkellnerin auf einer warmen Welle von Selbstzufriedenheit und Kontrollgefühl, was haben die alle nur, diese Mütter, die nicht zum Duschen kommen oder zum Schlafen? Man muss das nur alles richtig organisieren, dann läuft es doch. Wer kocht eine Portion Nudelsauce, wenn er genau so gut zwölf kochen und elf davon einfrieren kann? Applaudiert ihr nur, ich mach nur rasch den Abwasch! Ich freue mich immer, wenn Effie-Mama dran ist, weil hinterher die Wohnung besser aussieht und die Kinder auch gut mit ihr klar zu kommen scheinen. Aber gleichzeitig würde ich Effie-Mama wirklich gerne den Hals umdrehen, einfach dafür, dass sie wegen fünf Minuten Oberwasser immer sofort vergisst, dass auch diese Gelegenheiten zum Ordnung-Machen und Ausruhen und Sachen Erledigen im Moment reine Glückssache sind. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich Effie-Mama diesen Bandscheibenvorfall zu verdanken habe.

3. Anti-Mama.
Obwohl ich (also, die Summe all dieser Mamas und die nicht Mama-bezogenen Persönlichkeitstrümmer drum herum) immer schon gesagt habe, ich hätte mir früher nie Gedanken ums Kinderkriegen gemacht, habe ich das scheinbar doch, heimlich und hinter meinem Rücken. Woher kämen sonst diese vielen Vorstellungen davon, wie Anti-Mama das alles NICHT machen will? Anti-Mama will nicht in Babysprache mit ihren Kindern sprechen. Sie will gleichzeitig aber auch auf keinen Fall eine dieser Mütter sein, die zu ihrem Zweijährigen sagen "Nein, Henrik, das hatten wir besprochen, jetzt musst du auch ipso facto die Konsequenzen tragen." (Wobei Anti-Mama so eine Mutter noch nie außerhalb einer Kolumne oder eines Blogposts gesehen hat, aber vorsichtshalber will sie klarstellen: SO EINE will sie auch nicht sein.) Sie will nicht tausende von Euro (die sie auch gar nicht hätte) bei petit bateau ausgeben, aber sie will auch nicht, dass ihre Kinder aussehen, als würde das Konzept Menschenwürde erst ab 18 gelten. Sie will kein antiautoritärer Schluffi sein, aber auch kein Dragoner. Das Problem ist, dass fast jede Handlung, jedes Wort, jede kleine Geste Anti-Mama in ihren eigenen Augen gefährlich nah an eins der feindlichen Lager bringt. Daher fällt es ihr schwer, überhaupt irgendwas zu tun oder zu sagen, und tut sie es doch, fühlt es sich sofort an wie ein Fehler. Passiert das zu häufig, lädt sich Psycho-Mama gerne mal bei Anti-Mama zum Tee ein, und dann wird's lustig.

4. Blogger-Mama.
Hihi, es ist 16 Uhr, ich bin noch im Schlafanzug! Aber hatte ich nicht immer gesagt, ich will mal einen Job, bei dem ich im Schlafanzug arbeiten kann? Haken dran, Bruharrharr! Nora Ephrons Mama hat immer gesagt, alles ist Copy, womit sie meinte, jeder Mist, der passiert, bietet Material für einen zukünftigen Lacher oder eine anderweitig tolle Geschichte. An meinem Pulli klebt Kinderkotze, gerade bin ich in Socken auf ein Holzkrokodil getreten, und das Krokodil hat gewonnen, auch heute machen Kalle und ich wieder ein gemütliches Pommes-Picknick auf einer Wolldecke im Wohnzimmer, weil ich zu kaputt zum Kochen bin und man den Küchentisch unter all dem ungespülten Kram kaum sieht, habt ihr meine Augenringe gesehen? Und meine Haare? Ist das hier ein Bad-Hair-Year oder was? Ach was, Year, mach Life draus! Blogger-Mama gerät von einem Missgeschick ins nächste und fühlt sich dabei, als würde sie in einem der witzigeren Mama-Blogs oder in der Brigitte Mom leben. Das ist vielleicht keine schlechte Strategie, um die ganz große Verzweiflung abzuwehren. Aber das Problem ist, so witzig und ein bisschen scheißegal, wie Blogger-Mama sich das gerne immer wieder sagt, ist es nicht, zumindest nicht für sie. Blogger-Mama bleibt auch nie für lange, die verschwindet wieder, wenn den restlichen Mamas hier klar wird: alles gut und schön mit der Copy und Material für zukünftige vorerst nur in meiner Phantasie existierende Drehbücher, aber irgendwer muss jetzt aufstehen und die Wäsche machen, das Krokodil und seine Kumpels wegräumen, Essen einkaufen und zubereiten und die Tupperdosen aus den Kitataschen holen und spülen und möglichst schmerzfrei die Rotzkrusten aus zwei Gesichtern entfernen. Und dann gucken wir mal, ob ich nachher um 20:00 noch wach genug bin, um das irgendwo aufzuschreiben für später.

5. Wenn-Kinder-Kinder-kriegen-Mama.
Erinnert sich jemand an den Film "Big", in dem ein Zehnjähriger sich wünscht, erwachsen zu sein, und plötzlich Tom Hanks ist? Aber innerlich noch zehn Jahre alt? So ungefähr. Man sollte meinen, dieser Typ Mama kommt nicht zum Zug, wenn man mit 39 und 40 seine zwei Kinder bekommt, aber Pustekuchen. Diese Mama kauert mit ihren Kindern auf dem Teppich und spielt Playmobil, liest sich an Bilderbüchern fest, bis Kalle drängelt, dass jetzt aber die nächste Seite dran ist, und steigt immer als letzte aus dem Karussell auf dem Spielplatz wieder aus. Bei der Ferienplanung lenkt diese Mama schon mal die Diskussion ein paar mal mehr oder weniger geschickt in Richtung Center Parks, und zwar nicht wegen der Kinderbetreuung, sondern wegen der Wasserrutschen. Das wäre alles gut und schön, wenn ihr nicht beim Playmobil schon mal ein Kind ausbüxen würde und sie es erst zehn Minuten später merkt und dann aus der offenen Spülmaschine ziehen muss. Kein Wunder, dass die Gören keinen Respekt vor den Ausrastern von Psycho-Mama haben. Diese Mama kann sich außerdem ziemlich genau daran erinnern, wie sich das alles angefühlt hat als Kind. Ja, auch als sehr kleines Kind. Und darum fällt es ihr manchmal schwer, Machtworte zu sprechen oder einfach mit Tunnelblick Zubettgehzeiten und dergleichen durchzudrücken, wie sinnvoll das auch immer sein mag. Ach je, ach je. Wer sagt, dass es den Peter Pan-Komplex nicht auch für große Mädchen gibt? Bzw. mehr oder weniger sauber abgespaltene Grpße-Mädchen-Persönlichkeits-Splitter?

So viel für heute. Und nächstes Mal stelle ich euch noch Hippie-Mama, Horror-Mama, Knetmännchen-Mama, Goldkanten-Mama und Groundhog-Day-Mama vor.

Freitag, 12. Februar 2016

Können wir aber froh sein, dass das Internet nicht von Budni ist.

Ich sitze in meiner neuen Küche, die Sonne scheint fast unverschämt grinsend durchs Fenster, und ich tue jetzt einfach mal so, als hätte ich nicht schon wieder seit Wochen nichts Gescheites mehr gepostet. Das endet dann nämlich wie schon oft beschrieben so wie mit Freunden, die man schon viel zu lange nicht mehr angerufen hat, und dann schämt man sich ein bisschen und wüsste auch nicht, wo man anfangen sollte, und dann lässt man es ganz oder vermurkst es. Und der Tag ist zu schön zum Vermurksen.

Also schön.

Als erstes habe ich zu meckern, und zwar über Budni. Dieses Thema ist für alle Nicht-Hamburger sturzlangweilig, aber da müsst ihr jetzt durch, ansonsten empfehle ich euch, den Absatz auszulassen. Ich war immer ein Fan von Budni. In den ersten zwei Jahren, als ich frisch nach Hamburg gezogen war, habe ich grundsätzlich nur "Budni" an Stelle von "Drogerie" gesagt, auch gegenüber Frankfurtern und Berlinern und Heidelbergern, peinlicherweise ein bisschen mit Absicht, um zu zeigen, dass mir Hamburg und sein Budni so dermaßen in Fleisch und Blut übergegangen waren. Triste Flora! Aber so war es. Und auch später war ich den immer aufgeräumten, freundlichen, blau-weißen Läden sehr verbunden. In den letzten Jahren haben wir vielleicht 400 Meter von einem Rossmann entfernt gewohnt und 800 Meter von einem Budni. Keine Frage, dass ich eigentlich immer den weiteren Weg zu Budni gemacht habe, ob Hagel, Regen oder Sturm. Selbst im achten Monat habe ich mich noch die paar Meter weiter geschleppt. Dann passierte Folgendes: L. und ich hatten beide eine Budni-Spendenkarte. Das ist eine Karte, die man an der Kasse vorzeigt, und das, was andere Leute als "Punkte" wasweißichwofür sammeln, wird dann eben "für gute Zwecke" gespendet. Bei jedem Bezahlen hatte ich ein gutes Gefühl, nicht umsonst ist Budnis Claim "Jeden Tag Gutes tun". Irgendwann hat L. in der Zeitung gelesen, im vorangegangenen Jahr hätte Budni über die Spendenkarten insgesamt XY Euro gesammelt und gespendet. Ich erinnere mich nicht an den genauen Betrag, es war ein zweistelliger Tausender. L. hat dann mal kurz durchgerechnet: Soundsoviel Tage offen im Jahr, soundsoviele Filialen, soundsoviel Spende pro Tag und Filiale - und kam auf einen wirklich, wirklich lächerlich winzigen Betrag. Ich habe dumm geguckt und meine Spendenkarte in den Müll geschmissen. Fragt mich jetzt die Kassiererin bei Budni, ob ich eine Karte habe und wenn nicht, ob ich eine haben möchte, dann gucke ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen sehr vielsagend an. So! Dann hat dm seine Eigenprodukte bei Budni aus dem Sortiment genommen, und Budni war gezwungen, selbst günstige Wimperntusche, Badeschaum und Spülmittel produzieren zu lassen. Seitdem ist einige Zeit vergangen, und inzwischen fange ich an, Umwege zu machen, um nicht zu Budni zu müssen. Ich habe eine Budni-Zahnbürste gekauft. Nach zwei mal Putzen hatte sie einen Scheitel, und ich habe sie weggeworfen. Ich habe eine Packung Feuchttücher gekauft, und Michel bekam einen derartigen Ausschlag am Hintern, dass die Kita ihn für zwei Tage nach Hause geschickt hat. Ich habe Waschmittel gekauft, und auf einmal juckten die Schlafanzüge und die Bettwäsche. Ich habe eine Haarbüste gekauft - das ist noch gar nicht lange her, wir waren schon umgezogen. Es ist eine ganz normale Holzhaarbürste mit Drahtborsten. Meine Haare wellen sich zwar ein bisschen, aber es kann keine Rede davon sein, ich hätte eine irgendwie widerspenstige Lockenmähne, schon gar nicht nach zwei Kindern. Mein Pferdeschwanz hat einen Durchmesser von vielleicht einem Zentimeter. Und diese kleine Drahthaarbürste verliert bei jedem Bürsten ihre Borsten. Es macht "Pling! Pling!" und dann krieche ich durchs Bad und sammele die Borsten aus der Badewanne und vom Boden. Die Bürste hat inzwischen eine Zweidrittelglatze. Was kommt als Nächstes? Die Einweg-Nagelschere? Das zwei-Minuten-Deo? Ätzender Babybadeschaum? Explodierende Teelichter? Wenn es so weiter geht, werde ich es jedenfalls nicht herausfinden, ich bin dann nämlich gerade auf dem weiten Weg zu dm. Ich wünsche mir, dass meine Lieblingsdrogerie die Kurve kriegt. Aber gerade... nee, nee, nee.

Gut, das hatte jetzt so gar keinen Kinder- oder IVF-Bezug. Dafür habe ich zu erzählen, dass Michel läuft. Zwei Monate früher ist er dran als sein mit geraden Füßen geborener Bruder. Vor drei Wochen fing es damit an, dass er einen Meter zwischen L. und mir mehr gekippt als gelaufen ist. Inzwischen schafft er problemlos zehn Meter und mehr, klatscht dabei in die Hände, hebt Sachen vom Boden auf und legt sie wieder hin, wechselt schwungvoll und präzise die Richtung und geht Hindernissen aus dem Weg. Und ich könnte heulen vor Stolz, wenn ich daran denke, wie seine Füße aussahen, als er damals im UKE in seiner Klarsicht-Babywanne neben mir lag und mir ganz anders war beim Gedanken daran, wie das alles werden soll. Und das Allertollste daran ist, wie viel Spaß er dabei hat. Ich habe immer gewusst (eigentlich mehr gehofft, wenn ich ehrlich bin), dass er sich wohler fühlen würde auf der Welt, wenn er sich erst so bewegen kann, wie er will. Jetzt kann er, und er strahlt und lacht und kichert, während er sich die Antirutschsocken durchläuft. Und das jetzt auch noch in einer Wohnung, in der nicht überall steile Holztreppen auf kleine Lemminge in Latzhosen lauern und wo ich ihn einfach mal laufen lassen kann, weil in jeder Tür ein Klemmschutz steckt und in jeder Steckdose ein Steckdosenschutz. Und Kalle ist im Geschichten-Alter. Ungefähr zwanzig Mal am Tag muss ich mir eine Geschichte für ihn ausdenken, und zwar am liebsten eine, in der er selbst vorkommt. Man sollte meinen, das kriege ich hin, immerhin ist es seit 15 Jahren mein Job, mir Geschichten über Hühneraugenpflaster, Autos, Kekse oder Bier auszudenken, aber es ist schwerer als gedacht, und ich merke, dass Mamas Gene in mir durchkommen, weil komischerweise viele der Geschichten so einen Drall ins Pädagogische bekommen. "Da siehst du, was passiert, wenn man zu viele Süßigkeiten isst!" So in dem Stil. Ich versuche, das zu ändern, aber wenn es nachts um zwei ist, der Rücken zwickt und Kalle mir seine Fußnägel in den Bauch bohrt, ist das nicht immer ganz einfach. "Und das ist die Geschichte von dem Jungen, der nie in seinem eigenen Bett schlafen wollte!" (Die überhaupt nicht angebracht wäre, denn neun von zehn Nächten schläft er in seinem eigenen Bett.)

Was ist sonst noch los? Das mit den Vorsätzen läuft ziemlich gut, wenn man bedenkt, dass schon Mitte Februar ist. Die Bandscheibe allerdings nervt weiter wie Hulle, in den letzten Tagen mit neuem Schwung, denn jetzt musste ich mein Wunderschmerzmittel - Diclofenac - absetzen, weil mein Magen plötzlich und spektakulär verrückt spielte. Die Ferien von den Schmerzen sind also vorbei und waren viel zu kurz, und jetzt lege ich wieder weite Strecken des Tages im rechten Winkel zurück und schlafe mit meinen Füßen auf einem dicken, knisternden und nach Schlauchboot müffelnden Pusteklotz und kriege trotzdem fast kein Auge zu, weil es einfach keine Lage gibt, in der meine Hüfte nicht weh tut. Um eine OP versuche ich trotzdem weiter, herumzukommen, denn mit zwei Kleinkindern könnte ich die Wochen danach einfach am besten in einer anderen Stadt verbringen. Die würden das nie verstehen, dass ich sie jetzt nicht in den Arm nehmen kann, und ich würde es vermutlich auch nicht verstehen, und das Ergebnis wäre wohl leider, dass ich mir den Rücken endgültig ruinieren würde, egal zu welchen Hochleistungen mein Arzt im OP auflaufen würde. Ich ballere mich also Vormittags mit Koffein wach, turne jeden Tag zwischen 30 und 60 Minuten mein Rückentraining vor dem Fernseher, fluche und hoffe auf morgen oder nächste Woche (aber das sind Mütter von Kleinstkindern ja gewohnt) und glaube weiter zweckoptimistisch daran, dass die Übungen irgendwann dem Rücken zeigen werden, wo es langgeht.

Dann bastele ich noch an meiner Homepage. Jaaaa, verrückt! Seit 2009 bin ich nun selbständig, und nun dachte ich, der frühe Vogel fängt den Wurm, jetzt könnte ich doch mal. (Ganz so ist es auch nicht, ich hatte einen Arbeitsblog, in dem man auch ein paar meiner Arbeiten angucken und mir Emails schreiben konnte und so... theoretisch.) (Also, genau genommen ist es doch genau so. Hier sitzt eine, die ihr berufliches Schicksal voller Gottvertrauen von Mundpropaganda abhängig gemacht hat. In welchem Job arbeite ich noch mal? Ach ja, Werbung! So.) Und das Tolle ist, sie ist so gut wie fertig. Und dann geht das hier aber mal los mit den Aufträgen und dem Koks und dem Gejammer über den ganzen Stress und den Nervenzusammenbrüchen und dem dringenden Vorsatz, dem ganzen Werbescheiß den Rücken zu kehren und als Drehbuchautorin ganz groß und trotzdem stressfrei rauszukommen!

(Fällt euch auch auf, dass das jetzt doch irgendwie so klingt wie ein Telefonat mit einem Freund, den man seit zwei Jahren nicht gesprochen hat?)

Und dann zum Stammtisch. Wie wär's mal wieder? Sagt doch mal.

Freitag, 5. Februar 2016

Immer einen Schritt nach dem anderen.

Wenn etwas funktioniert, denke ich nicht lange drüber nach. Das gilt auch für meinen Beckenboden. Heute morgen habe ich den Wasserbehälter des Trockners in die Dusche ausgeleert und erst bei den letzten Tropfen gedacht: das ging vor einem halben Jahr noch nicht. Jedenfalls nicht ohne Slipeinlage. Ich bin leider extrem ungeduldig, und bis ich endlich wieder um den Park rennen darf, werde ich nicht zufrieden sein. Aber es ist gut, sich von Zeit zu Zeit daran zu erinnern, dass es viel schlimmer sein könnte - und vor noch gar nicht allzu langer Zeit auch schlimmer war.
In den letzten Wochen musste ich mit dem Femifree eine Zwangspause einlegen, Schuld war mein dusseliger Bandscheibenvorfall. Der beschäftigt mich immer noch, aber inzwischen darf ich beides parallel: Krankengymnastik für Bauchmuskeln und unteren Rücken und Training mit dem Femifree. Heute geht es wieder los, und ich kann es kaum abwarten, nachher erst in die Manschetten und dann in meine weiteste Jogginghose zu steigen und loszulegen. Und wenn mir das vor lauter Vorfreude auf den Park und den Schweiß und die Lauf-App und dieses unschlagbare Gefühl, morgens nach einem Lauf durch den Platzregen unter der Dusche zu stehen, wieder mal alles viel zu lange dauert, dann befehle ich mir hiermit, immer dran zu denken, dass Laufen zwar noch ein bisschen dauert - immer noch ein bisschen und noch ein bisschen, schon seit über zwei Jahren - aber dass vor ein paar Wochen Husten, Lachen, Erschrecken, Stolpern, Niesen und einfach nichtsahnend die Straße entlang Spazieren noch ein Problem waren. Zumindest manchmal. Und den Trocknerbehälter ausleeren, das auch.

Davon abgesehen, dass er mich näher an den Park bringt, hat das Femifree noch einen Bombenvorteil, den man als Mutter von Kleinkindern nicht genug loben kann: er ist (ähnlich wie die Stillsitzungen früher) eine 1A Ausrede für eine Auszeit. Ich schnalle mir die Manschetten um und muss jetzt leider, leider, so leid es mir tut, eine halbe Stunde unbehelligt stillstehen. Zum Beispiel vor dem Fernseher oder mit einem Buch oder einem Kochlöffel in der Hand, während ich seelenruhig ein Risotto rühre. Waaas, Kalle sucht seinen Teddy? L. will wissen, wo sein Schlüssel ist? Wie schade, jetzt muss ich leider noch einen Moment hier stehen, ihr Süßen! Sorry, Sorry, Sorry, hier geht’s um ein gesundheitliches Problem, das werdet ihr wohl verstehen. Und fünf Minuten später haben sie den Teddy und den Schlüssel auch ohne meine Hilfe gefunden, und ich bin insgesamt hochzufrieden, wie das hier so läuft mit mir und dem Femifree.

Mittwoch, 13. Januar 2016

Manchmal ist mehr mehr.

Eins der ewigen Streitthemen zwischen L. und mir ist, dass er immer mal wieder von einer aufgeräumten, auf das Wesentliche reduzierten Wohnung träumt und ich finde, dass das erstens nicht unser Ding ist und auch nie sein wird und dass außerdem schließlich ER derjenige ist, der seit Jahren einen ganzen Stapel eigentlich wertvoller, aber kaputter Plattenspieler von einer Ecke in die andere räumt, unter ungefähr dreitausend anderen Dingen, die ich jetzt nicht aufschreiben will. (Wobei, ein bisschen vielleicht doch: Fahrräder auf dem Balkon. Zu kleine und schon dreimal ausgemusterte Anzüge auf so ziemlich jeder Oberfläche in Schlafzimmer, Gästezimmer und Kleiderregal. Mehrere Schubladen voller Fotos. Eine schwer zu öffnende Truhe mit juristischen Zeitschriften, in die er noch nie geguckt hat und auch nie gucken wird.) Es ist nicht so, dass ich keinen Kram hätte. Aber mein Kram ist mir wichtig, und dieses ständige Genänger, ich sollte das jetzt dringend aussortieren, macht mich wütend und traurig. L.s Sammelsurium kommt dadurch zustande, dass die gehorteten Dinge "mal teuer waren" oder irgendwann noch mal nützlich sein könnten. Mein Sammelsurium kommt dadurch zustande, dass ich mit den Dingen etwas verbinde. Dieser Krug hat meinen Großeltern gehört, genau wie dieses gepunktete Schnapsglas, das ich schon als Kind immer in ihrem Wohnzimmerschrank bewundert habe. Diese Spätzlepresse verwende ich vielleicht nur drei mal im Jahr, aber immerhin - und ich habe sie damals im dritten Studienjahr zusammen mit meinem ältesten Freund auf dem Flohmarkt gekauft, und damals haben wir mindestens einmal im Monat eine riesige Form voller fettiger, großartiger Käsespätzle mit braunen Zwiebeln damit gemacht. Wieso sollte ich die jetzt wegwerfen? Wenn ich mir doch bei der nächsten Spätzlegelegenheit eine neue kaufen müsste? Die dann nicht die Selbe wäre? Das kleine Kästchen aus dunklem Holz, in dem meine Stifte sind - der Namensteller mit dem Datum meiner Geburt, der schon mal runtergefallen und wieder geklebt ist - mein altes Stofftier, das Pflegehund Momo mal wirklich übel zugerichtet hat - mein 60er-Jahre-Telefon von Eriksson, das schon seit Jahren an keine Telefonbuchse mehr passt - das kommt alles im Leben nicht weg. Alle diese Sachen sind mir wichtig, ich freue mich jedes Mal, sie zu sehen und anzufassen, und ein bisschen geben sie mir auch halt - so talkshowmäßig dämlich das auch klingt. Hier verändert sich ständig so viel, PUFF bin ich plötzlich mit L. verheiratet, lebe in Hamburg, habe zwei Kinder, zwei Hunde, nee, jetzt doch wieder nur einen, wohne in einem Haus und dann doch in einer Wohnung mittendrin, und wer war immer dabei? Das gute alte Eriksson-Telefon und das gepunktete Schnapsglas.

Und jetzt kommt wieder neuer Kram dazu. Ein Grund für das lange Schweigen im Dezember war, dass meine noch verbliebene Oma gestorben ist. Das war sehr traurig, auch wenn es ganz viel Tröstendes gab: sie ist 93 Jahre alt geworden, war bis zum Schluss klar im Kopf, sie selbst wollte schon lange nicht mehr, und am Ende ging alles ganz schnell. An einem grauen Tag kurz vor Weihnachten hat sich die ganze Familie in ihrer Heimatstadt versammelt, wir hatten so eine Art Beerdigung, die ganz schön seltsam und dann doch ziemlich schön war, insofern eine Beerdigung schön sein kann, und dann sind wir noch mal in ihre Wohnung im Altenheim gefahren und haben uns ein paar Sachen herausgesucht. Ich wollte diesmal Sachen, die nicht herumstehen und zu Diskussionen mit L. führen, sondern nur Dinge, die ich verwende: eine Art diplomatischer Kompromiss zwischen seiner Sorte Aufheben und meiner. Darum sind jetzt neu hier eingezogen: ein ganzes Bündel von Küchenmessern, einige schon ganz dünngeschliffen, ein paar Kochlöffel - die alte Sorte aus buntem Plastik wie in den 70ern -, ein orangefarbener Rührbecher, ein paar Holzbrettchen, ein Salzstreuer, eine Glasdose mit Kandis, ein Nachthemd, das mir sogar passt und das ich jetzt gerade trage, der Rest von ihrer Flasche Kölnisch Wasser auf dem Nachttisch, ein Nähkästchen (obwohl ich nicht nähen kann und nun jedes Mal, wenn ich versuche, einen Knopf ohne Blutvergießen anzunähen, ihren strengen Blick im Nacken haben werde), eine Schnapskaraffe, einen kleinen Teppich, der perfekt in unseren Flur passt, und eine Thermoskanne, aus der ich seither jeden Tag getrunken habe.
Jedes Mal, wenn ich in einer Zeitschrift einen Artikel lese, in dem jemand irre stolz darauf ist, es mit genau 100 Gegenständen auszuhalten oder die Bude bis auf drei Designermöbel komplett entrümpelt, dann denke ich: schön, aber Du bist anders als ich. Aber ein bisschen denke ich auch: was ist los mit Dir, ist das wirklich nur Purismus? Oder Leere? Hast du keine Geschichte? Keine Exfreunde, keine Familie, keine Vergangenheit?
Wenn die Messerchen irgendwann nicht mehr zu schleifen sind, die Brettchen von irgendeinem Idioten in die Spülmaschine geräumt wurden und wellig sind wie Dachziegel, der Rührbecher auf einer versehentlich angeschalteten Herdplatte geschmolzen ist und die Schnapskaraffe einen Sprung und keinen Stöpsel mehr hat, dann tue ich sie weg, und das wird sich dann auch wie eine kleine Beerdigung anfühlen. Bis dahin benutze ich sie jeden Tag und denke dabei zwar nicht immer, aber doch ziemlich oft an Oma.
Ich glaube übrigens, sie würde davon rein gar nichts halten. Sie wäre sicherlich dagegen, ein komplett ausgestattetes Nähkästchen wegzuwerfen, aber für sentimentale Brütereien über Nadel und Faden hätte sie keinen Nerv (genau so wenig wie für schief angenähte Knöpfe). Aber was soll sie sagen?

Donnerstag, 7. Januar 2016

Ein frohes und mega-erfolgreiches Jahr 2016, du Vollgurke.

Vorletztes Jahr habe ich am 31.12. meine Vorsätze für 2015 gepostet. Mann, hatte ich viel vor!
Heute wird abgerechnet.

Naja.

Ich will jede Woche ein Kapitel von meinem Buch schaffen.

Nnnnööö... nicht so direkt. Nach wie vor besteht das Buch aus kleinen Fetzen, Ideen für lustige Wendungen, Listen mit möglichen Namen für mögliche Figuren, ein paar Ablaufplänen, die aber nie die komplette Strecke von der ersten bis zur letzten Seite abdecken, und Dialogschnipseln. Nur eben jetzt viel mehr davon. Ich finde, einerseits hätte mehr passieren können. Andererseits: zwei kleine Kinder, eins davon sehr laut, vor allem nachts - da kann ich schon froh sein, überhaupt mal am Rechner gesessen zu haben. Ein Schulterklopfen hab ich mir zwar nicht verdient, aber auch keinen Tritt in den Hintern.

Ich will nicht die Nerven verlieren. Und wenn ich die Nerven verliere, dann will ich wenigstens nicht herumbrüllen, sondern innerlich bis zehn zählen. Sollte das nicht helfen, wäre ich auch bereit, innerlich bis dreitausendfünfundzwanzig zu zählen.

Doch! Bestimmt! Ganz oft hat das geklappt. Nicht immer, ich brülle immer noch ab und zu. Z.B. dann, wenn Michel sich abends auf dem Wickeltisch wie irre und mit aller Kraft hin und her wirft, so dass ich zehn Minuten brauche, um ihm die Klumpfuß-Schuhe anzuziehen - wozu ich dreißig Sekunden brauchen würde, wenn er stillhalten würde. Wenn er mir dann noch mit dem schon angezogenen Schuh an den Hüftknochen tritt, so dass ich Sternchen sehe, und dabei aus vollem Hals brüllt. Und die Windel voll ist! Bis zu den Schulterblättern! Dann kommt es vor, dass mir ein extrem lautes "HAAARRRRRRRGH!" entfährt.
Es ist aber auch echt nicht einfach manchmal.

Ich will (sobald das neue iphone aktiviert ist) kontrolliert durch die App täglich zehntausend Schritte gehen.

Diesen Vorsatz habe ich mit Feuereifer befolgt, aber irgendwann festgestellt, dass ich das sowieso jeden Tag tue, Vorsatz hin oder her. Es gab nur Tage, an denen ich losmarschiert bin, ohne das Telefon einzustecken, und dann habe ich mich stundenlang geärgert und es fühlte sich an, als würden Kilometer ohne iphone nicht zählen. Das ging mir dann auf den Keks, und dann habe ich es gelassen. Aber ich gehe fest davon aus, dass es auch ohne iphone immer noch täglich zehntausend Schritte sind.

Ich will hundert mal nach Rezept kochen. Es muss nicht immer ein neues Rezept sein, aber ein Rezept.

Auch das hab ich wirklich geschafft! Naja, fast. Am Ende waren es 97 Rezepte, aber ich glaube, ich habe ab und zu auch etwas Neues gekocht und vergessen, es in meine Liste einzutragen. Erst neulich habe ich ein Kochbuch durchgeblättert und dabei drei Rezepte gefunden, von denen ich genau weiß, dass ich sie im August gemacht habe, aber in der Liste sind sie nicht aufgetaucht. Diesen Vorsatz übernehme ich dieses Jahr wieder, der war prima: einerseits hatte ich mir etwas vorgenommen, was ich sowieso gerne tue, andererseits war der Vorsatz die kleine Motivation mehr, aus dem Quark zu kommen, wenn der muntere Teil von mir etwas Neues ausprobieren wollte und der müde Teil mit den Augenringen einfach nur Nudeln mit Pesto wollte.

Ich will immer daran denken: seit der Geburt von Michel vergeht kein Tag, der uns nicht dem Zeitpunkt näher bringt, ab dem es leichter wird. Der Zeitpunkt, wenn ich mit beiden Kindern reden kann, wenn sie mich verstehen und ich sie.

Das sage ich mir auch heute noch, auch wenn ich gerade in diesen Tagen manchmal schier verzweifeln könnte daran, dass manche Dinge einfach immer noch nicht besser werden und andere sogar wieder schlechter. In den letzten Nächten hat uns Michel stundenlang auf Trab gehalten. Manchmal möchte er eine Flasche, ziemlich oft sogar, dann ist er nass, manchmal liegt er komisch quer und hat sich mit seiner Schiene im Bettchengitter verklemmt. Aber viel öfter, viel viel öfter hat er einfach gar nichts. Er kriegt keine Zähne, er hat keinen Hunger, die Windel ist trocken, der Schlafanzug sitzt tadellos, der Bauch ist weich, er ist nicht erkältet, und sobald er auf dem Arm ist, ist er ein sehr fröhlicher und extrem tatendurstiger Sonnenschein - alles wäre supi, wenn es nicht gerade drei Uhr morgens wäre und Mama und Papa nicht absolut am Ende ihrer Kräfte. Dann denke ich: noch ein paar Wochen, dann ist er sechs Monate alt. Ach nee! Er ist ja jetzt schon 14 Monate alt. Und letzte Nacht nach einem Heulkrampf auf dem Teppich vor seinem Bettchen habe ich beschlossen, mir jetzt endlich einen Kinderarzt zu suchen, der auf die Schilderung dieses Problems nicht mit einem Spruch reagiert, sondern irgendwie anders. Es macht mich nämlich wirklich fertig, und so geht's nicht weiter, und überhaupt.

Ich will für beide Kinder in jedem Lebensmonat einen Brief schreiben. Ob ich das online tue oder ganz allein für mich und sie, muss ich erst noch sehen.

Nein, habe ich nicht getan. Kein einziges Mal. Es gab ein paar Versuche, ein entsprechendes Doc auf dem Rechner anzufangen, aber dabei ist es dann auch geblieben. Es wird wohl so laufen wie bei allen anderen Eltern auch: am Ende haben wir Fotos und Erinnerungen, einige davon nebulöser als die anderen.

Ich will einen Weg finden, mit dem ganzen aufgestauten Ärger der letzten Monate umzugehen, und nein, lächeln, Magenkrämpfe bekommen und weitermachen ist nicht der Weg, den ich meine.

Nö. Keine Ahnung. Ich weiß auch bis heute nicht, was ich mir dabei vorgestellt hatte. Einen Selbstverteidigungskurs? Vielleicht. Ich ärgere mich immer noch viel zu oft und viel zu lange und viel zu leise.

Ich will herausfinden, was ich mit meiner freien Zeit wirklich anfangen will.

Auch da hat sich nichts getan. Ich will theoretisch schreiben. Praktisch wird die freie Zeit von hundert Dingen aufgeknuspert. Meistens bin ich auch selbst Schuld, aber habt ihr einige der neuen Serien mal gesehen? Die sind wirklich unfassbar gut. Gelesen habe ich letztes Jahr auch viel, und gekocht, und eingekauft, und aufgeräumt, und Wäsche sortiert und gefaltet, und mir vor dem Spiegel einzelne graue Haare ausgerissen, und meine Papiere sortiert, und umgezogen sind wir auch, und einen Hund und zwei Kinder haben wir auch. Aber theoretisch, also theoretisch, denke ich immer noch, dass ich Bücher schreiben will, und ich weiß sogar, mit welchem ich anfangen will, und wenn die Steuererklärung sich im Hintergrund zu breit macht, dann denke ich immer noch verzweifelt, wie viel Zeit mir das von der Schreiberei wegnimmt - aber irgendwie komme ich nicht zu Potte. Vielleicht ja dieses Jahr. Darauf wäre ich wirklich stolz.

Ich will eine neue Bewerbung für die Drehbuchwerkstatt schreiben, für 2016/2017. Im Januar 2016 muss sie fertig sein. Bis August hätte ich gerne zwei wirklich, wirklich gute Ideen für Drehbücher. So gut, dass ich es kaum abwarten kann, bis ich mich an meinen Rechner setzen und daran weiter feilen kann.

Ihr werdet lachen, ich habe tatsächlich zwei gute Ideen, und die Frist endet erst am 31.1., aber auch da komme ich nicht zu Potte. Heute vielleicht ja mal! Heute abend, wenn die Kinder im Bett sind! Und wenn die Steuer gemacht ist! Und aufgeräumt! Und die Wäsche sortiert! Und die Spülmaschine eingeräumt!
Ich bin so bescheuert.

Ich will im Laufe des nächsten Jahres so weit mit der Rückbildung sein, dass ich wieder laufen gehen kann. Und wenn ich ganz von vorne anfange: mit einer Viertelstunde im Park, von der ich insgesamt nur vier Minuten wirklich laufe. Vermutlich unter dankbaren Tränen.


Genau das habe ich vor ein paar Tagen für 2016 beschlossen. Lustig: Ende 2014 hatte ich keine Ahnung, dass zu meinem Beckenbodenproblem noch ein Bandscheibenproblem kommen würde, und was für eins. Nichtsdestotrotz bin ich optimistisch. Denn ab Januar kommt endlich Krankengymnastik zu meinen anderen Bemühungen, und der femifree ist ja auch noch da.

Ich will mich vor dem Lippenstiftregal im Laden nachdrücklich daran erinnern, dass ich Lippenstifte in folgenden Farbtönen besitze: Koralle. Pink. Hellpink. Neonpink. Dunkelpink. Hellrosenholz. Knallrot. Knallrot-Matt. Kirschrot. Kirschrot-Matt. Hollywoodrot-Matt. 40er-Jahre-rot Matt. Rotweinrot. Die meisten davon werden irgendwann die Entrümpler aus meiner Wohnung tragen.

In 2015 habe ich genau einen Lippenstift gekauft. Es ist ein schöner Lippenstift, ich habe ihn bestimmt fünf mal getragen. Angesichts der Tatsache, dass ich in 2015 insgesamt vielleicht zwanzig Mal Lippenstift getragen habe, ist das ein guter Schnitt. Trotzdem finde ich, 2016 muss auch das Jahr sein, in dem ich mehr Lippenstift trage, unter anderem, damit der Vorsatz wahr werden kann, öfter mit verschmiertem Lippenstift nach Hause zu kommen.

Ich will die Bücher lesen, die schon auf meinem Kindle sind, bevor ich neue kaufe.

Na gut. Einigen wir uns darauf, dass ich für jedes neu gekaufte Buch ein altes lese, ok?


Das tue ich wirklich, inzwischen ist die Quote so ungefähr: auf jedes neu gekaufte Buch kommen drei alte, die ich jetzt endlich lese. Und nachdem wir dieses Jahr mit ekelhaft vielen Bücherkartons umgezogen sind und dieser Mietvertrag auf fünf Jahre befristet ist, bin ich sowas von motiviert, es dabei zu belassen.


Wo ich schon dabei bin: ich will keine Kochbücher für den Kindle mehr kaufen. Das macht keinen Spaß.

Hab ich geschafft, war ganz einfach.

Ich will jeden Monat ein Date mit meinem Mann. Und ein Date mit mir ganz allein.

Nein und nein. Letztes Jahr war ich einmal mit L. aus, und mit mir allein vielleicht dreimal, wobei das eigentlich nicht als Date zählt, es waren nämlich immer einfach nur Erledigungen, die weniger Zeit in Anspruch nahmen als geplant, und mit der freien Zeit habe ich dann etwas Nettes angefangen. Vorm Abaton Bistro in der Sonne sitzen und Muscheln essen z.B. - das war schön, aber dieses Jahr brauche ich mehr davon.

Aaach, so mies ist die Bilanz doch überhaupt nicht, oder?
(Und wieder mal weiß mein Fusselhirn nicht, ob ich zu hart mit mir bin oder zu weich.)