Samstag, 28. Juli 2012

Jetzt aber bzw. demnächst aber: Stammtisch!!!

Liebe Abkürzungsdamen! Gestern bekam ich einen sehr netten Kommentar zu meinem vorletzten Beitrag, und jetzt treibt es mich um: es wäre ja wohl bescheuert, wenn wir nicht endlich mal wieder einen Stammtisch in Hamburg hinkriegen würden. Nur: jetzt bin ich erst mal weg. Und dann zwar wieder da, aber gleich wieder weg. Ich würde darum folgende Termine vorschlagen:

23. August
29. August
30. August

Nu los: als erstes muss geklärt werden, wer überhaupt will? Dann, wann diejenigen überhaupt können?

Und schon wenig später sitzen wir zusammen im Gloria, essen Pizza und sagen eine Menge Dinge, die nicht für die Ohren zarter Blastozysten bestimmt sind.

Freitag, 27. Juli 2012

Zwei Wochen und drei Tage, zehn Läufe.

Als ich heute morgen um sechs davon aufgewacht bin, dass der Hund mich angebellt hat und meine durchgeschwitzte Decke sich um mich geschlungen hatte wie eine Boa Constrictor, war ich nicht ganz sicher, ob ich das frühe Aufwachen ausnutze und jetzt durch den Park trabe, so lange noch menschliche Temperaturen herrschen, oder ob Boa und ich es noch ein-zwei Stündchen miteinander versuchen. (Morgens um sechs bin ich mir übrigens über gar nichts sicher.) Immerhin ist heute mein erster Ferientag: gestern war ich zwar auch nicht in der Agentur, aber hatte tüchtig für einen anderen Kunden zu tun.

Ich bin dann liegen geblieben und um acht wieder aufgewacht. Und jetzt liege ich in einem Bademantel, der sich wie eine Boa Constrictor um mich schlingt, auf dem Sofa, trinke Tee und will euch berichten, wie das so läuft mit meinem Laufprogramm.

Das ist es nämlich: ein Programm. Ich laufe nicht nur, ich laufe mit Plan. Mit dem von Dr. Marquardt, der sehr für langsamen Einstieg und dünne Schuhe ist.

So sah der Plan bisher aus:
1. Woche:
2 Minuten gehen, 1 Minute laufen, 1 Minute gehen, 1 Minute laufen usw. bis 15 Minuten um sind.
2. Woche:
2 Minuten gehen, 1 Minute laufen, 1 Minute gehen, 2 Minuten laufen, 1 Minute gehen, 2 Minuten laufen usw. bis 15 Minuten um sind.
3. Woche:
2 Minuten gehen, 2 Minuten laufen, 1 Minute gehen, 3 Minuten laufen, 1 Minute gehen, 3 Minuten laufen usw., bis 15 Minuten um sind.

Bisher besteht die größte Herausforderung darin, mich am Riemen zu reißen - also nicht zu schnell zu rennen und nicht nach 15 Minuten zu denken, ach was, ich lauf jetzt noch eine Viertelstunde. Gleichzeitig merke ich, dass das am Riemen reißen sich lohnt: die neuen Schuhe laufen sich völlig anders als die alten Cassettenrecorder, ich kann in aller Ruhe an meiner Technik arbeiten ("hihi, was denn für Technik? Beim Laufen? Hihihihi!") an meiner Technik arbeiten, sage ich, und ich merke, dass meine Muskeln, Sehnen, Knochen und Gelenke bei jedem Lauf etwas dazulernen. Wobei ich da vorsichtig bin, wir Abkürzungsdamen merken ja ständig so einiges, was sich angeblich gerade in unseren Körpern abspielt, und hinterher war wieder alles nur ein böser Streich unserer strapazierten Nerven.

Wie sich das auf mein Gewicht oder meinen Körperfettanteil ausgewirkt hat, weiß ich noch nicht, denn Wiegetag ist erst am 10. August. Und natürlich wäre es großartig, dann ein-zwei Kilo weniger zu wiegen oder sogar ein bisschen Körperfett abgebaut zu haben, aber wenn nicht, schmeiße ich meine hübschen Nike free run auch nicht gleich wieder in die Ecke, denn ich WEISS einfach, dass mir das gut tut.

Folgendes hat sich verändert:
* ich habe seit Start dieses Laufprogramms nur ein einziges Mal den Fahrstuhl in der Agentur benutzt, und das auch nur aus Höflichkeit, weil die Handwerker extra auf mich gewartet hatten und ich nicht wollte, dass sie mich für eine versnobte Büroschlampe halten. Unsere Büroräume sind im sechsten Stock. An jedem Arbeitstag in der Stadt steige ich da mindestens zwei mal rauf: einmal morgens und einmal nach der Mittagspause.
* ich hatte mir irgendwann mal gestattet, mir an einem meiner drei Agenturtage entweder eine Pizza in meiner Lieblingspizzeria in der Innenstadt oder einen Burger mit Fritten und Mayo aus meinem Lieblingsburgerladen zu gönnen. Seit Laufstart hatte ich keinen einzigen Burger und nur eine Pizza, allerdings aus einem dieser Impulse heraus, die sich immer rächen, eine mit Ziegenkäse, eingelegten roten Pfefferkörnern und Honig, und die hat geschmeckt wie ein weihnachtliches Duschgel, war also schön zum Abgewöhnen. Jetzt esse ich in der Mittagspause Salat, vegetarisches Curry vom Inder, gemischte Vorspeisen vom Syrer oder etwas asiatisches mit Rind und Gemüse. Seit Wochen hat in der Mittagspause nichts Frittiertes mehr den Weg über meine Lippen geschafft. Und das war gar nicht so schwer. Genauer gesagt, überhaupt nicht.
* ich schlafe besser, jedenfalls dann, wenn mich nicht gerade meine Decke erwürgen will.
* ich habe keine Knieschmerzen, keine Schienbeinschmerzen und keine Rückenschmerzen mehr.
* ich habe bessere Laune. Fragt L.
* zum ersten Mal habe ich ein Laufprogramm, über das ich nicht ständig reden muss. Ich laufe einfach und gut. (Diesen Post sehen wir als Ausrutscher, ja? Ich berichte dann am Wiegetag wieder.)
* ich hole mir morgens kein Mayogetränktes und mit Industriemüllsalami belegtes Brötchen für 3,90 mehr, sondern kaufe Montags ein paar Scheiben Roggenvollkornbrot und bringe mir Käse und Bioschinken mit in die Agentur.
* ich dusche fast immer kalt. Gut, draußen sind 30 Grad, aber vielleicht schaffe ich es, das in den Herbst rüberzuretten? Es macht nämlich lustig.

Und wem habe ich das zu verdanken? Dass ich nicht wieder in so einem Laufprogramm stecke mit den Monsters of Sportschuh und erst vier Wochen euphorisch um die Alster renne, um dann wieder keine Treppe runterzukommen vor Schienbeinschmerzen? Meiner lieben Freundin B., die mir vor vier Wochen abends auf einem Eimsbüttler Balkon von diesem Buch mit dem albernen Titel und dem sehr schlauen Inhalt erzählt hat. Und wie schon vor ein paar Jahren ihr Parfum, habe ich ihr jetzt schon wieder etwas Tolles nachgemacht. Und das Bittere daran ist, dass ich jetzt jeden zweiten Tag fröhlich um den Park renne und sie bei dieser Affenhitze nach einer OP im Bett liegen muss, Boa Constrictor hin oder her, und in den nächsten Wochen an Laufen für sie nicht zu denken ist. Fair ist das nicht. Aber ich wünsche ihr ganz feste, dass sie spätestens im Oktober schon wie eine Gazelle an uns allen vorbeizieht.

Mittwoch, 25. Juli 2012

Angst vor der Angst

Bisher hatte ich Glück, wenn andere Glück hatten. Bisher war es noch selten so, dass ich gehört habe, jemand ist schwanger, und es ging mir durch und durch und ich musste dann auch unter irgend einem Vorwand das Gespräch beenden, gehen oder auflegen. Bisher kam die Freude immer so schnell und ohne sie herbeizuwünschen, dass es mir fast schon unheimlich war. Es gab immer mal kleine fiese Stellen, ja, aber keine davon war so schrecklich, dass ich gezwungen war, einen Bogen um die Person zu machen, die da freudestrahlend ihre Ultraschallfotos zeigte oder über ihren Bauch und ihre Füße jammerte. Und ich war immer froh, dass ich diesen Kampf nicht kämpfen muss und vielleicht noch ein bisschen Zeit habe, bis ich ernsthaft in Gefahr gerate, Dinge zu tun und zu sagen, für die ich mich in guten Momenten schäme und die mir leid tun. Dass mein großer Kinderwunsch eine hässliche, missgünstige kleine Schwester kriegt, die es nicht erträgt, dass andere Leute unverschämterweise schwanger werden und bleiben und dann eben irgendwann mit einem rosigen, geräuschvollen Paketchen durch die Gegend schaukeln.

Manchmal habe ich Angst, dass dieses Glück mich im Stich lässt. Ich hatte Momente nachts zwischen zwei und vier, wenn ich nicht schlafen konnte und mir plötzlich kalt ums Hirn wurde, da dachte ich: was, wenn Person X mich nächste Woche anruft und ist schwanger? Nein, das passiert nicht. Aber was, wenn doch? Oder Person Y? Kriege ich das hin? Wieso denke ich gerade bei X oder Y so drüber nach? Hab ich sie noch alle? Werde ich lügen müssen, um mich zu freuen? Werde ich dann seltsamerweise monatelang nicht mehr auf Emails reagieren oder anrufen? Wieso komme ich überhaupt darauf, dass es so sein könnte, so war es doch noch nie?

Jetzt wird aber geschlafen.

Aber was, wenn...

Geschlafen sage ich.

Aber das könnte doch sein! Um ehrlich zu sein, wollen wir doch alle hoffen, dass es irgendwann passiert, oder?

Jajajajaja.
Wenn es passiert, dann sehen wir... (o Gott. Gerade habe ich das Gefühl, hier postet Gollum in einem seiner einsam-zweisamen Momente. "Böse Hobitse, lieber Meister, Gollum, Gollum." Und ich hab noch nicht mal Hormone als Entschuldigung. Das ist ja schrecklich! Aber sehen wir der Wahrheit weiter mutig ins Auge:)

... dann sehen wir, wollte ich sagen, wie es uns geht. Nur nicht im Voraus verzweifelt oder neidisch sein. Damit ging es doch bisher ganz gut. Ziemlich gut sogar.

Aber was, wenn irgendwann nicht mehr?

Dienstag, 24. Juli 2012

Steht mir aber auch gut, gelle?

Vor ziemlich genau drei Jahren stand ich mal in einem Fahrstuhl, und einer meiner unsympathischsten Ex-Kollegen legte mir die Hand auf den Bauch und sagte "das steht dir aber gut". Witzigerweise war ich tatsächlich gerade schwanger, wenn auch so ca. im zweieinhalbten Monat, was mir da also gut stand, war höchstens meine Leidenschaft für Cheeseburger, nicht die Schwangerschaft. Ich war wie vom Donner gerührt. Zum Glück musste ich nur bis in den dritten Stock.

Heute morgen bin ich schon um Viertel vor sieben glockenwach gewesen (vermutlich ein Nebeneffekt des Laufens) und habe beschlossen, weil ich erst morgen wieder laufen darf, nutze ich das aus, um mit Lili einen extralangen Morgenspaziergang zu machen. Wir spazieren also, Lili und ich, Lili trägt ihr schickes Lederhalsband und die Leine, ich trage ein sommerliches Flatterkleidchen. Da kommt uns eine Krankenpflegerin mit hartem Gesicht in großer Eile entgegen, springt in ihr Auto und braust davon. Hinter einer Hecke steht noch ihr letzter Kunde, ein alter Mann. Ich komme näher, er bleibt stehen. Dann sehe ich, der hat so gut wie nichts an. Auf dem Oberkörper kleben mehrere große Pflaster, er trägt eine schmuddelige Unterhose und Stützstrümpfe. So steht er da an seinem Gartentürchen und freut sich über Lili: "So ein lieber kleiner Kerl, die gab es früher öfter." Dann strahlt er mich an, kommt aus seinem Gartentürchen, legt mir seine knarzige Altmännerhand auf den Bauch und sagt: "Wie schön, das steht ihnen aber gut."

Sollte ich mal zu Budni, mir einen Test besorgen?

Die gehen mir alle auf die Nerven. Auf dieses ewige "Wann isses denn so weit?" antworte ich inzwischen ganz fröhlich "ich bin nicht schwanger, nur verfressen". Das macht mir gar nichts aus, ehrlich. Aber anfassen? Was macht man denn da? Ich will einen alten verwirrten Mann in Unterhosen nicht anschnauzen. Meistens bin ich auch zu verdattert, um überhaupt irgendwie reagieren zu können. Bis ich wieder zu mir komme, ist es zu spät für giftige Bemerkungen, "Pfoten weg" oder Pfefferspray.

Es stört mich übrigens weniger im Sinne von "Salz in die Wunde streuen, buhuuuu, und das mir als Abkürzungsdame", sondern das Anfassen stört mich als Anfassen. Wenn ich tatsächlich irgendwann einen Sieben-Monats-Bauch durch die Gegend schieben würde, der nicht mit Cheeseburgern gefüllt wäre, sondern mit Babys, dann wollte ich trotzdem nicht angefasst werden. Nicht von Leuten, die ich nicht kenne oder nicht mag. Warum tun die das? Ist das Besitzergreifung? Denken die, das bringt Glück? Denken die, man bräuchte so etwas wie ihren Segen? Oder fummeln die einfach gerne fremde Frauen an, und wenn sie schwanger sind, dann haben sie ein Alibi?

Es ist und bleibt ein Rätsel.

Montag, 23. Juli 2012

Plätzchenbacken 1, Weltanschauung 6.

Es ist morgens um sieben, der Hund (jetzt wieder Einzahl, Hundeschwester Momo ist für drei Wochen bei ihrer alten Familie) rührt sich in seinem Körbchen und ich mich in meinem. Einen leichten Rotwein- und einen etwas schwereren Knoblauchkater habe ich noch vom Abend gestern beim Franzosen mit meinen Geschwistern, die ein Wochenende zu Besuch sind. Aber da war noch was. L. muss jetzt aufwachen, sofort. "Duhuu?" Er brummt irgendwas. Gut genug für mich. Jetzt kann ich ihm den Kracher erzählen: den Kracher, dass meine Oma zu meiner Schwester gesagt hat...

Trommelwirbel, uuuuund Bitte:

"Hoffentlich adoptiert Flora kein Negerkind. Da gibt's doch so viel zu erben."



ZACK.



Das muss jetzt erst mal für einen Moment so stehenbleiben und wirken, oder?



Der werde ich's zeigen. Folgenden Plan haben wir sofort an Ort und Stelle entwickelt:

Beim nächsten Besuch in ihrem poshen Altersheim spreche ich auf der Straße den unansehnlichsten, pickligsten, fusselbärtigsten und insgesamt unerfreulichsten 15jährigen Jungen an, den ich finden kann, und stecke ihm zwanzig Euro dafür zu, dass er mich kurz nach oben in ihre Wohnung begleitet und nasepopelnd und nickend danebenbesteht, während ich Oma erkläre, dass das hier jetzt unser Adoptivsohn Friedrich Wilhelm ist.

Die schaffen wir.

(Nicht, dass hier ein falscher Eindruck entsteht: ich habe meine Oma sehr lieb. Aber auch wenn sie 90 Jahre alt ist, dafür hat sie Haue verdient.)

Dienstag, 17. Juli 2012

Einige Erkenntnisse aus den letzten Wochen in ungeordneter Reihenfolge

Ich hatte wirklich Angst vor diesem Adoptionsprozess. Genau so, wie ich vor jedem Unternehmen Angst habe, bei dem eine Behörde, Fristen, Formulare usw. im Spiel sind. Angst ist vielleicht nicht das richtige Wort, eher so eine Art Widerwillen, erstens gegen Behörden und die etwas schlampige, aber trotzdem eiserne Maschinerie, die oft dahintersteckt; und zweitens gegenüber mir und meiner Art, solche Dinge zu versemmeln. Und dann lasse ich es normalerweise wochenlang, wenn nicht monatelang liegen, bis es gar nicht mehr anders geht und die geringste Bammelei tatsächlich zur Katastrophe führt. Ich weiß, das ist doof, aber ich kann nicht anders, dafür kann ich z.B. lecker Kuchen backen, das ist doch auch schön?!? Ich hatte schon wieder den Krach mit L. im Ohr, den wir zweifellos haben würden, wenn ich wieder mal irgend etwas falsch gemacht oder vergessen haben würde. Jetzt waren wir insgesamt schon vier mal da, die Formulare haben wir auch anstandslos hingekriegt, und das ist alles halb so schlimm. Wir hätten das viel früher angehen sollen. Dagegen spricht natürlich, dass die hören wollen, dass man durch ist mit seiner Kinderwunschbehandlung (was ich zwar nachvollziehen kann, aber nach wie vor nicht gut und zu voreilig finde - nicht alles gilt für alle Wunscheltern gleich). Aber das hätten wir ja irgendwie vertuschen können. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Ich möchte nie wieder diese Diskussion mit jemandem führen darüber, wieso wir uns eigentlich gegenseitig immer noch als Mädchen bezeichnen, obwohl wir alle über 30 sind. Blöde Diskussion. Überflüssige Diskussion. Nervtötende Diskussion. Vor allem, weil jeder, der sie anfängt, sich dabei so gebärdet, als wäre er der erste Mensch auf dem Planeten, dem dieses Phänomen auffällt. Dieser listige Gesichtsausdruck... dieses Schmunzeln... uäch. Mal davon abgesehen, dass dich, lieber Langweiler, das einen feuchten Dreck angeht, wie wir uns nennen. Geh, such dir jemanden, der mit dir darüber reden will, dass das Jahr 2000 eigentlich nicht das Millennium war und Erdbeeren keine Beeren sind.

Laufen in Barfuß-Schuhen mit weicher Sohle und null Pronationsstütze ist ein bisschen so, wie zum ersten Mal in ein Paar Birkenstocks zu steigen: überraschte Füße. Es ist außerdem furchtbar anstrengend, ich bin heilfroh, dass ich gerade nach den letzten Schienbeinzicken und einer miesen Erkältung wieder langsam anfange und gerade so kurz - also wirklich so kurz - um den Park laufe, dass ich euch gar nicht verraten will, wie kurz genau. Und trotzdem habe ich Muskelkater an Stellen, an denen ich noch nie welchen hatte, und ja, ich war schon mal beim Yoga. Außerdem haben sich wundersame Dinge in meinem Leben und meinem Kühlschrank (große Schnittmenge. Größer als bei vielen anderen Menschen.) verändert. Als ich in meinem neuen Laufbauch gelesen habe, Laufen würde die Lust auf Fast Food vertreiben, habe ich laut "HA!" gesagt, wie in "DAS WOLLEN WIR DOCH MAL SEHEN". Und in der Tat: ich könnte jetzt, wie ich hier sitze, ohne mit der Wimper zu zucken zwei riesige Burger samt Fritten, Mayo, Guacamole und ein Vanilleshake dazu verdrücken. Aber das Gute ist: ich habe gleichzeitig auch wieder mehr Lust auf Vollkorn, Gemüse und Obst und Nüsse und Kräutertee, und das nutze ich aus, indem ich mich einfach so schnell bis zum Kragen mit rohen Möhren und dergleichen vollstopfe, so dass trotz aller Bereitschaft kein Burger mehr reinpasst. Das funktioniert ganz gut. Ich kann das nur empfehlen, das mit dem Laufbuch mit dem dämlichen Titel und den Nike free Laufschuhen. (Nu kommt schon. Das letzte Product Placement ist wirklich schon lange her, und Geld kriege ich auch keins dafür.) Ich war noch nie besonders begeistert von meinen angeblich perfekt angepassten dicken hypergefederten Laufschuhen, die immer ein bisschen so aussahen, als wäre ich mit dem Fuß in einen Cassettenrecorder getreten.

Hunde können eine Menge ab. Inzwischen stellt unser Adoptivhund sich schon parat, sobald ich die Chili-Entkernungs-Handschuhe überstreife, um ein bisschen an ihrem Rücken herumzuquetschen. Und so viel Unbekümmertheit ist ansteckend: inzwischen mache ich das einfach so, ohne Schaudern und Würgen, muss ja, und hinterher geht's ihr besser.

Ich habe einen Geschmack gefunden, den ich tatsächlich niemals leid werde. Ich habe seit drei Wochen nicht den geringsten Wunsch nach Abwechslung. Dieser Geschmack ist die Mischung aus Zitrone und Schafskäse. Manchmal ist noch Minze dabei. Oder Melisse. Was sonst noch dazukommt, Tomaten, Hühnchen, Fisch, dicke Bohnen oder auch mal dünne Bohnen oder Kartoffeln, ist mir egal. Wenn das anhält, tut es mir sehr leid für die Mädchen (Genau, die MÄDCHEN!), aber dann werden sie das im Urlaub jeden Tag essen müssen, es sei denn, sie zerren mich mit Gewalt aus der Küche und reißen mir die Fetapackung aus den Händen.

Allen Damen, die sich für Musik interessieren, kann ich die beiden Bands "Au Revoir Simone" und "The Bird and the Bee" empfehlen.

Allen Damen, die genau so traurig wie ich über den Tod von Nora Ephron sind, aber leider schon wieder durch sind mit der Gedächtnislektüre all ihrer Bücher (viel zu wenige, viel zu dünn und viel zu schnell durchgeknuspert), kann ich empfehlen, mal wieder bei Dorothy Parker reinzupieken.

Ich liege auf dem Balkon (also, nicht gerade jetzt, aber theoretisch sehr bald wieder), lese Dorothy Parker, höre "Again and again" von "the bird and the bee" und esse selbstgemachten Flammkuchen mit Schafskäse, Zitrone, Tomaten und Peperoni. Nicht sooo schlecht, das Leben.

Sonntag, 15. Juli 2012

Wenn Barbra Streisand für mich chinesisch kochen würde, würde ich dankend ablehnen

Seit vielen Jahren gucke ich amerikanische Filme, in denen immer wieder jemand seine lebenslange Begeisterung für den Film "The way we were" mit Robert Redford und Barbra Streisand zum Ausdruck bringt. Vor ein paar Wochen habe ich mich bei lovefilm angemeldet, da zahle ich jeden Monat zwölf Euro und kann mir dafür so viele Filme ausleihen, wie ich will - immer einen nach dem anderen. Gerade steckt im DVD-Schlitz dieses Rechners "The way we were". Ich kann verstehen, warum so viele amerikanische Frauen begeistert sind. Ich kann die Begeisterung nur leider nicht teilen, weil ich so irritiert war von den grauenvollen, überlangen Fingernagelkrallen, die Barbra Streisand in diesem Film trägt. Ich finde lange Fingernägel schrecklich. Die Geräusche, die sie machen, wenn sie über Stoff fahren, über Kopfhaut kratzen oder auf einer harten Oberfläche trommeln, sind für mich nicht auszuhalten, und noch weniger möchte ich jemals an egal welchem Körperteil von jemandem mit langen Fingernägeln angefasst werden. Ich mag manchmal - an einem entspannten Sonntag Morgen nach einer Ausgehnacht z.B. - ein bisschen Simon&Garfunkel ganz gerne. Mochte, meine ich. Denn vor ein paar Wochen habe ich ein Interview mit Paul Simon im Fernsehen gesehen, der Anlass war das Jubiläum von "Graceland". Seitdem kann ich Simon&Garfunkel nicht mehr ertragen. Paul Simon hat lange Fingernägel. Mag sein, dass die nützlich sind für einen Gitarristen, aber wieso benutzt er kein Plektron wie andere Leute auch? Und müssen sie wirklich SO lang sein? Als ich bei L. eingezogen bin, hat er öfter mal was beim Chinesen schräg gegenüber geholt. Das Essen war billig, köstlich und nicht mit Glutamat überladen. Eines Tages habe ich das Essen selbst abgeholt. An diesem Tag musste L. meine Frühlingsrollen und mein Rind mit Chili und Basilikum essen, denn ich habe leider gesehen, dass der Koch lange Fingernägel hat. Danach habe ich dort nie wieder bestellt. Ich kann und will mir gar nicht vorstellen, was irgendwen reiten könnte, sich Nägel wachsen zu lassen, mit denen man nicht mehr tippen, telefonieren, Lupinen pflanzen oder sich gefahrlos eine Kontaktlinse einsetzen kann. Das muss doch schrecklich sein. Sind die echt oder angeklebt? Oder trägt Barbra die etwa freiwillig, auf eigenen Wunsch und nicht nur in diesem Film, sondern immer? Darüber habe ich nachgedacht, während auf meinem Computerbildschirm eine der angeblich schönsten und traurigsten Liebesgeschichten der Filmgeschichte ihren Lauf nahm. Ich habe gegoogelt. Könnte ja auch sein, dass es die Schuld von Regisseur Sydney Pollack ist, und im Zweifel will ich lieber nicht zu Unrecht etwas Schlechtes von einer anerkannten Schwulenikone denken. Zuerst bin ich darauf gestoßen, dass Sydney Pollack auch "Tootsie" gemacht hat, ein Film, in dem Dustin Hofman lange Fingernägel hat. Au Backe, dachte ich. Dann habe ich gesehen, dass "Jenseits von Afrika" ebenfalls von ihm ist, und ich kann mich nicht erinnern, dass mich damals Meryl Streeps Nägel genervt haben. (Vielleicht hatte ich damals diese Schrulle aber auch noch nicht entwickelt.) Und dann habe ich ein Foto von Barbra Streisand gefunden, ein sehr unvorteilhaftes, auf dem ihre Nägel zwei Zentimeter länger sind als ihre Finger. Das Bild war Teil eines Artikels über die Anforderungen, die sie auf ihren Touren stellt. Sie muss beispielsweise apricotfarbenes Toilettenpapier haben, weil das ihrem Teint schmeichelt. Das ist noch ein vergleichsweise leicht erfüllbarer Wunsch, aber sie setzt ihn mit großem Nachdruck durch und hat noch ungefähr dreißig andere. Jemand, der so drauf ist - das muss ich leider sagen, Schwulenikone hin oder her - dem traue ich ohne weiteres zu, auf langen Nägeln zu bestehen.

Liebe Abkürzungsdamen, da habt ihr Recht, dieser Text hat rein gar nichts mit Abkürzungen oder Adoption zu tun. Heute ist Sonntag! Da mache ich mal blau und kann das sehr empfehlen.

Samstag, 14. Juli 2012

Und Hopp!

Letzte Woche Donnerstag war es am pummeligen Pony Flora, über das nächste Hindernis in Richtung "Getrappel kleiner Füße erfüllt unser Haus, und ich meine nicht die Füße der Hunde" zu springen: wieder ein Adoptionstermin, diesmal allein. Eigentlich dachte ich ja, dieser Termin wird so ein bisschen wie getrennte Verhöre von zwei Verdächtigen auf der Polizeiwache: ich habe fest damit gerechnet, dass heute unsere Beziehung zerpflückt wird. Verwickeln wir uns in Widersprüche? Ist irgendwo ein Riss in der (offensichtlich nur vorgetäuschten) Fassade, dass hier ein ziemlich glückliches Paar zusammen gerne ein Kind adoptieren würde? Und als ich letzten Donnerstag da vorfuhr, hatte ich zwar die ganze Fahrt gepfiffen, aber das war ungefähr so wie Pfeifen nachts im dunklen Wald, wenn die Wölfe heulen, das Käuzchen ruft und die Äste knacken. Meine Fingerknöchel waren jedenfalls weiß, als ich sie vom Lenkrad gelöst habe. Aber gut, rein da, da müssen wir durch.

Und dann kam das, was bei dieser Adoptionsgeschichte bisher noch jedes Mal passiert ist, ich kann mich nur noch nicht daran gewöhnen: das war nett. Und es ging überhaupt nicht um unsere Beziehung. Der Allein-Termin war dazu da, dass die nette Dame vom Amt sich mit mir in aller Ruhe und Ausführlichkeit und ohne dass der arme L. daneben hockt und sich langweilen muss (der kennt das ja alles schon bis zum Abwinken, so ist das, wenn man eine Quasselstrippe geheiratet hat) über meine Biographie zu sprechen. Die hatte ich ja schon vor dem ersten Termin schriftlich einzureichen, und weil ausdrücklich nicht erwünscht ist, da etwas in der Form "Dufte Kindheit, Schule hat Spaß gemacht, dann Abi und Studium, guter Abschluss, jetzt toller und fordernder Job und happy happy Liebesglück" abzugeben, gab es doch noch einige mit Textmarker angestrichene Stellen, über die zu sprechen war. Aber wieder hatte ich das Gefühl, das ist alles freundlich und wohlwollend und nicht mit dem Ziel, mir am Ende das Wort im Mund herumzudrehen und mich in einen Problemmenschen zu verwandeln, der jedenfalls noch zehn Jahre Therapie vor sich hat, bevor man ihm dann leider kein Kind mehr geben kann, weil inzwischen zu alt.

Nach dem letzten Gespräch hätte ich das ja eigentlich ahnen können. Denn da wurde klar, dass die Schwierigkeit nicht darin besteht, in die Kartei aufgenommen zu werden, sondern darin, dann auch tatsächlich ein Kind zu bekommen.

Und dann sitze ich da und rede und rede und rede, und bevor ich mich umgucken kann, sitze ich auch schon wieder in meinem Auto und kann ein Grinsen nicht unterdrücken und denke die ganze Heimfahrt: ich glaube, die mag mich. Die mag uns. Die denkt, wir wären gute Eltern. Die wird bestimmt dafür sorgen, dass wir ein Kind bekommen. Warum auch nicht? Wir haben nichts dagegen, wenn das Kind nicht frisch aus dem Kreißsaal zu uns kommt. Die Hautfarbe ist uns vollkommen wumpe, und ich hätte das zwar nicht gedacht, aber für viele, viele Adoptionseltern ist das ein Riesenproblem, das Kind einer Prostituierten zu adoptieren - für uns nicht. Das klappt doch, oder? Oder? Sag doch mal, Abkürzungsschutzpatron? (Du hast jetzt jahrelang auf der faulen Haut gelegen, was mich betrifft, nun zeig mal, dass Du überhaupt noch lebst.) Und dann will ich schon wieder gegensteuern: genau dieses Gefühl, mein Gänseblümchen, hattest du bisher fast jedes Mal, wenn Du nach einer Rückübertragung aus der Praxis geschwebt bist. Und da ist er wieder: der Klassiker unter den inneren Dialogen einer Abkürzungsdame.
"Ich glaube, das klappt."
"Flieg nicht zu hoch, mein kinderloser Freund."
"Wieso denn nicht? Verdammt noch mal?"
"Schätzelein, das braucht keinen Grund, um nicht zu klappen. Es könnte einfach ganz banal nicht klappen, Erklärungen werden nicht gegeben."
"Ich finde, diesmal sind wir dran."
"Das finde ich auch, aber uns fragt hier ja keiner."
"Du wirst sehen, dieses Jahr zu W..."
"Bitte, bitte, bitte nicht wieder die Nummer mit 'dieses Jahr zu Weihnachten haben wir ein Baby'. Jetzt komm."
"Weißt du was, kursive innere Stimme? Ich fahr hier kurz rechts ran, und den Rest des Weges fährst du mit der Bahn."

Und das war also mein Donnerstag letzte Woche.

Dienstag, 10. Juli 2012

Wir üben noch

Bevor das hier Stunk gibt: ja, ich weiß, dass Hunde nicht mit Kindern zu vergleichen sind. In keiner Weise! Es ist nur so, dass mich meine Erlebnisse mit Hunden (Mehrzahl, ja) ab und zu an das erinnern, was ich mir mit Kindern so vorstelle, befürchte oder hoffe. Gerade versuchen wir, ein Kind zu adoptieren. Und während wir noch dabei sind (da steht auch noch ein Bericht aus, zu dem ich bestimmt morgen oder übermorgen komme, bitte habt Geduld, sobald es hier mal um was Ernstes geht, schreibt sich das manchmal nicht einfach so zwischendurch weg), adoptieren wir - wenigstens ein bisschen - einen Hund.

Von Momo hatte ich ja schon erzählt. Es gab Gespräche und Kennenlernen und Besuche und noch mehr Gespräche, und jetzt ist sie erst mal bei uns, es sei denn, sie ist gerade bei ihrer angestammten Familie. Als wir Momo kennengelernt haben, war schon von ihren Lipomen die Rede. Das sind gutartige Tumore im Fettgewebe, die hatte sie kurz vorm Schwanz, und "Fetttumor" klingt zwar widerlich, aber in Wahrheit waren das einfach nur zwei feste Beulen im Fell mit dem Durchmesser eines Tischtennisballs. Zurück aus der Heide bemerkten wir am Montag Morgen, dass einer der Tennisbälle süppschte. Das Fell drumherum war wie mit Schneckenschleim (isst hier eigentlich gerade jemand während des Lesens? Dann würde ich eins von beidem lassen, es kommt noch schlimmer) verkleistert. Weil der Hund sonst ganz munter war, haben wir bis heute gewartet mit dem Tierarztbesuch. Heute war L. dran, ich saß sicher im Büro. Dann kam irgendwann der Anruf: nix Lipom, das sind Atherome, auch Grützbeutel (hab ich zu viel versprochen?) genannt - so etwas wie ein riesiger Pickel, nur noch viel entzündlicher und auch nicht ganz ungefährlich. Die offene Beule ist jetzt rasiert, wurde gereinigt, mit Salbe versorgt, Momo muss alle 12 Stunden eine in eine Wurstscheibe gewickelte Tablette bekommen, und Salbe müssen wir auch weiter draufschmieren. Das wirklich schlimme, schreckliche aber, das mich an Kinder erinnert, ist das: mehrmals täglich müssen wir uns die Hände waschen, am besten auch in Einweghandschuhe schlüpfen und das Ding ausdrücken. Seit L. mir das heute mittag erzählt hatte, konnte ich an nichts anderes mehr denken als an das Grauen, nach Hause zu kommen und einen gigantischen Hundepickel ausdrücken zu müssen. Dann war ich zuhause und habe es hinter mich gebracht: Einweghandschuhe habe ich zu Hunderten (ich nehm die zum Kochen, wenn es z.B. eine Chili zu entkernen gibt) (Oh Gott, nun kann ich nie wieder Chilis entkernen, ohne an den Grützbeutel zu denken) (Tja, Pech, ihr jetzt vermutlich auch nicht mehr, tut mir leid). Mir zittern immer noch die Hände ein bisschen, aber was soll's? Liebe macht es möglich, und wenn es auch die gerade erst frisch aufkeimende Liebe zu einem mir vor drei Wochen noch fremden Hund ist. Ich denke daran, wie ich als Kind nach den Windpocken ein paar Furunkel als Souvenir davongetragen hatte, und meine Mutter musste mit mir in der leeren Badewanne sitzen und sie verarzten, während mein brüllender Bruder danebenstand. Ich denke an meine alte Teampartnerin, die morgens bleich aus dem Haus schwankte und erzählte, sie hätte die ganze Nacht damit zugebracht, Rotz aus der Nase ihres schwer erkälteten Säuglings zu saugen. Solche Sachen passieren, wenn man die Verantwortung für ein ansonsten hilfloses Wesen übernimmt. Sie sind nicht schön, sie können einem auch noch Jahre später die schönste Mahlzeit versauen (zumindest, wenn man wie ich ein Talent dafür hat, sich immer an das Falsche zu erinnern), aber sie gehören dazu.

Und wieder mal habe ich ungerechtfertigterweise das Gefühl, mein Leben ist ein Adoptions-Assessment-Center. (Und wer muss es ausbaden? Das Tierchen.)

Die Euro-Krise kommt in Hamburg an

Vielleicht liegt es daran, dass ich zu lange zu fest angestellt war. (Viel, viel zu lange, um genau zu sein.) Da kann man schon mal den emotionalen Bezug zwischen Arbeit und Gehalt verlieren. Arbeit war für mich irgendwann so etwas wie Schulpflicht: so etwas Lästiges, selten auch Lustiges, wo man eben morgens nach dem Aufwachen hinmusste. Und mein Gehalt war so etwas wie der mir zugestandene Unterhalt. Es hat nicht lange gedauert, und ich habe mein gar nicht mal so schlechtes Gehalt nicht mehr als wohlverdienten Lohn für meine Mühen und Geistesblitze gesehen, sondern als irgendwelches Geld, mit dem das Schicksal mich mehr schlecht als recht ausstattet, um irgendwie über die Runden zu kommen.

Jetzt ist das anders. Jetzt ist jede Rechnung, die ein Kunde bezahlt, ein Triumph meiner beruflichen Fähigkeiten. Etwas, das mir verdammt noch mal zusteht, weil ich es mir verdammt noch mal hart erkämpft habe. Und damit fangen die Probleme an. Denn in meinem Gefühl ist da immer noch irgendwo die finanzielle Grundausstattung, das Gehalt, das ich längst nicht mehr bekomme. Mein selbständig verdientes Geld dagegen ist Zeichen meiner Unabhängigkeit und ein klares Signal, dass ich es allein schaffe in dieser fiesen Mackerwelt. Und das legt man nicht beiseite für die Miete oder die Hundeversicherung oder zahnärztliche Notfälle. Champagner! Kurztrips in aufregende Städte! Hej, Taxi! Riesige Steaks! Hormonspritzen für alle! Und wieso nicht auch mal drei Kugeln Eis? Ihr seht, wo das hinführt. Ich auch, und zwar mit Sorge. Und was die Lage zusätzlich erschwert: jedes Honorar außer der Reihe - jeder Zeitungsjob, jede Namensfindung für irgendwen übers Wochenende, alles was extra reinkommt, wird fünfmal verplant, bevor es überhaupt auf meinem Konto ist. Eigentlich sind meine Joggingschuhe noch gut. Aber eigentlich auch nicht mehr, ich kauf mir neue. Ist doch kein Problem, immerhin müsste täglich das Geld für den letzten Cosmo-Text auf dem Konto landen. Mit dem ich allerdings auch schon London bezahlen wollte. Und die eine oder andere Sushi-Sause. Und die Weinlieferung mit dem schönen Rosé. Und wenn das Geld dann kommt, dann kommt es auch noch brutto. Jetzt wäre jemand nötig, der sofort und ohne Geheule einen gewissen Anteil davon beiseite schafft und nicht mehr anfasst, bis irgendwann der langsame, aber starke Krakenarm der Steuer danach greift. Dieser jemand bin nicht ich, und die nette ältere Dame, die meine Steuer macht, ist da auch keine Hilfe.
Niemand muss sich Sorgen machen. Ich kriege das hin, bisher immer. Manchmal knirscht es etwas, und das sind auch alles Luxussorgen. Was kann die Lösung sein? Mehr Geld verdienen vielleicht. Oder mir selbst dieses Champagner-Gefühl austreiben. Oder doch diese Gehirnwäsche für mein Fusselhirn, von der ich schon so lange träume.

Montag, 9. Juli 2012

Wir laufen im Viereck, wir laufen konzentriert

Heute morgen habe ich mein Laufprogramm neu gestartet. Ich kam mir sehr dämlich vor und war sehr glücklich. Dämlich, weil es sich komisch anfühlt, mit Laufen "anzufangen" und fünfzehn Minuten immer abwechselnd zu laufen und zu gehen, wo ich doch längst zigmal um die Alster gerannt bin und einmal von Eimsbüttel nach Blankenese und zuletzt locker 40 Minuten traben konnte mit Luft nach oben. Glücklich, weil es sich gut angefühlt hat und ich optimistisch bin: diesmal vielleicht ja ohne Knieprobleme, Schienbeinprobleme und Achillessehnenprobleme? Diesmal machen wir alles richtig? Ja? Ich finde, ja. Und es war nett, heute morgen zu den Hunden zu sagen, die mich morgens immer schon so anstrahlen und mir ihren warmen Atem ins Gesicht blasen, sobald ich die Augen öffne, "Mäuse, gleich seid ihr dran. Aber erst mal, wisst ihr, erst mal führt Frauchen sich selbst aus." Das fanden sie nicht gut. Aber das ist mir egal. Es wäre doch gelacht, wenn ich diesen Hormonbrumsenkörper nicht endlich doch noch in Form kriege. Und sobald die erste Woche überstanden ist, beginnt der größte Spaß am Sport: das Shoppen! Sportshoppen tue ich nämlich wirklich, wirklich gerne. Nächsten Montag gehe ich in der Mittagspause los und kaufe mir ein paar Barfußschuhe. Eine Pulsuhr brauche ich auch, hilft ja nichts!

Und war doof, oder? Auf RTL, meine ich? Seht ihr wohl, das dachte ich mir.

Dienstag, 3. Juli 2012

Eine kleine Sprite und ein Pfefferspray bitte

Es würde meine Mutter freuen, das zu lesen: die Jahre meiner Teenie- und frühen Zwanzigerzeit, in denen andere sich in die Notaufnahme saufen, habe ich weitgehend nüchtern zugebracht. Nicht aus moralischen Gründen, aus Prinzip, aus Ekel vor den Effekten, die bei anderen zu beobachten waren, oder aus Sorge um meine Gesundheit. Es hat mich einfach nicht weiter betroffen. Alkohol auf Partys war für mich ungefähr so, als wäre man irgendwo eingeladen, wo alle ganz aus dem Häuschen sind, weil es im Keller einen Squashplatz gibt. Ich hätte mir den Squashplatz noch nicht mal angesehen. Ich war auch nicht angewidert über andere, die sich für squashen interessierten - Squash war für mich einfach kein Thema.

Wenn ich so drüber nachdenke, hat mir das eine Menge Ärger eingebracht. Es führte nämlich dazu, dass ich fast immer gefahren bin. Ich war nicht nur nüchtern, sondern hatte auch ein mühsam im Altersheim zusammengebuckeltes Auto, damit war die Sache klar. Und das brachte Gefahren mit sich, die betrunkenen Kollegen erspart blieben. Da war zum Beispiel die Silvesternacht, in der ich morgens gegen vier mit drei Freunden auf der Landstraße unterwegs nach Hause war. Ich hatte um Mitternacht kurz meine Lippen an einem Sektglas benetzt, bevor das wieder Genänger gibt, und das war es gewesen. Zehn Minuten nach dem Aufbruch krachte eine vollkommen besoffene 50jährige Frau mit ihrem Renault in meine Ente, und zwar genau an der Stelle, an der ich saß. Es ging alles furchtbar schnell, eben grölten wir noch fröhlich zu "Tausendmal berührt" aus dem Radio, und drei Minuten später standen wir zitternd, bleich und zum Glück ohne ein gekrümmtes Härchen am Straßenrand und starrten fassungslos auf das Wrack, das sich auf der anderen Straßenseite aus seinem Wrack übergab. Ich kann bis heute nicht fassen, dass das nicht mindestens mit einer Querschnittslähmung endete. Hätte ich damals sicher verstaut auf der Rückbank eines grundsoliden Mercedes Dieseltaxis gesessen, würde mich das weniger wundern. Ein anderes Mal hatte ich alle auf eine Freiluftparty irgendwo auf einem Acker gefahren, und es endete damit, dass alle betrunken und/oder bekifft kichernd im Gras lagen und es irre komisch fanden, dass ich nur mit knapper Not der Vergewaltigung durch einen dämlichen Austauschschüler entging. Der übrigens echt enttäuscht und sauer darüber war, dass er auf der Rückfahrt nicht mitfahren durfte, wie spießig war ich denn drauf? Dann waren da die unzähligen Nächte, in denen wir 30 Kilometer oder weiter gefahren waren, um irgendwo tanzen zu gehen, bzw. ich. Ich war gefahren. Und meine Freunde, wesentlich cooler als ich natürlich, bequatschten mich jedes Mal, jeden noch so kaputten Tramper mitzunehmen, hielten sich ein Schwätzchen mit ihm und ließen sich fünf Minuten später irgendwo absetzen, woraufhin ich mit dem

a) harmlosen Rumhänger
b) irren Killer
c) unangenehm riechenden und etwas aufdringlichen Hand-aufs-Knie-Leger, der das klar als Zeichen wertet, dass Du ihn mitgenommen hast oder
d) Typen, dessen irres Gerede über Ausländer und Lesben und Russen ich mir noch zehn Kilometer weit anhören musste,

*** bitte wählen sie eine Möglichkeit streng nach dem Zufallsprinzip, liebe Abkürzungsdame, zu gewinnen gibt es nichts ***

noch einige Kilometer weit allein im Auto fahren musste. Das wiederum würde meine Mutter weniger freuen. Würde sie meinen Blog lesen, dann hätte sie noch jetzt, zwanzig Jahre später, vermutlich einen Herzinfarkt. Da zieht man ein Kind auf, gibt ihm Schwarzbrot und Vitamine, schickt es zur Klavierstunde und bindet ihm einen Schal um, und dann sitzt es nachts um drei mit einem Tramper auf der Landstraße im Auto, und das Ganze war noch nicht mal seine Idee, im Gegenteil, es war von Anfang an dagegen.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie oft ich mitten in der Kurve auf unbeleuchteter Straße rechts ranfahren musste, damit sich jemand aus der Tür übergeben konnte. Oder wie oft ich mit meiner motorisierten Coladose bei Glatteis oder sintflutartigem Regen nachts über die Autobahn gefahren bin, drei schnarchende Fähnchen um mich herum und das Quietschen des winzigen Scherzscheibenwischers vor der Nase. Einmal war ich in einer Januarnacht auf etwas gewesen, was mir als "Party, bring ruhig was mit, am Besten was zu trinken" angekündigt wurde. Mein Vater hat mich hingefahren, war ja nur über den Berg ins Nachbardorf, mich und meinen großen Kasten 0,5-Liter-Flaschen feinstes Spaten Bier. Ich trug Schuhe mit Ledersohle, eine Jeans und ein T-Shirt, darüber eine antike Wildlederjacke ohne Futter. Die Party bestand aus vier Menschen außer mir. Einer davon sollte mich eigentlich auf dem Rückweg zuhause absetzen, aber im Lauf des Abends wettete jemand fünf Mark, dass er sich nicht trauen würde, eine ganze Flasche Danziger Goldwasser auszutrinken, einen Schnaps, der zum Glück aus der Mode gekommen zu sein scheint und der im Nachhinein vermutlich ein bisschen wie Sambucca mit Blattgold ist, nur stärker. Er gewann die Wette, und ich sah meine Mitfahrgelegenheit auf unbestimmte Zeit ins Klo verschwinden. Daraufhin machte ich mich zu Fuß auf den Heimweg, zu Fuß mit einem dreiviertel vollen Kasten Bier. Inzwischen hatte dichtes Schneetreiben eingesetzt, und der Weg war viel länger, als ich ihn in Erinnerung hatte. Mit meinen Ledersohlen glitschte und stakste ich einen steilen Feldweg herunter, den tonnenschweren Bierkasten im Schlepptau. Fünfmal bin ich dabei hingefallen. Jede andere hätte irgendwann halt gemacht und zum Trost und gegen die Kälte drei Biere getrunken, ich nicht. Irgendwann war ich endlich zuhause und stellte fest, dass ich bei einem meiner Stürze den Haustürschlüssel verloren hatte. Ich klingelte. Die Klingel funktionierte noch nicht, wir waren erst vor zwei Wochen eingezogen. Ich klopfte. Niemand hörte mich. Es dauerte noch fast eine Stunde, bis mir jemand aufmachte, und ich wollte immer noch kein Bier trinken. Es fiel mir einfach nicht ein, genau so wenig, wie ich jetzt Lust auf eine schöne Partie Squash verspürt hätte. Ich hätte erfrieren können, während die anderen vier selig und besoffen in einem Partykeller im Nachbardorf auf Matratzen vor sich hindämmerten und am nächsten Morgen, wie ich später erfuhr, gegen eins zum Frühstück zu McDonalds aufbrachen.

Heute, liebe Abkürzungsdamen, ist vieles anders. Das meiste hat sich zum Guten gewendet. Mama, ich weiß, Du liest das hier nicht. Aber wenn doch, beruhige Dich. Heute spiele ich zwar mit Begeisterung Squash. Aber der letzte Anhalter in meinem Auto ist fast 15 Jahre her.