Sonntag, 30. September 2012

Irgendwelche Krimitipps? Her damit!

Liebe Abkürzungsdamen, eins vorweg: ich fand es auch sehr, sehr schön mit Euch allen. So einen großen Stammtisch hatten wir noch nie, fabelhaft, dass sich so viele mitten in der Woche trotz Hormontran und Sauwetter aufgerafft haben! Nachdem ich am nächsten Morgen allerdings mit dem Kater des Jahrtausends aufgewacht bin, habe ich heute immer noch das Gefühl, es ist mal wieder Zeit für ein bisschen Gegensteuern. Dementsprechend habe ich gestern den Abend in der Heide nicht, wie von meiner Schwiegermutter angeboten, mit Wein verbracht, sondern mit alkoholfreiem Hefeweizen, und genau das tue ich heute wieder. Ich habe (der alte Trick) seit Freitag nur amtliche Naturkosmetik verwendet, heute war ich laufen, und zwar so schnell wie geht und all die steilen Berge hoch, und jetzt habe ich langsam das Gefühl, ich bin wieder auf Kurs. Bevor ich morgen nicht auf die Waage gestiegen bin, will ich keine Prognose wagen, aber ich habe den Eindruck, langsam tut sich auch da etwas trotz üppiger Portionen. Jetzt heißt es dranbleiben. Und jetzt heißt es, ein zweites Paar Laufschuhe kaufen. Und vielleicht eine Pulsuhr. Auf jeden Fall aber für die nächsten Wochen viele leckere Getränke, die mir den Feierabend vergolden, ohne ihn mir zu vernebeln.

Gerade habe ich endlich einen (leicht verspäteten) Text für eine Zeitschrift rausgeschickt, seit Donnerstag habe ich keinen Piep mehr gehört auf einer anderen Baustelle außerhalb der Agentur, und nächste Woche arbeite ich Montag, Dienstag und dann fünf Tage nicht. Ich kann gar nicht sagen, wie nötig das ist nach diesem Galeerensklavenseptember. Bitte, bitte, lieber Gott, mach, dass die Zeitschrift mit dem Artikel so glücklich ist und nicht alles neu will. Spätestens morgen früh werde ich meine Order für einige Bücher aufgeben, die längst auf der Wunschliste stehen, und dann folgen fünf Tage häusliche Betriebsamkeit, Fensterputzen, Erledigungen, Kochorgien, Kaminfeuer, Sauna, Laufen, mit L. auf der Couch herumhängen, Lesen, ich bin die glücklichste Unfruchtbare der Welt.

Mittwoch, 26. September 2012

Whoaaaa, Stammtisch!!!

So viele Anmeldungen hatte ich noch nie: wenn wirklich alle kommen, sind wir zu acht morgen Abend. Ich freu mich auf jede alte und neue Nase, das wird herrlich!

Und den Tisch hab ich jetzt auch reserviert.

Bis morgen um acht im Gloria!

Dienstag, 25. September 2012

Revue der guten Laune.

Gestern war das letzte Adoptionstreffen, da ist es wohl Zeit dafür, die Dinge Revue passieren zu lassen, die ich in den letzten Wochen und Monaten so zu verarbeiten hatte.

Die Chancen, dass wir überhaupt ein Kind auf diesem Weg bekommen, sind - wenn man nur die nackte Zahl sieht - ziemlich klein. Irgendwo zwischen 1:5 und 1:9. Das ist nicht sehr ermutigend, manche IVF hat bessere Erfolgschancen.

Wir haben jetzt schon so viel über Traumatisierungen fürs Leben, nicht mehr gutzumachende Schäden, verborgene Krankheiten und Macken und all das gehört, dass es fast die Ausnahme zu sein scheint, wenn das Kleine einfach nur aufwächst und klarkommt.

Am besten ist es, wenn wir uns erst mal nichts anderes mehr vornehmen. Wenn wir keine Karrieresprünge anstreben, wenn wir keine Weltreise planen, wenn wir ab sofort verhüten (als ob... sagt die kleine Endometriosemaus, die jetzt seit Monaten zwangsweise durchgehend die Pille nimmt und von ihrer Frauenärztin auch jedes Mal abgebürstet wird, wenn sie vorsichtig anfragt, ob das nicht auch anders geht, denn immerhin... ist doch irgendwie... doof, oder? Komisch? Aber gut, ich werde empfindlich drauf achten, ab sofort die Pille immer auf die Minute pünktlich zu nehmen. Nicht dass da noch was schief geht trotz Verhütung, Endo, Myomen und verklebten Eileitern. Verhütungsmäßig bin ich die Dame ohne Unterleib. Aber selbst die... das passiert ja STÄNDIG, dass wir nach erfolgreicher Adoption plötzlich schwanger werden! Ich rechne eigentlich jeden Tag damit, und dann haben wir den Salat.)

Ich komme nicht los von diesem Punkt: auf den bloßen Verdacht hin, dass das mit 1:9 relativ unzuverlässig eintretende Wunder passiert, sollen Paare, die vermutlich seit vielen Jahren immer nach Kalender Sex haben, alles, wirklich alles richtig machen wollen, die richtigen Tees trinken, die Finger vom Kaffee lassen, nicht mehr rauchen, nicht mehr trinken, eigentlich gar nichts mehr tun... die jedenfalls sollen nun nicht nur aufhören mit Hormonbehandlungen, sondern verhüten? Jahrelang?
(Bin ich froh, dass ich gestern beim Treffen den Mund aufgemacht habe. Sonst wäre ich inzwischen vermutlich implodiert und würde als hässliche, immer noch aufgeregt wabbende Matschflecken an den Wänden meines Arbeitszimmers kleben. Dann hätte sich das mit der Verhütung natürlich auch erledigt.) Diese Regel, es tut mir leid, schreit danach, dass man drauf scheißt.

Zurück zu anderen Themen: es ist also gar nicht so unwahrscheinlich, dass wir kein Kind bekommen. Gar nicht so unwahrscheinlich, dass das Kind, falls wir eins kriegen, an Leib und Seele schwer krank ist und sein Leben lang auf unsere Hilfe, Geduld und Liebe angewiesen sein wird. Gar nicht so unwahrscheinlich, dass seine Mutter sich das alles noch mal überlegt und es nach fünf Monaten wiederhaben will. Gar nicht so unwahrscheinlich, dass sie einfach verschwindet und der Notartermin einfach jahrelang nicht zustande kommt. Gar nicht so unwahrscheinlich, dass das Kind spätestens in der Pubertät gründlich die Schnauze voll hat von uns und dann jeden Kontakt abbricht.

Und trotzdem, trotz all diesem Mist bin ich gerade so optimistisch wie nie. Vielleicht war es das ehemalige Adoptivkind gestern: eine Frau von über 50, die zwar auch ihre Krise mit ihren Adoptiveltern hatte, aber doch ein ziemlich prächtiger Mensch geworden zu sein scheint. Und das dünne, schmale Paar mitten zwischen uns, dem wir alle immer wieder schüchterne Seitenblicke zugeworfen haben, das das Kind zuhause bei der Großmutter gelassen hatte und jetzt da saß wie von einem anderen Stern. Ich glaube gerade, das wird was. Vielleicht will ich das nur glauben, um mal für ein paar Minuten mit dem Aufregen aufhören zu können. Aber trotzdem glaube ich das.

Es ist merkwürdig: ich bin zwar nicht gern hingegangen, aber die Treffen in der Gruppe waren das letzte, was wir nach der Aufnahme in die Kartei noch zu tun hatten. Jetzt können wir nur noch (selbstverständlich mit Verhütung, klar) vor uns hinleben und warten.



Stammtisch: jetzt aber.

Liebe Abkürzungsdamen, übermorgen ist Donnerstag und damit Stammtischtag. Das Wetter soll sogar schön werden! Trotzdem würde ich vorschlagen, drinnen zu reservieren. Bisher haben sich angemeldet:
Karo
Kristina
Mona
und eine zweite Kristina wäre letzte Woche gerne gekommen - ich hoffe, sie kommt dann diese Woche auch? Ich würde mich jedenfalls sehr freuen.

Damit wären wir entweder zu viert oder zu fünft.

Möchte sonst noch jemand kommen? Eigentlich sind die Stammtische keine Veranstaltungen mit abgehakten Teilnehmerlisten, aber weil es im Gloria Donnerstags erfahrungsgemäß proppenvoll wird, würde ich gerne einen Tisch bestellen, der groß genug für uns ist. Andererseits wäre es aber auch doof, in einem aus allen Nähten berstenden Laden zu viert an einem Achtertisch zu sitzen, denn dann wollen sich unweigerlich Leute dazusetzen, die dann zu ihrer Pizza unseren Kinderwunsch-schmonzes lauwarm serviert bekommen.

Also bitte: wer noch kommen will, kurz Bescheid sagen, denn morgen um die Mittagszeit würde ich spätestens reservieren wollen. Ich freu mich! Hatte ich schon gesagt, oder?

Vier Erkenntnisse zum Herbstanfang

1. Ich kann mir die Lunge aus dem Leib laufen, so lange ich weiterhin darauf beharre, zwei gebackene Camemberts und ein Blech Pommes mit Mayo wären ein angemessener Nachmittagssnack, wird das nichts mit Größe 36.

2. Mit mir und 90% aller Psychologen wird das vermutlich ebenfalls nichts. Gestern war unser letztes Adoptionsgruppentreffen. Und obwohl ich den gar nicht unsympathisch finde, ihm auch dankbar dafür bin, dass er seine Freizeit (vermutlich unbezahlt) für uns Adoptionseltern opfert und bestimmt neben all dem Kummer viel gelernt habe, war ich gestern schon wieder kurz vor Explosion. Und zwar an zwei Stellen: Stelle 1: Psychologe fragt, ob in unserer Gruppe Leute von der Behörde auch darum gebeten worden seien, ab sofort zu verhüten. Ich dachte, das wird jetzt ein Krösken über die bescheuerte Behörde. Aber als drei Paare belustigt nickten, sagte er: ja, das könnte er so nur unterstreichen, denn man würde es oft genug erleben, dass die Frau vier Wochen nach dem Einzug des Adoptivkindes plötzlich schwanger würde, und das wäre dann eine Katastrophe. Ich konnte mich nicht mehr halten: "Mal ehrlich, vielleicht bin ich da naiv, aber wo genau soll da die Katastrophe sein? Dann hat man eben zwei Kinder, ist doch toll!" Nein, nein, nein, so geht das nicht. Das Adoptivkind fühlt sich bedroht und als Kind zweiter Klasse, das geht dann nicht. Und dann? Abtreibung? Oder sein eigenes zur Adoption freigeben? Ich weiß es nicht, aber ich scheine auch wirklich gar nichts kapiert zu haben. Stelle Nr.2: in unserer Gruppe sitzt auch ein sehr nettes Paar, von allen von Herzen beglückwünscht und auch ein bisschen beneidet, bei denen der Anruf fast sofort kam und die jetzt schon einen gesunden Säugling zuhause haben. (Hut ab davor, dass die dann trotzdem noch kommen.) Zu denen gewandt hat er gestern erklärt, dass die Säuglinge direkt nach der Trennung von der leiblichen Mutter ja dermaßen traumatisiert wären, da könnte man sich drauf einstellen, dass sie Tag und Nacht schreien würden, sehr steif und unbeweglich wären, gleichsam erstarrt vor Schock... Das Paar konnte ihm nicht den Gefallen tun, das zu bestätigen: "Och, sie ist eigentlich total entspannt. Knöttert mal, wenn sie Hunger hat oder die Windel voll, aber sonst? Ganz fröhlich und entspannt." Darauf er: "Jaha, da gibt es die einen, die leiten das nach außen ab, und die anderen, die fressen das in sich hinein."
Eine Weile später hätte ich ihm das aber fast alles schon wieder verziehen, als er einräumte, er bekäme ja auch nur mit denen zu tun, bei denen es nicht so läuft. Genau! Sag ich doch! Na endlich. Nun ist alles wieder gut, und eine kleine Spende überweise ich heute auch noch. Und die nächste Spezialentwicklung in meinem Leben versuche ich wieder Psychologenfrei zu meistern. Ich bin da einfach... weiß auch nicht... schnell auf die Palme gebracht, habe eine Sollbruchstelle oder vielleicht auch einfach eine Allergie. Da können die nichts für, und ich auch nicht, aber wir gehen uns wohl besser aus dem Weg.

3. Ich bin absolut reif für diesen Herbst. Den großen schweren Specksteintopf habe ich schon aus dem Keller geholt, in dem werde ich demnächst den einen oder anderen Hirsch weichschmoren, und am Wochenende backe ich meinen ersten Zwetschgenkuchen für dieses Jahr. Im Büro bin ich schon von Kaffee auf Tee umgestiegen (mache ich immer spätestens im Oktober), ich habe wieder die dicken Bettdecken bezogen und die dünnen auf den Speicher gepackt, und gestern Abend gab es zum After-Psychotreff-Rotwein ein paar Minilebkuchen. Auf dem Morgenspaziergang heute hat Lili die ersten Kastanien geknackt. Sie mag den Herbst, ich auch. Meine Lieblingsjahreszeit hat angefangen, und ich springe jeden Morgen mir einem Gefühl aus dem Bett, als hätte ich Geburtstag.

4. Wenn ich das nächste Mal einen längeren Urlaub plane, dann häufe ich vorher Geld dafür an, nicht hinterher. Es ist ja schön und gut mit drei Wochen frei, aber als Selbständige folgt danach unausweichlich die Hölle, die jede Erholung sofort verbrennt: diesen Monat, der noch nicht zu Ende ist, werde ich fünf Rechnungen verschicken, und ich hatte tatsächlich seit dem Urlaub mit den Damen in der Heide keinen einzigen Tag, an dem ich nicht arbeiten musste. Jaja, der schöne Herbst ist da, aber noch mehr könnte ich mich drüber freuen, wenn ich morgens die Augen aufschlagen würden und mir in aller Ruhe zur ersten Tasse Tee überlegen könnte, wohin ich heute meine Hundespaziergänge mache, ob ich vielleicht noch ein paar Pflanzen bei Obi kaufe oder ob ich den Tag einfach nur abgesehen von Gassigängen auf dem Sofa am Feuer oder vorm Herd verbringe. Das wäre wirklich zu schön.

Mittwoch, 19. September 2012

Hätte, hätte, Herrentoilette

Als vor etwas mehr als zwei Jahren das Buch kurz vor veröffentlicht war, war klar, dass jetzt oder nie der Zeitpunkt ist, es meiner Familie zu erzählen: das mit dem Blog und dem Buch. Besonders unbekümmert habe ich das nicht getan, aber nachdem der Verlag sich dann auch noch die Nummer mit meinem auf Amazon und überall sonst einfach verratenen Echtnamen geleistet hatte, war klar, es muss sein, denn rauskriegen werden sie es so oder so, und dann wird's doof. Man kann nicht dem Internet jede Gefühlsregung verraten und der eigenen Familie keinen Piep davon sagen. (auch wenn ein kleiner Teil von mir immer noch manchmal denkt: kann man nicht? Kann man doch.) Jetzt ist es eben so, und das Ergebnis ist weniger dramatisch als gedacht: eigentlich hatte ich die innere Zensur irgendwann aus purer Zerstreutheit vergessen, so viel Zensur war auch nicht nötig, das hier ist schließlich kein ich-hatte-eine-schreckliche-Kindheit-Blog, sondern ein Kinderwunschblog, und nachdem meine Eltern über die Behandlungen usw. von Anfang an immer im Bilde waren (ob auch das ein Fehler war? Ich werde es wohl nie wirklich wissen...), ist das hier immer noch nicht der Ort, wo ihre Tochter endlich ihre Maske fallen lässt. Ich bekam eine reizende Mail von meiner Lieblingstante, meine Mutter erzählt mir manchmal am Telefon, wer das hier alles liest (ihre Reinmachfrau z.B.), und dann werde ich kurz rot, aber all das war und ist in Ordnung.
Dann kam die Adoptionsbewerbung, und nachdem ich davon ausgegangen bin, dass die zumindest unsere Namen mal googeln würden (und hier kommt wieder diese dämliche, unentschuldbare und bis heute eigentlich nur mit einem fröhlichen "Tüdelü, na sowas, kann ja mal passieren" kommentierte Schlamperei des Verlags ins Spiel... Grrrrr. Grrrrrrrrrrrrrrrrrrr.), dachte ich auch da, ich muss das sagen. Ein bisschen habe ich vielleicht auch gehofft, dass ein ganzer Blog und ein Buch vielleicht zu meinen Gunsten angerechnet werden, wo doch nachweislich komplett verarbeitete Kinderlosigkeit vorgeschrieben ist. Also weiß heute die Dame vom Amt Bescheid. Bei irgend einem der Treffen kam das mal zur Sprache, und zu meiner Verblüffung (und etwas gekränkten Eitelkeit) klang die Dame damals so, als hätte sie sich das hier noch nie angeguckt und hätte das auch in Zukunft nicht vor. Und jetzt?

Jetzt ist es zwar genauso wenig wie damals, als plötzlich die Familie im Publikum saß so, dass ich hier die Bloggerin mit der Maske bin. Aber trotzdem gibt es eine Riesenfülle von Themen, zu denen ich mich nicht mehr traue, etwas zu schreiben. Und das sind Themen, die eigentlich wichtig sind. Und es juckt mich in den Fingern, darüber zu posten, und stattdessen schreibe ich hier über mein Laufprogramm (das mir auch wichtig ist, sehr sogar), jobliche Verstrickungen, meinen Speiseplan und irgendwelche auf keinen Fall kinderwunschbezogenen Hirnfürze. Wie wäre es mal mit einem schönen Post über das Wetter? Nein, wir halten nicht heimlich Kampfhunde, wir sind auch nicht drogensüchtig, eigentlich schon mitten im Trennungsjahr vor der Scheidung oder halten drei vor der Bäckerei geraubte Säuglinge in einem schalldichten Keller gefangen, nichts von allem, was wirklich für eine Adoptionsentscheidung wichtig wäre, wird hier verschwiegen oder umgeschwindelt. Trotzdem ist mein Blog irgendwie nicht mehr mein Blog, denn der große Bruder guckt zu. Das heißt, er guckt ja scheinbar noch nicht mal, das ist das hirnrissigste daran! Und nun denke ich, Familie ja, Adoptionsbehörde vielleicht doch besser nicht. Ich glaube inzwischen nicht mehr, nachdem das in den vielen Gesprächen so wenig Thema war, dass wir diesen Pluspunkt überhaupt gebraucht hätten, und dass die Behörde es überhaupt als Pluspunkt wertet, ist auch überhaupt nicht klar. Hätte ich das doch bloß gelassen. Alle waren sich so sicher, dass das gut ist. Ich auch, vielleicht ein bisschen weniger als alle, sonst hätte ich ja nicht alle gefragt, ob ich den Eiertanz ausplaudern soll oder nicht. Inzwischen denke ich, wer weiß?
Am Ende hätten sie noch nicht mal gegoogelt.

Montag, 17. September 2012

Dieser Post wurde mit vollem Mund geschrieben

Heute muss ich nicht schwänzen, heute ist adoptionsfrei. Die Gruppe trifft sich erst nächsten Montag wieder, dann kommt ein inzwischen erwachsenes Adoptivkind zu Besuch und erzählt, wie das alles so war und ist. Das werde ich mir auf keinen Fall entgehen lassen, und wenn wir nicht von einem Kometen erschlagen werden, sitzen L. und ich um fünf vor halb acht mit Riesenohren auf unseren unbequemen Stapelstühlen.

Bis dahin treiben mich andere Dinge um.

Erstens: Stammtisch. Ich höre mich schon an wie eine Platte mit Sprung, aber diesmal klappt es bestimmt, ich hab das im Gefühl! Ich würde allerdings nächste Woche Donnerstag vorschlagen, denn diese Woche bin ich so dermaßen zugeschissen mit Arbeit, dass es kein Halten gibt. Ein Auftragsspritzdurchfall, könnte man sagen. Zwar könnte ich mir irgendwie den Donnerstag auch diese Woche freischaufeln, aber dann würde ich da sitzen und alle fünf Minuten auf mein Telefon starren, ob schon Post von Kunde A oder Kunde V da ist, das wäre also nicht das Wahre. Darum Donnerstag nächste Woche, bis dahin ist wieder gut, und wir machen uns einen lustigen Abend. 20:00 Gloria in der Belle-Alliance-Straße also. So gegen Dienstag frage ich noch mal nach, wer überhaupt kommt, aber sobald wir zu dritt sind, kann es los gehen.

Zweitens: das Laufprogramm. Wieder steht mir und meinen federleichten Turnschuhen ein großer Schritt bevor: Woche 10 ist vorbei, morgen in erbärmlicher Frühe beginnt Woche elf. Ab morgen werden aus 30 Minuten 45 Minuten, und ich weiß nicht, wie ich das an Agenturtagen schaffen will, ohne um halb sieben aufzustehen. Eine Aussicht, die mir normalerweise ab 15:00 am Vortag die Laune versaut. Aber es geht nicht anders, und Laufen macht wundersame Dinge mit mir. Übrigens bisher noch nicht mit meinem Gewicht, aber das kann ich alles erklären: Leider ist da diese neue Fress-Freiheit, wann immer ich ein Sportprogramm starte. Die ersten zwei-drei Wochen bin ich noch brav und zum Gähnen vernünftig, aber dann setzt jedes Mal die Phase ein, in der ich denke, dass es überhaupt kein Problem ist, wenn ich an einem langen faulen Sonntag
2 Back-Camemberts
1 Blech Pommes mit Mayo und Ketchup
2 Champignonbaguettes
1 Topf Pasta mit Trüffelöl und Parmesan
1 Topf Popcorn
usw. usf. etc. esse, schließlich bin ich jetzt ja Läuferin.
Gierig und verfressen bin ich immer, aber in dieser Phase wird es schlichtweg grotesk. (Hat jemand mal den Film "Das große Fressen" gesehen? Ungefähr so, nur ohne die Prostituierten und die Lehrerin.) Und es wird auch nicht besser dadurch, dass seit letztem Freitag das neue Nigella-Kochbuch (italienisch. Ha!) zuhause liegt und durchgekocht werden will. Das Luder. Dagegen kann mein bescheidenes Laufprogramm nicht an. Noch! Denn ab morgen werden andere Saiten aufgezogen: ab morgen läuft es nämlich folgendermaßen, und zwar alle zwei Tage.
Ich betrete im Morgengrauen den Park, an den Füßen die nike frees, unterm Arm meine Fußtrainer (stinknormale Surfschuhe aus Neopren mit dünner Gummisohle). Die Fußtrainer verstecke ich irgendwo, wo sie weder von Hunden noch Spaziergängern oder Insekten gefunden werden. Dann laufe ich mich fünf Minuten ein, sollte dann bei einer Bank oder Treppe ankommen und mache zehn Minuten Muskeltraining. Dazu kann ich die Bank rauf- und runterhüpfen, Käsekästchen springen oder Seitstütze machen, bis mir schlecht wird. Nach zehn Minuten laufe ich weiter, 25 Minuten lang. Sind die um, dann sollte ich wieder am Schuhversteck angekommen sein. Ich ziehe die Turnies aus und die Trainer an und laufe noch mal fünf Minuten kreuz und quer über eine benachbarte Wiese. Dann sind 45 Minuten um und ich ein Stück näher an der Figur, die ich vor 10 Jahren in meinem Wahn noch als selbstverständlich hingenommen habe.

Es ist allerdings nicht so, dass sich so gar nichts getan hat. Laut der schäbigen alten Rossmann-Körperfett-Waage in unserem Bad habe ich in den letzten Monaten ein halbes Prozent Körperfett abgebaut und drei Prozent Muskelmasse dazubekommen. Ha! Das hätte ich ehrlich gesagt auch ohne die Waage gedacht. Es ist merkwürdig, aber bei diesem Trainingsprogramm hatte ich wirklich das Gefühl, dass sich die Muskeln langsam von den Zehenspitzen ausgehend die Beine hochfressen. Nicht auszudenken, was passiert, wenn sie erst mal die Hüfte überwunden haben. So stabil und leicht habe ich seit vielen Jahren nicht mehr auf den Füßen gestanden, egal, ob ich gerade ein Treppenhaus hochrenne oder auf hohen Absätzen übers Kopfsteinpflaster balanciere. Und selten war ein so aufwändiger Plan so befriedigend und leicht einzuhalten. (Sage ich, die in den letzten Jahren spektakulär an vielen Plänen gescheitert ist: Dem Plan, trockene Wäsche sofort wegzubügeln. Dem Plan, mit Weight Watchers innerhalb eines halben Jahres sechs Kilo abzunehmen. Dem Plan, mir nur noch Kleider zu kaufen, die mir passen, stehen, auch für Grobmotoriker und zu spannenden Filmen bügelbar sind und nicht in die Reinigung müssen. Dem Plan, jede Woche mindestens einen Abend schweigend, zufrieden und konzentriert mit einem guten Buch auf der Couch zu verbringen. Dem Plan... ach, es ist deprimierend, das auch nur hinzuschreiben.)

So. Ich freu mich also auf nächsten Donnerstag. Wer teilt sich einen Burger und drei Pizzas mit mir?

Donnerstag, 13. September 2012

Schon... äh...

Liebe Stammtischdamen, es tut mir schrecklich leid, aber ich muss wieder schieben. Diesmal sind nicht zu wenig Teilnehmer Schuld (zu dritt wäre bestimmt nett geworden!) oder die verplante Flora, die ihren Terminkalender und ihre Deadlines verdaddelt hat, sondern L.

L. kommt gerade vom Arzt, wo er eigentlich nur mal so und auf langes Gedrängel von mir hingegangen ist. Ich saß zuhause am Telefon und wartete auf Nachricht, die dann mit einer Stunde Verspätung endlich kam: L. musste spontan operiert werden. Das ist alles nicht schlimm, wird wieder gut, er sitzt mir gegenüber quietschfidel im Ohrensessel und fummelt an seinem ipad rum, und noch nicht mal ich (die noch nicht mal Grey's Anatomy gucken kann, weil sie bei jedem medizinischen Missgeschick sofort denkt, das passiert mir oder jemandem, der mir wichtig ist) mache mir jetzt Sorgen, aber: nach der Narkose soll er heute nicht alleine bleiben, und die Hunde zählen nicht als Aufsichtsperson.

Ich kann also heute nicht weg hier.

Wollen wir uns also noch mal vertagen? Z.B. auf nächste Woche? Oder heute in zwei Wochen?

Dienstag, 11. September 2012

Die kleine Flora konnte gestern wegen unüberwindlichen Widerwillens nicht am Unterricht teilnehmen. Ich bitte, ihr Fehlen zu entschuldigen. Wenn nicht, auch gut.

Ich habe zwanzig Minuten länger gearbeitet und bin dabei nicht in Panik geraten, weil ich ja noch nach Hause fahren muss, die Hunde ausführen muss, ins Auto springen muss und dann pünktlich bei einem Termin erscheinen muss, bei dem ich eigentlich gar nicht sein will, besser nie als spät. Gegen sieben war ich zuhause, habe die Hunde an die Leine genommen und das umgesetzt, was ich vorgestern beim Hundeflüsterer auf sixx gelernt habe: Schultern zurück, ruhig bleiben, Leine locker, kein Fitzelchen Ziehen durchgehen lassen und los. Hat funktioniert. Wir hatten einen friedlichen, sonnigen und lauen Montagabendbummel. Ich habe solche Momente, wo die Hunde mich stressen, wo mir alles zu viel ist und ich mich frage, was eigentlich die Schnapsidee sollte, mir bei meinem vollen Tag noch zwei Fellwürste zuzulegen, die zusammen täglich an Agenturtagen eine Stunde und an "freien" oder Zuhausearbeitstagen fast drei Stunden meiner Zeit fressen, und da ist Spielen, Toben und Retten von Schuhen und Socken noch nicht eingerechnet. An anderen Tagen, gestern war so einer, ist der Hundespaziergang nicht Teil meiner Pflichten, sondern Teil vom Spaß- und Erholungsprogramm. Irgendwann habe ich auf mein Handy geguckt und gesehen, jetzt sitzen sie da. Und ich bin hier, entwischt und frei. Und das hat sich ungefähr so angefühlt wie damals, wenn wir uns ins la Boheme verdrückt haben zu Milchcafé und Croissants, während die anderen armen Schweine Französisch bei unserer altjüngferlichen Knalltüte von Lehrerin hatten. Die, bei der die Mädchen sowieso nur Störenfriede und Schlampen waren, die ihren Zuckerjungs angeblich ständig Zettelchen zuschoben. Genau.

Gute Entscheidung. Der nächste Termin ist gestern in zwei Wochen. Mal sehen, ich glaube, da gehen wir hin: dann berichtet nämlich ein erwachsenes Adoptivkind aus seinem Leben. Und laut Programm ist dann auch ein anderer Psycho-Onkel da. Nach dem freien Abend gestern freue ich mich fast schon drauf.

Montag, 10. September 2012

Huch, schon Montag!

Das heißt, in drei Tagen ist schon Donnerstag und damit Zeit für den verschobenen Stammtisch. Also, gleiches Spiel wie immer: wer würde denn nun wirklich kommen? Jede Nase ist willkommen, egal ob zum ersten oder zum dritten Mal dabei, egal ob endometrioseverwuchert oder einfach aus unbekannten Gründen noch nicht schwanger, egal ob schon ein Kind und Wunsch nach einem zweiten, ob Adoptionskandidatin oder Schnauze-voll-von-all-dem-Eso-Kinderkram, immer rein da!

Ich freu mich auf euch.

Ich weiß ja nicht, was ihr heute so treibt.

Und was ich vorhabe, weiß ich auch noch nicht so genau. Vielleicht arbeite ich heute länger, genug zu tun ist auf jeden Fall. Vielleicht mache ich einen langen Spaziergang mit den Hunden. Oder ich befolge den Tipp mit dem Rotwein, lese die Zeitung oder gehe zum Sport. Wo ich jedenfalls nicht sein werde, ist in meiner Gruppe. L. hat vorgestern den Programmzettel wiedergefunden: nachdem es in Stunde Nr.1 schwerpunktmäßig um Autismus, Alkoholspätfolgen und Ablehnung der Eltern ging und in Stunde Nr.2 um Kinder, die bis zur Pubertät in die Windel machen, wird es heute in Stunde Nr.3 zur Abwechslung um Problemfälle, um besondere Kinder und um besondere Herausforderungen gehen, und zwar um die, die man zum Zeitpunkt der Adoption noch nicht erkennen kann.

Es tut mir leid - nein, ich nehm das zurück, man soll ja ehrlich bleiben in diesem Prozess, es tut mir überhaupt nicht leid, sondern heute bleibe ich einfach weg, und nach langem Gegrübel habe ich deshalb auch kein schlechtes Gewissen. Ehrlich, was soll das nützen? Ein Termin, bei dem wir (zum ca. zwölften Mal) darüber informiert werden, dass auch ein auf den ersten, zweiten und dritten Blick quietschfideles Baby sich zu einem schwer gestörten Kind weiterentwickeln kann? Und jetzt? Wenn uns das passiert - und ich hoffe so sehr, dass wir nach vier Jahren KiWuKack endlich auch mal Glück haben - dann ist es immer noch früh genug, meine Psychoallergie runterzuschlucken. Dann werden wir noch mehr Zeit als genug in irgendwelchen Stuhlkreisen verbringen. Andere mögen das anders sehen und da anders veranlagt sein, aber ich habe keine Lust mehr, mir zähneknirschend diesen Unfug von angespannten Bauchdecken und der willensgesteuerten Empfängnis anzuhören (das hat mich schon bei Berichten über den amerikanischen Wahlkampf zur Weißglut gebracht), zumal wir dadurch keinerlei Erkenntnis zu erwarten haben, die uns irgendwie weiterbringt, sondern nur SCHON WIEDER hören, dass eine Menge schief gehen kann und es bei diesem Weg zum Kind keine Methode gibt, sich davor zu schützen. Heute wird geschwänzt.

Dienstag, 4. September 2012

Wo ist die Fusselsense für mein Hirn?

Und schon zehn Stunden später sitze ich zuhause und habe endlich Feierabend. Das heißt, mein Körper hat Feierabend, sitzt im Wintergarten, hört mit halbem Ohr auf das Knattern der spanischen Paprika in der Bratpfanne nebenan und schenkt sich vielleicht gleich mal ein kleines Glas Rotwein ein, vielleicht aber auch nicht. Mein Kopf dagegen läuft immer noch auf Hochtouren. Ich bin ziemlich durcheinander. Und ich kann noch nicht mal sagen, wieso, ob sich der Sturm bis irgendwann beruhigt, ob das jetzt etwas Grundsätzliches ist, ob das allen so geht, die in meiner Lage sind, ob das so beabsichtigt war und überhaupt.

Gestern war unser zweiter Abend in der betreuten Adoptionsgruppe. Die wird nicht direkt von der Adoptionsbehörde geleitet, sondern von einem gemeinnützigen Verein, bestehend aus Psychologen, vermutlich irgendwo auch Sozialarbeitern und -Pädagogen, vor allem aber Adoptiveltern und adoptierten, inzwischen erwachsenen Kindern. Unsere Dame vom Amt hat uns empfohlen, da hinzugehen, also gehen wir. Gestern waren zum ersten Mal Eltern da. Und während der zwei Stunden, die wir in diesem Zimmer saßen, sind meine Gefühle, Hoffnungen und Ängste Achterbahn gefahren.

Ich weiß immer noch gar nicht, wie ich dieses Thema anpacken soll. Es beißt nämlich und kratzt. Das Thema heißt Behinderung. Und ich meine damit nicht Gehbehinderung, Lernbehinderung, Sehbehinderung oder Hörbehinderung. Das Behinderungsthema, das mich schon seit vielen Jahren so ängstigt und umtreibt, ist Autismus. Ich hatte schon gelesen, dass das unter Adoptivkindern weit verbreitet sein soll. Ich hatte auch gelesen, dass diese Diagnose heute immer häufiger gestellt wird, adoptiert oder nicht. Das Thema, wie gesund und vorbelastet genau unser Kind sein soll und darf und muss, hatten wir auch in den fünf Gesprächen mit dem Amt schon zigmal durchgekaut. Ja, wir waren längst gewarnt, was alles schief gehen kann, und trotzdem war ich nach keinem der offiziellen Gespräche so durch den Wind wie gestern. L. und ich hatten natürlich über das Thema gesprochen. Wir sind nach ziemlich kurzer Diskussion einer Meinung gewesen:

1. Was wir nicht wissen, macht uns nicht heiß. Wir würden nicht das Kind einer Frau adoptieren, von der bekannt ist, dass sie seit Jahren und auch in der Schwangerschaft schwer getrunken hat. Kommt das Kind aus der Babyklappe oder die Frau erscheint zu allen Terminen mit dem Amt ohne Fahne, so dass man es einfach nicht weiß, dann ist es so, und wir drücken die Daumen und hoffen das Beste.

2. Wir wissen, dass ein Adoptivkind erst mal schon durch die Trennung von der leiblichen Mutter, durch den Verlust von Geruch und Herztönen, traumatisiert sein kann - mehr oder weniger stark. Dass das in einer Bindungsunfähigkeit in den ersten Monaten resultieren kann, ist auch klar. Dass wir das mit viel Liebe, Geduld und Verständnis auffangen müssen und wollen, auch. Genau so wie die Tatsache, dass die Pubertät in unserem Fall noch mal drei Gänge härter wird als bei anderen Kindern. ("Du bist nicht meine Mutter!")

3. Jedes Kind kommt so auf die Welt, wie es nun mal ist, egal ob eigenes oder nicht. Natürlich kann es gut passieren, dass wir irgendwann Jahre später feststellen, dass unser Kind ein Hörgerät tragen muss. Dass es langsamer sprechen lernt als andere Kinder. Dass es... ach, was weiß ich. Das wissen wir, das macht uns keine Angst. Ich habe im letzten Gespräch zu unserer Beraterin gesagt, wir möchten ein Kind, das imstande ist, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen, und das auch uns noch erlaubt, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Damit meine ich nicht, dass es spätestens mit sechs Jahren die halbe Nacht allein bleibt oder uns hellauf begeistert auf New York-Trips begleitet. Ich glaube, ihr könnt euch vorstellen, was ich meine. Fehlt ihm ein Zeh, lachen wir drüber. Hat es abstehende Ohren oder eine Schwäche in Zeichensetzung, könnte die Freude nicht größer sein. Welchen Schulabschluss es mal macht, das treibt mich tatsächlich überhaupt nicht um. Ich bin 10000000000mal lieber die Mutter eines glücklichen Fliesenlegers als eines verkniffenen Professors. Natürlich bin ich das!

4. Bei einem Adoptivkind bewegen uns die gleichen Ängste und Hoffnungen wie bei einem leiblichen. Wir wissen noch nicht, wie es aussehen wird. (Und ob wir es überhaupt jemals im Arm halten werden.) Was es für ein Mensch wird, ob es eher fröhlich oder in sich zergrübelt, eher ein Gummistiefelkind oder ein Ballettschläppchenkind wird... alles, einfach alles ist ungewiss, und wir sind gespannt und aufgeregt. Trotzdem scheint das hier gründlich anders zu laufen - und zwar in jeder Hinsicht.

Ja, wir wissen, dass wir gewarnt sein müssen. Dass uns klar sein muss, worauf wir uns einlassen. Dass gewaltige Schwierigkeiten auf uns zukommen. Dass wir uns hinterher nicht beschweren dürfen. Dass wir Glück haben, Riesenglück, wenn wir überhaupt endlich ein Kind bekommen. Aber...

Herrgott, ein großer Teil von mir wünscht sich, dass endlich, endlich mal jemand aus diesem Verein oder vom Amt sagt "es kann auch gut werden. Vielleicht anders gut als gedacht, aber gut."

Stattdessen saß da gestern ein zauberhaftes, ehrliches, lustiges und sympathisches Paar, dem ich sehr dankbar sind, dass sie 18 wildfremde Menschen in das Innerste ihrer komplizierten Familie blicken lassen, und die erzählen schon wieder die Geschichte davon, wie ihr Elfjähriger heute noch jede Nacht in die Windel macht und in der Schule mit der Schere auf andere Kinder losgeht. Und der Psychologe, der daneben sitzt, nickt dazu und erläutert uns salbungsvoll, dass das vollkommen klar ist. Denn: jede Mutter, die ihre Schwangerschaft nicht voller Begeisterung aufnimmt, spannt unwillkürlich die Bauchdecke an, und was ist die Folge? Das Kind erstarrt im Mutterleib, vorgeburtliches Trauma, Unfähigkeit, Nähe zuzulassen, emotionale Störungen, und dann haben wir den Salat. Das muss man wissen! Das ist eben so. Seit dem Beginn dieser Beratungen geht es eigentlich zu 90% um Probleme. Um Mütter, die ihre Kinder nach einem halben Jahr dann doch wiederhaben wollen. Um Frauen, die wegen schwerster Sucht- und psychischer Probleme betreut wohnen, wovon aber niemand was weiß, und dann erbt das Kind die schwere Psychose. Von schwerstem Autismus. Von totaler Ablehnung der Adoptiveltern. Das kann passieren, ja - aber das kann doch nicht die ganze Wahrheit sein? Und ja, ich weiß, auch das Leben mit autistischen Kindern ist voller Freuden, voller Momente, die man auf keinen Fall missen möchten, niemals würde man sein Kind gegen ein anderes eintauschen, das weiß ich alles! Aber trotzdem habe ich jetzt Angst, und ich könnte mir in die Hose machen, ja, auch mit 39. Und die ganze Vorfreude und Hoffnung, die ich nach der Aufnahme in die Kartei idiotischerweise trotz aller Warnungen und Mahnungen und Unkenrufe empfunden habe, ist sowas von flöten. Ich wünsche sie mir so zurück, und ich bin immer noch optimistisch, dass wir mit dem, was da auf uns zukommt, egal was und egal wie, glücklich werden. Aber...

Ich möchte doch einfach nur ein Kind.

Und ich überlege ernsthaft, ob ich dieser Runde in Zukunft fernbleibe. Vielleicht bin ich auch einfach kein Psychogruppenmensch. Vielleicht mag ich nicht mit einem Namensaufkleber auf dem Hemd spät abends in einem hässlichen Zimmer sitzen. Vielleicht habe ich inzwischen eine handfeste Psychologenallergie entwickelt. Eine Psychologenkontaktallergie! (Reinbeißen würde ich nicht, so weit gehe selbst ich nicht.) Vielleicht sollte ich einfach einen zweiten Stammtisch gründen. Mit dem Mund voller Pizza hört sich vielleicht alles gleich ganz anders an.

Ist es wirklich IMMER, IMMER so? Oder neigen Eltern, denen es so ergangen ist, eher dazu, sich in solchen Gruppen zu engagieren und dann ihren Abend in einem Stuhlkreis zu verbringen? Während die vielen (hoffentlich), bei denen es ein einziges Schönwettersegeln war, gestern Abend im Kino gesessen haben statt im Mehrzweckraum, während der nette Babysitter bei den Kindern ist? Haben die mit Absicht gestern dieses Paar eingeladen, weil sie einfach nicht glauben können und wollen, dass die Dame von der Behörde uns schon so richtig nach Strich und Faden durchgewarnt hat?

Ich und mein Fusselhirn.

Und trotzdem war da gestern auch viel Schönes und Mut machendes. Aber dazu morgen. Heute bin ich kirre.

Wünscht euch was. Jetzt kommt schon!

Es ist nämlich so: wir haben das alles nicht so richtig verstanden mit der Biologie zwischen Baby und Mutti. Denn: damit eine Eizelle sich einnistet, muss die Mutter das Kind irgendwie gewollt haben. Jaha! Da guckt ihr!

Ich weiß, bestimmt gibt es Ausnahmen. Ich weiß auch, bestimmt bin ich ungerecht und ganz bestimmt spielt dabei mit, dass ich mal Psychologie bis fünf Minuten vor Diplom studiert habe und dann doch keinen Abschluss mehr gemacht habe, die sauren Trauben und so. Dass ich bestimmt bei jedem meiner Berufspraktika an genau die falschen Psychologen geraten bin und dass das alles schwarze Schafe waren, während der Rest sich fürchterlich reinhängt, ein ganzes Berufsleben lang immer auf dem neuesten Stand zu bleiben, auch mal zu gucken, was in den anderen Teilen der Zeitung so steht und nachzudenken, bevor man sich schmunzelnd in seinem Stuhl zurücklehnt und irgendwelchen zusammengefaselten weichgespülten Pop-Wissenschafts-Quatsch einfach so als reine und einzige Wahrheit raushaut. Aber mein Wohlwollen und meine Wertschätzung für diesen Berufsstand schwindet mit jeder persönlichen Begegnung. Und da nutzt es auch nichts, wenn ich anschließend als "Blitzlicht" auf eine weiße Papierwolke schreiben würde, was mir gerade so durch den Kopf geht.

So war das jedenfalls gestern in unserer Gruppe für betreutes Adoptieren.

Und sobald ich mich ein bisschen wieder beruhigt habe, berichte ich auch ausführlicher.