Freitag, 31. Dezember 2021

Futons sind eh voll Achtziger

Ich sitze in nicht sehr rückenfreundlicher Haltung auf dem Sofa und versuche, die Zeit auszunutzen, bevor die Kinder aufwachen. Ich sitze so schief, weil ich nur so gleichzeitig den Rechner auf die glatte Sofalehne stützen und nah genug an der Steckdose sitzen kann. Gerade war er noch ein absolut makelloses, nagelneues Top-Teil aus gebürstetem Alu, jetzt ist er tatsächlich acht Jahre alt, ein echter Dino - so alt werden Laptops normalerweise nicht, die über Jahre fast täglich hin und her transportiert werden und ganze Winter lang dauernd durch alle Klimazonen von Heizungs-Muff bis Hamburger Januar müssen. Er hat's bis hierher geschafft, und jetzt will der Akku nicht mehr. Der Akku und mein Rücken - ach ja.

Also, Neujahrsvorsätze.

Ich will im nächsten Jahr besser für mich da sein. (Gähn. Ja, ich weiß, aber in diesem Moment meine ich das trotzdem ernst und will es mir nicht gleich wieder ausreden, auch wenn das mein Vorsatz seit Ewigkeiten ist und ich es bisher wirklich nur zu Babyschritten gebracht habe.) Los geht's in ein paar Wochen, dann wird nämlich endlich das Bett geliefert, um das ich mich so lange herumgedrückt habe. L. und ich schlafen seit Jahren getrennt, und - es ist mir fast peinlich, das zu schreiben, und das sollte es auch sein - als wäre das nur ein vorübergehendes Ding, als müssten wir nur kurz das Abflauen einer Magen-Darm-Grippe abwarten oder so, bis ich wieder zurück ins bequeme Ehebett schlüpfe, schlafe ich in all diesen Jahren auf einem alten Futon von L. Eine dünne Matte, die direkt auf dem Fußboden liegt, und die ungefähr den Komfort (und die Hygiene) einer labberigen Turnmatte aus einer Schule bietet, die in einem miesen Viertel gelegen ist. Nicht mehr lange. Noch dreieinhalb Wochen, dann wird das neue Bett geliefert und ("ich will besser für mich da sein, ich will besser für mich da sein") auch gleich von einer Fachkraft aufgebaut. Leider werde ich erst mal nur wenige Tage darin schlafen und meinen Bandscheibenzerrütteten Rücken erholen können, denn dann - Schritt zwei der Selbstfürsorge - gehe ich für zwei Wochen in eine Hamburger Klinik, in der sie hoffentlich der Epilepsie (oder nicht) auf den Grund gehen können. Am Ende werde ich entweder komplett ratlos sein, was mir da eigentlich im letzten halben Jahr so passiert ist, oder eine Diagnose und vielleicht ein dazu passendes Medikament haben. Davor liegen zwei Wochen mit verkabeltem Kopf (und sehr fettigen Haaren, fürchte ich) und zum ersten Mal seit Jahren sehr viel Zeit. Was mache ich damit? Schreibe ich endlich das Exposé für das Buch, das mir seit inzwischen acht Jahren im Kopf herumspukt? Oder ein anderes? Mache ich gar nix, lade mir einfach den Rechner voll mit Serien und tue das, was ich sonst nie kann? Schaffe ich es endlich, diesen Blog wieder in Schwung zu bringen, wenn auch mit neuem Thema? Oder muss ich mir darum sowieso keine Gedanken machen, weil ich den ganzen Tag einen Test nach dem anderen über mich ergehen lasse und absolut keine Zeit für irgendwelche Selbstverwirklichungs-Pläne haben werde? Das WLAN wird schlecht sein, das weiß ich schon. Aber zum Schreiben sollte es reichen.

Meine Krankenkasse hat mit mir echt einen dicken Fisch an Land gezogen (insgesamt 14 Abkürzungsdurchgänge? Pemm Pemm Pemm). Denn sobald ich einen Haken hinter die Epilepsie machen kann, knöpfe ich mir den Beckenboden vor. Ich bin es leid, schon lange, und ich will das nicht mehr. Ich hab eine Frauenärztin, auf die ich nichts kommen lasse, und wohne in Laufweite eines scheinbar richtig guten Beckenboden-Zentrums, da muss doch reinzukommen sein? Schluss damit, als erste Tat nach dem Duschen (noch vor Deo) jeden Tag eine fette weiße Binde in meine Unterhose zu kleben. Schluss damit, den Bus stehen zu sehen und mich nur in gemütlichem Flaniertempo nähern zu können, bis der Fahrer entnervt wegfährt - obwohl ich diesen Bus unbedingt hätte kriegen müssen. Schluss damit, an manchen Tagen nur mit dunkler Hose rauszugehen, und es sind nicht meine Tage. Schluss mit diesem Geruch, von dem ich manchmal nicht weiß, ob der wirklich da draußen ist oder nur in meinem Kopf. Schluss damit, jedes Mal Tränen in den Augen zu haben, wenn ich eine Frau joggen sehe. Ich weiß, das Problem haben viele, und noch mehr, die eine Saugglocken-Geburt hinter sich haben. Aber ich bin nicht bereit, mich damit einfach abzufinden.

Kurzer Abgleich mit der App, die ich damals als Teil des Exorzismus auf mein Telefon geladen habe, am Tag nach L.s Party, mit einem der schlimmsten Kater meines an Katern ziemlich reichen Lebens: Ich hab tatsächlich inzwischen seit 558 Tagen keinen Alkohol getrunken. Im Moment glaube ich, dabei bleibe ich auch im nächsten Jahr. Es gibt eine Menge am Trinken, das ich vermisse. Aber ich habe echte Pläne - Junge, was für Pläne! Und nein, ich will nicht alle hier verraten - und das ziemlich sichere Gefühl, wenn ich zurückkehre zu abendlichen Gin Tonics und Rosés auf Eis, dann wird genau dieser wunderschöne, jetzt ist mal Erwachsenen-Zeit-Feierabend-Glimmer mich einlullen und davon abhalten, die Pläne ernsthaft umzusetzen. Nein, Ohne ist gerade gut für mich. Wird es nicht für immer sein, aber jetzt gerade eben doch. Wenn das nicht der langweiligste Neujahrsvorsatz aller Zeiten ist, weiß ich es auch nicht.

Eine Sache, die ich am Trinken vermisse, ist der Spaß. Jaja, ohne Alkohol fröhlich sein - aber fröhlich ohne Alkohol ist anders fröhlich. Manchmal frage ich mich allerdings, ob all der Spaßverlust wirklich nur auf die Nüchternheit zu schieben ist. (War da was mit einer Pandemie?) Ist das fair? Vermutlich nicht. Und dann all die Selbstfürsorge, die ich vorhabe - wenn ich nicht aufpasse, fühlt sich das alles an wie eine gewaltige Hausaufgabenliste. Darum sollte Spaß ziemlich weit oben stehen. Egal ob gesund oder ungesund, teuer oder kostenlos, pädagogisch wertvoll oder einfach nur quatschig. Ich will im nächsten Jahr viel Zeit damit verbringen, mit meinen Kindern Mario Kart zu fahren. Zum Frühstück morgens um acht belgische Waffeln zu backen. (Mach das mal mit Kater.) Mir Dinge zu leisten, die mich mit solcher Vorfreude erfüllen wie das neue Bett. Viel zu spät Kaffee zu trinken. Mir wieder mal ein Partykleid für unter 20 Euro zu kaufen (auch wenn ich davon schon elf habe). In Alters-unangemessenen Outfits ins Büro zu gehen. Bücher zu lesen und Serien zu gucken, die eindeutig unter meinem Niveau sind, was auch immer das ist.

Und - fast am allerwichtigsten - aus Dingen einfach mal lächelnd rauspazieren, weil sie keinen Spaß machen.