Das Schöne daran, wenn man erstens einen Hund und zweitens einen Altbau hat: man merkt in allen Knochen, wenn es Frühling wird. Während früher die Meilensteine das erste Bierchen im Freien auf der Schanze oder auch die Eröffnung der FlipFlop-Saison waren (kein Wunder, dass viele Großstadtdamen heute maulen, es gäbe eigentlich keinen Frühling mehr), spüren wir jetzt jedes halbe Grad mehr bis ins Mark und sind dankbar dafür. Auf jedem Spaziergang mit Lili entdecke ich neue Stellen, an denen sich was tut, und...
Bitte? Wie war das? Ich hab sie ja wohl nicht alle, hier über Narzissen und Bierchen zu schwafeln, wenn ich euch bisher nicht mehr als ein paar popelige Krümel über das Adoptionstreffen hingeworfen habe?
Also gut. Aber weil es noch früh am Morgen ist und heute einer dieser Tage ist, an denen ich seltsamer- und ungerechterweise verkatert bin, ohne auch nur einen Tropfen Alkohol getrunken zu haben, in ungeordneter Reihenfolge.
Die gute Nachricht zuerst: dass ich 38 bin (in ein paar Tagen 39) und L. 41, muss nicht heißen, dass es nicht klappt. Aber viel länger hätten wir auch nicht warten dürfen. Im Nachhinein frage ich mich, wieso sind wir da nicht schon vor drei Jahren hingegangen? Direkt nach der Diagnose damals, dass das so ohne Weiteres nichts wird mit mir und Babyglück? Die Dame versicherte uns außerdem mehrmals, dass solche Faktoren wie Größe der Wohnung überhaupt keine Rolle spielen und dass sie es sogar eher seltsam fände, wenn sie in ein Zuhause käme, in dem es schon ein fix und fertig eingerichtetes Kinderzimmer minus Kind gäbe. Allerdings glaube ich auch, dass die finanziellen Verhältnisse aus ganz praktischen Gründen nicht ganz nebensächlich sind, denn sie hat auch mehrmals gesagt, dass die Behörde erwartet, dass man die ersten drei Jahre komplett dem Kind widmet und zuhause bleibt. Und das kriegt man - Elterngeld hin, Kindergeld her - nicht hin, wenn man die letzten Jahre in einem Job gearbeitet hat, mit dem man am Monatsende immer gerade so bei null rauskam. Die Kinder haben, kaum geboren, schon den ersten Schock hinter sich - Trennung von der Frau, deren Herztöne und Geruch sie jetzt monatelang um sich hatten - und scheinbar braucht es sehr viel Zeit und Liebe, um das wieder auszugleichen. Zum Glück habe ich einen Job, bei dem es vollkommen egal ist, ob ich auf dem Boden zwischen Playmobil, am Rand des Spielplatzes oder in einem schicken Innenstadtbüro sitze. Was ich mich allerdings frage: ich dachte immer, Kitas sind nicht nur dafür da, dass Eltern schnell wieder arbeiten können, sondern auch wichtig, damit Kinder mit anderen Kindern zusammen sind? Wie auch immer.
Dann war noch viel die Rede davon, dass man zwar direkt nach der Geburt schwere Schädigungen durch Alkohol sehen kann, aber dass es auch wirklich große gesundheitliche Probleme geben kann, die sich erst Jahre später zeigen. Saufen in der Schwangerschaft sei für das Kind schlimmer als Heroin oder Koks, und da gerade Teenie-Mütter die Schwangerschaft gerne verdrängen bis in den sechsten Monat, gibt es keine Garantie dafür, dass Mutti nicht den Kummer über die immer mehr kneifende Jeans und den blöden Kevin, der gar nicht mehr SMSt, mit der einen oder anderen Flasche Wodka betäubt hat. Eine sehr wichtige Frage, die L. und ich uns in den nächsten Tagen und Wochen sehr ehrlich und ernsthaft stellen müssen, lautet: wie viel Krankheit und Einschränkung können wir uns vorstellen, in Kauf zu nehmen? Auch um Auslandsadoptionen ging es, und die für mich neuen Erkenntnisse waren: ja, es gibt tatsächlich Adoptionsbehörden, bei denen ganz, ganz sicher, ja wirklich sicher ist, dass die Adoption moralisch vollkommen unbedenklich ist; keine Mutter wurde mit ein paar Kröten dazu gebracht, ihr Kind herzugeben, kein Kind wurde in der Klinik gestohlen, niemand wurde dazu gebracht, mit einem Kind schwanger zu werden, nur um es hinterher zur Adoption freigeben zu können. Und: wir müssen uns entscheiden, außer Deutschland können wir ein zusätzliches Land aussuchen, aus dem wir gerne ein Kind adoptieren würden. Ihre Tipps waren Haiti und Äthiopien: beides Länder, in denen es sehr, sehr viele Kinder gibt, die niemand aufziehen kann, wenig Menschen, die gerne ein Kind aus ihrem eigenen Land adoptieren wollen, und die meisten Kinder sind kerngesund - auch Alkohol in der Schwangerschaft spielt z.B. in Äthiopien so gut wie keine Rolle (vermutlich mangels Alkohol). Und ja, kein Kind sollte aufgrund seiner Hautfarbe in dem Gefühl aufwachsen, der einzige Alien in einer Welt aus bleichen Langnasen zu sein - aber um dem vorzubeugen, kann man vieles tun.
Dann waren da noch die Schilderungen, was passiert, wenn es passiert: der Anruf, meistens nach ca. einem halben Jahr. Vielleicht ein Treffen mit der Mutter. Ein Foto. Dann ein Spaziergang im Park gegenüber der Behörde, auf dem man sich noch mal überlegen kann, ob man das alles wirklich will. Dann ein Besuch im Krankenhaus (fast alle vermittelten Kinder sind Säuglinge) und die erste Begegnung mit der kleinen Wurst. Dann ein hektischer, sehr hektischer Tag, während das Krankenhaus das Kind netterweise noch eine Nacht betreut und Demnächst-Mama und -Papa zu Ikea, Baby Walz und Budni rasen und die allernötigste Grundausstattung besorgen. Und am nächsten Morgen fährt man ins Krankenhaus und kommt mit Kind zurück. Was dann noch kommt - eventuell langer Nervenkrieg und elende Warterei, während die Mutter keine Lust oder keinen Nerv hat, den Termin beim Notar wahrzunehmen und alles in Ordnung zu bringen - habe ich zwar aufmerksam aufgenommen, aber nur vor der Hintergrundtapete dieser Vorstellung: die Fahrt nach Hause, Auto abstellen, und dann fällt die Haustür hinter uns ins Schloss, und ab jetzt sind wir zu dritt. (Zu viert. Entschuldige, liebe Lili.)
Was müssen wir jetzt machen?
Als allererstes - und ich könnte mich ohrfeigen, dass ich das nicht schon getan habe, denn das dauert - brauchen wir beide ein polizeiliches Führungszeugnis.
Dann müssen wir noch verschiedene Papiere kopieren - Eheurkunde, Schufa, Familienstandsbescheinigungsdings usw.
Und dann müssen wir beide einen Lebenslauf - oder besser gesagt, unsere Lebensgeschichte - aufschreiben. Ausbildung, Kindheit, vielleicht sogar frühere Beziehungen, alles, was uns interessiert und unser Leben ausmacht. Ich für meinen Teil bin inzwischen bei Variante Nr.4, wie es bei L. läuft, weiß ich nicht, will ihn da aber nicht nerven. Jedenfalls nicht häufiger als dreimal am Tag.
Wenn wir das alles zusammen haben, reichen wir es ein. Und dann wird es insgesamt vier Gespräche geben, manche einzeln, manche zusammen, und einen Hausbesuch, bei dem jedoch entgegen meiner Ängste niemand mit einem weißen Handschuh auf unseren Fußleisten entlangfährt.
Und dann... dann folgt die bisher längste Warteschleife in der Geschichte dieses Blogs.