Freitag, 31. Dezember 2021

Futons sind eh voll Achtziger

Ich sitze in nicht sehr rückenfreundlicher Haltung auf dem Sofa und versuche, die Zeit auszunutzen, bevor die Kinder aufwachen. Ich sitze so schief, weil ich nur so gleichzeitig den Rechner auf die glatte Sofalehne stützen und nah genug an der Steckdose sitzen kann. Gerade war er noch ein absolut makelloses, nagelneues Top-Teil aus gebürstetem Alu, jetzt ist er tatsächlich acht Jahre alt, ein echter Dino - so alt werden Laptops normalerweise nicht, die über Jahre fast täglich hin und her transportiert werden und ganze Winter lang dauernd durch alle Klimazonen von Heizungs-Muff bis Hamburger Januar müssen. Er hat's bis hierher geschafft, und jetzt will der Akku nicht mehr. Der Akku und mein Rücken - ach ja.

Also, Neujahrsvorsätze.

Ich will im nächsten Jahr besser für mich da sein. (Gähn. Ja, ich weiß, aber in diesem Moment meine ich das trotzdem ernst und will es mir nicht gleich wieder ausreden, auch wenn das mein Vorsatz seit Ewigkeiten ist und ich es bisher wirklich nur zu Babyschritten gebracht habe.) Los geht's in ein paar Wochen, dann wird nämlich endlich das Bett geliefert, um das ich mich so lange herumgedrückt habe. L. und ich schlafen seit Jahren getrennt, und - es ist mir fast peinlich, das zu schreiben, und das sollte es auch sein - als wäre das nur ein vorübergehendes Ding, als müssten wir nur kurz das Abflauen einer Magen-Darm-Grippe abwarten oder so, bis ich wieder zurück ins bequeme Ehebett schlüpfe, schlafe ich in all diesen Jahren auf einem alten Futon von L. Eine dünne Matte, die direkt auf dem Fußboden liegt, und die ungefähr den Komfort (und die Hygiene) einer labberigen Turnmatte aus einer Schule bietet, die in einem miesen Viertel gelegen ist. Nicht mehr lange. Noch dreieinhalb Wochen, dann wird das neue Bett geliefert und ("ich will besser für mich da sein, ich will besser für mich da sein") auch gleich von einer Fachkraft aufgebaut. Leider werde ich erst mal nur wenige Tage darin schlafen und meinen Bandscheibenzerrütteten Rücken erholen können, denn dann - Schritt zwei der Selbstfürsorge - gehe ich für zwei Wochen in eine Hamburger Klinik, in der sie hoffentlich der Epilepsie (oder nicht) auf den Grund gehen können. Am Ende werde ich entweder komplett ratlos sein, was mir da eigentlich im letzten halben Jahr so passiert ist, oder eine Diagnose und vielleicht ein dazu passendes Medikament haben. Davor liegen zwei Wochen mit verkabeltem Kopf (und sehr fettigen Haaren, fürchte ich) und zum ersten Mal seit Jahren sehr viel Zeit. Was mache ich damit? Schreibe ich endlich das Exposé für das Buch, das mir seit inzwischen acht Jahren im Kopf herumspukt? Oder ein anderes? Mache ich gar nix, lade mir einfach den Rechner voll mit Serien und tue das, was ich sonst nie kann? Schaffe ich es endlich, diesen Blog wieder in Schwung zu bringen, wenn auch mit neuem Thema? Oder muss ich mir darum sowieso keine Gedanken machen, weil ich den ganzen Tag einen Test nach dem anderen über mich ergehen lasse und absolut keine Zeit für irgendwelche Selbstverwirklichungs-Pläne haben werde? Das WLAN wird schlecht sein, das weiß ich schon. Aber zum Schreiben sollte es reichen.

Meine Krankenkasse hat mit mir echt einen dicken Fisch an Land gezogen (insgesamt 14 Abkürzungsdurchgänge? Pemm Pemm Pemm). Denn sobald ich einen Haken hinter die Epilepsie machen kann, knöpfe ich mir den Beckenboden vor. Ich bin es leid, schon lange, und ich will das nicht mehr. Ich hab eine Frauenärztin, auf die ich nichts kommen lasse, und wohne in Laufweite eines scheinbar richtig guten Beckenboden-Zentrums, da muss doch reinzukommen sein? Schluss damit, als erste Tat nach dem Duschen (noch vor Deo) jeden Tag eine fette weiße Binde in meine Unterhose zu kleben. Schluss damit, den Bus stehen zu sehen und mich nur in gemütlichem Flaniertempo nähern zu können, bis der Fahrer entnervt wegfährt - obwohl ich diesen Bus unbedingt hätte kriegen müssen. Schluss damit, an manchen Tagen nur mit dunkler Hose rauszugehen, und es sind nicht meine Tage. Schluss mit diesem Geruch, von dem ich manchmal nicht weiß, ob der wirklich da draußen ist oder nur in meinem Kopf. Schluss damit, jedes Mal Tränen in den Augen zu haben, wenn ich eine Frau joggen sehe. Ich weiß, das Problem haben viele, und noch mehr, die eine Saugglocken-Geburt hinter sich haben. Aber ich bin nicht bereit, mich damit einfach abzufinden.

Kurzer Abgleich mit der App, die ich damals als Teil des Exorzismus auf mein Telefon geladen habe, am Tag nach L.s Party, mit einem der schlimmsten Kater meines an Katern ziemlich reichen Lebens: Ich hab tatsächlich inzwischen seit 558 Tagen keinen Alkohol getrunken. Im Moment glaube ich, dabei bleibe ich auch im nächsten Jahr. Es gibt eine Menge am Trinken, das ich vermisse. Aber ich habe echte Pläne - Junge, was für Pläne! Und nein, ich will nicht alle hier verraten - und das ziemlich sichere Gefühl, wenn ich zurückkehre zu abendlichen Gin Tonics und Rosés auf Eis, dann wird genau dieser wunderschöne, jetzt ist mal Erwachsenen-Zeit-Feierabend-Glimmer mich einlullen und davon abhalten, die Pläne ernsthaft umzusetzen. Nein, Ohne ist gerade gut für mich. Wird es nicht für immer sein, aber jetzt gerade eben doch. Wenn das nicht der langweiligste Neujahrsvorsatz aller Zeiten ist, weiß ich es auch nicht.

Eine Sache, die ich am Trinken vermisse, ist der Spaß. Jaja, ohne Alkohol fröhlich sein - aber fröhlich ohne Alkohol ist anders fröhlich. Manchmal frage ich mich allerdings, ob all der Spaßverlust wirklich nur auf die Nüchternheit zu schieben ist. (War da was mit einer Pandemie?) Ist das fair? Vermutlich nicht. Und dann all die Selbstfürsorge, die ich vorhabe - wenn ich nicht aufpasse, fühlt sich das alles an wie eine gewaltige Hausaufgabenliste. Darum sollte Spaß ziemlich weit oben stehen. Egal ob gesund oder ungesund, teuer oder kostenlos, pädagogisch wertvoll oder einfach nur quatschig. Ich will im nächsten Jahr viel Zeit damit verbringen, mit meinen Kindern Mario Kart zu fahren. Zum Frühstück morgens um acht belgische Waffeln zu backen. (Mach das mal mit Kater.) Mir Dinge zu leisten, die mich mit solcher Vorfreude erfüllen wie das neue Bett. Viel zu spät Kaffee zu trinken. Mir wieder mal ein Partykleid für unter 20 Euro zu kaufen (auch wenn ich davon schon elf habe). In Alters-unangemessenen Outfits ins Büro zu gehen. Bücher zu lesen und Serien zu gucken, die eindeutig unter meinem Niveau sind, was auch immer das ist.

Und - fast am allerwichtigsten - aus Dingen einfach mal lächelnd rauspazieren, weil sie keinen Spaß machen.

Sonntag, 16. Mai 2021

Ein bisschen wie Downton Abbey. Aber nicht auf die gute Art

Ok, hier kommt ein vollkommen neues Problem, mit dem vermutlich niemand in diesem Blog gerechnet hätte, und ich zu allerletzt. Und das, obwohl ich mich seit vielen Jahren immer wieder beharrlich und mit Recht als Fusselhirn bezeichne. Folgendes ist passiert: Wir waren mit der ganzen Familie unterwegs in den Mini-Urlaub nach Föhr. Auf eine Insel, auf der wir schon drei mal waren. In ein Haus, in dem wir auch schon mal eine Woche verbracht hatten. Also eine Reise auf ziemlich ausgetretenen Pfaden. Letzten Freitag fuhren wir bei Nieselregen und vielleicht acht Grad auf die Autofähre, ich kaufte den Kindern ein Eis und L. und mir eine Cola, und während L. im WLAN des Bordrestaurants noch schnell unsere Corona-Tests auf der Insel vorbuchte, ging ich mit den Kindern hoch an Deck, um mich ein bisschen durchpusten zu lassen. Wobei, bevor ich hochging, wurde mir noch schnell ein bisschen schwurbelig. Es fühlte sich ungefähr so an, wie wenn einem unwillkürlich das Auge zuckt - nur eben im Kopf. Ich kenne das Gefühl, hab das bestimmt schon fünfzig mal erlebt, es macht mich trotzdem jedes Mal nervös. "Ich weiß auch nicht", sagte ich zu L. "Mir ist irgendwie schwindelig. Eigentlich würde ich mich gerne kurz hinlegen." L. buchte und rollte die Augen. Derlei Spirenzchen mit Hinlegen und so sind für ihn typisch "einen auf gestresste Ehefrau machen". Also wuchtete ich mich hoch, die Kinder waren auch schon außer Sicht, und dann waren wir da oben. Und da ging alles ziemlich schnell. Ich hatte ein merkwürdiges Flackern im Gehirn. Das Flackern wurde stärker. Ich konnte plötzlich fast nichts mehr sehen. "Kinder! Holt Papa! Schnell!" Schrie ich noch, und dann hatte ich plötzlich das Gefühl, als hätte jemand ein Stahlseil an einem Ende an meiner Kleidung eingehakt und mit dem anderen Ende an einer Achterbahn. Als würde ich mit mehreren gewaltigen Rucken hundert Meter durch die Luft gerissen ohne die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. An diesem Punkt muss ich wohl um Hilfe geschrieen haben. Ich habe auch noch diffuse Erinnerungen daran, dass zwei Fahrgäste mich mit ihren Telefonen filmten - vielleicht war das auch nur Paranoia. Und das nächste, was ich weiß, ist, dass ich zusammengekrümmt, mit nasser Hose und vollkommen erledigt auf dem Deck liege, zwei Rettungssanitäter neben mir knien und ich kurz danach in einen Hubschrauber geladen werde. Der Hubschrauber flog mich ins Krankenhaus nach Flensburg, und nach einigen Untersuchungen sieht es jetzt so aus: ich hatte einen Epileptischen Anfall. Meinen ersten, so weit ich weiß. Ich habe keinen Gehirntumor und ich hatte keinen Schlaganfall. Und niemand weiß, ob das noch mal passieren wird. Ein nicht so tolles Zeichen ist zumindest, dass ich das Flackern im Kopf - die Vorzeichen des Anfalls - schon so oft hatte. Ich darf erst mal nicht mehr Auto fahren. Das elektrische Lastenfahrrad, dass ich für den Urlaub gemietet habe, durfte jetzt auch nur L. fahren, wäre ja auch nicht so schön gewesen, wenn ich mit den Kindern an Bord einen zweiten Anfall hätte und vor einen Laster fahren würde. Ich hab einen Termin beim Neurologen in Hamburg, wenn auch erst im September, schneller gab es keinen. Und obwohl es jetzt schon über eine Woche her ist, vergeht doch keine wache Minute, in der ich nicht daran denke und mir nicht fast schon wieder in die Hose mache vor Angst, es könnte wieder passieren. Denn das war ein so schauderhaftes, ekliges, furchteinflößendes Erlebnis - ich hätte mir nicht vorstellen können, dass es körperlich möglich ist, solche Angst zu haben. Ich habe jetzt noch Muskelkater im Kiefer und im Genick von der Anspannung. Jedes Mal, wenn ein Vogel an meinem Augenwinkel vorbeifliegt, ein Auto vorbei fährt, die Sonne sich auf dem Wasser spiegelt oder sich sonst etwas bewegt (oder auch nicht bewegt), erstarre ich. L. und die Jungs sind heute früh zurück nach Hamburg gefahren, meine Eltern haben auch ein Haus hier gemietet, in dem es ein freies Zimmer gibt - dort bleiben die Kleinste und ich noch ein paar Tage. Meine Bosse haben sich wieder mal als die Besten der Welt erwiesen und mir noch ein paar spontane Urlaubstage gegegeben. Jetzt sitze ich hier zwischen Eis essenden, Minigolf spielenden, buddelnden und tiefenentspannten Menschen und mache alle Moves mit in der Hoffnung, dass die Botschaft irgendwann bis ins Hirn durchdringt, dass die Welt doch ein sicherer, freundlicher Ort ist. Und nicht so eine komische Matrix-artige Kruste, die nur ganz dünn und trügerisch die monströse Realität verhüllt. Epilepsie, jetzt echt? Ich meine mich zu erinnern, dass in "Das Boot" jemand Epilepsie hatte. Der wurde von allen verachtet, es war ganz klar mega-peinlich und unangebracht, wie der da umfiel und zuckte. Jedenfalls wollte den niemand in der Mannschaft haben. Und gab es nicht auch jemanden in Downton Abbey? Das hat jedenfalls definitiv eine Erste-Hälfte-Zwanzigstes-Jahrhundert-Note. Ungefähr in der gleichen Liga wie Schwindsucht, die ich auch nicht gerne haben wollte. Was passiert denn jetzt? Elektroschocks oder Eiswassergüsse? Blutegel? Ich weiß es noch nicht, und bisher versuche ich auch (zumindest hier im Urlaub) nicht zu googlen. Ist hier noch so eine wie ich? Weiss eine was?

Samstag, 10. April 2021

Wenn gesteigertes Mitteilungsbedürfnis und auf Null gesenkter Alkoholkonsum ausnahmsweise mal zusammentreffen

Ich hab mir den letzten Post noch mal durchgelesen. Und ich hab drüber nachgedacht. Natürlich hab ich drüber nachgedacht, das große Trinken/Nicht Trinken-Thema beschäftigt mich ja auch, wenn ich mich nicht gerade hier darüber äußere, fast so sehr wie die Kriiiiiiise. Plötzlich nach vielen Jahren, Jahrzehnten mit Strömen von Gin Tonics und Rosé auf Eis und Rotwein, nachdem ich so lange immer einen nicht ganz WHO-konformen Lebensstil als mein Stück Freiheit in der großen Kinderwunsch-Maschine verteidigt habe, komme ich jetzt hier so? Es wäre auch reinster Quatsch, jetzt zu tun, als wäre das eine reine Lifestyle-Entscheidung wie eine Diät. Tüdelü, guckt mal, ist einfach auch gut für die Haut, und da hab ich mir gedacht...

Nee nee, das wäre gelogen. Das Ding ist, mit mir und dem Alkohol verhält es sich ungefähr so wie in diesem Post von vor ein paar Jahren, in dem ich über meine mütterliche Persönlichkeitsspaltung geschrieben habe. Es ist genau so kompliziert, und genau so jeden Tag anders. Ich habe Tage, da weiß ich genau, mein Herz wird für immer den Leuten gehören, die nach einem Kacktag zuhause erst mal eine Flasche entkorken, bevor sie noch die Jacke ausgezogen haben. Und ich weiß, auch wenn ich zufällig seit neun Monaten nichts getrunken habe, die sind mein Team. Genau so, wie ich mich als Raucher fühle, obwohl in meine Lungen seit dem letzten Glas Sprit nur die gute Hamburger Luft gekommen ist. Ich habe auch Tage, da bin ich so tiefenentspannt und fühle mich so gesund bis in die letzte Zelle, dann denke ich, das ist und war doch alles Quatsch. Wieso sollte man sich ohne Not jeden Tag eine krebserregende, das Hirn zerfressende und traurig machende Substanz reintun? (Wobei ich mir gleichzeitig eine knallen könnte dafür, dass ich jetzt scheinbar ab und zu eine von denen bin, die Leuten erzählen, Alkohol wäre krebserregend, mimimi...) Ohne ist viel schöner. (Diese Tage sind gefühlt in der Unterzahl.) Es gibt auch Tage, da geht beides gleichzeitig und ich gucke mir in vollem Bewusstsein meiner Schizophrenie mit dem liebevollsten Blick eine Serie an, in der so richtig mit Schmackes gesprittet wird, und bin gleichzeitig froh, das alles auch mal gehabt und getan zu haben und es jetzt nicht mehr zu tun, nippe noch mal an meinem Gingko-Klarer-Geist-Tee und wackele wohlig mit den Zehen. Und es gibt Tage, da denke ich "Wie lange noch soll ich das jetzt genau machen, bis ich so weit mit mir zufrieden bin, dass ich endlich wieder mitspielen darf?" und gleichzeitig "Genau so. Nichts trinken, um hinterher besser wieder trinken zu können, hmmm?" Und was das mit dem Yoga-Bashing soll, weiß ich auch nicht so richtig. Wieso finde ich manche Aspekte davon so eklig? Wem genau hat Yoga eigentlich was getan? Oder das blöde Klappschild? Ist ja nicht so, dass Yogagruppen regelmäßig losziehen und Andersdenkende vermöbeln, nachdem sie von entgleistem Selbstliebe-Blabla dazu aufgepeitscht wurden.


(Wenn ich irgendwann mal auf ein wichtiges Lebensthema treffe, bei dem mein Hirn seine Zellen nicht so unordentlich in die Schlacht schickt, dann sage ich Bescheid. Ein Sauhaufen ist das. Wie ich es auch nur schaffe, mich beim Bestellen einer Pizza zu entscheiden, ist mir manchmal ein Rätsel.)

Ich hoffe, ich vergrätze euch nicht damit. Ich hoffe, ich schreibe mich nicht in eine Ecke, aus der ich nicht mehr rauskomme. Ich hoffe, die richtige Seite gewinnt. Ich hoffe, ich finde noch raus, welche die richtige ist. Ich hoffe, die Tendenz, dass man gar nicht mal so schlechte alkoholfreie Erwachsenengetränke im Supermarkt bekommt, steigt weiter an. Und ich hoffe, ich werde aus meinem nächsten Yogakurs, wenn die Pandemie irgendwann vorbei ist, nicht mit Mistgabeln rausgejagt.

Wo ich gerade beim Thema In-eine-Ecke-schreiben bin: meine Schwester berichtet, mein Vater erwäge, sich bei Twitter anzumelden. Das macht mir leichte Sorgen. Ich hoffe, er erwägt noch eine Weile weiter und verliert das Thema dann einfach aus den Augen.

Mittwoch, 7. April 2021

Irgendwo zwischen Narzissmus und Schmiersuff.

Zu dem Thema ist schon ziemlich alles gesagt und geschrieben worden: ist das nicht komisch, dass man sich erst in dem Moment eines Alkoholproblems verdächtig macht, wenn man nichts mehr trinkt? Jaja, komisch ist das. Merkt man nicht erst dann, wie aufdringlich und überall Alkohol in unserem Alltag ist, wenn man nach ein paar Wochen ohne ihn mit offenen (und weniger rotgeäderten) Augen durch die Welt geht? Ja, das merkt man erst dann. Auf einmal fällt einem trotz vorschriftsmäßiger Corona-Maskierung überall und trotz Abstand auf, wie viele Leute, die "nicht danach aussehen", mittags um 12 im Supermarkt nach Sprit riechen. Doch doch. Ist nüchtern bleiben nicht ein Muskel, den man erst mal wieder entdecken und trainieren muss, aber dann? Mhmmm-mhmmm, schon schon.

Es stimmt einfach: ein paar Dinge hatte ich genau so erwartet und erhofft, und jetzt sind sie eben so. Ich hab wirklich bessere Haut, es gibt tatsächlich Tage, da setze ich mich ohne irgend eine Form von Make-Up in Videomeetings mit meinen Bossen. Ich schlafe (nach ungefähr drei ziemlich miesen Wochen am Anfang) für meine Verhältnisse großartig. Sogar so großartig, dass ich inzwischen so richtig durchdrehe und manchmal nachmittags um drei noch einen Kaffee trinke, denn ich weiß, dass ich nicht von halb zwei bis halb sieben schlaflos und genervt daliegen werde - die Schlafstörung klaut mir nur noch ein bis zwei Stunden pro Nacht, damit kann ich leben (und komme auf die Art wenigstens ab und zu zu meinen Lieblingsserien). Abgenommen habe ich kaum, aber das wär auch frech bei den Mengen an fettigem und süßem Kram, die ich immer noch esse, als wäre ich ein achtjähriger Bauarbeiter. Und niemand, der es nicht probiert hat, kann das Glück ermessen, einfach nie einen Kater zu haben. Nie! Im Nachhinein muss ich auch sagen, obwohl ich längst nicht jeden Tag getrunken habe und wenn, dann auch nicht immer in katerwürdigen Mengen, es gibt so etwas wie einen Grundkater. So ein Ächzen in den Fugen, das so allgegenwärtig war, dass es irgendwann mit der Seelenlandschaft verschmolzen ist. Ich dachte manchmal, so ist das eben, wenn man älter wird. Jetzt ist auch das weg. Einfach weg. Und ich hoffe, dass ich mich daran nicht genau so schnell gewöhnen werde wie an das Katerchen vorher und weiter zu schätzen wissen werde, wie schön es ist, einen richtig klaren Kopf zu haben und mit einer Packung Ibu monatelang auszukommen (Nüchtern zu sein, macht leider die Endometriose und die schlimmen Regelschmerzen nicht weg. Es kann viel, aber das nicht.)

Ein paar Dinge habe ich auch nicht erwartet, das sind die schönen Überraschungen. Diese gewisse Grundscham, die mich immer begleitet hatte - das Gefühl, im Grunde kein vollwertiger Erwachsener zu sein und bei nächster Gelegenheit aufzufliegen - ist weg. Nur noch eine ungute Erinnerung. Fairerweise muss ich aber zugeben, das hatte ich schon als Kind und erst Recht als Teenie, obwohl ich erst mit Anfang 20 angefangen habe, ab und zu Alkohol zu trinken - dem bösen Alk kann man also nicht allein die Schuld daran geben. Ich gebe ihm aber schon eine Mitschuld daran, dass das später nie so richtig weg gegangen ist. Mein Job besteht zu großen Teilen darin, mir Dinge auszudenken, auf die möglichst noch nie jemand gekommen ist, oder altbekannte Dinge auf völlig neue Art zu sagen. (im Idealfall. An manchen Tagen besteht er auch darin... aber lassen wir das für heute.) Ich hab also das große Glück, für mein Fusselhirn bezahlt zu werden. Und ich hatte schon ein bisschen Sorge, es könnte etwas weniger fusselig werden, wenn ich so gar nichts mehr trinke. Das ist nicht passiert, für einen Job, der mich früher einen Tag gekostet hat, brauche ich jetzt drei Stunden, obwohl die Kinder alle 30 Sekunden reinkommen und was wollen. Und die positivste Überraschung von allen ist, wie einfach das bisher war. Corona hat bestimmt geholfen: wenn ich nicht so oft mit lustig angespritteten Lieblingsmenschen sitzen kann, geht die Versuchung gegen Null. Aber ich hatte ehrlich erwartet, lange Winterabende, italienisch kochen, Musik, Weihnachten, Jobfrust, Ehefrust, Coronafrust wären härtere Gegner, ich müsste öfter auf meinen Händen sitzen oder spontan das Haus verlassen, um dem Ruf des Rosé auf Eis zu widerstehen. Ist bisher nicht passiert. Es gibt schon solche Momente, da packt mich eine leise Melancholie und ich langweile mich für ein paar intensive Minuten so schrecklich doll und vermisse den ganzen Spaß so, dass es weh tut. Aber ich bleibe ein braves Mädchen und "reite die Welle", was auch immer man darunter versteht - ich verstehe darunter, ich guck mir selbst beim Vermissen genau zu und denke mir dabei: so ist das also. Das ist ja interessant. Mal gucken, wie wir damit fertig werden. Und dann ist es vorbei.

Genau hier wird es glaube ich Zeit für einen harten Bruch. Wer das vorige gelesen hat, fragt sich vielleicht gerade: Moment mal, wie schlimm war es denn vorher? Mal in Weinflaschen pro Woche ausgedrückt? Sollte sie das alles vielleicht lieber in einem Kirchenkellerraum voller Klappstühle erzählen statt hier im Blog? Und dazu sage ich: ich fand es schlimm genug am Ende, um es einfach mal zu lassen. Aber ich habe das hier eher getan aus Angst davor, dass es richtig schlimm werden könnte also darum, weil es schon so schlimm war. Ich habe nicht jeden Tag getrunken, auch nicht jeden zweiten oder dritten. Ich hatte zwischendurch ganze Wochen ohne einen Tropfen. Aber schon allein die Tatsache, dass ich diese Wochen gezählt habe und stolz darauf war, werte ich als nicht so dolles Zeichen (vielleicht ist das alles auch der oben erwähnten Grundscham geschuldet - eine Menge, die andere sich einfach genehmigen, macht mir ein extrem schlechtes Gewissen, obwohl ich immer wild entschlossen war, mir auf diesem Gebiet alles zu erlauben - bei einem kleinen Teil meines Fusselhirns war diese Losung nie so richtig angekommen. Dazu kommt noch, dass meine Kater immer zu 70% aus chemisch erzeugtem schlechten Gewissen bestanden. Oh Gottogott, ich schüttele mich, wenn ich nur daran denke. Alle meine Freundinnen können ein ziemlich tristes Lied davon singen, wie ich am nächsten Tag immer achtzigmal hören muss, dass wirklich alles ok war, nichts war schlimm oder peinlich, die Welt wird dich nicht über die Kante ins Leere verstoßen, das ist nur ein Kater.) Meine Angst war nicht die von Woche zu Woche schwankende Menge. Sondern, dass ich mit dem ersten Glas einfach nicht mehr zuständig war. Es gab Tage, da saß ich mit den Mädchen zusammen und hätte ohne weiteres eine Flasche Wein oder mehr trinken können, und es wäre nichts Schlimmeres passiert, als dass ich eben am nächsten Morgen meine Kinder mit Kopp hätte versorgen müssen, und trotzdem habe ich zwei Gläser getrunken und bin dann nach Hause gegangen. Es gab auch Abende, da hatte ich innerhalb von einer Stunde einen nicht mehr einholbaren Vorsprung und erzählte nur noch Blödsinn. Welche Sorte Abend das werden würde, entzog sich meiner Kontrolle. Und dann kam Corona. Und es gab jeden Tag einen Grund, sich Abends ein Glas Wein einzuschenken. Ich hab es nicht jeden Abend getan, aber ich hab jeden Abend Bock drauf gehabt. Und es wurde anstrengend, denn ich sah am Horizont deutlich ein Bild von mir, die sich jeden Abend einen reinschmiert, ist ja Corona, dann Reue und Trotz und Zank und Selbstmitleid und Kopfweh, und dann am nächsten Tag das Ganze wieder. Und auf dieses Bild - die fiese Schmiersuff-Flora - hatte ich keine Lust. Und bevor ich es mit einem Plan versuche wie "drei Gläser pro Woche" oder "5 Tage trocken, 2 Tage Party" hatte ich auf einmal die Idee, es doch einfach mal ganz zu lassen. Das war in dem Moment kein fieser, sondern ein ganz fröhlicher, schöner Gedanke - er fühlte sich an wie eine gute Idee, und das Gefühl hat sich bestätigt und hält bis heute an. Meistens. Bin ich also Alkoholikerin? Ich sage nö. Hatte ich ein Alkoholproblem? Definitiv. Habe ich das immer noch? Ich finde nicht. Wieso dann das ganze Drama? Das Drama ist ein gutes Stichwort: fast am meisten verblüfft mich - über alle Veränderungen hinweg - wie viel sich ändert. Was für ein Erdrutsch das körperlich und seelisch ist - und das selbst dann, wenn man vorher kein harter Trinker war. Wie gewaltig diese Veränderung erst ist, wenn man am Ende ohne Pegel nicht mehr konnte, kann ich mir kaum vorstellen. Ich glaube inzwischen, selbst bei Leuten, die wirklich nur zwei Gläser Wein pro Woche trinken, würde es eine spürbare Veränderung geben. Sollte es darum jeder mal probieren? Keine Ahnung, obwohl ich hier gerade einen meterlangen Post dazu schreibe, bin ich immer noch ein fanatischer Anhänger des Nicht-Reinquatschens. Werde ich irgendwann wieder trinken? Wer weiß? Im Moment hab ich keine Lust drauf. Wenn ich es irgendwann tue, sollte es sich nicht anfühlen wie eine Niederlage. Fehlt mir das Trinken? Manchmal ja, sogar sehr. Ist mir inzwischen sogar der Gedanke an ein Glas eisgekühlten Sprit zuwider? Leider nö, das funktioniert bei mir genau so wenig wie der "In der Schwangerschaft findest Du Zigaretten und Alkohol plötzlich nur noch eklig, das ist die große Weisheit der Natur"-Kram. Kann ich denn ernsthaft im gleichen Post schreiben, dass ich es erstaunlich einfach finde, nichts zu trinken und mich fühle, als könnte ich Bäume ausreißen, und dann wieder, dass es mir der ganze Quatsch echt fehlt und ich vielleicht eines Tages doch wieder trinken werde wie der Rest von uns? Ja, kann ich, das passt zwar vielleicht in eurem Kopf nicht zusammen, aber in meinem schon. Wenn ich dahinter gestiegen bin, wie genau, sage ich es euch.

Mir ist das Lager der Leute, die sich ab und zu über die seriöse Grenze weg anschickern und dann teils lustige, teils dämliche Dinge tun, immer noch sehr nah (Wobei ich wie wir alle das Kunststück fertig bringe, all die Besoffen-Autofahrer, Besoffen-Frau-und-Kinder-Verprügler und Besoffen-Angrabbeler fein säuberlich und völlig irrational aus diesem Lager rauszusezieren und anderswo aufzubewahren...). Näher als das Yoga-und-Achtsamkeits-Dings jedenfalls, das gefühlt oft ein untrennbarer Teil der großen Nüchternheits-Wundertüte zu sein scheint. Ich kann mir nicht helfen, ich sehe auf dieser Seite immer häufiger einen Narzissmus, den ich eklig finde. (Bei einem meiner nächtlichen Spaziergänge aus der Zeit vor der Ausgangssperre kam ich neulich an einem Yogaladen vorbei, der hatte draußen ein Klappschild stehen, auf dem stand wahr und wahrhaftig: "You are the only thing in the universe that matters." Auf der Rückseite stand "You are a beautiful genius. You will live forever!" Mit solchen Klappschildern will ich nichts zu tun haben. Was ich aber gerne zugebe, ist dass Yoga gut für'n Rücken ist.)

Vielleicht könnte ich diesen nicht-Drogen-induzierten Laberflash ja folgendermaßen zum Punkt bringen: an bösen Tagen hab ich das Gefühl, ich bin gefangen zwischen Skylla und Charybdis in Form von drohendem Schmiersuff auf der einen Seite und ungebremstem Narzissmus auf der anderen. An guten Tagen denke ich: wie schön ist das denn? Ich habe die Wahl zwischen einem katerfreien, sonnigen knallgesunden Wunderland und der Rückkehr an den großen, reich gedeckten Partytisch. Und irgendwo dazwischen fühle ich mich zuhause.

Sonntag, 14. März 2021

Ungefähr so wie früher in der Telefonzelle, wenn draußen jemand wartet und alle zehn Sekunden an die Scheibe klopft.

Nur dass ich nicht in einer Telefonzelle stehe, sondern mich von meinen Memory spielenden Kindern weggeschlichen habe und jetzt mit Rechner im Bett liege. Es kann sich allerdings nur um Minuten handeln, bis einer von ihnen mein Fehlen bemerkt und mir hinterher kommt, um mich mit Wünschen nach Müsli, Kindercappucino oder sonstwas zu benängern, und dann ist Schluss mit der ungestörten Schreiberei.
Und wenn man nicht weiß, wie viel Zeit man zum Schreiben hat, schreibt man am besten in kurzen Absätzen, so dass man jederzeit eine Pause bis später einlegen kann.

Ich weiß nicht (wie auch, wenn ich hier seit Monaten nicht mehr meine Nase reingesteckt habe?), wie es euch geht mit dem Lockdown. Mir geht es die meiste Zeit ganz ok. Vermutlich auch darum, weil ich das große unverdiente Glück habe, dass meine Agentur dadurch bisher kaum finanziell betroffen zu sein scheint. Das heißt, ich habe vorerst keine Angst um Job und Geld (abgesehen von der Hintergrund-Existenzangst, die mich unabhängig von Epidemien und dergleichen aber immer schon begleitet und die inzwischen nicht weiter stört). Im Gegensatz zu all denen da draußen, die gerade aus einem Grund, der sich komplett ihrer Kontrolle entzieht, alles verlieren, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut haben. In den ersten Monaten hatte ich sogar noch viel mehr zu tun als jemals zuvor. Ich kann auch zu 100% von Zuhause aus arbeiten. Das ist natürlich schön für mich, auch wenn es mit drei Kindern dazu führt, dass ich an einem normalen Arbeitstag um die 50mal in zunehmend barschem Tonfall sagen muss "Jetzt nicht. Frag Papa. Später. Geh bitte raus. Tür zu! Ich muss hier noch kurz... das machen wir heute Abend. Versprochen!! Mach dir doch ein Müsli, ja? Das liegt im Regal. Nein, dem im Flur. Doch, das liegt da. Lass mein Telefon liegen. Ich brauch das. Mama kann jetzt nicht. Mama muss jetzt hier mal kurz." Ab nächster Woche können die zwei Kleinen wieder 20 Stunden pro Woche in die Kita, und der Große geht an zweieinhalb Tagen zur Schule und wird an den anderen zweieinhalb zuhause unterrichtet. Ich freu mich drauf, wieder ein bisschen Luft zum Atmen (und Arbeiten) zu haben. Auch wenn ich fest davon ausgehe, dass die dritte Welle dem in spätestens zwei Wochen wieder ein Ende machen wird. Kleine Kinder sind jetzt gerade nicht die idealen Hausgenossen, genau so wenig, wie gelockdownte Eltern für kleine Kinder die idealen Hausgenossen sind. Einerseits ist in unserem Haus mehr Leben, als man sich vorstellen kann. Andererseits ist mein innerer Anspruch, trotz allem immer irgendwie da, freundlich, fördernd und zugewandt zu bleiben, jeden Tag neu zum Scheitern verurteilt. Man sollte denken, im Scheitern bekomme ich inzwischen ein bisschen Übung, aber Pustekuchen.

Trotzdem habe ich, ein dickes Dankeschön geht hier an meine Schlafstörung, ein paar Zeitvertreibs-Tipps. Ich gucke gerade zum ungefähr dritten mal "30 Rock" neu, und es ist vollkommen klar, dass die Serie so heute nicht mehr gedreht würde. Aber sie ist und bleibt einfach großartig, lustig, unfassbar detailreich, und ich werde sie bestimmt auch noch ein siebtes Mal gucken eines Tages. Außerdem glotze ich mich nachts um zwei im Schneckentempo durch "Sex and the City" - vermutlich zum zwölften Mal. Und ihr könnt sagen, was ihr wollt: ich lass mich von keinem Bashing davon abbringen, dass das toll war und immer noch ist. Das sind und bleiben meine Mädchen. Außerdem können sie erstaunlich friedlich koexistieren mit "Handmaid's Tale", "Succession", "Pretend it's a city", und "I think you should leave".

Dann habe ich noch von der Shakti-Mat zu erzählen. Das ist eine Matte, die mit Plastikstacheln besetzt und SO stachelig ist, dass es ziemlich weh tut, wenn man sie beim Zusammenrollen aus Versehen an der falschen Stelle anfasst. Auf diese Matte soll man sich legen, am besten mit nacktem Oberkörper, und dann mindestens 20 Minuten so liegenbleiben. Es gibt eine Eingewöhnungsphase, die dauert ungefähr 30 Minuten (wenn man dazu Podcasts hört wie ich, sogar noch kürzer), und dann hatte zumindest ich kein Rückenproblem mehr. Die Matte erzeugt ein Gefühl, von dem ich bis jetzt nicht weiß, ob es gut oder doof ist, und entspannt mich dabei hinter meinem Rücken so stark, dass ich manchmal schon fast eingeschlafen wäre auf dem unbequemen Pieksding.

Nigella bleibt meine Königin, aber Prinzessin Alison Roman schreibt einen Newsletter, der mir jedes Mal wieder das Gefühl gibt, ich bin nicht allein (auf die andere Art, ihr versteht mich, oder? Nicht auf die Art, auf die ich sehr, sehr gern mal wieder allein wäre.)

Ich gehe außerdem gerne nachts spazieren und höre dazu den großartigen Podcast "The guilty Feminist" und zwischendurch "Joan and Jericha", auch wenn ich dabei so laut, hilflos und kreischend lachen muss, dass ich ein schlechtes Gewissen gegenüber den Anwohnern und ihrem wohlverdienten Schlaf bekomme.

Und zu allerletzt, während von unten das Getöse anschwillt, habe ich euch zu berichten, dass ich seit dem 21.Juni letzten Jahres keinen Tropfen Alkohol getrunken habe. Aber das ist einen eigenen Post wert, aus der Küche höre ich sekündlich lauteres Gebrüll nach Broten und Eiern, und ich fürchte, das Zeitfensterchen, in dem Mama ungestört und nicht-Job-bezogen am Rechner hängen darf, schließt sich jetzt gerade mit einem lauten Knall.

Samstag, 13. März 2021

Das ist die Kriiiiiiiiiise.

Klar gibt es Gründe. Es gibt immer Gründe. In diesem Fall gibt es aber vorrangig einen Grund, warum ich mich so lange nicht gemeldet habe. Dieser Grund ist die Krise oder auch die Kriiiiiiiiise. Die Kriiiiiiise (sorry, die Zeit zum Schreiben ist kurz und zu kostbar, um die iiiiis in Kriiiiise jedes Mal abzuzählen) ist etwas, das sich irgendwann vor ein paar Jahren zwischen L. und mir festgesetzt hat und irgendwie nicht wieder geht. Ich weiß nicht genau, wo sie herkommt, aber sie ist unbestreitbar sehr da. Wobei: selbst das kann man gar nicht so genau sagen. Denn zwischendurch ist sie auch so weg, als wäre sie nie dagewesen. In dieser einen Hinsicht erinnert sie an die Geburt eines Kindes, grauenvolle Schmerzen schütteln Dich von Kopf bis Fuß, Du willst einfach nur noch weg hier, es lässt sich wirklich keine Minute länger mehr aushalten - und dann ist es vorbei, und Du unterhältst Dich nett über Ferienpläne und Pizza. Du denkst schon, Du hast Dir das alles nur eingebildet, ist doch halb so schlimm, aber dann kommt die nächste Wehe bzw. in unserem Fall der nächste Streit, und BÄMM ist die Kriiiiise wieder da. Jedenfalls, wie schon erwähnt, sie ist da, und auch in den Pizza- und Urlaubsplanungs-Phasen beschäftigt sie mich sehr. Ich hab keine Ahnung, wie es weitergeht, ob es weitergeht, und ich bin immer noch mehr verwirrt als irgend etwas anderes. Ich hätte nicht gedacht, dass uns das passiert. Zumal wir in den Phasen "dazwischen" immer noch so sind, wie ich uns kennen gelernt habe - eben wie ein Paar, dem so etwas nicht passiert. Es vergeht keine wache Stunde, in der ich nicht darüber nachdenke. Und ich wollte in den letzten Monaten - Jahren - sorry, ich weiß, viel zu viel Zeit - so oft schreiben. Aber ich wusste nicht so richtig, wie und was. Denn ich hab immer über das geschrieben, das mich gerade in Atem hält, und jetzt ist es nun mal DAS hier, was mich in Atem hält, und darüber kann ich schlecht schreiben. Denn auch L. hat dazu eine Meinung, und was für eine, was sage ich: vermutlich hat er 20 Meinungen. Und die kommen hier naturgemäß nicht vor. Und er wäre mit Sicherheit nicht dafür, hier das Blog-Gremium abstimmen zu lassen, wer Recht hat und was zu tun ist. Ganz davon abgesehen, dass ich es irgendwie nicht richtig fände, Euch hier klammheimlich wie ein Tagebuch schreibender Teenie zum Auskotzen und Auf-meine-Seite-Ziehen zu benutzen. Darum ist das große Nr.1-Thema irgendwie verboten. Jetzt ist es aber so: auch zu Kinderwunsch-Zeiten habe ich ja nicht IMMER NUR über Kinderwunsch geschrieben, sondern es gab auch das große weite Themenfeld unter dem Label Normales Leben. Und das gibt es auch hier immer noch. Und ich habe das Schreiben hier wirklich vermisst. Und die Kinder sind inzwischen aus dem Alter raus, in dem sie alle zwei Stunden gestillt werden müssen, ab und zu kann Mama sich an ihren Rechner schleichen. Darum habe ich entschieden, dass es ab jetzt weiter geht. Vermutlich ist inzwischen auch die letzte von euch entmutigt und enttäuscht abgezogen. Niemand wird gerne geghostet, auch nicht unbekannterweise von einer Blogtante, die früher mal teilweise dreimal täglich schrieb und jetzt plötzlich so gar nicht mehr. Das kann ich verstehen. Aber als ich den Blog damals - 2009 war das, glaube ich - anfing, hab ich es erst mal tatsächlich nur für mich getan. Und so fange ich jetzt auch wieder damit an. So wenig ich sonst etwas entscheiden kann gerade, unter anderem mangels Energie und mangels Zutrauen zu mir und meinem Urteilsvermögen - eins hab ich entschieden: die Kriiiiiiiiiiiiiiiiise kriegt mich nicht klein. Und hier wieder zu schreiben, fühlt sich im Moment so an wie ein kleiner, trotziger Stinkefinger in ihr blödes Kriiiiiisengesicht. Wann kommt der nächste Beitrag? Morgen, nächste Woche oder in zwei Jahren irgendwann? Wir werden sehen. Ich hoffe, Ihr Abkürzungsdamen, Euch allen - wo immer Ihr auch seid - geht es gut, ihr seid glücklich, und die dickste Krise weit und breit kommt mit einem i aus und bezieht sich auf einen verstopften Abfluss, eine nahende Deadline zu einem an sich netten, aber gerade etwas nervenden Projekt oder einen eingelaufenen Mohairpulli, der aber eh nicht soooo schön war.