Donnerstag, 3. Dezember 2015

Wo war ich stehen geblieben?

Und dann war da noch der Umzug. Und ich schäme mich ein bisschen vor unserem alten Haus. Dieses klamme Gefühl, von dem hier schon öfter mal die Rede war, das Heimweh, mit dem ich fest gerechnet hatte, das ich aber bereit war in Kauf zu nehmen und irgendwie halt verdammt noch mal auszuhalten - nichts davon. Einfach nichts. Kein Tränchen in der letzten Nacht im alten Haus, kein tiefer Seufzer, kein wehmütiges Streichen über das hunderttausend mal angefasste Treppengeländer, kein Abschiedsschmerz für Türklinken, Spülmaschine, Vorratskammer, knarrende Treppenstufen, noch nicht mal für den Wintergarten. Stattdessen derbe Flüche darüber, dass die Aufräumarbeiten in der alten Hütte auch drei Wochen nach dem Umzug noch nicht endgültig erledigt sind. "Wie oft sollen wir denn da jetzt noch hinfahren?" keife ich L. an, und dann schäme ich mich ein bisschen. Echt, ich sollte mich mal reden hören. Es ist fast so, als hätte ich nach zehn Jahren eine Beziehung beendet, und abends reiße ich eine Flasche mit meinen Freundinnen auf, stoße auf die Freiheit an und denke nie wieder an den Kerl. Bin ich denn so oberflächlich? Das Haus war doch kein Liebesfehlgriff! Wir hatten es da doch gut! Wie viele Stunden, Tage, Monate, Jahre wir damit zugebracht haben, dort Teppichreste von Treppenstufen zu kratzen, Farben und Lampen und Lichtschalter auszusuchen, wie oft ich dort am Fenster stand und in die Bäume geguckt habe, wie lieb mir die alte Eiche im Nachbargarten war und die Erdbeerstelle und der Park gegenüber und all das - und jetzt soll das alles schon schnurz sein? Scheinbar ja.

Vielleicht kann ich kurz ein bisschen davon erzählen, wie es jetzt hier ist, und dann kommt es mir schon nicht mehr ganz so seltsam vor. Ich sitze hier im Bett mit meinem Rechner und gucke auf einen Kanal. Es ist ein sehr hübscher Kanal. Neben mir auf dem Nachttisch steht eine Flasche Augustiner Edelstoff - ein ziemlich leckeres und nicht sehr häufiges Bier, dass es aber bis Mitternacht im Kiosk zu kaufen gibt, zu dem ich keine zwei Minuten brauche, wenn die Ampel rot ist, und kaum dreißig Sekunden, wenn sie grün ist. Fahre ich zur Arbeit (was ich neuerdings wieder tue), dann könnte ich das mit dem Fahrrad tun, ich habe aber noch kein Schloss, deshalb fahre ich Bahn. Ich fahre drei Stationen. Es lohnt sich kaum, die Zeitung aus der Tasche zu ziehen. Am ersten Abend nach dem Umzug waren die Mädchen hier, und ich war so glücklich über meine Wohnung, dass ich kaum davon abzuhalten war, mit Flüppchen in der Hand den Passanten huldvoll zuzuwinken wie die Queen. Genau genommen war ich gar nicht davon abzuhalten. Inzwischen war auch schon wieder ein Mädchenabend bei einer der anderen, ich bin mit dem Taxi nach Hause gefahren und habe 6,50 bezahlt. 6,50! Das ist ungefähr ein Fünftel von dem, was ich sonst bezahlt habe. Lese ich jetzt ein Kochbuch und stoße auf ein Rezept wie z.B. gegrillte Lammrippchen, Rotbarbe, Ochsenschwanzragout oder irgendwas mit Pfahlmuscheln, dann seufze ich nicht wie früher und klebe da ein Wir-tun-mal-so-als-ob-das-jemals-was-würde-Post-it rein, sondern ich schreibe einen Einkaufszettel und gehe Ochsenschwanz kaufen. Überhaupt ist Einkaufen gehen hier schön, und einfach nur so rausgehen, ohne Butter oder Ochsenschwanz besorgen zu müssen, ist auch schön. Man kann hier nämlich z.B. eine Zeitung kaufen und einen Kaffee trinken. Oder man kann in eine Buchhandlung gehen, in der es tatsächlich Bücher zu kaufen gibt. Oder man kann ein paar Meter weiter gehen und auf dem kleinen Weihnachtsmarkt eine Schale leckere Biopommes essen. Die Leute hier sind nett. Teilweise haben sie einen schnöseligen Ruf, aber bisher tut dieser Ruf ihnen Unrecht. Ich stand hier schon an der Kasse hinter zwei männlichen Teenies an, die der Kassiererin "ein schönes Wochenende und einen schönen ersten Advent" gewünscht haben. Allen Ernstes, die sind nicht kichernd rausgerannt. Ich stand mit offenem Mund da. Die Kästen neben den Leergutautomaten, in die man seine Bons für gute Zwecke stecken kann, quellen über. Man lässt sich gegenseitig vor, lächelt sich an auch ohne Abschleppabsicht, man kotzt sich nicht gegenseitig auf die Schuhe - echt wahr! Und L. und ich bummeln und gehen mit dem Tier spazieren und haken uns ein und lassen die Leute vor und freuen uns einfach nur fast den ganzen Tag, hier zu sein. Bisher fühlt es sich noch an wie Urlaub. Ok, einen kleinen Streit um einen Parkplatz hatte L., und das Kindermädchen hat mich gewarnt, dass wir demnächst vielleicht Ärger wegen des Doppelkinderwagens im Keller kriegen könnten, aber noch ist es Urlaub.

Und das Röntgenzentrum für das MRT ist auch direkt um die Ecke! Jetzt weiß ich nämlich endlich, was mit der Misthüfte los ist. Nach... Moment... sieben Arztbesuchen, acht mal Physio, zwei mal Osteopathie und viel zu vielen Schmerztabletten weiß ich jetzt, dass ich einfach nur einen dämlichen Bandscheibenvorfall habe und infolgedessen einen dick entzündeten Nerv, der jetzt für die wehe Hüfte sorgt, außerdem für ein wehes Bein und einen wehen Fuß. Nun bekomme ich Krankengymnastik, sobald ich dazu Zeit habe, noch wichtiger sind aber scheinbar Kortisonspritzen, die die Entzündung bekämpfen (und leider für eine uffjedunsene rote Säuferbirne sorgen) und trage ein megahottes Rückenstützkorsett, eine Art extrabreiten Motorradgürtel. (Heute gab es eine halbe Stunde, als ich gleichzeitig das Rückenkorsett, den Stützstrumpf und das Femifree getragen habe, da fühlte ich mich kurz wie Robocop.) Und die Chancen sind nicht schlecht, dass die Bandscheibe einfach von alleine wieder an Ort und Stelle flutscht.

Und jetzt sind fast alle Kiste ausgepackt bis auf die, bei denen wir nur noch darauf warten, ob L. oder ich zuerst sage, dass wir den Kram doch im Grunde nicht mehr brauchen. Und das WLAN läuft nach anfänglichen Schwierigkeiten auch. Und ich habe keine Probleme mehr, innerhalb von einer Minute mein Rechnerkabel zu finden. Und ich falle auch abends nicht mehr total erledigt von den letzten 12 Stunden Schmerzen in der Hüfte tot ins Bett. Und bei den Kindern hat sich die Aufregung über den Umzug gelegt, so dass wir die Abende wirklich für uns haben. Und es kehrt so etwas wie Normalität ein. So dass ich hoffe - versprechen will ich nicht zu viel - dass hier nun nicht wieder acht Jahre Funkstille herrschen. Ich bin noch da! Nur jetzt woanders. (Und nein, ich schreibe nicht wieder heimlich einen zweiten Blog, in dem steht, dass ich schwanger bin.) (Bin ich nicht!) (Mann! Ehrlich nicht! MRTs! Kortisonspritzen! Schmerztabletten! Augustiner Edelstoff! Fluppen! Ehrlich.)

2 Kommentare:

  1. Wünsche dir viel Glück! Ich unterstütze dich. Meine Gebete sind mit Ihnen.

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  2. Moin Moin,

    menno,Flora,Du nimmst echt alles mit,was?
    Bandscheibenvorfall nun auch noch...
    Könnte das vielleicht auch der Mitverursacher des Pipiproblems sein? Nur so ein blöder Gedanke.
    Weil Du jetzt beide Baustellen gleichzeitig bearbeitest,weiß am Ende womöglich niemand ,welche Therapie denn letztendlich die (hoffentlich baldige) Besserung gebracht hat.

    Ich drücke weiter meine Daumen und wünsche Dir/Euch alles Gute!!

    Claudia

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