In letzter Zeit beobachte ich an L. manchmal eine gewisse Vorsicht beim Betreten der Wohnung. Als würde er kurz Witterung aufnehmen, wie die Stimmung so ist und was ihn heute für eine Überraschung erwartet. Ich grusele mich, aber ich kann ihn verstehen. Denn die Persönlichkeitsspaltung, die ich an mir feststellen muss, seit ich zwei kleine Kinder habe, kennt man sonst nur von extrem klischeehaften Serienmördern.
Darf ich also die Rasselbande vorstellen:
1. Psycho-Mama.
Wer denkt an Psycho-Mama? Niemand. Wenn man nicht alles selber macht. Psycho-Mama kommt nämlich im großen Stil zu kurz, und sie hält das alles hier nicht länger aus. Was genau eigentlich? Na, alles. Dass jedes Kleidungsstück innerhalb von Minuten schmutzig wird. Dass ihr in dieser Wohnung kaum noch etwas allein gehört, und die paar Dinge, die noch übrig sind, haben Macken, Sprünge und Flecken. Dass es seit zweieinhalb Jahren so gut wie keine Nacht mit mehr als vier Stunden Schlaf mehr gibt. Dass sich das ganze Leben manchmal so anfühlt, als würde sie nie wieder auf einen grünen Zweig kommen. Auf all diese Dinge könnte man mit Zähne zusammenbeißen, einem doppelten Schnäpschen oder mit einer gewaltigen Ladung Galgenhumor reagieren. Psycho-Mama denkt aber nicht dran. Sie rastet aus. Sie faucht Anweisungen, und wehe, die werden nicht sofort befolgt, dann verfärbt sie sich tiefrot und macht ihrem Zweijährigen eine Szene. Oder ihrem Mann. Oder dem Hund. Auch Tränen fließen, und es sind immer die von Psycho-Mama, denn der Rest der Familie lacht sich tot über diese Dramen. Woraufhin Psycho-Mama Fluchtphantasien schmiedet. Ihr werdet schon sehen! Manchmal träumt sie davon, einfach in Jacke und Schuhe zu steigen, kurz mit einem feuchten Schwamm die Matschbanane von der Hose zu wischen, die Tasche umzuhängen, die Haustür hinter sich zuzuziehen und dann immer der Nase nach, kein Blick zurück. Ich fürchte, Psycho-Mama schaukelt mit dem Oberkörper vor und zurück, während sie mit einem dümmlichen und sentimentalen Serienkiller-Lächeln dieser Phantasie nachhängt. Wehe, jetzt kommt jemand an und erwähnt das ebenso Offensichtliche wie jetzt gerade überhaupt nicht Weiterhelfende: Dass sie selbst unbedingt Kinder wollte und niemand sie gezwungen hat, eher im Gegenteil. Dass sie ihre Kinder heiß und innig liebt. Dass sie so ein Riesenglück hat. Dass sie sich sowieso mit Kitaplatz für beide und Kindermädchen (!!!) an drei halben Tagen in der Woche nicht zu beschweren hat und einfach mal die Klappe halten sollte. Wie gesagt: Offensichtlich, und gerade jetzt überhaupt nicht Weiterhelfend. So isse! Die gute alte Psycho-Mama.
2. Effie-Mama.
Werbefüchse wissen: Effie steht für Effizienz. Zack-Zack! Effie-Mama hat statt einem Nervenzusammenbruch immer einen Plan, sie nimmt sich einen großen Plastikbottich und geht dreimal durch die Wohnung. Bei der ersten Runde sammelt sie achtzig kleine Socken und Pullis und Hosen und Halstücher ein und wirft sie in die Waschmaschine. Zweite Runde: Geschirr, Plastiklöffel, Fläschchen. Dritte Runde: Spielzeug, ab damit in die großen Schubladen im Esszimmer. Geht doch! Dann legt Effie-Mama Michel schlafen und schickt Kalle mit Papa zu Budni, neue stinkende und klebrige Bodylotion kaufen, und weil bei Effie-Mama keine drei Minuten ungenutzt bleiben, klappt sie sofort den Rechner auf, um ruckzuck die Steuererklärung zu machen. Bringt sie einen Stapel Bilderbücher ins Kinderzimmer, nimmt sie auf dem Rückweg gleich eine volle Windel mit und klemmt sich den Teddie unter den Arm, den Michel bestimmt gleich haben wollen wird. Sie segelt durchs Leben wie eine gut organisierte Oberkellnerin auf einer warmen Welle von Selbstzufriedenheit und Kontrollgefühl, was haben die alle nur, diese Mütter, die nicht zum Duschen kommen oder zum Schlafen? Man muss das nur alles richtig organisieren, dann läuft es doch. Wer kocht eine Portion Nudelsauce, wenn er genau so gut zwölf kochen und elf davon einfrieren kann? Applaudiert ihr nur, ich mach nur rasch den Abwasch! Ich freue mich immer, wenn Effie-Mama dran ist, weil hinterher die Wohnung besser aussieht und die Kinder auch gut mit ihr klar zu kommen scheinen. Aber gleichzeitig würde ich Effie-Mama wirklich gerne den Hals umdrehen, einfach dafür, dass sie wegen fünf Minuten Oberwasser immer sofort vergisst, dass auch diese Gelegenheiten zum Ordnung-Machen und Ausruhen und Sachen Erledigen im Moment reine Glückssache sind. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass ich Effie-Mama diesen Bandscheibenvorfall zu verdanken habe.
3. Anti-Mama.
Obwohl ich (also, die Summe all dieser Mamas und die nicht Mama-bezogenen Persönlichkeitstrümmer drum herum) immer schon gesagt habe, ich hätte mir früher nie Gedanken ums Kinderkriegen gemacht, habe ich das scheinbar doch, heimlich und hinter meinem Rücken. Woher kämen sonst diese vielen Vorstellungen davon, wie Anti-Mama das alles NICHT machen will? Anti-Mama will nicht in Babysprache mit ihren Kindern sprechen. Sie will gleichzeitig aber auch auf keinen Fall eine dieser Mütter sein, die zu ihrem Zweijährigen sagen "Nein, Henrik, das hatten wir besprochen, jetzt musst du auch ipso facto die Konsequenzen tragen." (Wobei Anti-Mama so eine Mutter noch nie außerhalb einer Kolumne oder eines Blogposts gesehen hat, aber vorsichtshalber will sie klarstellen: SO EINE will sie auch nicht sein.) Sie will nicht tausende von Euro (die sie auch gar nicht hätte) bei petit bateau ausgeben, aber sie will auch nicht, dass ihre Kinder aussehen, als würde das Konzept Menschenwürde erst ab 18 gelten. Sie will kein antiautoritärer Schluffi sein, aber auch kein Dragoner. Das Problem ist, dass fast jede Handlung, jedes Wort, jede kleine Geste Anti-Mama in ihren eigenen Augen gefährlich nah an eins der feindlichen Lager bringt. Daher fällt es ihr schwer, überhaupt irgendwas zu tun oder zu sagen, und tut sie es doch, fühlt es sich sofort an wie ein Fehler. Passiert das zu häufig, lädt sich Psycho-Mama gerne mal bei Anti-Mama zum Tee ein, und dann wird's lustig.
4. Blogger-Mama.
Hihi, es ist 16 Uhr, ich bin noch im Schlafanzug! Aber hatte ich nicht immer gesagt, ich will mal einen Job, bei dem ich im Schlafanzug arbeiten kann? Haken dran, Bruharrharr! Nora Ephrons Mama hat immer gesagt, alles ist Copy, womit sie meinte, jeder Mist, der passiert, bietet Material für einen zukünftigen Lacher oder eine anderweitig tolle Geschichte. An meinem Pulli klebt Kinderkotze, gerade bin ich in Socken auf ein Holzkrokodil getreten, und das Krokodil hat gewonnen, auch heute machen Kalle und ich wieder ein gemütliches Pommes-Picknick auf einer Wolldecke im Wohnzimmer, weil ich zu kaputt zum Kochen bin und man den Küchentisch unter all dem ungespülten Kram kaum sieht, habt ihr meine Augenringe gesehen? Und meine Haare? Ist das hier ein Bad-Hair-Year oder was? Ach was, Year, mach Life draus! Blogger-Mama gerät von einem Missgeschick ins nächste und fühlt sich dabei, als würde sie in einem der witzigeren Mama-Blogs oder in der Brigitte Mom leben. Das ist vielleicht keine schlechte Strategie, um die ganz große Verzweiflung abzuwehren. Aber das Problem ist, so witzig und ein bisschen scheißegal, wie Blogger-Mama sich das gerne immer wieder sagt, ist es nicht, zumindest nicht für sie. Blogger-Mama bleibt auch nie für lange, die verschwindet wieder, wenn den restlichen Mamas hier klar wird: alles gut und schön mit der Copy und Material für zukünftige vorerst nur in meiner Phantasie existierende Drehbücher, aber irgendwer muss jetzt aufstehen und die Wäsche machen, das Krokodil und seine Kumpels wegräumen, Essen einkaufen und zubereiten und die Tupperdosen aus den Kitataschen holen und spülen und möglichst schmerzfrei die Rotzkrusten aus zwei Gesichtern entfernen. Und dann gucken wir mal, ob ich nachher um 20:00 noch wach genug bin, um das irgendwo aufzuschreiben für später.
5. Wenn-Kinder-Kinder-kriegen-Mama.
Erinnert sich jemand an den Film "Big", in dem ein Zehnjähriger sich wünscht, erwachsen zu sein, und plötzlich Tom Hanks ist? Aber innerlich noch zehn Jahre alt? So ungefähr. Man sollte meinen, dieser Typ Mama kommt nicht zum Zug, wenn man mit 39 und 40 seine zwei Kinder bekommt, aber Pustekuchen. Diese Mama kauert mit ihren Kindern auf dem Teppich und spielt Playmobil, liest sich an Bilderbüchern fest, bis Kalle drängelt, dass jetzt aber die nächste Seite dran ist, und steigt immer als letzte aus dem Karussell auf dem Spielplatz wieder aus. Bei der Ferienplanung lenkt diese Mama schon mal die Diskussion ein paar mal mehr oder weniger geschickt in Richtung Center Parks, und zwar nicht wegen der Kinderbetreuung, sondern wegen der Wasserrutschen. Das wäre alles gut und schön, wenn ihr nicht beim Playmobil schon mal ein Kind ausbüxen würde und sie es erst zehn Minuten später merkt und dann aus der offenen Spülmaschine ziehen muss. Kein Wunder, dass die Gören keinen Respekt vor den Ausrastern von Psycho-Mama haben. Diese Mama kann sich außerdem ziemlich genau daran erinnern, wie sich das alles angefühlt hat als Kind. Ja, auch als sehr kleines Kind. Und darum fällt es ihr manchmal schwer, Machtworte zu sprechen oder einfach mit Tunnelblick Zubettgehzeiten und dergleichen durchzudrücken, wie sinnvoll das auch immer sein mag. Ach je, ach je. Wer sagt, dass es den Peter Pan-Komplex nicht auch für große Mädchen gibt? Bzw. mehr oder weniger sauber abgespaltene Grpße-Mädchen-Persönlichkeits-Splitter?
So viel für heute. Und nächstes Mal stelle ich euch noch Hippie-Mama, Horror-Mama, Knetmännchen-Mama, Goldkanten-Mama und Groundhog-Day-Mama vor.