Dienstag, 17. Oktober 2017

Das alte Lied von den dicken Onkeln und den dünnen Nerven

Ich hatte eine Bekannte mit unfassbarem Selbstvertrauen. Job, Sport, Erziehung, Bildung, Kochen, Aussehen, Stil, egal was: sie hatte es drauf. Anfangs dachte ich, die kann was! Dann dachte ich irgendwann, na ja, die einen sagen so, die anderen sagen so, jedenfalls ist sie sehr nett, das ist ja die Hauptsache. Dann kam die Phase, als mir aufging, dass ich die meiste Zeit in ihrer Gegenwart dachte, was redet die denn da? Ist das ihr Ernst? Das hat sie gerade nicht ernsthaft gesagt, oder? Und auch wenn bei mir manches etwas länger braucht als bei anderen, leuchtete mir irgendwann ein, dass das keine Basis für eine Freundschaft ist: der eine mit riesigen Sprechblasen, die praktisch jedes Kästchen im Comic komplett ausfüllen, und der andere immer mit dieser Denkblase mit der kleinen Spirale und dem Smiley ohne Mund.

Sie hatte unter anderem die Eigenart, imaginäre Interviews zu geben, und das geht so: man bummelt die Straße entlang und redet gerade über etwas ganz anderes, den Hund, Weihnachten, was auch immer, und sie sagt plötzlich "Weißt du, mein Trick ist, alles ganz einfach. Das Leben ist zu kurz für Ewigkeiten im Bad, sag ich immer! Nicht mehr jeden Tag Reinigung, Tonic, Tagespflege, Sonnenschutz, Primer, Concealer - nein, eine Creme für morgens und abends, Sonnencreme praktisch überhaupt nicht mehr, Make-Up habe ich beschlossen, nicht nötig zu haben, und ich kaufe nur noch Naturkosmetik. So einfach, haha! Und das Beste ist, es funktioniert!"

Als hätte ich gefragt. Als hätte ich gesagt "Du musst mir unbedingt mal verraten, wie dieser Bomben-Teint zustande kommt!" Oder "42 Jahre - und einfach nur Wow. Wie machst du das?" Als würden wir zusammen auf einer Couch im Studio einer Promisendung sitzen.

Davon hätte ich gerne etwas ab. Nur ein bisschen! Vielleicht so viel, wie sie im dicken Zeh hat. Und dann würden die Dinge hier mal ins Rollen kommen. Dann würde ich mich angesichts anstehender Entscheidungen nicht bis zum Bandscheibenvorfall winden. Dann würde mir der Wiedereinstieg in den Job nicht in erster Linie Angst machen. Dann wäre ich stolz wie Bolle darauf, so kurz hintereinander drei Kinder bekommen zu haben (und das, obwohl wir alle nur zu gut wissen müssten, dass das absolut nichts mit irgend einer Art von Verdienst meinerseits zu tun hat - egal: ich wäre stolz.) Ich würde mit meinem Doppelkinderwagen wie ein Schneepflug über den Bürgersteig heran donnern, und alle würden gerade noch so zur Seite springen, aber ich würde mich niemals entschuldigen. Dann wäre mir total egal, ob die anderen Damen in der Kita das mit der Erziehung und den Elternpflichten und dem einzig richtigen Weg so ganz anders sehen als ich, ich wäre eben ich und die wären die. Dann würde ich entweder eine Diät machen und mich bei niemandem dafür rechtfertigen oder meinen Bauch und das Hüftgold behalten und jedem die Zunge rausstrecken, der mich abschätzig anguckt. Vielleicht würde ich extra was Bauchfreies anziehen, nur um zu beweisen, wie unfassbar gut ich auch mit verwohntem Drei-Baby-Bauch aussehe! Ein Statement-Bauch. Dann hätte ich auf einen Schlag ungefähr 30 Themen, über die ich aus dem Stand posten könnte, und ich würde darauf pfeifen, was die Leute dazu sagen würden, die in diesen 30 Posts vorkommen würden, ob sie wollten oder nicht. Dann wäre das verdammte Buch vermutlich inzwischen fertig. Dann müsste ich jetzt nicht schon wieder aufhören zu posten, weil nachher die Putzfrau kommt und ich hier aufräumen will (auch aus der - eingebildeten oder echten? - Erfahrung, dass Putzfrauen jeden Respekt verlieren, wenn man nicht auch ohne sie ordentlich ist, und dann putzen sie nicht mehr gründlich, und man wirft ihnen sein bisschen Geld für nix in den Rachen. Alles schon passiert! Ich sag ja nur) denn ich würde denken, pah! So ist das eben, wenn man Kinder hat, da muss sie nun durch. (Und weil es mir bisher noch nicht gelungen ist, das Selbstbewusstsein aus dem dicken Onkel meiner Bekannten auf mich zu übertragen, denke ich jetzt in dieser Sekunde schon wieder darüber nach, dass das aber nicht ok ist, hier über meine Erfahrungen und Ängste bzgl. Putzfrauen zu schreiben, denn viele hätten gerne eine Putzfrau, haben aber keine, und nun bin ich vielleicht endgültig eine Eppendorfer Tussi, und herrje, keiner wird mich mehr mögen, wenn das so weiter geht. Und so vergehen kostbare Minuten, in denen ich am Rechner sitze und das Baby schläft. Wundert sich noch wer, wo eigentlich dieses Buch bleibt? Schriftsteller, die es allen recht machen wollen, die sollten vielleicht doch in der Werbung bleiben, denn so viele Drehbuchautoren braucht die Traumschiff-Redaktion auch wieder nicht.)

5 Kommentare:

  1. Ach Flora! Das wird wieder!

    AntwortenLöschen
  2. Flora, da klick ich spontan hoffnungslos auf den Blog und tatsächlich hast Du heut geschrieben! Ich freu mich!
    Schreiben kannste! Kannste Dir was drauf einbilden! Und so verworre Gedanken hab ich auch...man nervt sich irgendwie selbst damit, gell?!
    Auf jeden Fall wird das bestimmt noch mit dem Buch!
    Und ich drück uns beiden die Daumen, dass das mit dem Selbstbewusstsein und so noch irgendwann wird... :]
    LG
    Nina

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Flora,
    Juhuuu! ein neuer Beitrag von Dir!
    Und dann noch ein Juhuuu! dass Du eben NICHT wie die olle Bekannte bist, sondern Flora mit dem Fusselhirn und der SCHREIBE!

    AntwortenLöschen
  4. Hey Flora,
    Kopf hoch und nicht die Hände!
    Du machst das alles toll!
    Und wer nicht zweifelt ist d...!

    AntwortenLöschen