Montag, 22. Juni 2015

Angekommen.

Wir sind wieder da. Also, gelandet sind wir letzten Mittwoch um halb acht. Aber wirklich wieder da bin zumindest ich erst jetzt. Mit der Zeitverschiebung auf dem Hinweg sind wir immer gut klargekommen, der erste Abend fühlt sich einfach an wie eine lange, lange Hamburger Kneipennacht. Danach schlafen wir, so lange wir können, und ab dann läuft es. Zurück ist schwieriger. Seit Mittwoch habe ich jeden Tag die Stunden gezählt, bis die Kinder im Bett sind und ich endlich schlafen gehen kann, und wenn es dann so weit war, lag ich hundemüde und hellwach zugleich da und habe zugeguckt, wie es draußen schon wieder heller wird. Zombies schreiben keine Blogposts, darum habe ich das genau wie die Bügelwäsche seit Tagen vor mir hergeschoben. Liest hier überhaupt noch jemand? Für die paar dürren Zeilen zum Thema Schlafentzug, Dankbarkeit vs. Undankbarkeit und all den anderen täglich-grüßt-das-Muttertier-Kram? Mal sehen.

Jedenfalls:
Michel kann krabbeln! Seit bestimmt vier Wochen geht er schon auf Hände und Knie und hobelt dann mit Begeisterung vor und zurück. Zwischendurch hat er sich auch auf die Füßchen gestellt, eine Art herabschauender Hund. Aus dieser Position ist er dann manchmal auf die Nase gekracht, das kann nicht schön gewesen sein, aber es hält ihn nicht davon ab, es weiter zu versuchen. Und aus dem Hobeln ist inzwischen eine ziemlich gezielte Vorwärts- oder im-Kreis-Bewegung geworden. Ich lege ihn auf den Teppich, platziere ein buntes Spielzeug zwei Meter entfernt, und er macht sich auf den Weg. Weil er aber immer noch am liebsten den ganzen Tag auf meinem Arm sein würde, robbt er auch oft hinter mir her, und sobald ich stehen bleibe, ziehen zwei kleine Hände von hinten an meinen Hosenbeinen. Erstaunlich stark ist er auch, es kommt der Tag, da klettert er einfach an mir hoch wie an einem Laternenpfahl. Und weil Schlaf immer noch die alles verdunkelnde Gewitterdenkwolke über meinem Kopf ist, war spätestens mein zweiter Gedanke dazu: wie schön, vielleicht macht ihn das müder und wir schlafen demnächst durch? Ganz eventuell?

Ich darf nicht zu viel über Schlaf schreiben, sonst hypnotisiere ich mich selbst und krache gleich mit dem Kopf in die Tastatur, darum bringe ich es schnell hinter mich und dann auf zu neuen Themen. Seit Neuestem greife ich nachts zum Telefon, wenn ich ihn gefüttert habe, und schreibe auf, wie viel Uhr es ist. Die Idee war, dass ich so mit einem Blick auf mein Telefon sehen kann, dass es in der Tat besser wird, die Abstände länger usw. Jetzt ist es aber leider so, dass ich mit einem Blick auf mein Telefon sehe, dass es nicht besser wird. Während meine Eltern hier heldenhaft die Stellung gehalten haben, war Michel ebenfalls groß in Fahrt. Es tat mir leid, ich hätte ihnen eine etwas entspanntere Großeltern-Woche gewünscht. Aber ein klitzekleiner Teil von mir war auch ein bisschen erleichtert, nicht als Jammerlappen dazustehen, weil ich immer von Müdigkeit und Gebrüll erzähle und die Kinder plötzlich beide schlafen wie die Engelchen.

Ich hab die Kinder wirklich vermisst. Aber ich bin trotzdem froh, dass wir das gemacht haben. Es gibt verschiedene Arten von Erholung: die mit viel Schlaf, Bademänteln, Haarkuren und Herumlungern. Das hier war die andere. Auch im Urlaub haben wir selten mehr als fünf Stunden geschlafen, jeden Tag sind wir Kilometer um Kilometer weit herumgelaufen, und es war so heiß und schwül, dass ich an manchen Tagen drei mal geduscht habe. (L., das Wundertier, schwitzt nie.) Aber erholsam war es trotzdem, so viel Zeit zu haben, endlich mal wieder auszugehen, ohne auf die Uhr zu gucken, den ganzen Tag beide Hände frei zu haben, zu essen, ohne dass eine kleine Patschhand sich über den Tellerrand schiebt, die Zeitung zu lesen, ohne dass die gleiche Patschhand die Seiten zerkrumpelt und jede Menge kleine, scharfe und/oder stachelige Gegenstände herumliegen lassen zu können, ohne dass jemand auf die Idee kommt, damit Selbstmord zu begehen. Jeden Tag habe ich mir Kinderfotos auf dem Telefon angeguckt, und jeden Tag hatte ich meine sentimentalen zehn Minuten, in denen ich mich sofort nach Hause gebeamt hätte, wenn möglich. Zum Glück war es nicht möglich, denn die restlichen 23 Stunden und 50 Minuten war ich sehr glücklich, zu sein, wo ich war. Und jetzt bin ich wieder hier und auch darüber sehr froh. Michel krabbelt und strahlt jedes Mal, wenn er mich sieht (es sei denn, nachts zwischen zehn und fünf Uhr früh), und Kalle plappert und plappert und sagt die niedlichsten Sachen, reißt seit Neuestem sogar selbstgemachte Witze und erwärmt das müde Mutterherz, wo und wie er nur kann.

Michel kann nicht nur krabbeln, sondern ist auch mordsmäßig gewachsen. In die Babyschale des Einzelkinderwagens passt er schon lange nicht mehr. Wenn Kalle in der Kita ist, bin ich deshalb öfter mit ihm alleine im Doppelkinderwagen unterwegs. Und es vergeht wirklich keine noch so kurze Fahrt, ohne dass ich mindestens einmal von einer fremden Person gefragt werde, wo denn das Zweite ist? (Mit "fremder Person" meine ich wirklich fremde Person, die Kassiererinnen im Supermarkt usw. zähle ich da schon gar nicht mehr zu.) Ich antworte immer noch freundlich, aber ich kann nicht dafür garantieren, dass ich das immer weiter tun werde. Denn die Nachfragen kommen auch nicht immer im netten Plauderton, sondern manchmal ganz schön drängelig und zurechtweisend. Als würde die fragende Person befürchten, ich hätte Nummer zwei einfach irgendwo liegen gelassen und es nicht bemerkt. Eigentlich müsste ich mich inzwischen dran gewöhnt haben, dass Mütter und ihre Kinder für viele Leute zum Kommentieren da sind. Neulich war ich mit Michel im Doppelkinderwagen in einem Reformhaus. Der Wagen passte gerade so durch den Eingang, aber der Laden selbst war zu eng und vollgestellt. Also habe ich ihn kurz vor dem ersten Regal im ansonsten leeren Laden geparkt, um eben schnell mein vorbestelltes Shampoo an der Kasse einzusammeln. Zack, ging die Tür auf, eine ältere Frau pflanzte sich vor dem Kinderwagen auf und bellte mich an: "Gehört dieses Kind zu Ihnen?", erzählte mir was von verschwundenen Kindern, Verantwortungslosigkeit und versuchte dann, den Kinderwagen doch noch hinter mir herzuschieben. "Ein Kind gehört zur Mutter!" Es gab schon samstägliche Marktgänge, bei denen mir innerhalb weniger Minuten erst jemand sagte, meine Kinder wären zu kalt angezogen, und dann jemand anderes, ich sollte ihnen doch die Jacken ausziehen, die würden ja überhitzen. Die Reformhaus-Frau lieferte auch gleich die Begründung für ihr mutiges Eingreifen ab: heute wäre Zivilcourage gefordert, und sie würde nicht mehr schweigen, wenn sie "so etwas" sieht. In was für einer Welt leben wir, in der Mütter ihre Kinder einfach neben dem Regal mit den veganen Pasten parken und sich bis zu zwei Meter von ihnen entfernen? Andere wollen vielleicht einfach nur ein nettes Pläuschchen halten, wer weiß. Trotzdem wäre ich froh, sie würden einen anderen Anknüpfungspunkt finden. Ich hasse Einmischen, ich lasse es grundsätzlich bei anderen sein und wäre froh, wenn sie das genau so täten. Und unter den freundlichen Antworten staut sich ein so dicker Klops Gereiztheit an, dass vielleicht eines Tages jemand die volle Packung abbekommt, der doch nur nett fragen wollte... und sich nichts dabei gedacht hat... und es gar nicht böse gemeint hat. Und das täte mir leid.






24 Kommentare:

  1. Liebe Flora, natürlich liest hier noch jemand mit!!!!!! Schaue so gut wie jeden Tag "vorbei" und freue mich immer neue Einträge von Dir vorzufinden! Mach weiter so und lass den Kopf nicht hängen. Jede Durststrecke hat auch mal ein Ende-versprochen! LG Jana

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  2. Ich les auch immer so gern. Bitte weiter machen!

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  3. Jeden Tag schaue ich vorbei!!!!!
    Du machst das großartig!!
    Und zu den Einmischern kann ich nur sagen:
    Habe ich meinen KiWa damals überall durchgepresst ,hieß es oft : "Müssen Sie mit dem Teil hier unbedingt lang? Lassen Sie ihn doch am Gangende stehen!" aha,danke für die Empfehlung.
    Du siehst also,Flora. Wenn's das Eine nicht ist,dann isses halt das Andere. Hauptsache was gesagt.
    Einfach stur winken und lächeln.

    Habe ich schon gesagt,dass ich jeden Tag hier reingucke?

    Liebe Grüße,
    Claudia


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  4. Ich schließe mich meinen Vorschreiberinnen an. Juja.

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  5. Auch ich- als noch verbleibende Abkürzungsdame- lese immer noch sehr regelmäßig und mit größter Freude Deine Blog

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  6. dito aus der karibik

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  7. Natürlich liest hier noch jemand mit!!! Wäre auch bereit, noch mehr zu lesen ;)

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  8. Ich bin auch jeden Tag hier! TinaS aus HH

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  9. Auch aus Wien! LG Isa

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  10. Und dem Schwalenländle ;-)

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  11. Ich lese auch mit! Liebe Grüße aus Ostfriesland!

    Niemand schreibt so toll wie du! Wenn ich andere Kiwu Blogs lese denke ich immer: na da versucht doch wieder eine so zu schreiben wie die Flora.

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    1. Tssss. Meiner Meinung nach schreiben belle und isa von "manchmal ist es nie" den besten Blog ������������

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  12. Und Mönchengladbach :-)

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  13. und auch aus Zürich! :-)

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  14. Ich bin ehrlich. Ich hatte auf einen New York Bericht gehofft ! :) Isa

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  15. Und aus Hannover :-)

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  16. Und hier grüßt noch eine fleißige Leserin deines Blogs vom Niederrhein :-)

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  17. Und aus der Nähe von Köln.
    Aber auch ich hatte auf ausführliche Berichte aus New York gehofft. Da schließe ich mich Isa an.

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  18. ich lese auch mit, schöne grüße aus österreich! :)

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