Donnerstag, 26. Juli 2018

Jetzt aber.

Liebe Abkürzungsdamen,

selbst in diesem eigentlich blogfreundlichen Urlaub ist die Blogzeit kürzer als erwartet, darum will ich gar nicht viel kostbare Schreibzeit damit verschwenden, zu sagen, wie leid es mir tut, dass ich mich hier seit Wochen/Monaten/Jahren ständig tot stelle, sondern direkt schreiben, was es eigentlich zu schreiben gibt.

Erstens: Mutti hat einen Job, und hoffentlich dreht keiner durch.
Im Nachhinein kann ich natürlich leicht sagen, die Arbeitslosen-Krise war ein floratypisches Superduperdrama im Taschenformat, dass ich mich nicht so hätte aufregen sollen und dass doch eh klar war, dass das wieder wird. Aber die Wahrheit ist, ich hatte wirklich Angst, und hätte ich nicht zufällig eine Freundin, die in meiner zukünftigen Agentur arbeitet, wäre die Krise vermutlich auch jetzt noch nicht vorbei. Zur Erinnerung: Ich habe seit vielen Jahren in einer Agentur eigentlich fest gearbeitet, ohne dort jemals fest angestellt zu sein. Das lag nicht an den miesen Ausbeuterchefs, sondern aus irgend einem Grund wollte ich lange nicht fest dort arbeiten, und dann wollte ich irgendwann doch, aber dann war ich plötzlich aus dem Nichts im dritten Monat und hatte einfach nicht die Chuzpe, jetzt um einen Vertrag zu bitten. Dann kam die Elternzeit, in den letzten Wochen bis zum Mutterschutz hatte ich noch mal richtig viel zu tun, denn es war scheinbar schwerer als gedacht, eine Babyvertretung für mich zu finden, und tatsächlich habe ich bis ein paar Tage vor Entbindung noch oft genug zuhause am Rechner gesessen und mal eben schnell noch diesen einen kleinen Job gemacht. Es war nicht schön, aber es gab mir zumindest das Gefühl, gebraucht zu werden und mir nicht zu viele Gedanken darum zu machen, dass es nach der Babypause genau so weiter gehen würde. Dieses Gefühl wurde noch mal bestärkt, als ich zur Martinsfeier mit allen zusammen saß und mir strahlend und etwas angeschickert anhörte, wie sehr mich alle vermissen, dass sie es kaum erwarten können, wenn ich demnächst wieder an meinem Schreibtisch sitze und die Mikrowelle einsaue, und dass ohne mich sowieso alles Mist ist. Im Januar auf unserer Haus-Einweihungs-Party erzählten sie das dann noch mal. Und dann kam der April, die letzten Wochen der Kita-Eingewöhnung von Klärchen, und ich hatte ein Gefühl. Nur so ein Gefühl! "Du spinnst", sagte L., der von meinen Gefühlen prinzipiell nichts hält (auch wenn er oft genug sagt, ich hätte gar keine). Das Gefühl blieb. Dann habe ich ungefähr zwei Wochen vor dem geplanten ersten Arbeitstag mal da angerufen. "Oh, ach so", sagte die sehr nette Dame am anderen Ende. "Du weißt ja, wie es ist, im Frühjahr müssen wir immer so ein bisschen sehen, wie wir klar kommen. Ich sprech mal mit den Jungs (Anmerkung: Werbecode für Bosse) und melde mich dann wieder." Das war an einem Donnerstagmorgen. Am Nachmittag kam kein Rückruf. Ich sollte vielleicht dazusagen, dass diese Agentur räumlich sehr überschaubar ist, mit den Jungs zu sprechen, erfordert eigentlich nur, kurz die Stimme zu erheben. Freitag kam auch kein Anruf. Montag habe ich dann noch mal angerufen, und es zeigte sich, dass mein Gefühl Recht gehabt hatte: So leid es ihnen täte, sie hätten im Moment einfach nichts zu tun für mich. Das war schade, sehr schade. Vor allem, nachdem ich fest darauf gebaut hatte und nachdem ich viele Monate ungenutzt hatte verstreichen lassen, in denen ich natürlich mit Macht neue Kunden hätte rankobern können. Mich arbeitslos zu melden, war auch überhaupt keine Option, denn das letzte "normale" Geschäftsjahr, das für die Berechnung meiner Bezüge herangezogen worden wäre, war 2016 - in dem es ganz genau so gelaufen war mit dieser Agentur. Ich wollte eigentlich im November 2015 nach Michels Babypause zurück in den Sattel, aber auch da hatten sie plötzlich nichts für mich zu tun, und bis ich wieder richtig arbeiten konnte, war es Juni geworden. Das war also ein eher schwaches Jahr gewesen, mein Arbeitslosengeld wäre fast komplett von den zusätzlichen Kitastunden über die Basisversorgung hinaus aufgefressen worden, die mir als Arbeitsloser nicht mehr zugestanden hätten. Außerdem habe ich eine irrationale und durch nichts erklärbare Allergie dagegen, arbeitslos zu sein. Ich hatte also kein Geld, keinen Job und wusste nicht so richtig, was ich machen soll. Meine erste Bewerbung ging an eine Agentur, in der ich früher mal gearbeitet habe - vor den Kindern, vor einer Ewigkeit. Damals hatte ich dort gekündigt, weil sie meinen Teampartner auf ziemlich unelegante Art rausgekickt hatten. Sie haben damals alles versucht, um mich vom Bleiben zu überzeugen - sogar eine Viertagewoche zum Gehalt einer Fünftagewoche haben sie mir angeboten. Ich dachte damals, Charakter würde sich darin zeigen, jetzt hart zu bleiben. Ich blieb also hart und traf eine der dööfsten Entscheidungen meiner an doofen Entscheidungen nicht gerade armen Karriere. Aber doofe Entscheidungen kann man manchmal doch korrigieren, oder? Dachte ich jetzt und bewarb mich als Texterin in dem Laden, in dem inzwischen alle Leute, die mich damals halten wollten, entweder weg oder tot waren. Als Texterin kann man sich naturgemäß nicht gut mit einem Schreiben bewerben, das mit den Worten "Hiermit bewerbe ich mich auf die Stelle als Texterin" beginnt. Ich habe wochenlang an einer ganz besonderen Bewerbung gearbeitet, die ein möglichst genaues Bild von mir geben sollte. Dann habe ich sie abgeschickt mit dem Gefühl, das man vermutlich bei der NASA hat, wenn die Rakete nach jahrelanger Vorbereitung die Erdatmosphäre verlässt. Erst kam eine automatisierte Antwort, dann kam lange gar keine, und dann eine automatisierte Absage. Und auch wenn das die erste und bisher einzige Bewerbung gewesen war, war ich ehrlich, ehrlich fertig. Ich war zwei Wochen später immer noch fertig, als ich in der Küche meiner alten Freundin B. saß. Sie hatte Trost und kalten Wein für mich, während ich jammerte, könnte ja sein, dass Texterinnen händeringend gesucht würden, aber jedenfalls würde niemand händeringend nach 45jährigen Texterinnen in Teilzeit mit drei kleinen Kindern suchen. Und dann sagte sie, das wäre doch Quatsch, in ihrer Agentur gäbe es mit Sicherheit einen Job für mich. Am nächsten Tag hat sie ihren Chefs geschrieben und ihnen den Link zu meiner Homepage mit meinen Arbeiten geschickt. Und am übernächsten Tag hatte ich die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Zu dem ging ich noch mit gestrichen voller Hose, immerhin war das mein erstes Vorstellungsgespräch seit 18 Jahren. Der Boss begrüßte mich mit den Worten, er hätte meine Mappe gesehen, das wären ja richtig gute Sachen. Und dann habe ich ausgeatmet und es mir gemütlich gemacht, und am gleichen Abend kam der Anruf, dass ich am 1. August anfangen kann. Seitdem habe ich noch eine Woche frei dort gearbeitet, und es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe: ich bin überglücklich, morgens an meinen Schreibtisch zu kommen, mir zwei bis sieben Kaffee zu holen und dann das Maschinchen mal wieder rattern zu hören. Ich mache Überstunden, und so lange die Kinder gut betreut sind und zuhause niemand einen Rappel bekommt, genieße ich jede Minute davon. Ich mache Mittagspause! Was das für ein Glück bedeutet, kann glaube ich jede Mama in Elternzeit und ansonsten niemand da draußen im Jobleben verstehen. Und? Ist das jetzt eine gute Idee? Sollte ich nicht viel besser die Kitazeit auf Basisversorgung runterfahren und die freien Stunden nutzen, um endlich mein seit zehn Jahren geplantes Buch zu schreiben? Ich finde nein. Außerdem erzeugt die Arbeit eine derartig gewaltige manische Phase bei mir, dass ich mich genau so gut abends nach der Gutenachtgeschichte noch hinsetzen und ein paar Seiten schreiben kann. Es sei denn, dann muss ich mir demnächst noch schnell ein paar schicke Konzepte einfallen lassen.
Bin ich glücklich!

"Und? Habt ihr euch schon eingelebt?"
Haben wir, haben wir sogar schon so ungefähr zwei Tage nach dem Einzug. Es ist komisch, aber die Probleme zeigen sich genau da, wo ich sie schon bei der ersten Besichtigung vermutet hatten, und sie sind wirklich alle halb so schlimm. Hier sind sie: 1. Der Boden in der Küche und im Bad ist der gleiche wie überall sonst, ein geölter dunkler Holzboden, der natürlich wunderschön und schick aussieht, so lange kein Tropfen Wasser darauf fällt. Muss ich mehr sagen? Der Boden in Küche und Bad kommt jetzt schon hoch, obwohl ich ständig mit Lappen und Flüchen auf Wassertour bin. Schon die Tropfen, die aus Lilis Bart fallen, wenn sie getrunken hat, reichen vollkommen, um den prächtigen Boden zu ruinieren. An mehreren Stellen kommt er hoch. Da muss also demncähst was anderes rein, und dann ist gut. 2. Wir sitzen wie eine Spinne im Netz inmitten von achtuhunderttausend Einkaufsmöglichkeiten, was dazu führt, dass ich manchmal drei mal am Tag einkaufen gehe statt einmal richtig. Aber dieses supersüße Mickymausproblem wird demnächst der Job ganz von alleine regeln. 3. Die Treppen. Die Treppen waren bisher vollkommen okay, niemand ist runtergefallen und sie sind im Grunde ein 16-Stunden-Bauch-Beine-Po-Programm, obwohl ich komplett runter bin von meinem 5:2-Diät-Schema und ständig an der Frittenbude stehe, nehme ich kein Gramm zu. Aber jetzt läuft Klara. Anfangs hat sie sich auf den Treppen immer ganz vorsichtig an den Stahlseilen festgehalten, aber jetzt biege ich manchmal um eine Ecke und sehe sie plötzlich auf der zweiten Stufe von oben stolz wie Oskar freihändig stehen. Dann werfe ich mich nach oben wie Colt Seavers und fange sie auf. Irgendwann werde ich mal nicht dabei sein oder zu spät kommen, und dann wird es ganz schrecklich. Treppengitter sind keine Option, denn an den Pfosten lassen sie sich nicht befestigen. Hoffentlich hilft Daumendrücken und so oft wie möglich nicht von ihrer Seite weichen. Sie ist ein enorm standfestes Kind, die Stufen sind mit Teppich beklebt, und et is noch immer joot jejangen, aber mehr fällt mir gerade auch nicht ein. 4. Alle können jetzt sehen, wie unordentlich wir sind. Während bei den Nachbarn durch das Küchenschaufenster immer das gleiche funkelnde Display aus Tipptopp-Küchengeräten zu sehen ist, guckt man bei uns auf den Abwasch und die Schleichdinos und all sowas. Was das betrifft, muss ich wohl entweder den Hintern hochkriegen oder mich entspannen. Ich habe mich für eine Mischung aus beidem entschieden.
Von diesen kleinen Meckereien abgesehen sind wir sehr glücklich dort. Die Nachbarn sind reizend, das Minigärtchen hat genau die richtige Größe, die Zwischenwände schlucken jedes Geräusch, so dass die Kinder rund um die Uhr Schlagzeug spielen könnten, wenn es nach den Nachbarn ginge, und ich finde es toll, jetzt die paar hundert Meter weiter in etwas weniger poshes Gebiet als bisher vorzudringen und trotzdem noch auf den schönen Markt von früher, in die gleiche Kita und mit den Kindern zu ihren alten Freunden zu können.

Schönen Gruß von der Familie.
Es tut sich eine Menge, aber weil ich mich nach wie vor weigere, Elternfachbücher zu lesen, kann ich Euch jetzt wenig über Phasen oder Stufen oder Prozesse oder Familienkonstellationen erzählen. Klärchen kann jetzt laufen, das hatte ich ja schon erzählt. Jetzt ist mir aufgefallen, dass das ulkige Gebrabbel, das sie den ganzen Tag und auch mehrer Stunden nachts von sich gibt, manchmal ziemlich viel Sinn ergibt: dann wird aus "Assassaalea" plötzlich "Das Wasser ist leer". Oder aus "tumama" "Zumachen". Schaukeln kann sie auch schon, und das können die Jungs bis heute nicht ohne anschubsen, was mir sehr peinlich ist. Meine Große! Sicher hochbegabt, oder? Nur schlafen kann sie nicht so gut und ich entsprechend auch nicht so. Die Jungs, zeigt sich inzwischen, haben beide diese ulkige Fähigkeit von L. geerbt, ihre Zunge seitlich einzurollen. Von mir haben sie geerbt, die letzten auf der Tanzfläche zu sein, jedenfalls hier in der Kinderdisco. Ansonsten will ich immer noch nicht so viel von ihnen erzählen, aus Rücksicht darauf, dass es ihnen eines Tages entsetzlich peinlich sein könnte. Was mich betrifft, muss ich zugeben, dass die Mutterliebe sich bei mir oft ziemlich seltsame Bahnen bricht, mit denen die Kinder nicht so viel anfangen können. Gestern Abend wollte ich ihnen z.B. Charlie und die Schokoladenfabrik vorlesen, was Kalle einigermaßen ok fand, aber Michel mit Protestgeheul beantwortet hat. Letzte Woche hatte Kalle Geburtstag und hat von mir einen Berg Geschenke bekommen, von denen mir erst beim Auspacken klar wurde, dass das fast alles Sachen waren, die ich mir selbst als Kind gewünscht hätte. Was sagen wir dazu? Erst mal nichts und dann demnächst vermutlich eine Menge.


2 Kommentare:

  1. Wie schön, mal wieder was von dir zu lesen!

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  2. Guter Artikel freut mich das du wieder aktiv ist.Habe meinem Sohn zum Geburtstag eine Mottorafjacke geschenkt und reakisiert wie alt mein "Kleiner" schon geworden ist.Grüße Jenny

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