Mittwoch, 3. November 2010

Der Enantoneflunsch

Und dann hat es mich doch noch erwischt. Gerade, als ich dachte, ich komme mit allem davon. Mit Synarela, Gonal, Estrifam, einfach mit allem, ohne die klitzekleinste Nebenwirkung – und wenn doch, dann nur Nebenwirkungen, die irgendwie drollig sind; Sachen wie dicke rote Beulen oder kleine lila Punkte, mit denen man auch noch herumprotzen kann.

Und gerade schleppe ich mich durch ein paar Tage, an denen ich jederzeit bestätigen kann: wenn Enantone auf seinen Beipackzettel schreibt, Depressionen und Stimmungsschwankungen gehören zu den sehr, sehr häufigen Nebenwirkungen, dann ist das wohl so.
Ich wache morgens auf und könnte heulen. Einfach so. Oder fluchen. Egal, was von beidem, eins könnte ich jedenfalls nicht: aufstehen. Und es liegt nicht am Wetter, ich MAG Herbst. Ich liege da und wünsche mir, dass das alles zum Teufel geht: das Haus, der Job, alle. Ich denke mir: das war ein schwerer Fehler, diesen Job anzunehmen. Ein schwerer, schwerer Fehler. Du schaffst das nicht, das wächst dir alles über den Kopf, alle wollen immer was, und du hast seit Wochen und Monaten nicht mehr auch nur einen Tag gehabt, an dem du von morgens bis abends frei warst und machen konntest, was du wolltest. Du kannst ja noch nicht mal nach einer Operation, auf die du dich genau aus diesem Grund sogar gefreut hast, auch nur ein paar Tage unbehelligt zuhause bleiben und dich erholen. Noch nicht mal das. Und wenn ich damit durch bin, mit dem Job zu hadern, dann kommt das Haus dran. Schlimmer Fehler, das Haus. Ganz schlimmer Fehler. Unser Badezimmer ist ein Trümmerhaufen, an allen Ecken liegen Staub und Gesteinsbrocken, und es gibt nur ein paar Inseln, wo alles in Ordnung ist. Sobald man sich links und rechts von den Inseln bewegt, versinkt wieder alles in Unordnung und Chaos und Zerstörung. Ich wohne jetzt am Ende der Stadt, wo ich nie sein wollte, und wenn ich Glück habe, werde ich hier fünfmal im Jahr Besuch bekommen. Ich bin in diesem Stadtteil umgeben von Menschen, die in Hausschuhen und mit Bierflasche in der Hand einkaufen gehen, und so, wie ich mich jetzt fühle, werde ich es bald genau so machen. Ich zahle jetzt jeden Monat 1000 Euro Miete, ganz zu schweigen von all dem Geld, das noch auf uns zukommt für Lampen, Krempel, Handwerkerkrempel. Noch vor Kurzem war ich mitten in der Stadt, genau da, wo ich immer sein wollte, habe ÜBERHAUPT KEINE Miete gezahlt, weshalb es nicht schlimm war, wenn ich mal eine Weile nicht so viel gearbeitet und verdient habe, und irgendwie war fast jeder Tag ein Tag, an dem ich machen konnte, was ich wollte. Jedenfalls bilde ich mir das jetzt so ein, dass das damals alles toll war – jetzt, wo ich hier so liege und will, dass das alles aufhört, und zwar jetzt sofort und egal wie. Und mit egal wie meine ich egal wie. In diesem ganzen Saustall irgendwie unbehaglicher, ungewollter und negativer Gefühle ist die Oberwutz im Moment das Gefühl „Ich kann nicht mehr. Und ich will auch nicht mehr.“
Ich weiß, da draußen sind viele Tausend, Millionen oder sogar Milliarden Menschen, die haben dieses Gefühl jeden Tag. Ich weiß nicht, wie die damit fertig werden, aber sie haben meine tiefste Bewunderung dafür, dass sie trotzdem jeden Tag das Haus verlassen, in die Ubahn steigen und zur Arbeit fahren. Ich habe jetzt noch sechs Wochen davon vor mir, bis auch die zweite Enantone verpufft ist, und ich weiß noch nicht, wie ich es auch nur bis sagen wir mal nächsten Samstag schaffen soll, ohne meinen Mann zu vergrätzen, meine Kollegen anzubrüllen oder einfach spontan zu kündigen. Alles. Job, Auftrag, Behandlung, Handyvertrag, alles.

So sieht’s aus. Und morgen hoffentlich wieder besser.

5 Kommentare:

  1. Ich versuch jetzt einfach mal so was - nicht erschrecken:

    Du bist ein Sonnenschein!

    Ich kenn Dich nur ein bisschen und ich finde Dich toll und was Du machst und Du bist für so viele Frauen hier ein Lichtblick im dunklen Tal der Kinderwunsch-AufundAb und der im Kopf matschig machenden Hormone mit Deinem grossartigen Humor und Deiner Sicht der Dinge und ich kann nur sagen: ALLES WIRD GUT! Versprochen!

    Ganz liebe - extra sonnige - Grüsse,
    die Schoko

    Achtung: Dies soll kein Kitsch sein, sondern einfach nur lieb gemeinter Kommentar.

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  2. Liebe Flora,
    auch von mir: es geht vorbei, ganz ganz sicher! Und: es IST das gemeinste und schlimmste an alle dem Irrsin, dass die Hormone auch die Kopf-Chemie verwurschteln und sich nich mit unseren Eierstöcken zufrieden geben können. Aber: es ist eben auch "nur" Chemie. Die kriegt uns nicht und sie ändert sich wieder! Jetzt isses kurz dunkel, ok,.... und dann wird alles wieder gut!
    LG, I.

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  3. Ooooh, ich weiß genau was du meinst. Ist wirklich das Letzte, so ein Stimmungstief. Aber das gute an Stimmungsschwankungen ist, dass sie schwanken (und nicht ewig im Tief bleiben)! ;-) Ich weiß, wovon ich rede, meine Hormone spielen nämlich auch ohne Medikamente schon russisches Roulette mit meiner Laune. In schlechten Phasen sag ich mir einfach immer wieder, dass das auch vorbei gehen wird. Und irgendwann tut's das dann auch :-) Also Kopf hoch... und vielleicht noch den Liebsten und Freunde drüber informieren, dass sie nix mit dem Stimmungstief zu tun haben.
    LG Andrea

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  4. Ha-da muss ich mal sagen, so amüsant hab ich das ganze Thema noch nie gelesen.
    Ich selber stecke gerade mitten in der ICSI-Spritzerei und kann dich gut verstehen!

    Dass nach einem Tief wieder ein Hoch kommt und nach jedem Regen wieder Sonnenschein brauch ich dir wohl nicht mehr raten--ist aber zu meinem eigenen Mantra geworden :-)

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  5. Liebe Flora, wünsche dir auch gute Besserung, und dass das Tief ganz schnell vorbei ist! Zu wissen dass es die Hormone sind, ist finde ich schon immer ein erster Schritt dazu, net völlig zu verzweifeln...

    Toller Blog!

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