Samstag, 10. Januar 2015

Probleme eins bis neun in ungeordneter Reihenfolge.

Problem Nr.1:
Aus irgend einem Grund führt die Schiene dazu, dass Michel keine Fläschchen mehr will, sondern nur noch gestillt werden. Leider kapiert meine Milchproduktion das nicht so schnell, wie sie sollte, so dass er ständig Hunger hat. Allerdings ist der Hunger nicht so groß, dass er nicht jedes Mal auf meine einwandfrei zubereiteten und temperierten Fläschchen reagiert, als wollte ich ihm kochende Batteriesäure füttern.

Problem Nr.2:
Er mag die Schiene einfach nicht. Und zu Anfang nehme ich sie und die Schühchen noch öfter mal ab, um zu kontrollieren, ob sich Druckstellen oder sogar Blasen gebildet haben. Immer nur für eine Minute, aber jedes Mal, wenn ich danach das ganze Gerät wieder an ihm festschnalle, sprengt das Gebrüll meine Trommelfelle.

Problem Nr.3:
Nach dem Gips sieht der rechte Fuß wirklich merkwürdig aus, auch wenn mir versichert wurde, das wäre alles im Rahmen und würde sich von selbst geben. Zum Beispiel hängt der kleinste Zeh jetzt nicht neben, sondern unter dem zweitkleinsten. Mich macht das nervös. Dienstag sind wir wieder da, dann muss ich darüber noch mal sprechen.

Problem Nr.4:
Nervös macht mich auch sonst noch so Einiges. Z.B. auch, dass seine Füße eben noch nicht in der Lage sind, unten und hinten am Schuh anzuliegen. Laut Internet sollen sie das, aber es geht eben nicht. Wollte ich, dass die Füße an der Ferse und der Sohle am Schuh anliegen, dann müsste ich sie ihm brechen. Der Gipsmann hat gesagt, das kommt noch, mich macht es trotzdem kirre. Nach dem Termin am Dienstag ist vorgesehen, dass wir drei Monate lang nicht wiederkommen mit ihm. Ich hab keine Ahnung, wie das gehen soll, ohne dass wir durchdrehen - vor allem nach der Erfahrung mit vier Wochen Gips und "Wird schon werden, ist bisher immer gut gegangen" von dieser Woche. Wie fest ist bei diesen Sandalen zu fest? Wie locker ist zu locker? Was heißt hier "Wird schon", wann wird es schon? Woran sehe ich, ob es jetzt wird? Wann ist es zu spät? Woran unterscheide ich harmlose von gefährlichen Druckstellen? Und immer so weiter.

Problem Nr.5:
Ich weiß, man sollte immer einen Tag nach dem anderen sehen. Aber im Moment türmt sich diese ganze Behandlung als Riesenberg vor meinem inneren Auge auf. Das waren jetzt seit Mittwoch noch nicht mal ganz drei Tage - und er soll die Schiene ein Jahr lang rund um die Uhr und danach noch vermutlich bis zu seinem fünften Geburtstag zwölf Stunden pro Tag tragen. Im Moment denke ich nur: ach du Scheiße.

Problem Nr.6:
Die Nächte. Die Nächte sind einfach ein Albtraum, seit die Schiene dran ist. Am Abend, nachdem er sie bekommen hat, war ich bei einer Freundin mit ihm. Ich habe ihn im Maxicosi aus dem Auto in ihre Wohnung getragen, in das leicht abgedunkelte Nebenzimmer gestellt, und wenn die Damen ihn nicht unbedingt hätten besichtigen wollen, hätte ich ihn da für die kompletten zweieinhalb Stunden des Besuchs auch lassen können, so fest und friedlich hat er geschlafen. Ich war schon voller Optimismus. "Seht ihr, das war der Gips! Der Gips hat ihn so geärgert! Jetzt wird alles gut! Hach, endlich wieder schlafen!" Seitdem habe ich in keiner Nacht mehr als zwei Stunden bekommen. Wie er das macht - wo er doch angeblich zwanzig Stunden pro Tag braucht - ist mir ein Rätsel. Eigentlich schläft er gerade nur in zwei Situationen: während des Stillens (was früher in Ordnung gewesen wäre, aber jetzt nie lange vorhält, weil er, wenn wir beide auf der Seite liegen, nach kürzester Zeit wegen der Schiene in sich verdreht umkippt und so nicht liegen bleiben kann) oder wenn ich ihn im dunklen Zimmer herumtrage. Die magische 48-Stunden-Grenze nach dem ersten Anlegen der Schiene war gestern nachmittag und hat ihn völlig unbeeindruckt gelassen.

Problem Nr.7:
Kalle findet die Schiene extrem interessant. Wie toll, der kleine Bruder hat jetzt einen praktischen Griff! Mann.

Problem Nr.8:
Weil Michel jetzt noch mehr Aufmerksamkeit braucht, wird Kalle langsam eifersüchtig. Ich kann's verstehen, viel dagegen tun kann ich leider nicht außer besonders lieb und aufmerksam mit ihm sein, mich noch mehr zum Hirschen machen und jede freie Sekunde, die nicht von Michel beansprucht wird, jetzt in Kalle stecken. Ich weiß, das ist doof und ein typisches Frauending, aber die Schuldgefühle machen mich fertig. Ich kann jetzt wirklich keinen Schritt mehr machen, ohne entweder zu denken "der arme, arme Michel, ich Miststück" oder "der arme, arme Kalle, ich Miststück". In meiner Vorstellung, die vor allem nachts zwischen eins und sechs sehr aktiv ist, steuert das ganze unweigerlich auf das Szenario von zwei sich abgrundtief hassenden Brüdern zu. Ich weiß, mehr kann ich nicht tun, und das ist Mumpitz, aber sagt mir das doch noch mal nächste Nacht so um halb vier.

Problem Nr.9:
Ausgerechnet diesen Zeitpunkt sucht sich mein Rücken, um mich im Stich zu lassen.

Auf der positiven Seite kann ich berichten, dass ich heute noch nicht einmal geschrien oder geheult habe, dass jetzt in diesem Moment beide Brüder gleichzeitig eingeschlafen sind, dass sich bisher noch keine Druckstelle an den Füßen gebildet hat, dass Kalle durchfallfrei ist und dass mir auch heute der Himmel nicht auf den Kopf gefallen ist. Das ist doch was!

12 Kommentare:

  1. Ach Flora!
    Das klingt wirklich alles beschissen. Und furchtbar kräftezehrend.
    Mich tröstet in solchen Momenten manchmal die rückblickende Sicht nach vorn... (auch in der Kinderwunschzeit hat es geholfen): ich stelle mir vor, wie ich in fünf/ zehn oder sonstwievielen Jahren zurück schaue und es dann einfach ein Teil meiner Geschichte ist, den ich überstanden habe und alles fühlt sich dann ok und richtig an und hat sich in mein Leben gefügt.
    Vielleicht hilft es dir auch!
    Ich wünsche dir kraft und jakobs Fuß nur das Beste!
    Und Boje wird das schon verkraften! Dafür hat er jetzt nen Bruder. :-)

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  2. Ich wünsche dir viel Kraft. Wenn du gar nicht mehr weiter weißt oder unter Hinweis auf die der Fuß ist blau und geschwollen Geschichte würde ich da nicht eher weggehen, bis ich einen Kontrolltermin in 2 Wochen hätte. Ansonsten mal beim regulären Kinderarzt vorbeischauen und kontrollieren lassen.
    Irgendwann wird er sich an die Schiene gewöhnt haben und vielleicht hat er momentan einfach noch Schmerzen im Bein, würde ich auch ggf noch mit normalem Kinderarzt klären. Das ganze scheint mir doch etwas schief gegangen zu sein

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  3. das klingt aber sehr anstrengend für alle beteiligten :/
    was die schiene und die arztbesuche angeht denke ich mal da gilt das gleiche wie auch sonst bei kindern und ärzten: lieber einmal zuviel als zuwenig … mich hat da noch nie ein arzt blöd angeschaut, wenn die bedenken sich nicht bestätigt haben und wir im endeffekt umsonst da waren. wenn du dir also nicht sicher bist: hingehen.
    viele grüße und eine hoffentlich einigermaßen ruhige nacht, barbara

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  4. Hatte als baby spreizschiene fuer die huefte habe wohl auch dauerbd geschrien und gequengelt hat sich gelohnt. babies wollen sich bewegen das kann er nicht wie er will. vielleicht kann man die schiene andrs einstellen sprich fuesse anders drehen

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  5. Liebe Flora,
    nur 2 Sachen von mir. Kann Dich Deine Familie noch mal unterstuetzen, bis sich die Schiene bei Jakob mehr eingespielt hat?
    Hat. Jakob evtl. noch Schmerzen, immerhin war das Beinchen angeschwollen? Kannst Du Schmerzmittel geben (Paracetamol)?
    Liebe Gruesse und Kopf hoch,
    Rike

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  6. Liebe Flora,
    dass Jakob gestillt werden möchte, ist doch ein gutes Zeichen: er teilt deutlich mit, dass er deine Milch und deine Nähe als Trost braucht und das gerade das Beste für ihn ist. Zur Milchförderung ist alkoholfreies Weizen ganz fein (und gut für die eigenen Nerven). Auch könntest nach dem Stillen mit der Milchpumpe nachhelfen. Aber nur wenn das nicht in noch mehr Stress ausartet.

    Zu3/4: Die Ärzte löchern was das Zeug hält! Auch vor dem Dienstag wenn es beruhigt. Würde ich so machen.

    Zu7/8: Ganz viel Papazeit für Boje? Oder die Oma?

    Ich drücke euch in Gedanken - welch anstrengende Zeit! Aber ihr schafft das!
    LG N.

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  7. Ihr Armen. Keiner kann ermessen, was ihr gerade durchmacht. Ich wünsche euch ganz viel Kraft, das durchzustehen.
    Vielleicht wäre es wirklich gut, ein Ostheopaten begleitend zur Behandlung zu nehmen. Das würde Jakob vielleicht gut tun.
    Alles Liebe Claudia

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  8. Liebe Flora, uns bewegt eure Geschichte sehr, weil unser Schatz gleichzeitig Gipse hatte. Was mich wundert: In Hannover haben die Gipser zu uns gesagt, dass mehr als eine Woche Gips bei ihnen nicht erlaubt ist, eben weil die Kleinen so schnell zunehmen. Sie haben noch nicht einmal 10 Tage durchgehen lassen! Ist jetzt alles müßig, aber nach Hannover ins Annastift kommen Kinder aus ganz Deutschland. Falls ihr einfach eine 2. orthopädische Meinung einholen wollt, könnten wir euch das Annastift empfehlen.
    Ich kann deine Gefühle total nachvollziehen. Auch wenn die Füße gut aussehen, sehen sie noch nicht vollkommen normal aus. Reicht da wirklich die Physio? Mich macht das auch kirre.
    Alles wird gut. Muss einfach.
    Anne

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  9. Flora ich denke so fest an dich und ich kenne leider nur eine kleine Maus bei der die Schiene zum Glück schneller geholfen hat als von den Ärzten erzählt und ich war mit Ihr im Schwimmbad Sie war ein sehr fröhlich lachendes Kind :) Es ist momentan scheisse hart aber ich hoffe, dass es bald besser wird

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  10. Liebe Flora!
    Der kleine Wurm hat wahrscheinlich schmerzen.. Und das nicht erst seitdem er die schiene hat! Probiers mal mit schmerzmittel!? Und nochmal zum arzt!?
    Lg!

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  11. Ihr seid wirklich tapfer. Alles Gute! d

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  12. Hallo Flora, was das "Umfallen angeht... dann klemm ihn doch mit einem Kissen fest, so dass die Schiene ihn nicht rüberziehen kann.
    Hat eine Freundin auch gemacht, als ihre Minikleine einen Gips hatte mit 2 Monaten.
    Widerspricht den Regeln des "Sicherer Babyschlaf", aber wenn er bei Dir im Bett liegt, ist das eh nochmal anders...
    Und frag wirklich mal, ob es nicht eventuell sinn macht, Ibuprofen zu geben - Mir haben die Docs das bei jedem Knochenproblem als das Wundermittel angedreht - vielleicht trauen sie sich nicht, die das vorzuschlagen, weil die meisten Mütter mittlerweile beim Wort "Schmerzmittel" total durchdrehen .. "Mein Würmchen! Soll böse Chemie bekommen! Ihr Ungeheuer! Womöglich wird es süchtig" oder so ein schmarrn. Im Gegenteil, andauernde Schmerzen im Kindesalter sind die klassische Vorbereitung für eine Karriere als Migränepatient, weiss man mittlerweile... Und Du brauchst nicht noch ein Problem.

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