Dienstag, 11. August 2015

Ätschikolätschi.

Gerade, als ich dachte, jetzt läuft's. Gerade, als ich mir schon fast ausgerechnet hatte, wie viele Tage noch bis zu Michels Kitastart sind. Gerade, als ich mir sicher war, ab jetzt wird alles, alles gut. Und gerade, als noch nicht mal von den Kindern total zerstörte Nächte etwas gemacht haben, denn ich wusste ja: bald.

Gestern war erster Kitatag nach den Sommerferien, und ich dachte, ich frage mal, nur so zur Sicherheit. Denn dass Michel zu November oder spätestens Dezember einen Platz hat, war keine Frage, das hatte uns die Kitachefin ja versprochen: "Ein Selbstläufer ist das bei Geschwistern", hatte sie gesagt. Mit Michel auf dem Arm habe ich beim Abholen von Kalle kurz angeklopft, nur um mal so zu horchen, wie die Ferien waren und wann wir den Vertrag unterschreiben sollen für Michel. Da sah sie mich mit großen Augen an. "Den habe ich jetzt gerade gar nicht auf dem Zettel, helfen Sie mir auf die Sprünge?" Mit wachsender Panik sagte ich, wir hätten doch besprochen, dass Michel ab November in die Krabbelgruppe kommt. "Aber da hab ich gar keine Anmeldung bekommen!" Aber ich hatte eine abgegeben, ganz ganz sicher, mit Kalles unterschriebenem Vertrag zusammen, damals im Dezember! Sie blätterte kurz in einem Ordner: Nö, da war nichts. "Die Gruppen für November hab ich schon geplant, die fürs Frühjahr auch schon", sagte sie. "Da muss ich noch mal gucken. Irgendwas lassen wir uns einfallen. Aber ich hab hier keine Anmeldung." Mit zugeschnürter Kehle bin ich mit meinen Jungs nach Hause geschoben. Zuhause habe ich L. das Drama geschildert. Der sah mich mit schicksalsergebenem Blick an. Wieso heiratet er auch eine Frau, bei der immer die Papiere verschwinden? Egal, mit wem ich es zu tun habe: Banken, Behörden, Kita - immer bin ich die, die alles abgegeben hat und dann ist es wieder nüschte. Das Ganze riecht auch nach Schlamperei meinerseits: klar bin ich mir immer sicher, dass ich alles richtig gemacht habe, klar sind wieder mal die anderen Schuld. Nur: ich hätte alles darauf geschworen, dass ich Recht hatte! Und jetzt? Wie soll das jetzt werden? Mit Job, mit Kindermädchen, mit überhaupt allem, mit dem ganzen schönen Plan? Um eine andere Kita hatten wir uns nicht gekümmert. "Selbstläufer hat sie gesagt" habe ich gestern ungefähr hundertmal vor mich hingemurmelt. "Selbstläufer." Und in die alte Kita, die Durchfallhölle, können und wollen wir Michel jetzt nicht stecken - nicht nach dem unschönen Ende dort mit Kalle.

Die Nacht war unruhig, Kalle war nach einem schlimmen Traum bei mir im Bett, brabbelte im Schlaf, zog mich an den Haaren und trat mir seine zarten, aber erstaunlich kräftigen Füßchen ins Gesicht. Michel hatte trotz Rekordportion zum Abendessen ständig Hunger. Draußen blitzte es, in meinem Kopf tobte ein ganz eigenes Gewitter. Totale Selbstsicherheit ist nicht meine Stärke, obwohl ich mir doch SO SICHER war, blieb ein kleines Stimmchen, das nängerte: "Ja klar, das Schicksal ist gegen dich. Und wenn der Zettel jetzt doch noch in irgend einer Jacke steckt, Hm? Kann das nicht sein? Wär das nicht typisch, dass du durch deine dämliche Schusselei jetzt doch wieder selbst an allem Schuld bist, Fusselhirnchen?" Irgendwann in dem ganzen Gegrübel fiel mir dann wieder ein, wie das genau gewesen war mit dem Abgeben: ich hatte ein Gespräch mit Kalles Gruppenleiterin gehabt und ihr die Unterlagen zu treuen Händen übergeben. Der Vertrag war ja auch offensichtlich angekommen, aber was war mit der Anmeldung? Die Gruppenleiterin ist schrecklich nett und ein echter Glücksfall für Kalle, die wollte ich jetzt auch nicht beschuldigen, das versemmelt zu haben. Aber irgendwer hatte es versemmelt. Nur wer? ("Du selbst, ganz klar", giftete das Stimmchen.)

Heute morgen kam L. aus der Kita wieder, nachdem er Kalle abgeliefert hatte. Die Chefin hatte ihn zu sich herein gewunken. "Willst du zuerst die gute oder die schlechte Nachricht?" Ich will immer die schlechte zuerst: "Michel hat keinen Kitaplatz. Aber: der Antrag ist aufgetaucht, datiert vom vierten Dezember. Sie hat ihn einfach falsch abgeheftet und übersehen."
Der nächste Platz, der frei wird, gehört Michel. Das ist im Moment ein schwacher Trost, denn aus dieser Kita will keiner wieder weg. Es gibt Eltern, die ziehen ans andere Ende Hamburgs und nehmen jeden Tag eine fast einstündige Anfahrt auf sich, bevor sie wechseln. Wenn wir Pech haben, wird es April. Oder Mai. Oder was weiß ich. Und wie es bis dahin werden soll, weiß ich jetzt auch nicht. Ich kriege ab November kein Elterngeld mehr und muss arbeiten. Muss und will, sonst drehe ich irgendwann durch, und die Chancen, irgendwann wieder in den Job zu kommen, werden auch nicht größer. Machen wir's wieder wie bei Kalle, die Kinderfrau muss häufiger ran, und L. auch? Es geht ja nicht nur um mich und ihn: auch für Michel hätte ich mir das gewünscht, denn Kalle profitiert von dieser Kita mehr, als mit Worten zu beschreiben ist.

Und ich hatte mich so drauf verlassen!

Aber ein bisschen froh bin ich schon, dass der Zettel aufgetaucht ist. Dass mein Fusselhirn einmal nicht Schuld ist. Dass das Stimmchen jetzt gefälligst die Klappe zu halten hat. Und dass wir jetzt in einer Kita sind, in der die Chefin so etwas zugibt. Der windige Chef der alten Kita, von mir immer "das Durchfallwiesel" genannt, hätte das Ding klammheimlich geschreddert und alles abgestritten, bevor er einen Fehler eingeräumt hätte.

Und vielleicht geschieht ja ein Wunder, und wir flutschen doch noch so rein.




4 Kommentare:

  1. Vielleicht zu einer Tagesmutter als Überbrückung bis zum Kitaplatz?

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  2. Aber muss sich die kitaleiterin da nicht was einfallen lassen, wo sie es doch vermasselt hat?

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  3. Das sehe ich auch so. Klar, Ihr wollt jetzt keinen STress machen, weil der Große seinen Platz sicher hat und die Stimmung nicht unbedingt gut ist, wenn man auf den Tisch haut. Aber Ihr habt alles fristgerecht abgegeben. Da stellt sich schon die Frage, inwiefern die Kitaleitung in der Pflicht ist und nen Notfallplatz oder ähnliches für den Kleinen bereit halten muss.

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    1. a) ist das Beweissache.
      b) will man nicht so einen Streß machen, wenn man mit allem anderen sonst dort sehr zufrieden ist und alle total nett sind
      c) ist der jetzt halb sichere Platz nach "Streß machen" garantiert weg
      d) wird die Leiterin nach solchem Ärger künftig auch in die Fraktion "schreddern und abstreiten" wechseln

      Klar ist das ein saublöde Situation. Aber mit Druck machen kommt man da auch nicht weiter. Durchatmen, Tagesmutter suchen oder Kindermädchen mehr beschäftigen. Abhaken und nach vorne gucken.

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