Mittwoch, 13. Januar 2016

Manchmal ist mehr mehr.

Eins der ewigen Streitthemen zwischen L. und mir ist, dass er immer mal wieder von einer aufgeräumten, auf das Wesentliche reduzierten Wohnung träumt und ich finde, dass das erstens nicht unser Ding ist und auch nie sein wird und dass außerdem schließlich ER derjenige ist, der seit Jahren einen ganzen Stapel eigentlich wertvoller, aber kaputter Plattenspieler von einer Ecke in die andere räumt, unter ungefähr dreitausend anderen Dingen, die ich jetzt nicht aufschreiben will. (Wobei, ein bisschen vielleicht doch: Fahrräder auf dem Balkon. Zu kleine und schon dreimal ausgemusterte Anzüge auf so ziemlich jeder Oberfläche in Schlafzimmer, Gästezimmer und Kleiderregal. Mehrere Schubladen voller Fotos. Eine schwer zu öffnende Truhe mit juristischen Zeitschriften, in die er noch nie geguckt hat und auch nie gucken wird.) Es ist nicht so, dass ich keinen Kram hätte. Aber mein Kram ist mir wichtig, und dieses ständige Genänger, ich sollte das jetzt dringend aussortieren, macht mich wütend und traurig. L.s Sammelsurium kommt dadurch zustande, dass die gehorteten Dinge "mal teuer waren" oder irgendwann noch mal nützlich sein könnten. Mein Sammelsurium kommt dadurch zustande, dass ich mit den Dingen etwas verbinde. Dieser Krug hat meinen Großeltern gehört, genau wie dieses gepunktete Schnapsglas, das ich schon als Kind immer in ihrem Wohnzimmerschrank bewundert habe. Diese Spätzlepresse verwende ich vielleicht nur drei mal im Jahr, aber immerhin - und ich habe sie damals im dritten Studienjahr zusammen mit meinem ältesten Freund auf dem Flohmarkt gekauft, und damals haben wir mindestens einmal im Monat eine riesige Form voller fettiger, großartiger Käsespätzle mit braunen Zwiebeln damit gemacht. Wieso sollte ich die jetzt wegwerfen? Wenn ich mir doch bei der nächsten Spätzlegelegenheit eine neue kaufen müsste? Die dann nicht die Selbe wäre? Das kleine Kästchen aus dunklem Holz, in dem meine Stifte sind - der Namensteller mit dem Datum meiner Geburt, der schon mal runtergefallen und wieder geklebt ist - mein altes Stofftier, das Pflegehund Momo mal wirklich übel zugerichtet hat - mein 60er-Jahre-Telefon von Eriksson, das schon seit Jahren an keine Telefonbuchse mehr passt - das kommt alles im Leben nicht weg. Alle diese Sachen sind mir wichtig, ich freue mich jedes Mal, sie zu sehen und anzufassen, und ein bisschen geben sie mir auch halt - so talkshowmäßig dämlich das auch klingt. Hier verändert sich ständig so viel, PUFF bin ich plötzlich mit L. verheiratet, lebe in Hamburg, habe zwei Kinder, zwei Hunde, nee, jetzt doch wieder nur einen, wohne in einem Haus und dann doch in einer Wohnung mittendrin, und wer war immer dabei? Das gute alte Eriksson-Telefon und das gepunktete Schnapsglas.

Und jetzt kommt wieder neuer Kram dazu. Ein Grund für das lange Schweigen im Dezember war, dass meine noch verbliebene Oma gestorben ist. Das war sehr traurig, auch wenn es ganz viel Tröstendes gab: sie ist 93 Jahre alt geworden, war bis zum Schluss klar im Kopf, sie selbst wollte schon lange nicht mehr, und am Ende ging alles ganz schnell. An einem grauen Tag kurz vor Weihnachten hat sich die ganze Familie in ihrer Heimatstadt versammelt, wir hatten so eine Art Beerdigung, die ganz schön seltsam und dann doch ziemlich schön war, insofern eine Beerdigung schön sein kann, und dann sind wir noch mal in ihre Wohnung im Altenheim gefahren und haben uns ein paar Sachen herausgesucht. Ich wollte diesmal Sachen, die nicht herumstehen und zu Diskussionen mit L. führen, sondern nur Dinge, die ich verwende: eine Art diplomatischer Kompromiss zwischen seiner Sorte Aufheben und meiner. Darum sind jetzt neu hier eingezogen: ein ganzes Bündel von Küchenmessern, einige schon ganz dünngeschliffen, ein paar Kochlöffel - die alte Sorte aus buntem Plastik wie in den 70ern -, ein orangefarbener Rührbecher, ein paar Holzbrettchen, ein Salzstreuer, eine Glasdose mit Kandis, ein Nachthemd, das mir sogar passt und das ich jetzt gerade trage, der Rest von ihrer Flasche Kölnisch Wasser auf dem Nachttisch, ein Nähkästchen (obwohl ich nicht nähen kann und nun jedes Mal, wenn ich versuche, einen Knopf ohne Blutvergießen anzunähen, ihren strengen Blick im Nacken haben werde), eine Schnapskaraffe, einen kleinen Teppich, der perfekt in unseren Flur passt, und eine Thermoskanne, aus der ich seither jeden Tag getrunken habe.
Jedes Mal, wenn ich in einer Zeitschrift einen Artikel lese, in dem jemand irre stolz darauf ist, es mit genau 100 Gegenständen auszuhalten oder die Bude bis auf drei Designermöbel komplett entrümpelt, dann denke ich: schön, aber Du bist anders als ich. Aber ein bisschen denke ich auch: was ist los mit Dir, ist das wirklich nur Purismus? Oder Leere? Hast du keine Geschichte? Keine Exfreunde, keine Familie, keine Vergangenheit?
Wenn die Messerchen irgendwann nicht mehr zu schleifen sind, die Brettchen von irgendeinem Idioten in die Spülmaschine geräumt wurden und wellig sind wie Dachziegel, der Rührbecher auf einer versehentlich angeschalteten Herdplatte geschmolzen ist und die Schnapskaraffe einen Sprung und keinen Stöpsel mehr hat, dann tue ich sie weg, und das wird sich dann auch wie eine kleine Beerdigung anfühlen. Bis dahin benutze ich sie jeden Tag und denke dabei zwar nicht immer, aber doch ziemlich oft an Oma.
Ich glaube übrigens, sie würde davon rein gar nichts halten. Sie wäre sicherlich dagegen, ein komplett ausgestattetes Nähkästchen wegzuwerfen, aber für sentimentale Brütereien über Nadel und Faden hätte sie keinen Nerv (genau so wenig wie für schief angenähte Knöpfe). Aber was soll sie sagen?

8 Kommentare:

  1. Hihi, ich kenne das!
    Nur bin ich diejenige, die auch paar sperrige Dinge geerbt hat (aber es lieber luftig möbliert mag)
    Unsere Lösung war es, einen trockenen Lagerraum in einem Bunker anzumieten. Dort lagert der Kindheits-Erbschafts-Schatz. Das gibts zwar nicht umsonst, aber eine größere Wohnung kostet ja auch was.
    LG
    Nina aus HH

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  2. Männerkram ist nie im Weg, nur Frauenkram. Immer die gleiche Leier mit den Typen. Ich finds gut, dass Du an Deinen Dingen festhälst!

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  3. Ich kann ein gutes Buch empfehlen, eher für L: Fengshui gegen das Gerümpel des Alltags. Manches ist zwar ein wenig Esoterisches, aber mir hat es sehr geholfen mich von Dingen zu trennen, die vielleicht mal teuer waren, die ich aber nie wieder benutzen werde;-). Liebe Grüße nach Hamburg

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  4. Liebe Flora,
    habe dir nochmal 2 Mails geschickt.
    Nur zur Info, falls ich nochmal im Spam lande.

    Grüße
    Caroline

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  5. Hallo!
    Ich schau hier immer mal wieder rein....
    Aber nix passiert!
    Mensch Flora, ich hoffe bei euch ist alles gut?
    Gibt doch mal wieder ein Lebenszeichen von dir!
    LG

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  6. Ich schau auch immer mal wieder rein ... nix los.

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