Donnerstag, 13. November 2014

Michel und das Stillen.

Gerade komme ich aus dem Schlafzimmer. Zum vierten Mal heute habe ich Michel gestillt, er hat gut getrunken, zehn Minuten links, sechs Minuten rechts, jetzt schläft er zufrieden, uns geht's gut.

Der Unterschied zwischen Stillkrampf und Stillglück wiegt in meinem Fall ungefähr 5 Gramm und kostet keine neun Euro: Stillhütchen.

Wir erinnern uns: mit Kalle, der Muttermilch und mir war es nicht immer leicht. Und es wurde auch nicht leichter durch das Eingreifen meiner Hebamme. Ich wollte stillen, auch wenn sie mir das immer wieder mal unter- mal ziemlich oberschwellig abgesprochen hat. Nach ihrer Auffassung können 99% aller Frauen problemlos stillen, alles andere sind vorgeschobene Probleme, die nur verschleiern sollen, dass man es im Grunde nicht ernst meint.

Meine neue Hebamme ist da so ganz, ganz anders. So anders, dass ich sie küssen könnte, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass ich das auch noch tue, wenn mich demnächst mal meine Gefühle übermannen, was ja bei uns jungen Müttern angeblich schnell passiert. Kann ich dann auch nichts zu.
Seit dem fünften Tag habe ich ordentlich Milch, der Kleine hat auch Hunger, wenn er nicht gerade schläft (was er fast den ganzen Tag lang tut), bisher ist nichts entzündet oder gestaut oder sonstwie blöd - nur Andocken klappte auch diesmal wieder gar nicht. Zehn Minuten soll ich pro Seite höchstens stillen. Um auf diese zehn Minuten zu kommen, musste ich bis vorgestern nur leider zum Teil 45 Minuten lang andocken. Ich habe alles beherzigt, was mir gesagt wurde. Ich habe es mit dem Kind in der Armbeuge versucht und mit dem Kind im gegenüberliegenden Arm (worunter sich jetzt kein Mensch was vorstellen kann, aber sei's drum). Ich habe es im Liegen versucht. Ich habe gestopft und angelockt. Ich habe gezwirbelt und nicht gezwirbelt. Ich habe seinen Kopf in den Nacken gedrückt und ihn suchen lassen. Ich habe... ach was, ist ja auch egal, ich saß jedenfalls Tag und Nacht mehrere Stunden schwitzend und zusehends verzweifelt da und habe vergeblich versucht, unser beider Not zu lindern, indem er endlich, endlich richtig saugt - seinen Hunger und meinen wachsenden Überdruck. Hat es dann geklappt, hat er oft genug vor lauter Verblüffung zwei Schlucke getrunken, wieder losgelassen, und alles ging von vorne los. Zwar waren die Momente, wenn es dann wirklich klappte, wie mit einem Heiligenschein umkränzt - aber sie waren so scheußlich schwer zu erreichen. Wer behauptet, ich hätte einfach nicht gewollt, hätte mich mal sehen sollen. Nichts wäre einfacher gewesen, als ihn nachts um drei kurz beiseite zu legen, in die Küche zu gehen, ein sauberes Fläschchen Premilch fertig zu machen und uns beiden ein bisschen Ruhe zu verschaffen. Und fast nichts wäre einfacher gewesen, als abzupumpen und ihm das dann per Fläschchen zu geben. Oder per Spritze. Oder wie auch immer. Aber ich dachte immer, andere können das doch auch! Zerfix! 99% sogar! Ausnahmsweise könnte ich doch mal zu den 99% gehören und nicht zu dem 1%!

Ich habe meiner Hebamme gestern davon erzählt. "Das gucken wir uns jetzt mal an", sagte sie. Ich versuchte, ihn anzulegen, sie guckte. Dann sagte sie die erlösenden Worte: "Das ist alles ziemlich flach bei Dir, und dann die viele Milch, da kommt er nicht richtig ran, Jungs tun sich da sowieso schwerer als Mädchen. Das machen wir euch beiden jetzt ein bisschen leichter, du kaufst Dir Stillhütchen in Größe M von Medela, dann klappt das."

Eine Minute nach ihrem Abmarsch war ich auf dem Weg in die Apotheke, eine Viertelstunde danach zurück, und nach ihrer Anweisung läuft es jetzt folgendermaßen. Ich lege ihn an. Saugt er, ist alles gut. Saugt er nicht, dann fackele ich nicht lange, sondern lege das Hütchen auf. Die Hütchen sind zwei kleine Sombreros aus dünnem Silikon, wie Kontaktlinsen für Stielaugen ungefähr, hergestellt in der Schweiz und ausgeliefert in einem kleinen, gelben Plastikschatüllchen. Täglich streichele ich mehrfach liebevoll über diese Schatulle, in der sich meine neuen Lieblingsgegenstände in diesem Haushalt befinden. Zurück zum Thema: Mit dem Hütchen klappt das Saugen, und zwar sofort. Wirklich sofort. Hütchen drauf, zwei Sekunden später trinkt Michel in großen durstigen Schlucken. Das lasse ich dann so zwei Minuten laufen, dann ziehe ich ihm das Hütchen unter der Schnute weg, ungefähr so, wie ein Zauberkünstler ein Tischtuch unter dem Sonntagskaffeeservice wegziehen würde. Im besten Fall saugt er ohne Hütchen weiter. Links läuft das fast immer so. Rechts ist es noch etwas schwieriger, da muss das Hütchen oft noch mal ran, aber dann, zwei Minuten später, klappt es. Den Rest der zehn Minuten trinkt er dann ohne Hütchen. Ich kraule seine Hand, damit er nicht einschläft, und gucke entspannt nach draußen in die herbstlichen Bäume. Nach zwanzig Minuten sind wir mit beiden Seiten durch.

Aber... aber...

Hier wären einige Einwände von meiner alten Hebamme denkbar (und nicht nur denkbar, damals hatte ich das mit den Hütchen auch mehrfach vorgeschlagen, aber sie hat es immer mit einer Batterie von Argumenten streng verboten):

"Aber durch das Hütchen verliert das Kind doch den Kontakt zu deiner Haut und wird dir fremder!"
Nö, ehrlich gesagt, nö. Der Sombrero hat eine breite Aussparung in der Krempe, die soll dahin, wo Michels Nase ist. Mit der ist er also direkt auf meiner Haut. Und den Löwenanteil der Stillzeit hat er ja direkten Komplett-Hautkontakt.

"Er verlernt so doch mit Sicherheit das Saugen!"
Auch nicht. Ich finde sogar, in der Saugezeit ohne Hütchen saugt er jetzt besser als jemals vorher. Wir sind beide weniger auf 180 und weniger frustriert, daran könnte es auch liegen.

"Aber wenn das Stillen so Zack-Zack geht, verliert ihr wertvolle Kuschelzeit!"
Im Gegenteil. Wir sparen jetzt die Zeit, die ich vorher mit entnervtem Rumstoppeln und Gewürge bis zum Andocken verbracht habe. Die Zeit können wir schön hinten an die Stillzeit dranhängen und kuscheln, bis wir blau sind, wenn wir das wollen - ganz entspannt und satt und zufrieden.

"Stillen ist doch die natürlichste Sache der Welt, ich verstehe nicht, wieso dazu ein Stück Plastik nötig sein soll. Er kann das ohne, du auch, du musst nur wollen!"
Gewollt habe ich das jetzt lange genug, hat aber trotzdem nicht funktioniert. Und ganz ehrlich, alte Hebamme: unter deiner Regie hatte ich am Ende zum Stillen eine Batterie aus Milchpumpe, Milchpumpen-Ersatzfläschchen, Spritzen, Medela-Fläschchen mit Vakuum-Saugern und fast auch noch ein Brusternährungsset angehäuft, die alle viel Platz weggenommen haben, viel Geld gekostet haben, mit viel Aufwand gespült und dampfsterilisiert werden mussten und heute noch eine ganze Kiste im Kinderzimmerregal füllen, auch wenn ich inzwischen nicht mehr weiß, wozu. Da sind zwei so kleine Hütchen in ihrer gelben Schatulle, die ich laut neuer Hebamme auch mal einfach nur mit heißem Wasser abspülen darf, ja wohl ein Scherz.

Und in zwei-drei Wochen spätestens, wenn Michel und ich noch ein bisschen fitter sind mit dieser supernatürlichen Ernährungsform, dann können wir die Hütchen vermutlich auch ganz weglassen.

Dreimal Hurra für die neue Hebamme!

11 Kommentare:

  1. Da sieht man mal wieder was so eine Hebamme alles ausmachen kann...! Herrlich dass das Stillen jetzt so super läuft. Im wahrsten Sinne des Wortes ;)
    So kann's weiter gehen! Alles Liebe.

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  2. Happy mum, happy baby! Stillhütchen haben mich auch gerettet! Haben auch täglich Streicheleinheiten von mir bekommen...

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  3. Ja. Medela-Stillhütchen. Ich hatte drei Paar, damit konnte ich das nervige Auswaschen auf zweimal am Tag reduzieren. (Bis ich die hatte, waren meine B*rustwar*zen aber schon unrettbar blasig/blutig und haben sich auch bis zum Ende der Stillzeit nicht davon erholt. Aber gestillt habe ich trotzdem. 'Man muss es nur wollen.')

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  4. ja medela hütchen. ein traum. ich hatte am schluss 5 stück, eines sogar in der geldbörse, weil ich solche angst hatte mal keines dabei zu haben und von meinem babykrokodil gebissen zu werden.

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  5. Wo ist der Gefällt-Mir-Button?
    Auch ich bin nach 10 Tagen härtestem Kampf auf Stillhütchen umgestiegen und es hat ab da super geklappt mit dem Stillen!! Nach 4 Wochen konnten wir sie sogar wieder ganz weglassen...

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  6. Ach Flora, warum hast Du damals nichts davon geschrieben. Den Tip hättest Du hier schnell bekommen. Ich habe es genauso gemacht. Erst anlegen mit Hütchen, dann wegnehmen und ohne saugen lassen. Natürlich klappte es nach einiger Zeit dann ohne! Es war super.
    Allerdings gab es Brusthütchen mit Aussparung noch nicht. Coole Sache.
    Bei dem Argument "Wenn das Stillen zack zack geht...", da hätte ich sie ja hochkant aus dem Haus geworfen. Was wäre ich dankbar für ein halbwegs flottes Stillen gewesen! Wie Du schon schreibst, hups, Zeit vorbei, alles von vorne.
    Es ist sehr schade, daß diese Frau vermutlich so einige Mütter an den Rand des Wahnsinns und im Endeffekt weg vom Stillen getrieben hat. Mit diesen ideologischen Einstellungen ohne jegliches Einfühlungsvermögen erreicht man doch nichts.

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  7. Ach man du Arme ich hatte zum Glück gleich so eine tolle Hebamme und diese stillhütchen ich habe sie geliebt glaub mir es tut euch beiden gut und wenn er größer wird klappt es vielleicht auch so und wenn nicht eben nicht du machst das toll

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  8. Du schreibst mir aus der Seele! Ich habe auch Flachnippel und mich und mein Kind ewig damit gequält. Irgendwann waren die Warzen so wund und zerbissen, dass sogar die Hebamme vom Abstillen sprach. Ich habe die Warzen dann gelästert bekommen und mir Medela Hütchen Gr. M besorgt-ich habe mit den Hütchen 7 Monate voll gestillt, dann wollte Kind Nr. 1lieber vom Löffel. Bei Kind Nr. 2 hab ich die Experimente gleich gelassen und 8,5 Monate voll mit Hütchen gestillt. Ich hätte nie zu wenig Milch, eher zu viel, die Kinder haben immer sehr gut getrunken, ich hätte nie eine Wunde Brust, keinen Milchstau oder ähnliche Probleme.
    Ich verstehe nicht, warum alle immer so über die Hütchen schimpfen! Besser so als gar nicht! Und alle Frauen haben früher, als es dieses " neumodische Zeugs" noch nicht gab, auch nicht gestillt. Bei denen es nicht klappte, die hatten eben ne Amme(meine Oma war Amme und hat oft davon erzählt).
    Ich hätte meine gelben Döschen überall dabei, sogar im Auto hatte ich immer eins��
    Ich wünsch die eine schöne Stillzeit!

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  9. Da sieht man mal wieder, Hebammen sind definitiv nicht automatisch auch Stillberaterinnen.
    Freut mich, dass ihr euren Weg gefunden habt! :)
    Eine schöne Stillzeit wünsch ich euch.

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  10. Hatte 8 Monate komplett Stillhütchen (ohne wegziehen). War super. Wüsste nicht, was es geschadet hat. Hab die auch meist nur abgespült.. hatte auch mehrere davon.
    :) es lebe das Stillhütchen! :)

    Naya

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  11. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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