Montag, 10. November 2014

Und zwar kam das so.

Kennt ihr das, wenn man nachts aufwacht, irgend etwas stimmt nicht, und man ist so im Tran und möchte so unbedingt weiter schlafen, dass man ca. zwei Stunden braucht, bis man versteht, dass man aufs Klo muss?
So ungefähr war das am Dienstag. Wie jeden Abend seit zwei Wochen war ich mit dem Stoßgebet schlafen gegangen, bitte auch diese Nacht wieder nicht ins Krankenhaus fahren zu müssen, sondern in Ruhe schlafen zu dürfen, denn ich. bin. so. müde. So schrecklich müde, schon seit so vielen Wochen.
Irgendwann nachts, es muss so um eins gewesen sein, bin ich wach geworden. Irgendwas war komisch. Ein Ziehen im Bauch. Erst mal war ich auf Toilette, direkt danach musste ich mich an der Badezimmerwand festhalten, so zwiebelte das. Trotzdem fühlte es sich anders an als die Wehen letztes Mal, in unserer Familie kommt kein Kind zum Termin, schon gar nicht davor, DAS konnte es also nicht sein, und ich wollte den Traum vom Ausschlafen noch nicht so einfach aufgeben. Also habe ich als Vollnerd erst mal eine Wehen-App runtergeladen. (Haut ihr euch schon vor die Köpfe? Es kommt noch besser.) Jedes Mal, wenn es los ging oder aufhörte, musste ich auf eine Taste drücken. Die App sagte, die Wehen kämen alle acht Minuten. Ich dachte "WENN es Wehen wären, dann kämen sie alle acht Minuten, sind ja aber keine. Können ja keine sein." Die Minuten vergingen, ich fauchte und krümmte mich ein bisschen, Kalle schlief inzwischen nebenan bei Papa. Dann dachte ich, nun kann ich ja auch, wo ich schon mal wach bin, vielleicht noch ein paar Sachen zusammen packen. Für demnächst in zwei Wochen, wenn es los geht. Ist gerade so schön ruhig hier. Also packte ich ein bisschen und bediente weiter die App und kniete zwischendurch im Vierfüßlerstand und atmete expressiv, aber die Hirnregion, die sonst dafür zuständig ist, mich zwei Stunden mit voller Blase im Bett zu halten, war schwer aktiv. Die App sagte, die Wehen kommen alle vier Minuten. Also googelte ich vorsichtshalber mal, ab welchen Abständen man beim zweiten Kind ins Krankenhaus soll. Google sagte, bei fünfzehn Minuten. Die App piepte dazwischen, wir wären jetzt bei drei Minuten. Und da habe ich es dann eingesehen, L. geweckt, das Kind angezogen und einen Müllsack gesucht, auf den ich mich für die Fahrt setzen kann.

Die Fahrt ins UKE dauerte achtzehn Minuten, in dieser Zeit hatte ich fünf Wehen, bei jeder fing Kalle an zu brüllen. L. wollte wissen, wo man hier vorfahren kann, wenn die Frau ein Kind kriegt, und ich hatte es immer noch nicht kapiert. "Ach was", sagte ich. "Fahr in die Tiefgarage." Und so sind wir dann durchs ganze große UKE gelaufen: L. mit Kalle in der Karre, ich, mein Koffer und meine Tasche. Alle paar Schritte habe ich die Wand umarmt. "Geht ohne mich weiter, dann könnt ihr es schaffen" ist der Satz, der einem dazu in den Sinn kommt, aber leider gerade hier so gar nicht passt. Irgendwann waren wir dann oben im fünften Stock vor dem Kreißsaal. Eine Hebamme nahm mich mit nach nebenan und guckte sich den Muttermund an. Bis zu diesem Zeitpunkt war meine größte Sorge immer noch, die könnten mich wieder nach Hause schicken. Hätte ich mir keine Gedanken machen müssen: der Muttermund war bei locker acht Zentimetern. "Wie toll, dann gehen wir direkt in den Kreißsaal!" sagte die Hebamme. "Und dann hätte ich gerne noch eine PDA" sagte ich. Die Hebamme sah mich mit diesem "Ach, Schätzelein"-Blick an, den nur Frauen in Medizinberufen richtig gut hinkriegen, nahm mich bei der Hand und ging schon mal los. "Weißt du was? Die schenken wir uns einfach" sagte sie in diesem Ton, bei dem ich sofort dachte, genau, ist sicher besser so. Wir haben den Kreißsaal um Viertel vor drei betreten. Ich habe noch schnell meinen Koffer aufgemacht und meinen Jogginganzug gegen ein heiß waschbares Nachthemd ausgetauscht, dann ging es richtig los. L. rief inzwischen meine Freundin und Geburtshelferin B. an, die sich im Affenzahn fertig machte und ins Taxi warf. Und inzwischen bekam ich ein bisschen Paracetamol und presste schon mal vor. L. und Kalle warteten auf dem Gang, ich war mit Hebamme und einem Arzt gut betreut und sowieso diesmal nicht so zum Plauschen aufgelegt. Vier mal war der Kopf schon halb draußen, vier mal flutschte er einfach wieder zurück, als die Wehe vorbei war. Und ich hatte das spukige Gefühl, unbedingt weg zu wollen aus diesem schmerzenden und gekrümmten Körper in diesem neonbeleuchteten Raum nachts um drei und nicht zu können. Was sollte das überhaupt alles, ich war doch noch gar nicht dran? Und eigentlich wollte ich doch schlafen? Um 3:56 betrat B. den Kreißsaal. Und um 3:58 war Michel da. Kind einer Mutter, die scheinbar gar nichts mitkriegt.

Und ja, das fühlte sich alles genau so hopplahopp und überrumpelig an, wie es jetzt da steht. Ich könnte es auch alles noch wilder beschreiben. Dass ich gerissen bin, und nicht zu knapp z.B. oder dass es sich ohne PDA genau so angefühlt hat wie letztes Mal mit zwei PDAs. Aber das alles ist sowieso ein einziger Nebel. Von dem Moment an um kurz nach eins, als ich zuhause aufgewacht bin, bis zu dem Moment, wo ich den Kleinen zum ersten Mal auf dem Bauch liegen hatte, ist alles verschwommen und seltsam und irgendwie anders als abgesprochen und erwartet. Vor allem aber ist es diesmal fast egal. Damit will ich nicht sagen, dass ich jetzt auch finde, Mütter würden die Schmerzen und die Angst einfach vergessen, wenn es vorbei wäre - bestimmt nicht, ich erinnere mich ganz gut. Es war nur, als würde die Zeit anders laufen. Oder als hätte ich das geträumt. Oder als wäre es jemand anderem passiert. Oder als hätte ich unter dem Einfluss einer exotischen und nicht besonders empfehlenswerten Droge gestanden. Bis Michel dann da war. Und da war alles gut. Denn natürlich hatte die Hebamme Unrecht und es geht ihm bis auf die krummen Füßchen so gut, wie es ihm nur gehen kann. Er ist ein federleichter, rosiger kleiner Junge mit langen Armen, einer Stupsnase, erstaunlich viel Frisur (mehr als Kalle heute hat) und blauen Augen, die ziemlich ernst gucken. Und jetzt muss ich auch schon wieder Schluss machen mit Posten, denn der federleichte haarige Junge hat Hunger. Aber dazu (zum Thema Stillen) hoffentlich sehr demnächst mehr. Dann auch mit Foto. Liebe Abkürzungsdamen, vielen, vielen Dank für die Glückwünsche! Genau so einen wünsche ich euch auch, und zwar allen.

16 Kommentare:

  1. Liebe Flora, Du bist verrückt :-) App runtergeladen??? Google um Rat gefragt??? Es liest sich so lustig, auch wenn es das für Dich mit Sicherheit nicht gewesen ist. Ich freue mich, auch einmal einen Geburtsbericht dieser Art lesen zu dürfen und wünsche Dir/Euch nochmals von ganzem Herzen alles Liebe!!!

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  2. schöner Bericht und herzlichen Glückwunsch! Weiterhin alles Liebe!

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  3. Liebe Flora, mir geht es wie Kitty, auch ich musste schmunzeln.
    Hach herrlich!! Ich freue mich riesig dass es dem Kleinen ansonsten gut geht.
    Euch nochmals die allerherzlichsten Glückwünsche und alles, alles Liebe!!!!

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  4. Liebe Flora, ganz herzliche Glückwünsche zum zweiten Sohn und für Euch vier eine schöne Kennenlernzeit! Und danke für diesen tollen Geburtsbericht, ich hab mich köstlich amüsiert. Alles Gute!

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  5. Herzlichen Glückwunsch und alles alles Liebe für euch! TINE

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  6. Flora, wie wunderschön! Schluchz vor Freude und Rührung - bin immernoch die Rührselige. Und die Sache mit der Wehen-App ist großartig. Schluchz vor Lachtränen. Herzlichen Glückwunsch, Du Mama von Zweien. Alles Liebe. Sanne

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  7. Herzlichen Glückwunsch!
    Bei mir wars ähnlich bei der zweiten Entbindung... Obwohl ich schon eine Woche drüber war hab ich es nicht gecheckt dass das Wehen sind...
    Die Hebamme hatte morgens noch von Einstellungswehen gesprochen und ich dachte ok...
    Haben es dann noch ganz knapp ins Krankenhaus geschafft!
    Alles Liebe
    Sandra

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  8. Liebe Flora,

    viel zu sehr in meinem eigenen Trott versunken habe ich das alles verpasst. Ich lese staunend und mit Tränen in den Augen über dein zweites großes Glück. Von Herzen alles Gute und ein dreifaches HURAAA für den kleinen Jakob. Und Euch alle vier. Erhol dich gut!

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  9. Das ist toll... herzlichen Glückwunsch zur Geburt des kleinen Kerls! Eine auch irgendwie schöne Geburtsgeschichte. Als wäre fast alles an dir vorbeigegangen.
    Meine IVF war einen Tag vor deiner, aber hier tut sich noch nichts... und ich bin tatsächlich ein klein wenig neidisch, obwohl ich nicht ungeduldig sein wollte - das Baby weiß ja nicht, dass da jetzt irgendein errechneter Termin verstrichen ist ;)
    Alles Liebe für deine gesamte Familie!

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  10. Flora, du bist ein Knaller! Erstamal in den App-Store, während du schon in den Wehen bist! Du hast mich gerade zum Lachen gebracht :-)

    Herzlichen Glückwunsch zu eurem kleinen Jakob und toll, wie du das gemacht hast! Ich freue mich auf mehr von dir.

    Liebe Grüße, S.

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  11. So, jetzt will ich aber auch noch mal schnell.......alles, alles Gute!!!!! Genieß Deinen keinen Sonnenschein. Ach, und danke, wirklich danke, für diesen wunderbaren Post, Du bist echt der Knaller, so viel gelacht habe ich noch nie über einen Geburtsbericht!

    Fühl Dich gedrückt und ein ganz dicker Knuddler für den neuen Erdenmenschen.

    LG
    Tanja

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  12. Liebe Flora, von Herzen wünsche ich Euch alles alles Liebe ❤️ Zwischen Tränen der Rührung und vor lauter Lachen hab ich Deinen Post gelesen. Auch, wenn ich mich vorher noch nie zu Wort gemeldet habe, drücke ich dich jetzt einmal ganz fest! GLG Pippi

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  13. Liebe Flora.

    Ich fasse es nicht, jetzt habe ich BEIDE Male die Neuigkeit verpasst. "Och könntst ja mal grad wieder in den Blog schauen... wie jetzt? Baby da?" Oh Gott wo sind die letzten Wochen hin?. Ich freue mich sehr für Dich, für Euch und für den großen Bruder.
    Ich bin sehr gerührt und gänsehäutig. Und hoffe weiter, dass Durchhalten schwanger macht. Und letzte Kryos vielleicht irgendwie magisch sind.
    Alles Liebe Euch!
    Katrin

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  14. Liebe Flora und Familie,

    was für ein Bericht! Ich wünsche Euch allen eine schöne Eingewöhnungszeit. Besonders bedanke ich mich für "Genau so einen wünsche ich euch auch, und zwar allen." UND ZWAR ALLEN. Denn ich brauche auch gerade ganz dringend gedrückte Däumchen (nach 12 ICSIs zuzügl. Kryo). V.

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  15. Da schaut man mal ein paar Tage nicht in den Blog und schwups ist der Kleine da! Wahnsinn! Herzlichen Glückwunsch, wünsche euch alles Liebe und Gute. Danke dafür, dass du mir mit deinem Blog so viel Mut gemacht hast. A.

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  16. trotz holterdipolter herzlichen glückwunsch :-)
    2 jungs sind super, hab ich auch, wenn der große den kleinen nicht mit schienen der holzeisenbahn haut, haben sie sich eigentlich ganz lieb ;-)

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