Dienstag, 22. Mai 2012

Und ich dachte, laufen am Abend macht schön müde und bettschwer.

Liebe Abkürzungsdamen, ich freue mich, ankündigen zu können, dass wir übernächste Woche Donnerstag unserem Kind vermutlich ein gutes Stück näherkommen. Und nein, es hat nichts damit zu tun, dass wir uns "einfach mal entspannen" oder unseren Hormonen anderweitig auf die Sprünge helfen. An dieser Front herrscht momentan Totenstille.

Übernächsten Donnerstag haben wir unseren ersten gemeinsamen Gesprächstermin mit einer der Damen vom Amt. Nicht die, bei der wir das erste Info-Gespräch hatten - schade, die war nett. Wobei wir fest darauf bauen, dass "unsere" Dame mindestens genau so zauberhaft sein wird. Wie denn auch nicht? Die Zeiten, als die Tante Prusselieses und Fräulein Rottenmeiers der Welt die Behörde fest in ihrer Gewalt hatten, sind hoffentlich vorbei. Wir sind bester Dinge.

Zumindest tagsüber.

Nachts sieht es anders aus. Letzte Nacht habe ich es auf zwei Stunden unruhigen Schlaf gebracht. Nichts half: lesen, daddeln, auf und ab laufen, seufzen, wälzen, Augen fest zusammenkneifen und Schlaf einfach so lange simulieren, bis aus der Täuschung Wirklichkeit wird - nichts.

Eine ungeordnete, ungefilterte und unreflektierte Liste meiner Ängste und Befürchtungen rund um das große A-Wort:

1. Was, wenn wir jetzt einen monatelangen Prozess auf uns nehmen, uns wahnsinnig ins Zeug legen, hoffen, noch ein bisschen mehr hoffen, uns sogar ganz sicher sind, und dann am Ende kommt das Amt zur Einschätzung, wir wären z.B. zu alt - etwas, was man uns schon nach der ersten Lektüre unserer Bewerbungsbögen hätte sagen können, bevor wir durch diese neue Sorte Hoffnungsmühle gedreht wurden?

2. Was, wenn wir an eine Dame geraten, die - gelinde gesagt - auf einem sehr, sehr merkwürdigen Trip ist? In der alten Schwatzbude Internet habe ich von einer Frau aus Hamburg gelesen, deren Adoptionspläne fast daran gescheitert wären, dass die Dame vom Amt nach einer halben Stunde Gespräch zu der Auffassung gekommen war, sie (27) würde ihren Mann (auch 27) als Vaterfigur sehen, und damit wäre die Beziehung nicht bereit für eine Adoption - erst, als die Dame sich ein Bein brach und eine andere Dame ran durfte, wurde es doch noch was. Was, wenn unsere Dame z.B. findet, bei uns wäre es zu harmonisch (=verdächtig, dicke Klopper von Problemen sind unter den Teppich gekehrt), wir könnten keinen echten Grund für unseren Kinderwunsch angeben (genau wie ca. 99% aller Paare, die ein Kind bekommen), wir wären zu oberflächlich, zu unreif, zu... was weiß ich was, irgend etwas, was man nie im Leben widerlegen kann? Und damit basta?

3. Ich glaube, ich hatte an anderer Stelle schon mal davon geschrieben, wie sehr mir Behörden zuwider sind. Dass ich, wenn ich weiß, ich muss Freitags auf ein Amt, schon Montags schlechte Laune habe. Dass mich Formulare, Telefonistinnen und Fristen aller Art fertig machen. Ich hab da kein Talent für, noch nie gehabt. Was, wenn wir hier in die Sorte Behördendickicht geraten sind, aus der wir nie wieder herausfinden? Das zeichnet sich schon jetzt ab: während z.B. die Dame vom letzten Gespräch sagte, wir könnten uns um ein Kind aus Deutschland plus ein anderes Land bewerben (in unserem Fall Äthiopien), hat die Dame, die beim Amt für Auslandsadoptionen am Telefon saß, gesagt, nö, das geht auf keinen Fall, entweder oder. Solche kleinen Schlaglöcher in der Straße reichen schon, um diese gewisse unbehagliche Beklommenheit in meinem Fusselhirn zu erzeugen, die mich dann nachts um zwei glockenwach hält. Meine Nerven sind Bombe, wenn ich in medizinisch unsicheres Gewässer gerate. Aber sowas halte ich nicht aus. Sehen jetzt die nächsten 12 Monate so aus?

4. Was, wenn sie endlich ein Kind für uns haben, wir sind aufgeregt bis kurz vor Schlaganfall, und dann sehen wir es endlich, und ich denke: nein. Auf gar keinen Fall. Und dann war das alles umsonst?

5. Was, wenn trotz aller Mühen, Geduld, Einfühlungsvermögen, Liebe und Arbeit der kleine Ndogo niemals damit klar kommt, dass er bei Adoptiveltern lebt? Wenn er uns mit 11 irgendwann den Krieg erklärt und nie wieder damit aufhört? Wenn er uns hasst und überhaupt nichts mit uns zu tun haben will?

6. Was, wenn nach der Adoption der Mythos von der Spontanschwangerschaft zu neuer Form aufläuft? Wenn jeder Gast, jeder Verwandter, jeder Bekannter mir erzählt, dass jetzt, wo wir "endlich ganz entspannt" wären, bestimmt bald ein eigenes Kind hinterherkommt? Und irgendwann, an einem lauschigen Sommerabend auf einem Gartenfest, halte ich es nicht mehr aus, und ich erwürge jemanden mit der Lampionkette, muss ins Gefängnis, und dann ist es schon wieder Essig mit unserem Kinderglück mit Ndogo (ganz zu schweigen von den vielen Geschwisterchen dank Entspannung)?

So in etwa grübele ich nachts zwischen Mitternacht und fünf Uhr früh vor mich hin. Aber wisst ihr, was das Schöne ist? Dank Hormondauerferien kann ich mir wenigstens Kaffee holen, so viel ich nur schleppen kann.

3 Kommentare:

  1. Liebe Flora,
    meine Ängste sind ganz ähnlich. Zusätzlich (eigentlich bin ich relativ selbstbewusst) macht mich dieses "sie bewerten mich und schreiben einen Bericht, wie sie mich finden! ^^" völlig verrückt. Es gibt 100 vernünftige Antworten auf die vielen Verrücktmachfragen, aber keine entspannt mich. Hoffentlich sind wir bald am Ende des Verfahrens. ;) LG, Emma

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  2. Liebe Flora,
    Ich lese hier schon eine ganze Weile, habe aber noch nie einen Kommentar hinterlassen.
    Ich würde sagen, dass viele deiner Ängste ganz normal sind. Sie kommen mir sehr bekannt vor - und einen Teil dieser Gedanken (Punkt 5) wird man auch nach der Adoption nicht los.
    Aber Punkt 4 zum Beispiel ist auch bei leiblichen Eltern normal (hat man mir gesagt). Bei unserem Amt ist es aber so, dass man den Fall geschildert bekommt und sich für das Kind entscheiden muss, bevor man es sieht.

    Die Zeit des Wartens ist hart (aber kennen wir das nicht aus der Abkürzungszeit?) - aber es lohnt sich!

    Eine glückliche Ado-Mama

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  3. Zu Punkt 2 kann ich dir sagen: Dann sorgst du dafür, dass sich die doofe Dame ein Bein bricht ;)

    Spaß beiseite. Also wie meine Vorrednerin schon sagt, Punkt 4 hatte ich auch. Ich dachte zwischendrin, dass das die allerdümmste Idee meines ganzen Lebens war, ein Kind zu bekommen und wie ich bitte auf die Schnapsidee gekommen bin.

    Zu Punkt 5 kann ich sagen, dass ich 3 aus dem Ausland adoptierte "Kinder" kenne (sind mittlerweile im Teeniealter) die ihre Adoptiveltern als "ganz normale" Eltern sehen und sich niemals vorstellen könnten, in ihrem "Ursprungsland" zu leben.

    Die anderen Sorgen kann ich natürlich nur ansatzweise versuchen zu verstehen, da ich mich nicht in gleicher Situation befinde.

    Was ich aber festgestellt habe, egal ob auf "natürlichem" Weg, oder Adoption, die Sorgen hören anscheinend nie auf, sie werden nur anders.

    Sei lieb gegrüßt!

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