Dienstag, 21. August 2012

Die Frauen mit den zwei Gehirnen.

Ein Kind verändert alles. Diesen Satz habe ich inzwischen glaube ich ungefähr so oft gehört und gelesen wie den, dass man immer und unbedingt auf seinen Bauch hören soll. Während ich an Satz Nr.2 nicht glauben will und der Meinung bin, meine eigene und die Geschichte der Menschheit sind voller Beispiele dafür, dass der Bauch ganz schön doof sein kann, finde ich auch ohne Kind, an Satz Nr.1 ist was dran. Je mehr Mütter es in meiner Umgebung gibt und je mehr die von ihrem Leben erzählen, desto übler schwant mir, dass da - falls es irgendwann wie auch immer mal klappen sollte - etwas auf mich zukommt, womit ich nicht gut kann: Esoterik, und zwar die geballte Ladung. Vor ein paar Tagen lungerte die Mutter eines acht Wochen alten Jungen mit uns zusammen auf unserem Rasen herum und erzählte von ihrer Mutter-Kind-Gruppe. Da gehen lauter Frauen hin mit richtigen Berufen, die vermutlich in ihrem bisherigen Leben nicht weiter in esoterische Gefilde geschnuppert haben, als sich ab und zu mal eine stinketeure Aromakerze anzuzünden. Und jetzt wird von ihnen erwartet, dass sie gemeinsam mit anderen wildfremden Müttern im Kreis auf dem Boden sitzen und ihren Kindern ein extrem monotones und rammdösiges Lied vorsingen. Und fast das schlimmste daran ist: alle außer der Mutter, die zu Besuch war, haben das mit Inbrunst getan! Denn das ist der einzig richtige Weg, die Verbindung zwischen Mutter und Kind zu fördern. Dass achtwöchige Kinder vermutlich auf ein Bibabo-Lied genau so reagieren wie auf eine a capella-Version von Highway to Hell, ist in diesem Fall egal, und wer sich so was laut fragt, zeigt damit, dass ihm die Verbindung zu seinem Baby ja scheinbar egal ist, und kann einem fast leid tun, weil er einfach nicht aus seiner Haut kann. Verklemmt, verkopft und irgendwie arm, oder? (Als jemand, der im Yogakurs beim "Chanten" noch nicht mal zum Schein die Lippen bewegt, fange ich bei solchen Geschichten fast an, meinen Kinderwunsch noch mal zu überdenken.) Von Still-Nazis will ich gar nicht erst anfangen. Wie ist das? Verändert ein Kind wirklich alles? Und wenn ja, was? Werden bislang inaktive Zentren im Gehirn aktiviert? Oder aktive abgeschaltet? Wird man weicher? Ist einem irgendwann weniger peinlich, wenn man nur oft genug in der Spätschwangerschaft öffentlich gepupst hat, von Business-Menschen im Flugzeug wegen Babygebrüll angefeindet wurde oder in der Pizzeria die Windel wechselt? Wollen wir wirklich in Wahrheit solche Lieder singen und haben uns das nur selbst über Jahre glaubhaft ausgeredet? Oder machen uns Babys (uäh, Achtung, schlimmes Wort) "fraulicher" und insgesamt ein bisschen mehr in Richtung Bibabo?

Wobei gegen letzteres spricht, dass uns der Eso-Kram ja schon in der Kinderwunschphase aggressiv auf die Pelle rückt.

Manchmal frage ich mich wirklich, warum mich dieses Thema immer wieder so aufregt. Lass sie doch mit ihren Kristallen, ihrem ionisierten Wasser und ihrer Blutgruppenernährung. Aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht. (Vermutlich höchste Zeit, dass ich ein Kind bekomme, dann... ja dann... mache ich sofort meinen Frieden mit dem ganzen Bibabo.) Kein Kind verändert alles.

6 Kommentare:

  1. ...Kein Kind verändert alles...

    Treffender kann man diesen Kinderwunschzirkus nicht beschreiben.

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  2. Hi Flora,

    ein Kind stellt dein Leben von jetzt auf gleich ziemlich auf den Kopf und verändert auch vieles. Vorübergehend auch die eigene Persönlichkeit, aber das legt sich zum Glück schnell wieder, lach. Ich habe in den ersten Wochen auch Bibabo (und bin ebenfalls nicht der Typ dazu...)gemacht und das Wort der Hebamme war GESETZ!!!!!!!!!!!!! Hatte aber auch das Glück, dass ich in eine sehr nette Mutter-Kind-Gruppe gerutscht bin, in der alle relativ schnell wieder normal wurden. In ein paar Monaten wird der kleine Wirbelwind schon 2 Jahre alt und wir befinden uns wieder im Antragsreigen des JA für unser zweites Glückskäferchen!
    LG Tine

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  3. Liebe Flora,
    ich bin auch gegenüber jeder Art von Esoterik extrem misstrauisch und ablehnend und für mich zählt zum Bsp. auch das Einnehmen von Kügelchen dazu, auf das viele so schwören und das ich auch niemandem madig machen will. Ich habe diese Einstellung auch bisher nicht geändert, seit mein Kind da ist. Singen per se hat aber für mich nichts mit Esoterik zu tun. Es ist wirklich am Anfang irgendwie peinlich, mt eingerosteter Stimme "shushushu die Eisenbahn" vor fremden Müttern und Vätern zu krächzen. Aber sobald man die Wikung der Musik auf die Kleinen bemerkt, macht einem das meistens nichts mehr aus. Außerdem merkt man irgendwann, dass das Kind wirklich viele Wörter aus den Liedern lernt, wenn man sie zum zigsten Mal wiederholt. Wenn Du die Lieder nicht mehr hören kannst, merkst Du plötzlich einen Effekt und das Singen macht dann irgendwie auch wieder Spaß. Ich habe irgendwann festgestellt, das ein Kind - wenn es auch wirklich absolut nicht alles ändert - genau die Sachen zurück in Dein Leben bringt, die im Arbeitsalltag irgendwie größtenteils nur sehr sehr selten vorkommen, die der Seele aber guttun und ja- irgendwie glücklicher Machen. Wie in dem alten Kinderlied "Lachen und Springen, Tanzen und Singen". Damit will ich gar nicht sagen, man muß seinem Kind unbedingt vorsingen, wenn das einem gar nicht liegt. Aber keine Angst vor Mutter-Kind-Gruppen, dort sitzen nicht nur durch Elternschaft verstrahlte Eso-Tanten und -Onkels ;-) Öl schon mal die Stimme ;-) Herzlichst Y.

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  4. Ich bin mit einem Überraschungsei schwanger und habe mich beim SS-Yoga (!) auch schon ertappt mit ins "Ommm" einzustimmen...unschwanger wäre ich da vermutlich nie gelandet. Aber ich habe auch kein adäquates esofreies Angebot gefunden...und es hält sich auch noch in Grenzen. Aber ich habe mich auch schon gefragt, ob mein Hirn langsam weich wird...

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  5. liebe flora,
    genauso ging es mir auch, bevor ich mutter wurde: hilfe, die verrückten nazi-eso-eltern!und
    ich habe mir darüber auch schon so meine gedanken gemacht (http://blinkiswelt.blogspot.de/2012/07/eltern-und-eltern.html). aber es sind nicht alle so, es gibt sie, die guten! :-)
    ps: ich singe meinem kind alles vor, von belle&sebastian über blumfeld bis hin zu slayer. selbst für die münchener freiheit war ich mir nicht zu schade. alles, ausser bibabo. ist mir zu doof! und siehe da: er findet alles gut, ausnahmslos.

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  6. Liebe Flora,
    wieder mal ein Post, der die Sache nicht treffender beschreiben könnte. So schön, dass Du die Dinge einfach aussprichst (aufschreibst), die ich mich manchmal gar nicht traue nur laut zu denken, umgeben von alles-wissenden-Bibabo-Müttern. Als Nicht-Mutter darf man sich ja eigentlich keine Meinung über etwas erlauben, wo man ja doch gar nicht mitreden kann. Aber mag der Kinderwunsch auch noch so groß sein, die Angst irgendwann Biba-Butzemann-Lieder summen zu müssen oder nur noch in den Pauschalurlaub mit Kinderplantschbecken zu fahren, treibt mich auch um. Und die Frage, wie kann man jetzt schon vorbeugen, dass das "ICH" bitte nicht diese Metamorphose durchmacht. Musikalisch lässt sich die mit Sicherheit durch den großen Musikfundus meines Mannes abwenden. Es muss ja nicht gleich der härteste HipHop sein, aber mit Blumfeld, Tocotronic, Feist, Jens Lekmann wird bestimmt auch mein Kind lachend im Kreis robben. Und Nein, wir werden dann nicht plötzlich Dänemark Urlaub machen - unser Kind soll die tollen Wellen in Portugal sehen und vielleicht wird es ja mal ein toller Surfer/eine super Surferin. Ich bin wirklich bereit viel zu tun, um schwanger zu werden, aber der Deal mit Krabbelgruppen-Talk muss nicht auch noch sein, oder? Ich würde gern ich bleiben. Und ich verspreche auch jetzt schon, dass ich die Windeln nicht mitten im Restarurant oder Cafe wechseln, während am Nachbartisch gerade ein Mousse auch Chocolat serviert wird - birgit

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