Donnerstag, 4. Oktober 2012

Hü, Zeitmaschinchen

Gestern vor zehn Jahren war ich plötzlich mit M3 zusammen. Das erschien mir damals als großer Glücksfall. Ich war sogar so wild entschlossen, das für einen Glücksfall zu halten, dass ich meiner inneren Stimme fünf Monate lang jedes Mal barsch über den Mund fuhr, wenn sie mir sagte, das wäre aber nicht so toll, wenn mein Freund nie Zeit für mich hat, weil er jedes Wochenende irgendwem beim Umzug hilft. Oder wenn er unseren Urlaub absagt, weil seine Tante krank ist und er sich um sie kümmern muss, und dann geht er jeden Abend mit seinen Kumpels saufen und nicht mehr ans Telefon. Oder wenn wir uns nur alle drei Wochen mal sehen. Oder wenn er ständig mit Riesentrommelwirbel von dunklen Geheimnissen aus seiner Vergangenheit anfängt und dann plötzlich dicht macht. Oder wenn er regelmäßig Streit mit Wirten anfängt, die morgens um fünf gerne ihren Laden dichtmachen und ein bisschen schlafen würden, obwohl er so gerne noch ein vierzehntes Bier hätte. Irgendwann brüllte die innere Stimme mit einem Megaphon auf mich ein, und gerade als ich anfing, auch mal zuzuhören, löste M3 das Problem von selbst: plötzlich war er nämlich nicht mehr mit mir, sondern mit einer Kollegin von mir zusammen. Einer Kollegin, die einen ca. fünf Zentimeter langen mausbraunen Ansatz in ihrer ansonsten hellgelben Frisur hatte. Einer Kollegin, die so dumm war, dass ich wirklich schon oft peinlich berührt den Raum verlassen hatte, weil ich mein Gesicht manchmal so furchtbar schlecht unter Kontrolle habe. Einer Kollegin, die nicht nur in ihrem Beruf eine glatte 5 war, sondern die auch in der Wahl ihrer One-Night-Stands aus dem Kollegenkreis einen unterirdischen Geschmack bewiesen hatte. Einer Kollegin, von der ich kurz danach erfuhr, dass sie während eines Dates mit M3, als er nur mal kurz Zigaretten holen war, versuchte, einen anderen meiner Kollegen abzuschleppen. Obwohl ich schon überlegt hatte, M3 zum Teufel zu jagen, war ich vollkommen, aber wirklich vollkommen fertig. Jeden Tag musste ich diesen Ansatz sehen. Und sie raffte noch nicht mal, dass ich nun keine Lust mehr hatte, mit ihr zu plaudern. (Noch nie gehabt hatte, aber mach was.) Scheinbar hatte M3 ihr erzählt, das mit mir wäre schon lange, lange her gewesen. Wie auch immer: ich ging zwei Jahre lang durch die Stadt und bildete mir ein, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit fünf Autos mit seinem Heimatkennzeichen sah, dann würde es wieder was werden. Ich entwickelte sogar ein untrügliches Gefühl dafür, wann ich ihn treffen würde: das M3-Gefühl. Wenn ich es hatte, konnte ich sicher sein, ihm zu begegnen. Ich hatte eine Reihe von sinnlosen, deprimierenden und vermutlich nicht mal ungefährlichen Affärchen, und irgendwann dachte ich dann auch nicht mehr daran, dass M3 heute Geburtstag hat oder dass wir in genau dieser Bar mal gesessen hatten. Ich glaube, ich hab die Wurst noch nicht mal geliebt, aber trotzdem dauerte der Liebeskummer am Ende viermal so lange wie die ganze schäbige Beziehung. So ist das eben manchmal.

Wie gesagt, damals habe ich den 3. Oktober 2002 als Glückstag empfunden. Heute ist der 3. Oktober 2012 ein Glückstag, weil mir erst einen Tag später wieder einfällt - trotz Feiertag, der eigentlich eine Gedächtnisstütze sein sollte - was da war. War da was? Früher habe ich mir bei M3-Gefühl immer schon mal überlegt, was ich anziehe, wie ich reagiere, was ich sage, wenn er was sagt (und er sagte manchmal eine Menge, manchmal wechselte er auch einfach die Straßenseite) usw., der Abend stand im Zeichen von M3. Heute denke ich eigentlich nicht groß drüber nach. Was sollte ich dem sagen? Vermutlich ist er immer noch süchtig nach dem Gefühl, gerade frisch verliebt zu sein, und diesmal wird alles anders. Wenn es blöd gelaufen ist (für alle Beteiligten), ist eine schwanger von ihm geworden und hat es behalten. Dann hat er eben ein "dunkles Geheimnis" mehr, das er andeuten kann und dann doch nicht verrät. Es gab mal Zeiten, da habe ich mir für ihn so eine Harry-Potter-Karte gewünscht, mit der man immer sehen kann, wo er gerade ist, so dass ich mir überlegen kann, da aufzutauchen oder (meistens) einen Riesenbogen um diese Gegend zu machen. Wieso nur?

Ein echter Glückstag. Ich habe ihn mit L. vorm Ofen verbracht, gearbeitet, alkoholfreies Hefe getrunken, Karten gespielt, Fußball geguckt und bin stramme sechs Kilometer mit den Hunden am Flüsschen entlanggerannt. Ein wirklich, wirklich guter Tag.

3 Kommentare:

  1. Haha, liebe Flora:
    Ich hatte auch mal so einen "M3" und habe ihn nach einer Weile "die Niete" getauft. Und jedes Mal, wenn ich an ihn gedacht oder über ihn erzählt habe, diese Bezeichnung auch benutzt. Hat geholfen - und es sind ein paar echte Brüller-Geschichten aus dieser unglücklichen Geschichte erwachsen, die in größeren Runden stets für Heiterkeit sorgen ;-)... Ganz nach meinem neuen Motto: alle blöden Dinge haben auch irgendwie ne gute Seite, einen Sinn.
    Alles Liebe von: J aus BN

    AntwortenLöschen
  2. Muss jetzt wirklich Schmunzeln un gebe J absolut Recht. Alle blöden Dinge haben einen Sinn und am schönsten ist es doch, wenn man später darüber Lachen kann.

    M3...vielleicht hat er ja jetzt auch nen Blog in dem er davon schreibt, dass es irgendwie nix wird mit der Liebe, was selbstverständlich an den "Damen" liegt.

    Hast Du schon nen schönen Krimi gefunden?

    Gruß Karo

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Karo, nee, und das mit dem Krimi hat sich auch erst mal erledigt... die böse böse Arbeit hat die freien Tage schon wieder ratzeputz aufgefressen. Aber ich baue fest auf nächste Woche, da wird es hoffentlich was mit rumhängen, Kuchen essen und Serienmörder zur Strecke bringen. Liebe Grüße!

    AntwortenLöschen