Dienstag, 30. September 2014

Uff! Fünf Minuten Durchzug in Buchform.

Ich lese gerade das Oster-Buch. Hat sonst noch jemand das Oster-Buch gelesen? Emily Oster, Wirtschaftswissenschaftlerin und Mutter, hat sich während ihrer Schwangerschaft oft gefragt, was eigentlich dran ist an vielen Warnungen, Ver- und Geboten für schwangere Frauen. Wieso darf man XY nicht essen? Was genau ist der Grund? Gibt es irgend einen Weg, diese Gefahr auszuschalten? Wie hoch genau ist diese Gefahr eigentlich? Gibt es Studien dazu, gute Studien mit ausreichend hoher Personenzahl und sauberen Methoden? Zwar ist sie keine Medizinerin, aber als Wirtschaftswissenschaftlerin kennt sie sich mit Studien aus. Wie man gute von schlechten unterscheidet, wie man Studien überhaupt findet, wie man sie liest, wie man die Ergebnisse richtig interpretiert, welche Schlussfolgerungen man aus den Forschungsergebnissen ziehen kann und - fast noch wichtiger - welche nicht. Ursprünglich wollte sie nur ein paar Informationen für sich selbst und für ihre Freundinnen finden. Genau diese Informationen von ihrem Frauenarzt zu bekommen, war nämlich schwerer als erwartet. Dann wurden es immer mehr Informationen, die sie zum Teil sehr überrascht haben, und am Ende ist das Buch daraus geworden: "Expecting Better".

Bin ich froh, dass es das gibt. Wäre ich froh gewesen, hätte ich das schon vor meiner ersten Schwangerschaft gelesen. Es gibt eine Menge Warnungen und Unkenrufe, die sie entkräften kann - oder zumindest etwas weiter differenzieren, als man das sonst so kennt. Ich habe mich z.B. unzählige Male darüber aufgeregt, dass es wirklich schwierig ist, verlässliche Information dazu zu finden, welche Lebensmittel wegen Toxoplasmose verboten sind und welche wegen Listerien. Gegen Toxoplasmose bin ich immun, gegen Listerien natürlich nicht, also ist das ein Unterschied, und ja, es gibt bestimmt Schlimmeres, als ein paar Monate auf dieses oder jenes Lebensmittel zu verzichten - aber wieso sollte ich, wenn es für mich und für mein Baby keinen Unterschied macht? Aus Spaß am Verzicht? Tut mir leid, den habe ich eher nicht. In ihrem Buch kümmert sie sich der Reihe nach um verschiedene Themen, mit denen jede Schwangere es zu tun bekommt: um Koffein, Alkohol, "Deli Meats" - also bestimmte Sorten Aufschnitt -, Sushi, Rohmilchkäse, Segen und Fluch von PDAs usw. Dabei ist es nicht ihre Mission, möglichst häufig Entwarnung zu geben. Es geht sowieso nicht darum, schwangere Frauen dazu zu bringen, risikofreudiger zu sein oder das ewige "sich zu entspannen". Es geht einfach nur um Hintergrundinformationen, die so ansonsten schwierig zu kriegen sind, und darum, auf Basis dieser Informationen dann vernünftige Entscheidungen zu treffen. Denn was man isst und trinkt und was nicht während dieser Zeit, sollte vor allem mit Medizin zu tun haben - nicht mit Moral, irrationalen Ängsten oder Angst vor der allgegenwärtigen Schwangerschaftspolizei.

Zigaretten z.B. sind bei ihr auch nach Sichtung der Daten tabu. Nein, auch nicht ab und zu, und nein, auch keine Ausnahme für die oft zitierte Frau, die immer so viel geraucht hat, und jetzt wäre der Entzug härter für's Baby als ab und zu noch ein Flüppchen in Ehren. Der Zusammenhang zwischen kleinerem Geburtsgewicht, erhöhtem Risiko für plötzlichen Kindstod nach der Geburt und Zigaretten ist eindeutig, und - anders als z.B. bei Alkohol - wenig oder sehr wenig rauchen oder jeden Tag eine Schachtel macht da so gut wie keinen Unterschied.

Kaffee dagegen - ein Thema, das ihr sehr am Herzen lag - war eine andere Geschichte. "What to expect when you're expecting", die amerikanische "Schwangerschaftsbibel", verfasst von einer Hebamme und einer Werbetexterin, schreibt dazu in etwa: Wenn nicht erwiesen ist, dass zwei Tassen täglich unschädlich sind, wieso verzichtest du dann nicht auch auf eine Tasse? Jetzt ist der richtige Moment, diese Abhängigkeit loszuwerden." Aha. Die vermutete Gefahr besteht in einem erhöhten Risiko für Fehlgeburten. Oster hat sich die Daten genau angesehen und dabei einige erstaunliche Entdeckungen gemacht: solche Studien laufen natürlich nicht so ab, dass zufällig ausgewählten 500 Schwangeren täglich vier Tassen Kaffee gegeben werden und 500 anderen keine. So eine Studie wäre unethisch und würde niemals genehmigt werden. Stattdessen werden eben Schwangere zu ihrem Kaffeekonsum befragt. Und es ist schwierig, den Kaffeekonsum von einer anderen Variable zu trennen: starker Übelkeit. Frauen, denen im ersten Trimester häufig schlecht ist, haben meist eine Abneigung gegen Kaffee, egal ob mit oder ohne Koffein. Gleichzeitig ist es aber so, dass die Übelkeit an sich ein gutes Zeichen für die stabile Schwangerschaft ist. Frauen, denen viel schlecht ist, haben ein geringeres Risiko für eine Fehlgeburt. Gleichzeitig trinken sie keinen Kaffee. Der Kaffee ist also nicht der Grund für die Fehlgeburt. Zumal es laut Daten keinen Unterschied machte, ob die Frauen Kaffee mit oder ohne Koffein tranken - und andere koffeinhaltige Getränke, die man trotz Übelkeit noch runterbekommt, wie Cola oder schwarzer oder grüner Tee, keinen Einfluss auf die Fehlgeburtsrate hatten. Nerve ich euch mit diesem Ausflug in die Welt der Empirie? Tut mir leid, mich fasziniert das, und ich habe lange kein Schwangerschaftsbuch mehr so verschlungen. Am Ende ist sie für sich zu dem Schluss gekommen, dass es völlig ok ist, jeden Tag zwei Tassen Kaffee zu trinken - mehr wären auch in Ordnung. Hierzulande gibt es genug Frauenärzte, die einem das auch sagen, aber in den USA ist der Verzicht-Kult für Schwangere um einiges präsenter, und die "Tu-was-wir-sagen-oder-Du-bist-eine-schlechte-Mutter"-Knute wird viel mehr geschwungen. Auch wenn mir manchmal scheint, dass wir da auf dem besten Weg in die gleiche Richtung sind.

Für mich ist bisher bei der Lektüre herausgekommen, dass ich Sushi essen darf. Hier ist weniger Listeriose das Problem als Toxoplasmose, die mir Wumpe sein kann. Überhaupt hat es mich gewundert, aber dann auch wieder nicht, dass vor allem eher neue und nicht jedem verlockende Lebensmittel schnell auf der schwarzen Liste landen, während Altvertrautes eher davonkommt. Schlechte Nachrichten für Sushi, stinkigen, ausländischen Käse, scharfes Essen und Fisch. Ich habe schon viel mehr Warnungen vor Maki gehört als z.B. vor Rosenkohl oder Melonen, dabei waren beide verantwortlich für jeweils eine Listeriose-Welle in den USA.

Jedenfalls: ich kann das Buch empfehlen, nicht als Absolution, ab jetzt richtig reinzuhauen, aber als - wie schon gesagt - einen Hauch frischer Luft in dieser ganzen, leicht dumpfigen Ratgeberwelt, in der im Zweifel erst mal jede Menge verboten und gefährlich ist, nur weil es irgendwo steht, jetzt frag nicht so blöd wieso, ist dir denn dein Baby gar nicht wichtig?

Und als Kontrastprogramm öffne ich heute nacht in einer kurzen schlaflosen Phase meine "What to Expect"-App und bekomme als Blogeintrag des Tages einen Beitrag von einem Amerikaner, der ganz glücklich darüber ist, dass seine Frau sich entschieden hat, diesmal bei Baby Nr.2 die Placenta zu essen. Voodoo! Alle durchgeknallt! Völlig und drei Sterne meschugge! Jedenfalls alle außer mir und Emily.

3 Kommentare:

  1. Noch so ein Mythos ist aber, dass starke Übelkeit an sich ein gutes Zeichen ist und ein gutes Ausgehen einer Schwangerschaft quasi vorhersagen lässt. Bei meiner zweiten Schwangerschaft habe ich mich schon in Wochen 4-6 mehrfach morgens übergeben müssen und litt tageszeitenunabhängig unter starker Übelkeit, es halfen Vitamin B-Tabletten auch nichts. Dennoch endete die Schwangerschaft mit einer Fehlgeburt, wofür man auch keine Ursache ausmachen konnte. Aber dieser Spruch wird leider immer schön pauschal weitergegeben.

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  2. Huch, mein Kommentar ist weg...
    Flora, kennst du zufällig ein deutsches "Gegenstück"? Ich bin der englischen Sprache leider nicht so mächtig...

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    1. Hallo! Auf Deutsch ist das Buch noch nicht erschienen, und ich kenne auch ehrlich gesagt nichts Vergleichbares - aber erstens bin ich auch nicht besonders bewandert in Schwangerschaftsratgebern (hab so lange einen Bogen um das Regal in der Buchhandlung gemacht...), kann also gut sein, dass es da doch was gibt, und zweitens ist das ein Bestseller - da kann die Übersetzung eigentlich nicht mehr lange auf sich warten lassen. Liebe Grüße!

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