Mittwoch, 1. Oktober 2014

Es könnte blöder laufen.

Heute bin ich den zweiten Tag im Mutterschutz, und schon weiß ich die Namen von vier anderen Kindern aus Kalles Kitagruppe. Vier heute im Gegensatz zu null am Montag, meinem letzten Arbeitstag vor der Babypause, und das, nachdem heute Kalles dritter Monat in der Kita anbricht.

Wenn ich ganz ehrlich bin, hatte ich ein bisschen Angst. Vor dem Loch, in das ich ohne Arbeit fallen würde, vor dem Hausfrauenblues, vor... ach, was weiß ich. Meine Arbeit ist eben doch ein wichtiger Teil von mir. Und natürlich werde ich einige Aspekte davon tatsächlich vermissen. Das Reinbohren zum Beispiel, ein neues Thema auf dem Tisch zu haben und dann erst mal alles zu lesen, was ich dazu in die Finger kriege, die 76 verschiedenen Arten finden, darüber nachzudenken und es weiter zu entwickeln, die Abstimmungen, wenn sie gut laufen - und ich will gar nicht so tun, als wäre es nicht auch nach so vielen Jahren immer noch schön, etwas von mir gedruckt zu sehen, als dicke fette bunte Anzeige in der Gala oder meinetwegen auch in der Couch. Die Mittagspausen werden mir fehlen, die Viertelstunde jeden Tag, in der ich ausschließlich darüber nachdenke, was ich mir heute zu essen hole. Salat? Fischmann? Syrer? Pizza? Vietnamese? Oder die Schweinenummer mit Burger und Fritten? Die anderen Arbeitshasen werden mir fehlen, zum Teil jedenfalls. Die U-Bahnfahrten natürlich, hin und zurück, jeweils 25 Minuten Zeit zum Lesen. Oder für Plants vs. Zombies auf dem Telefon. Oder zum Aus-dem-Fenster-Starren. Ein eigenes Büro, ein Raum, der nur dazu dient, dass ich darin in Ruhe nachdenken kann.

Ein paar Dinge werden mir überhaupt nicht fehlen. Zum Beispiel das Szenario, dass das Kind krank ist und ich dann nicht nur denke "Oje, oje, der arme Schatz" sondern gleichzeitig "Oje, oje, die Präsentation". Wem normaler Jobstress schon zu viel wird, der soll mal Jobstress mit krankes-Kind-Stress obendrauf probieren. Und das Elternpaar, das dann nicht anfängt sich anzuranzen, das möchte ich mal kennen lernen. Wobei, nein, das möchte ich nicht kennen lernen, mit denen hätte ich nichts gemeinsam. Abstimmungen, wenn sie nicht gut laufen, die werden mir auch nicht fehlen. Wohlgemut zur Arbeit fahren und irgendwann gegen elf entdecken, dass ich Scheiße am T-Shirt-Ärmel habe. Abends nach Hause zu kommen und die Wahl zu haben, jetzt entweder meinen Mann, den Hund oder das Kind zu vernachlässigen, denn alle würden am liebsten jetzt sofort dran kommen, nachdem ich ja den ganzen Tag "frei hatte". In der U-Bahn zu sitzen und irgendwie heute nicht so zum Lesen zu kommen, weil mir schon wieder schwarz vor Augen wird, ich keine Luft mehr kriege und dann aussteigen und mich auf dem Bahnsteig hinlegen muss, bis es wieder geht. Acht Stunden in einem mittelmäßigen Bürostuhl, aufgelockert mit Abstimmungen im Konferenzraum auf Stühlen, die dann so richtig unbequem sind, so dass einem der Bürostuhl danach für fünf Minuten vorkommt wie der Himmel, bis er einem dann wieder doch nicht mehr so vorkommt. Ein langer, langer Arbeitstag nach einer kurzen, kurzen Nacht.

Welche Seite am Ende gewinnt, wird sich zeigen, aber bisher hat es den Anschein, ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Ich habe schon vor zwei Wochen eine To-Do-Liste geschrieben, auf der jeder Tag eine kleine Extraaufgabe für mich hat, die vor Würmchen II noch erledigt werden sollte. Nichts davon sollte länger als eine Stunde dauern, aber trotzdem gibt mir das das Gefühl, hier nicht hohl und nutzlos rumzuhängen. Es klingt wie abgeschrieben, aber seit Dienstag morgen, seit die Bahn um 8:32 ohne mich in Richtung Innenstadt abgefahren ist, geht's mir besser. Ich gucke mir die Bäume im Park an, streichle den Hund, habe wieder mal Post-Its in Kochbücher geklebt, ich höre besser zu und kriege mehr mit, und heute morgen hatte ich zum ersten Mal Zeit, neben Kalle in der Kita zu sitzen und zu warten, bis die Tische gedeckt sind. Sonst habe ich ihn in seinen Stuhl gesetzt, den Deckel von seiner Brotdose und der Obstdose abgemacht und war auch im Hui schon wieder weg, heute habe ich ihm alles in Ruhe auf einen Teller gelegt und noch zwei anderen Kindern geholfen, an ihr Frühstück zu kommen, und auf dem Rückweg nach Hause habe ich eine Extraschleife durch den Park gedreht und ein paar Kastanien eingesteckt, die zerkaut der Hund so gerne. Heute Abend treffe ich meine Mädchen, L. sittet das Baby, und ich muss nicht ab sechzehn Uhr hoffen, dass ich bitte pünktlich genug gehen kann, um zuhause noch die kleine Wurst ins Bett zu bringen und mir vielleicht den Stressschweiß vom Körper zu duschen, bevor ich wieder los kann - vor mir liegt einfach ein schöner Herbsttag, gespickt mit zwei-drei Erledigungen, und am Abend endlich mal wieder die Damen mit ihrem Prosecco und ihren Geschichten. Harter Entzug geht anders.


1 Kommentar:

  1. Das hört sich doch prima an :) Ich wünsche dir sehr, dass du deinen Mutterschutz weiterhin so genießen kannst! LG

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