Mittwoch, 9. Mai 2012

Mammuts unter sich

Im Ofen brennt ein Stück Mammutbaum. Der alte Mann, der vor uns in diesem Haus gewohnt hat, war vermutlich dabei, als der Baum gepflanzt wurde, zwischen dem Wintergarten und den vielen anderen Bäumen. Immerhin wurde er in diesem Haus geboren und hat über 80 Jahre hier gelebt. Im Alter war er braun-grün-blind, eine Art von Farbenblindheit, von der ich vorher noch nie gehört hatte. Deshalb hat er nicht verstanden, dass der riesige Baum hinter seinem Haus schon lange braun und tot war. Irgendwer hat es ihm dann wohl gesagt, und dann hat er den toten Riesenbaum abhauen lassen. Die Stücke lagen in seinem Gartenhäuschen, riesige Walzen aus Holz, mit keiner Säge kleinzukriegen. Vor ein paar Wochen hat L. einen Spaltkeil gekauft, innerhalb von zwei durchfluchten Nachmittagen rausgekriegt, wie er funktioniert (und wie nicht) und dann die Mammutbaumwalzen in Stücke gespalten, die in unseren Ofen passen. Sie sind viele Jahre abgelagert, schönes trockenes Holz, sie brennen großartig. Der alte Mann hatte keine Kinder, seine japanische Frau war verwitwet und hat eine Tochter mit in die Ehe gebracht. Diese Tochter ist ziemlich jung bei einem Verkehrsunfall gestorben, und davon haben sich beide niemals berappelt. Der alte Mann war Arzt, und er hat ihnen beiden viele Psychopharmaka besorgt. Die haben sie dann geschluckt, um nicht mehr so traurig zu sein. Sie haben in ihrem Wohnzimmer auf Liegen herumgelegen, vor sich riesige, halb mit Wasser gefüllte Zinkwannen, in die sie dann die unzähligen Fluppen geworfen haben, die sie jeden Tag geraucht haben. Vor ihrer Nase war der Kamin, aber an das viele Holz im Keller und im Schuppen haben sie nicht mehr gedacht. Wer weiß, woran sie noch gedacht haben? Die japanische Frau war eine Sensation, als sie hier mit ihrer kleinen Tochter eingezogen ist, die Nachbarn sind auf der Straße zusammengelaufen, als das Taxi vor unserem Haus vorfuhr und sie ausgestiegen ist, sie in einem Kimono, ihre Tochter in einem Kleidchen mit Petticoat und kleinen Lackschuhen. Das ganze obere Stockwerk war voller alter, wertvoller Kimonos, die in fest verschlossenen Schränken aufbewahrt wurden. Bis dann irgendwann die Modelleisenbahn des alten Mannes immer mehr Platz für sich beansprucht hat. Die tote Tochter hatte einen Sohn, den Stiefenkel des Hausbesitzers, und er wollte hier nicht wohnen. Deshalb haben wir ihm das Haus abkaufen können. Jetzt schleifen wir hier den alten Lack von den Fensterbänken, streichen alles neu, und wenn wir mal rauchen, reicht ein Aschenbecher in normaler Größe, vielen Dank.
Das Holz knistert im Ofen, ich glaube nicht an Gespenster, und ich könnte heulen. Fragt mich nicht, wieso. Und morgen ist auch wieder gut.

4 Kommentare:

  1. Liebe Flora, gib nicht auf! Alles wird gut. Mir ging es vor nicht mal 2 Wochen genau so! Nur ohne Ofen...

    AntwortenLöschen
  2. so schön geschrieben!
    und die maßnahme des holzspaltens kenne ich von meinem "L". scheint ein gängiges hobby von noch-kinderlosen zu sein. geheime, rituelle nestvorbereitungsmaßnahmen.

    AntwortenLöschen
  3. Ich habe Gänsehaut.

    Deine N aus B

    AntwortenLöschen
  4. liebe flora,
    ich verfolge deinen blog jetzt schon einige zeit. du schreibst einfach toll!

    AntwortenLöschen