Mittwoch, 19. September 2012

Hätte, hätte, Herrentoilette

Als vor etwas mehr als zwei Jahren das Buch kurz vor veröffentlicht war, war klar, dass jetzt oder nie der Zeitpunkt ist, es meiner Familie zu erzählen: das mit dem Blog und dem Buch. Besonders unbekümmert habe ich das nicht getan, aber nachdem der Verlag sich dann auch noch die Nummer mit meinem auf Amazon und überall sonst einfach verratenen Echtnamen geleistet hatte, war klar, es muss sein, denn rauskriegen werden sie es so oder so, und dann wird's doof. Man kann nicht dem Internet jede Gefühlsregung verraten und der eigenen Familie keinen Piep davon sagen. (auch wenn ein kleiner Teil von mir immer noch manchmal denkt: kann man nicht? Kann man doch.) Jetzt ist es eben so, und das Ergebnis ist weniger dramatisch als gedacht: eigentlich hatte ich die innere Zensur irgendwann aus purer Zerstreutheit vergessen, so viel Zensur war auch nicht nötig, das hier ist schließlich kein ich-hatte-eine-schreckliche-Kindheit-Blog, sondern ein Kinderwunschblog, und nachdem meine Eltern über die Behandlungen usw. von Anfang an immer im Bilde waren (ob auch das ein Fehler war? Ich werde es wohl nie wirklich wissen...), ist das hier immer noch nicht der Ort, wo ihre Tochter endlich ihre Maske fallen lässt. Ich bekam eine reizende Mail von meiner Lieblingstante, meine Mutter erzählt mir manchmal am Telefon, wer das hier alles liest (ihre Reinmachfrau z.B.), und dann werde ich kurz rot, aber all das war und ist in Ordnung.
Dann kam die Adoptionsbewerbung, und nachdem ich davon ausgegangen bin, dass die zumindest unsere Namen mal googeln würden (und hier kommt wieder diese dämliche, unentschuldbare und bis heute eigentlich nur mit einem fröhlichen "Tüdelü, na sowas, kann ja mal passieren" kommentierte Schlamperei des Verlags ins Spiel... Grrrrr. Grrrrrrrrrrrrrrrrrrr.), dachte ich auch da, ich muss das sagen. Ein bisschen habe ich vielleicht auch gehofft, dass ein ganzer Blog und ein Buch vielleicht zu meinen Gunsten angerechnet werden, wo doch nachweislich komplett verarbeitete Kinderlosigkeit vorgeschrieben ist. Also weiß heute die Dame vom Amt Bescheid. Bei irgend einem der Treffen kam das mal zur Sprache, und zu meiner Verblüffung (und etwas gekränkten Eitelkeit) klang die Dame damals so, als hätte sie sich das hier noch nie angeguckt und hätte das auch in Zukunft nicht vor. Und jetzt?

Jetzt ist es zwar genauso wenig wie damals, als plötzlich die Familie im Publikum saß so, dass ich hier die Bloggerin mit der Maske bin. Aber trotzdem gibt es eine Riesenfülle von Themen, zu denen ich mich nicht mehr traue, etwas zu schreiben. Und das sind Themen, die eigentlich wichtig sind. Und es juckt mich in den Fingern, darüber zu posten, und stattdessen schreibe ich hier über mein Laufprogramm (das mir auch wichtig ist, sehr sogar), jobliche Verstrickungen, meinen Speiseplan und irgendwelche auf keinen Fall kinderwunschbezogenen Hirnfürze. Wie wäre es mal mit einem schönen Post über das Wetter? Nein, wir halten nicht heimlich Kampfhunde, wir sind auch nicht drogensüchtig, eigentlich schon mitten im Trennungsjahr vor der Scheidung oder halten drei vor der Bäckerei geraubte Säuglinge in einem schalldichten Keller gefangen, nichts von allem, was wirklich für eine Adoptionsentscheidung wichtig wäre, wird hier verschwiegen oder umgeschwindelt. Trotzdem ist mein Blog irgendwie nicht mehr mein Blog, denn der große Bruder guckt zu. Das heißt, er guckt ja scheinbar noch nicht mal, das ist das hirnrissigste daran! Und nun denke ich, Familie ja, Adoptionsbehörde vielleicht doch besser nicht. Ich glaube inzwischen nicht mehr, nachdem das in den vielen Gesprächen so wenig Thema war, dass wir diesen Pluspunkt überhaupt gebraucht hätten, und dass die Behörde es überhaupt als Pluspunkt wertet, ist auch überhaupt nicht klar. Hätte ich das doch bloß gelassen. Alle waren sich so sicher, dass das gut ist. Ich auch, vielleicht ein bisschen weniger als alle, sonst hätte ich ja nicht alle gefragt, ob ich den Eiertanz ausplaudern soll oder nicht. Inzwischen denke ich, wer weiß?
Am Ende hätten sie noch nicht mal gegoogelt.

4 Kommentare:

  1. Hätte, hätte...Fahrradkette!

    Meinst Du wirklich, die haben hier noch nicht gelesen? Kann ich mir fast gar nicht vorstellen, vielleicht ist es eher so, dass sie nicht zugeben würden, dass das Verfahren durch Dein Buch und durch Deinen Blog beeinflusst wird.

    Nichts was Du hier schreibst oder geschrieben hast, sollte das Verfahren negativ beeinflussen! Es sind Deine Gedanken und Gefühle und die sind echt und gehören zu Dir! Es ist doch immer besser sich einen Raum zu schaffen, zu verarbeiten, einige schreiben Gedichte, andere machen Yoga und Du schreibst es Dir von der Seele. Immer noch besser als so zu tun, dass nach etlichen IVFs oder ICIS die Welt immer noch rosarot wäre, isse nämlich nicht!

    Das alles hier ist besser, als zu schauspielern und sich zu verstellen!

    Es ist noch DEIN BlOG... egal wer es liest und wenn da einer dabei ist, der den Kopf schüttelt, bitteschön, soll er/sie doch!

    Aufstehen> Bauch rein> Brust raus> Krönchen richten und weitergehen!

    Gruß Karo

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  2. Liebe Flora, Ihr habt Alles richtig gemacht. Selbst, wenn Eure zuständige Adoptionsdame nicht gegoogelt hätte, hätte es einer ihrer Kollegen getan, denn wenn Ämter was machen, dann ist es regelmäßig zu teamen und spätestens dann hätte irgendein Kollege irgendwann - aus Langeweile, aus Neugier, aus Interesse "weil das Internet ja so viele Informationen hergibt" - gesurft und wäre auf Deinen Blog gestoßen. Oder - und ganz ehrlich, das halte ich fast noch für wahrscheinlicher - Kollegin XY befindet sich ebenfalls in ner Kinderwunschbehandlung und kennt Dein Buch. Von daher war das bestimmt besser so: ist ja nix wofür Du Dich schämen musst.Es ist halt nur etwas sehr privates, das Du öffentlich gemacht hast und dafür sollte man Dir auf die Schulter klopfen, Dich umarmen und DANKE sagen. Mir und auch meinem Mann hat Dein Buch ne Menge an Angst vor dem Start der Kinderwunschbehandlung genommen, wir (und vor Allem er :-)) war auf das, was auf uns (auf ihn) zukam vorbereitet und Du hast mir ganz oft Mut gemacht, wenn ich nicht mehr weitermachen wollte. Und auch aktuell - nach mittlerweile einem Jahr KiWu-Behandlung, nach einer Fehlgeburt und momentan laut Ärztin eher "nicht intakter Schwangerschaft" in 6+6 (müssen abwarten), lese ich Deinen Blog und denke immer: "Es gibt auch ein Leben nach der Kinderwunschbehandlung!" Und so gesehen, liebe Flora, ist es das Beste, was Ihr machen konntet, mit offenen Karten zu spielen. Auch, wenn ich Karo Recht gebe, sie werden nie zugeben, dass Dein Buch das Verfahren beeinlusst. Aber wenn es eine Rolle spielt, dann eher eine Positive. Alles wird gut!

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  3. liebe flora, hätte, wäre, wenn, das sind gedanken,die ich nur allzu ut kenne. dennoch: es gibt keine richtig oder flasch entscheidung, weil du nie weißt, wie es gelaufen wäre, hättest du nicht, du weißt es nciht. also ist es gut so, auch wenn ich als leserin natürlich genau die gaaanz wichtigen und ehrlichen, dich beschäftigenden themen lesen möchte. manchmal kann man nicht alles haben und schon gar nicht allen gerecht werden...

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  4. liebe flora,
    dein blog ist so echt, DU bist so echt, und deine posts machen so vielen menschen mut, du hast rückgrat, und eine tolle schreibe... und wenn überhaupt, dann kann dein blog nur ein pluspunkt sein! wenn ich ein kind zu vergeben hätte, dann in deine hände: kompetent, intelligent, ehrlich, kannst gut kochen, hinterfragst dinge, gehst mit offenen augen durch's leben. sorry, aber was wollen die mehr?
    alles liebe: j. aus bn

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