Dienstag, 4. September 2012

Wo ist die Fusselsense für mein Hirn?

Und schon zehn Stunden später sitze ich zuhause und habe endlich Feierabend. Das heißt, mein Körper hat Feierabend, sitzt im Wintergarten, hört mit halbem Ohr auf das Knattern der spanischen Paprika in der Bratpfanne nebenan und schenkt sich vielleicht gleich mal ein kleines Glas Rotwein ein, vielleicht aber auch nicht. Mein Kopf dagegen läuft immer noch auf Hochtouren. Ich bin ziemlich durcheinander. Und ich kann noch nicht mal sagen, wieso, ob sich der Sturm bis irgendwann beruhigt, ob das jetzt etwas Grundsätzliches ist, ob das allen so geht, die in meiner Lage sind, ob das so beabsichtigt war und überhaupt.

Gestern war unser zweiter Abend in der betreuten Adoptionsgruppe. Die wird nicht direkt von der Adoptionsbehörde geleitet, sondern von einem gemeinnützigen Verein, bestehend aus Psychologen, vermutlich irgendwo auch Sozialarbeitern und -Pädagogen, vor allem aber Adoptiveltern und adoptierten, inzwischen erwachsenen Kindern. Unsere Dame vom Amt hat uns empfohlen, da hinzugehen, also gehen wir. Gestern waren zum ersten Mal Eltern da. Und während der zwei Stunden, die wir in diesem Zimmer saßen, sind meine Gefühle, Hoffnungen und Ängste Achterbahn gefahren.

Ich weiß immer noch gar nicht, wie ich dieses Thema anpacken soll. Es beißt nämlich und kratzt. Das Thema heißt Behinderung. Und ich meine damit nicht Gehbehinderung, Lernbehinderung, Sehbehinderung oder Hörbehinderung. Das Behinderungsthema, das mich schon seit vielen Jahren so ängstigt und umtreibt, ist Autismus. Ich hatte schon gelesen, dass das unter Adoptivkindern weit verbreitet sein soll. Ich hatte auch gelesen, dass diese Diagnose heute immer häufiger gestellt wird, adoptiert oder nicht. Das Thema, wie gesund und vorbelastet genau unser Kind sein soll und darf und muss, hatten wir auch in den fünf Gesprächen mit dem Amt schon zigmal durchgekaut. Ja, wir waren längst gewarnt, was alles schief gehen kann, und trotzdem war ich nach keinem der offiziellen Gespräche so durch den Wind wie gestern. L. und ich hatten natürlich über das Thema gesprochen. Wir sind nach ziemlich kurzer Diskussion einer Meinung gewesen:

1. Was wir nicht wissen, macht uns nicht heiß. Wir würden nicht das Kind einer Frau adoptieren, von der bekannt ist, dass sie seit Jahren und auch in der Schwangerschaft schwer getrunken hat. Kommt das Kind aus der Babyklappe oder die Frau erscheint zu allen Terminen mit dem Amt ohne Fahne, so dass man es einfach nicht weiß, dann ist es so, und wir drücken die Daumen und hoffen das Beste.

2. Wir wissen, dass ein Adoptivkind erst mal schon durch die Trennung von der leiblichen Mutter, durch den Verlust von Geruch und Herztönen, traumatisiert sein kann - mehr oder weniger stark. Dass das in einer Bindungsunfähigkeit in den ersten Monaten resultieren kann, ist auch klar. Dass wir das mit viel Liebe, Geduld und Verständnis auffangen müssen und wollen, auch. Genau so wie die Tatsache, dass die Pubertät in unserem Fall noch mal drei Gänge härter wird als bei anderen Kindern. ("Du bist nicht meine Mutter!")

3. Jedes Kind kommt so auf die Welt, wie es nun mal ist, egal ob eigenes oder nicht. Natürlich kann es gut passieren, dass wir irgendwann Jahre später feststellen, dass unser Kind ein Hörgerät tragen muss. Dass es langsamer sprechen lernt als andere Kinder. Dass es... ach, was weiß ich. Das wissen wir, das macht uns keine Angst. Ich habe im letzten Gespräch zu unserer Beraterin gesagt, wir möchten ein Kind, das imstande ist, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen, und das auch uns noch erlaubt, ein glückliches und erfülltes Leben zu führen. Damit meine ich nicht, dass es spätestens mit sechs Jahren die halbe Nacht allein bleibt oder uns hellauf begeistert auf New York-Trips begleitet. Ich glaube, ihr könnt euch vorstellen, was ich meine. Fehlt ihm ein Zeh, lachen wir drüber. Hat es abstehende Ohren oder eine Schwäche in Zeichensetzung, könnte die Freude nicht größer sein. Welchen Schulabschluss es mal macht, das treibt mich tatsächlich überhaupt nicht um. Ich bin 10000000000mal lieber die Mutter eines glücklichen Fliesenlegers als eines verkniffenen Professors. Natürlich bin ich das!

4. Bei einem Adoptivkind bewegen uns die gleichen Ängste und Hoffnungen wie bei einem leiblichen. Wir wissen noch nicht, wie es aussehen wird. (Und ob wir es überhaupt jemals im Arm halten werden.) Was es für ein Mensch wird, ob es eher fröhlich oder in sich zergrübelt, eher ein Gummistiefelkind oder ein Ballettschläppchenkind wird... alles, einfach alles ist ungewiss, und wir sind gespannt und aufgeregt. Trotzdem scheint das hier gründlich anders zu laufen - und zwar in jeder Hinsicht.

Ja, wir wissen, dass wir gewarnt sein müssen. Dass uns klar sein muss, worauf wir uns einlassen. Dass gewaltige Schwierigkeiten auf uns zukommen. Dass wir uns hinterher nicht beschweren dürfen. Dass wir Glück haben, Riesenglück, wenn wir überhaupt endlich ein Kind bekommen. Aber...

Herrgott, ein großer Teil von mir wünscht sich, dass endlich, endlich mal jemand aus diesem Verein oder vom Amt sagt "es kann auch gut werden. Vielleicht anders gut als gedacht, aber gut."

Stattdessen saß da gestern ein zauberhaftes, ehrliches, lustiges und sympathisches Paar, dem ich sehr dankbar sind, dass sie 18 wildfremde Menschen in das Innerste ihrer komplizierten Familie blicken lassen, und die erzählen schon wieder die Geschichte davon, wie ihr Elfjähriger heute noch jede Nacht in die Windel macht und in der Schule mit der Schere auf andere Kinder losgeht. Und der Psychologe, der daneben sitzt, nickt dazu und erläutert uns salbungsvoll, dass das vollkommen klar ist. Denn: jede Mutter, die ihre Schwangerschaft nicht voller Begeisterung aufnimmt, spannt unwillkürlich die Bauchdecke an, und was ist die Folge? Das Kind erstarrt im Mutterleib, vorgeburtliches Trauma, Unfähigkeit, Nähe zuzulassen, emotionale Störungen, und dann haben wir den Salat. Das muss man wissen! Das ist eben so. Seit dem Beginn dieser Beratungen geht es eigentlich zu 90% um Probleme. Um Mütter, die ihre Kinder nach einem halben Jahr dann doch wiederhaben wollen. Um Frauen, die wegen schwerster Sucht- und psychischer Probleme betreut wohnen, wovon aber niemand was weiß, und dann erbt das Kind die schwere Psychose. Von schwerstem Autismus. Von totaler Ablehnung der Adoptiveltern. Das kann passieren, ja - aber das kann doch nicht die ganze Wahrheit sein? Und ja, ich weiß, auch das Leben mit autistischen Kindern ist voller Freuden, voller Momente, die man auf keinen Fall missen möchten, niemals würde man sein Kind gegen ein anderes eintauschen, das weiß ich alles! Aber trotzdem habe ich jetzt Angst, und ich könnte mir in die Hose machen, ja, auch mit 39. Und die ganze Vorfreude und Hoffnung, die ich nach der Aufnahme in die Kartei idiotischerweise trotz aller Warnungen und Mahnungen und Unkenrufe empfunden habe, ist sowas von flöten. Ich wünsche sie mir so zurück, und ich bin immer noch optimistisch, dass wir mit dem, was da auf uns zukommt, egal was und egal wie, glücklich werden. Aber...

Ich möchte doch einfach nur ein Kind.

Und ich überlege ernsthaft, ob ich dieser Runde in Zukunft fernbleibe. Vielleicht bin ich auch einfach kein Psychogruppenmensch. Vielleicht mag ich nicht mit einem Namensaufkleber auf dem Hemd spät abends in einem hässlichen Zimmer sitzen. Vielleicht habe ich inzwischen eine handfeste Psychologenallergie entwickelt. Eine Psychologenkontaktallergie! (Reinbeißen würde ich nicht, so weit gehe selbst ich nicht.) Vielleicht sollte ich einfach einen zweiten Stammtisch gründen. Mit dem Mund voller Pizza hört sich vielleicht alles gleich ganz anders an.

Ist es wirklich IMMER, IMMER so? Oder neigen Eltern, denen es so ergangen ist, eher dazu, sich in solchen Gruppen zu engagieren und dann ihren Abend in einem Stuhlkreis zu verbringen? Während die vielen (hoffentlich), bei denen es ein einziges Schönwettersegeln war, gestern Abend im Kino gesessen haben statt im Mehrzweckraum, während der nette Babysitter bei den Kindern ist? Haben die mit Absicht gestern dieses Paar eingeladen, weil sie einfach nicht glauben können und wollen, dass die Dame von der Behörde uns schon so richtig nach Strich und Faden durchgewarnt hat?

Ich und mein Fusselhirn.

Und trotzdem war da gestern auch viel Schönes und Mut machendes. Aber dazu morgen. Heute bin ich kirre.

13 Kommentare:

  1. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  2. Liebe Flora,

    wie du schon sagst: Wer geht denn zu solchen Selbsthilfegruppen? Leute, die etwas zu verarbeiten haben. Und eine glückliche Kindheit und ein fröhliches, unbeschwertes Familienleben müssen die wenigsten verarbeiten.

    Ich war lange mit einem Mann zusammen, der adoptiert ist. Er wusste nichts über seine leiblichen Eltern, aber von Anfang an dass er das einzige von fünf Kindern ist, das nicht der eigenen Mama entsprungen ist. Es war nie, ich wiederhole: NIE, ein Problem. Er hatte eine wunderbar glückliche Kindheit im Kreise seiner liebenden Familie, er wurde geliebt, gefördert, unterstützt, geschimpft, hat seine Pubertät durchgekämpft (Und hier, sagt seine Mutter, tut das "ich hasse dich" der leiblichen Kinder genauso weh wie das "du bist nicht meine Mutter" des Adoptivkindes. Pubertät ist ein Arschloch) und seinen Weg gefunden. Er ist weder autistisch noch weist er irgendeine andere Krankheit auf, weder psychisch noch physisch, keine (größeren als die üblichen männlichen) Macken und keine Traumata.

    Und nach 29 Jahren fand man raus, dass seine 14 jährige Mutter unter Alkoholeinfluss das Kind ausgetragen, geboren und abgegeben hat.

    Soviel zu der Bauchdeckenspannungsgeschichte. Und dir vielleicht als kleines Gegenbeispiel.

    Ich kenne noch andere Freunde und Bekannte, die adoptiert sind und das absolute Gegenteil von dem sind, was dir in der Grupper erzählt wurde.

    Versprochen: Es ist wirklich nicht IMMER IMMER so! Es kann ganz wundervoll und völlig normal sein, so wie man sich das wünscht!

    Ich drücke Euch so sehr die Daumen, dass ihr die Kraft findet, diese schwere Zeit nach allem, was ihr bereits durchmachen musstet, zu überstehen und bald Euer Baby in den Armen zu halten.

    Und wenn die Gruppe dir nicht guttut: Pfeif drauf!

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  3. Ach, Danke, Liebelein. Und Dir wünsche ich, dass die blöde Kuh Depression sich nun endlich auf die andere Seite der Weide trollt.

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  4. Liebe Flora,
    vielleicht solltest du dir mal eine andere Ado-Gruppe suchen! Eine ohne Psychologen etc., eine wo sich wie in einer normalen Krabbel- und Spielegruppe einfach Adoeltern mit ihren Kindern treffen! Wir haben soetwas bei uns und da sieht man daß das alles ganz normale Familien sein können! Natürlich gibt es auch mal adospezifische Problematiken - aber ansich ist das einfach ein nettes Beisammensein unter Gleichgesinnten. Es ist vorallem für die Kinder auch schön zu sehen, daß sie nichts besonderes im negativen Sinne sind, denn es gibt etliche andere mit gleichem Schicksal. Wir haben dort nur "normale" Kinder und Eltern angetroffen. Klar kommt es mal vor, daß eine Mutter erzählt, daß ihre Tochter, die sich grad intensiv mit ihrer Herkunft auseinandersetzt vermehrt weint o.ä. aber viele Dinge/ Probleme die mal auftauchen könnten genauso bei einem leiblichen Kind auftreten....
    Such dir eine solche Gruppe, denn die gibt es bestimmt auch bei euch und die wird dir ein ganz anderes Bild vermitteln! Eines, das einem Mut macht, sich auf dieses Abenteuer einzulassen! :D

    Gruß oenskedroem

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  5. Liebe Flora,
    ich kann dem kleinen Muc nur zustimmen, es ist ganz sicher nicht IMMER so.
    Meine Cousine wurde auch adoptiert, sie war als kleines Kind ein ganz zauberhaftes liebes Mädchen, das ihren Eltern sehr viel
    Freude gemacht hat und sie wurde auch von Anfang an mit dem Wissen erzogen, dass ihre Eltern nicht ihre leiblichen Eltern aber
    Herzenseltern sind. In der Pubertät mutierte sie zum Teufel, aber mal ehrlich, sind wir das nicht alle?
    Nun hat sie ihre Eltern sehr jung zu Großeltern gemacht, was auch etwas schwierig war, aber mittlerweile hat sie sich zu einer anständigen jungen Frau gemausert, die nicht nur ihre Ausbildung bestanden hat sondern ihrem Jungen auch eine gute Mutter ist.
    Einfach war es sicher nicht immer, aber ich glaube nicht, dass ihre Eltern behaupten können, es wäre mit einem leiblichen Kind auf jeden Fall anders gelaufen. Sie sind glücklich, dass sie ihre Tochter haben und meine Cousine ist glücklich ihre Herzenseltern zu haben.

    Und noch etwas, und das ist jetzt ganz, ganz ehrlich von jemandem geschrieben und gemeint, der eigentlich keine Kommentare verfasst: Eine Frau, die so warmherzig, liebevoll schreiben kann und dabei eine harte Zeit mit soviel Humor meistert, die kann nur eine gute Mama werden (und da ist es ganz egal ob leiblich oder nicht)! Ich wünsche dir von Herzen alles Liebe! Tini

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  6. Hallo Flora,
    hier die Sense! Erstmal durchatmen. Psychologen werden bezahlt fürs schwarz anpinnen!
    Mein Mann wurde mit 2 J. in den Haushalt einer Pflegemutter abgegeben (Mutter abgehauen/ Vater Suizid). Mit 7 J. von einem typisch deutschen Vorzeigepaar adoptiert (Sie Hausfrau/ Er Oberstufenlehrer). Mein Mann hat einen Knacks ABER nicht aufgrund der Adoption an sich, sondern weil seine Adoptiveltern nicht mit einem "glücklichen Fliesenleger" sprich KFZ-Mech. leben wollten, sondern ausschließlich! den Professor haben wollten.

    Heute besteht kein Kontakt mehr, wir erwarten in ca. 2 Wochen unser erstes Kind und mein Mann hat genau die gleichen Ängste wie jeder andere werdende Vater.

    Du, liebe Flora, hast eine von vielen Hürden bereits genommen. Ein Kind um seiner selbst willen gerne zu haben, ist meiner Meinung nach das wichtigste. Alles andere wächst mit.

    Und die Horrorgeschichten von 14 J. die aus Wut auf den Wohnzimmerteppich kacken, nunja, wirds geben, aber schau bitte ganz genau hin wie die Familien so gestrickt sind. Meistens liegen da noch mehr Leichen im Keller und nicht immer sind die adoptierten Kinder die Bösen.

    Euch beiden alles Gute, Kraft und Zuversicht.
    Es kommt von Herzen.

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  7. Liebe Flora,

    jetzt weiß ich auch wo ihr gewesen seid. Oh oh...ich wollte da nicht hin, gebe aber zu, dass ich darüber nachgedacht habe, weil die Adoptionsvermittlungsstelle es ja doch soooo gern sieht, wenn man dahin geht. Doch nach dem was Du schilderst, werden wir auf keinen Fall dort hingehen!

    Was bezwecken diese Menschen damit? Natürlich läuft nicht immer alles nach Plan im Leben, das haben wir jawohl alle am eigenen Leib schon erlebt, dass klingt ja fast so, als wären adoptierte Kinder irgendwie außerirdisch.

    Mit jedem Kind kannst Du das Geschilderte erleben, egal ob leiblich oder adoptiert. Uns ist auch bewusst, dass es mit einem angenommenen Kind zu anderen Problemen kommen kann, als mit einem leiblichen Kind, doch niemand gibt Dir die Gewähr, dass das leibliche Kind mit 14 nicht doch von zu Hause abhaut und der Meinung ist, sich mit ominösen tollen Freunden rum zutreiben.

    Ich kann verstehen, dass sie Gedankenanstöße geben wollen und dass dies auch alles wichtig ist (man kauft ja schließlich kein neues Auto) um sich intensiv mit diesem Thema auseinander zu setzen.

    Wenn Dein Bauch oder Fusslkopp Dir sagt, Du magst da nimmer hin, dann geh auch nicht!

    Deine Ängste kann ich so gut verstehen, mir spuckt das auch im Kopf herum....und wir haben noch nicht einmal den Antrag eingereicht.

    Wie wird es sein, wenn der Anruf kommt, wie sieht "unser" Kind aus, bekommen wir überhaupt diesen einen Anruf usw. und sofort.

    Ich wünsche euch Kraft und Mut und bin ganz sicher, dass wenn der Anruf, kommt euer Leben Kopf steht und eine absolut tolle Zeit für euch 3 als kleine Familie beginnt!

    Liebe Grüße
    Karo

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  8. Hallo Flora,
    bei unserem ersten Termin in der Adoptionsstelle wurde uns auch der Eindruck vermittelt, daß wir besser so schnell wie möglich Kurse in Frühkindpädagogik, Traumatherapie und Erziehung bei Verhaltensstörungen belegen sollten, um mit dieser tickenden Zeitbombe Adoptionskind fertig zu werden. Ich verstehe, daß man aufklären, warnen und ein realistisches Bild vermitteln muß, kann aber genauso wenig wie Du nachvollziehen, warum es bei ausschließlicher Schwarzmalerei bleibt. Und nicht nur, daß einem vermittelt wird, das Kind sei verstört, gestört und ohnehin ablehnend den neuen Eltern gegenüber, auch den potentiellen Eltern wird zunächst mal fehlendes Einfühlungsvermögen unterstellt. Zumindest war das mein Eindruck. Wenn man bereits ein Kind hätte, würde man das ja sowieso lieber haben. Wer nicht "richtig getrauert" habe über seinen Kinderwunsch, könne die Trauer des Kindes über den Verlust der leiblichen Eltern ohnehin nicht nachvollziehen, egal, welche Erfahrungen er in seinem Leben schon gemacht hat. Mich hat diese negative Grundeinstellung gegenüber dem Kind, den potentiellen Eltern und der ganzen Sache als solche abgeschreckt und geärgert. Trotzdem werden wir uns weiter mit diesem Thema befassen, sollte es weiterhin nicht mit eigenen Kindern klappen.
    Ich wünsche Euch weiterhin viel Kraft und gelegentlich eine Mauer zum Dagegentreten!!!

    LG, Emma

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  9. Flora, ich finde, es ist aber auch die falsche Einstellung zu sagen "Ich geh da nicht mehr hin". Man ist es seinem späteren Kind schuldig, sich auf alle möglichen Szenarien vorzubereiten, die bei Adoptionen leider so selten nicht sind, und da spreche ich aus Erfahrung. Bei unserem Mäuschen hat sich mittlerweile eine ordentliche FAS Störung herausgestellt, obwohl die leibliche Mutter damals versicherte, drogen- und alkoholfrei zu sein. Sie trägt nun ihr Päckchen und wir auch, obwohl wir sie sehr lieben. Es ist aber fraglich, ob sie ein eigenständiges Leben führen wird.

    Ich bitte Dich auch zu bedenken, dass solche Geschichten wie "Mein Mann/Bekannter/Nachbar" wurde in den 70ern/80ern adoptiert nicht unbedingt aussagekräftig für unsere heutige Zeit ist. Damals waren die freigebenden Mütter in der Regel gesünder, es gab die soziale Absicherung noch nicht und da kamen auch sozial integriertere Mütter leicht in Zwangslagen.

    Ich will Dich nicht abhalten, aber mit Zweckoptimismus kommt man halt nicht immer weiter und es ist manchmal für alle Beteiligten schmerzhaft, sich mit Ach und Krach an den Vorstellungen eines traditionellen Familienlebens festzuhalten...

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  10. Liebe Flora, für den Fall, dass Du gerade den Tatort gucken solltest: Ja, genau! Ich auch.
    LG

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  11. Liebe Flora,
    ich arbeite als Sozialarbeiterin seit nun fast vier Jahren in der Sozialpädagogischen Familienhilfe, vorher mit psychisch Kranken, in ner Drogenberatung und im offenen Kinder- und Jugendbereich und lass Dir sagen: statt zu dieser Gruppe zu gehen - Empfehlung des Amtes hin oder her - solltet Ihr lieber ne Flasche Rotwein aufmachen, Euch mit Freunden treffen, anspruchsvolle Filme im Kino sehen (so lange Euch dabei noch nicht die Augen zufallen :-)) und (noch :-)) ie Zeit zu ZWeit genießen. Ganz ehrlich: ich kenne durch meine Arbeit soviele gestörte Familien und die befinden sich nicht alle am Rand der Gesellschaft, sind durchs soziale Netz gefallen oder Alkoholiker. Die "besonderen" Kinder habe ich auch in ganz "normalen" Familien. Prägend für die Bindungsfähigkeit sind die ersten drei Lebensjahre. Je mehr ein Kind in dieser Zeit mitgemacht oder nicht erfahren hat, desto schwieriger wird es - fürs Kind und für die (Adoptiv)-Eltern. Aber Ihr steckt so voller Liebe und Optimismus, dass Ihr das hinkriegen werdet. Aber haltet Euch von den Mießmachern fern, das verursacht nur Unsicherheiten. Eine Selbsthilfegruppe könnt Ihr auch dann noch besuchen - und das ist dann bestimmt sinnvoll - wenn Eure Kleine mit nem Messer auf die Nachbarin losgeht oder Euer Kleiner mit acht plötzlich wieder in die Hose macht. Dann, aber auch erst DANN gibt es wunderbare Hilfseinrichtungen, die tolle Arbeit machen. (In NRW sind das Sozialpädiatrische Zentren) Ich bin da mit "meinen Familien" quasi wöchentlich. Da gibt es dann konkrete Diagnosen und praktische Hilfestellungen und kein Gefasel a la "in der Schwangerschaft den Bauch angespannt" Hallo? Also bitte, bitte freut Euch auf Euer Kind, Ihr werdet tolle Eltern, die auch Fehler machen werden, aber Ihr seid so reflektiert (hihi, Sozialarbeitergeschwätz), dass Ihr Euch im Fall des Falles Unterstützung holen werdet. Und nur dann, wenn es notwendig ist. Wie Du schon schreibst, die netten Eltern waren vermutlich gerade unterwegs und haben was Schönes unternommen. Und das solltet Ihr auch tun. Das hat nix mit Verdrängung oder Realitätsferne zu tun. Sondern einfach nur mit Lebensfreude und Vernunft. Bevor wir unseren Führerschein gemacht haben, sind wir doch auch nicht in eine Selbsthilfegruppe von Unfallopfern gegangen, oder? Klar, wir wussten, es KANN passieren, aber es MUSS nicht! Alles Liebe und hau die Gruppe in die Tonne!

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  12. Die Schwester meiner Freundin hat vor 15 Jahren ein Neugeborenes adoptiert. Sie ist vollkommen gesund und "normal".

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  13. Liebe Flora,
    ich lese seit gestern dein Buch und bin gerade hier in den Blog gestolpert, und bin ganz begeistert über die Art wie du mit deiner Situation umgehst.
    Zu deiner aktuellen Situation kann ich mit meiner eigenen Lebenserfahrung mitreden, ich bin selbst adoptiert, jedoch nicht aus Deutschland. Meine Eltern waren zunächst auch in den Selbsthilfegruppen, haben das aber abgebrochen, weil sie das ganze Thema Adoption als zu problematisiert empfanden. Ich denke man sollte sich bewusst sein, das immer etwas schief gehen kann, aber das gilt auch für leibliche Kinder. Meine Eltern haben mit mir nur die üblichen Pubertäts-Mädchen-Probleme durchmachen müssen und ich habe nie angezweifelt, dass sie meine "richtigen" Eltern sind.
    Sollte die KiWu-Behandlung schief gehen, wollen mein Mann und ich auch auf jeden Fall adoptieren, allerdings aus dem Land aus dem ich stamme ;-)
    Ich wünsche dir alles Gute!!

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