Freitag, 20. September 2013

Zwei Monate, Teil 3: was ist jetzt anders?

Vor zehn Minuten habe ich ihm eine halbe Flasche gegeben und ihn schlafen gelegt, und wunderbarerweise schläft er jetzt tatsächlich, obwohl es noch nicht zehn ist. (Dass Ernst Stavro Mamas mangelndes Schlaftalent geerbt hat, habe ich glaube ich schon mal geschrieben?)

So lange ich also aus dem Stubenwagen nur leises Schnäufeln höre statt lautes Gebrüll, dachte ich, schreibe ich noch mal kurz auf, was eigentlich anders ist, seitdem er bei uns ist.

1. Nachdem ich ein paar Jahre unter Vollstress in einer Werbeagentur gearbeitet hatte, kam ein Gedanke immer wieder: wie wahnsinnig viel effektiver, schneller und erfolgreicher ich hätte studieren können, wenn ich nur erst gearbeitet und mich dann an der Uni eingeschrieben hätte. in schwachen Momenten hätte ich heulen können beim Gedanken daran, wie vollgepackt mir zu Unizeiten ein Tag vorkam, an dem ich drei Seminare hatte und dann noch in die Unibibliothek musste. Wie mich ein 45minütiges Referat vier Wochen lang umtrieb (davon vielleicht fünf Stunden tatsächlich aktiv). Wie superduperfix das alles gegangen wäre, hätte ich eine Ahnung gehabt, wie arbeiten wirklich geht. In echt, für Erwachsene. Hätte, hätte, Herrentoilette. Dieses Gefühl ist jetzt wieder da, es bezieht sich auf den Haushalt. Fast kein Tag vergeht, an dem ich mir nicht mindestens einmal einbilde, eine freie Stunde täglich würde reichen, um das Haus immer auf Hochglanz zu halten. Mit jahreszeitlicher Deko! Und Kuchen! Und Schnittblumen! Das ist eine meiner neuen Lieblingsphantasien. (Wir wissen alle, dass das nicht passieren würde. Eine freie Stunde mehr am Tag würde einfach so verschwinden, ohne irgendwie sichtbares Resultat, und ich bin und bleibe einfach keine Musterhausfrau, egal wie viele freie Stunden der Tag für mich bereit hält.)

2. Wäscheberge hin, Abwasch her, ich hab mich noch nie so wohl und zuhause so zuhause gefühlt. Liegt das nur an dem niedlichen kleinen Mama-Magnet in dem Stubenwagen? Oder daran, dass sich das Zuhause jetzt mehr wie ein Zuhause anfühlt? Ist es nur die Gewohnheit, weil ich jetzt eben fast immer hier bin? Der kleine schnörchelt, und ich denke, das ist unser Haus. Das ist meine Familie. Hier gehöre ich hin. Und jetzt klinge ich schon wie ein Heimatfilm.

3. Mit meiner Mutter habe ich mich noch nie so gut verstanden wie jetzt. Und ich glaube, es liegt noch nicht mal nur daran, dass ich jetzt "weiß, was sie mitgemacht hat" oder dergleichen. Da ist noch was anderes. Was, weiß ich noch nicht, aber ich sage Bescheid, wenn ich der Sache näher gekommen bin.

4. Über die Hausarbeit hatte ich ja schon geschrieben. Aber noch nicht darüber, dass sie jetzt - ähnlich wie früher in Prüfungsbüffelphasen - manchmal fast verlockend ist. Natürlich ist es toll, mit meinem eigenen Baby zu der gerade per Post angekommenen Christiane&Frederik-CD "Der Cowboy Jim aus Texas" singend durchs Wohnzimmer zu tanzen. Aber es macht plötzlich auch Spaß, ihn kurz L. in die Arme zu legen und in den Keller zu rennen, um Wäsche zu waschen.

5. Singen ist auf einmal nicht mehr peinlich. Genau wie Selbstgespräche (die irgendwie nicht als Selbstgespräche zählen, wenn ich dabei einen Kinderwagen schiebe). Oder Flecken auf dem Pulli. Oder... meine Schamgrenze wurde vermutlich in dem Moment ein für allemal ausradiert, als ich breitbeinig und unten ohne mit einer verrutschten Sauerstoffmaske im knallroten Gesicht auf einem dreckigen Kreißsaalbett kniete und brüllte "da kommt Stuhl! Ich weiß genau, da kommt Stuhl!" trotz der gegenteiligen Beteuerungen der Ärztinnen. Gestern habe ich einfach so einem anderen Menschen an die Nase gegriffen und liebevoll einen Popel entfernt. (Keine Angst, es war Ernst Stavros Popel. Aber der Tag wird kommen, da greife ich reflexhaft der Bäckerin oder dem Postboten an die Nase.)

6. Ich denke ziemlich viel darüber nach, was aus mir und meinem Leben werden soll. Und je länger ich das tue, desto klarer wird mir, dass ich nicht in fünf Jahren noch witzige Broschüren und pfiffige Anzeigen für irgendwelche Produkte schreiben will, die ich manchmal mag, manchmal nicht und bei denen ich manchmal heimlich denke, je weniger davon verkauft wird, desto besser. (Nicht, dass das jemals dazu geführt hat, dass ich mir keine Mühe gegeben hätte... ) Ich weiß, wir Werber haben alle diese Momente, und dann geht der Moment vorbei und wir machen doch weiter. Mal sehen, was aus meinem Rappel wird.



3 Kommentare:

  1. Danke Flora! Über Nr.5 musste ich so herzhaft lachen, dass ich fast vom Sofa gefallen bin;-). Du sprichst mir bei vielen Dingen aus der Seele ( ich hätte früher nie vor irgendwem freiwillig gesungen usw.)!
    Mach weiter mit Deinem Blog und alles Liebe für Euch 3!
    Jana

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  2. Das geht mir genauso mit Nr.6. Ich bin gespannt, was bei Dir herauskommt, denn ich bin noch am Grübeln. Vielleicht hast Du ja einen guten Tip.

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  3. Ui, super Post! Was machen eigentlich eure Sprossenfenster? Alles restlos fertig?

    Lg!

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