Mittwoch, 19. Februar 2014

Das ist doch noch Lebensqualität.

Auf einem kurzen Gang zu Edeka und in die Apotheke, um mir Estrifam und Utrogest zu besorgen, habe ich drei betrunkene Männer in Rollstühlen gesehen. Zwei davon kenne ich vom Sehen und weiß, dass sie eigentlich ganz gut ohne Räder zurecht kommen - vermutlich war es einfach einer dieser Tage, an denen man die Dinge lieber im Sitzen erledigt. Es wird viel geraucht hier, vor allem auch von Leuten, die die Zigarettenindustrie eher ungern auf ihre Plakate druckt. Alte Frauen rauchen hier z.B. häufig. Es gibt eine Gang alter Frauen, die sich zweimal wöchentlich vor Edeka im Halbkreis auf ihre Rollatoren setzen und rauchen. Eine davon raucht lange, schwarze Zigarillos. Der Edeka ist schwer beliebt bei alten, rauchenden Mitbürgern, denn er liegt direkt neben der Ubahn, hat abends noch lange auf und ist kein Edeka dieser kalten, poshen Sorte, wo man Salz aus Ibiza kaufen kann, Pata Negra-Schinken und Olivenöl, das in Goldfolie gewickelt wird. Hier läuft auch wenig Suff-Verschleierung. Die kenne ich aus meiner alten Gegend in Eimsbüttel (und dabei war selbst das trotz explodierender Mieten damals noch eine Gegend für rauchende alte Frauen): Alkoholiker an der Kasse, die eine Flasche Schnaps, drei anderthalb-Liter-Tetrapacks Weißwein und ein Kilo gut und günstig Mehl Type 605 kaufen, um den Anschein zu erwecken, sie würden hier nur kurz die Haushaltseinkäufe erledigen, aber für diese Tarnung dann doch nicht so viel Geld ausgeben wollen, das für Racke Rauchzart besser angelegt wäre. Wenn das hier irgendwann auch losgeht mit dem Kilo Mehl, dann weiß ich, demnächst explodieren die Mieten und wir kriegen einen Laden, in dem man schicken Kaffee kaufen kann. Und Olivenöl in Goldfolie!
Ist der Schnaps erst mal gekauft, will er auch getrunken werden, und nicht alle Nachbarn trinken ihn gerne zuhause vor dem Fernseher. Einige gehen damit nach draußen, in den Park, und wenn sie dann irgendwann rechtschaffen voll nach Hause schwanken, dann lassen sie einiges liegen: benutztes Klopapier, leere Flaschen, Kotzfladen (über die die Hunde sich immer freuen, wenn ich es nicht rechtzeitig merke), Plastiktüten, Pizzakartons. Wäre ich Pizzabote, würde ich mich gruseln, wenn man mich abends um elf im Februar in einen unbeleuchteten Park bestellen würde, aber sie sind scheinbar aus härterem Holz geschnitzt als ich. In den letzten vier Wochen sind mir in unmittelbarer Nähe unseres Hauses begegnet:
- eine 80jährige, die bei zwei Grad unter Null in BH und Jogginghose draußen war,
- ein Mann, der im Papierkorb wühlte, eine leere Konservendose herausfischte, den Deckel ableckte und sie wieder reinsteckte,
- ein Spaziergänger im Park, dem ein langes, braunverschmiertes Stück Klopapier hinten aus der Hose hing,
- ein Mann, der mit einem Ghetto Blaster auf einer Parkbank saß und Anfangsmelodien von Fernsehserien der 80er hörte
- eine Putzfrauentranse - das heißt ein Mann, als Putzfrauenklischee verkleidet, und das stimmig bis ins Detail - Kittelschürze, blauer Glitzerlidschatten, seitlicher Pferdeschwanz, von einer Plastikkralle gehalten, Funkemariechenstrumpfhosen und rosa Fake-Birkenstocks
- eine Frau mit einem ca. fünf Monate altem Säugling, dem sie auf dem Markt eine dicke fette Pferdewurst gekauft hatte
- ein Mann, der seinen Regenschirm als Spazierstock einsetzte wie ein englischer Flaneur in einem alten Film, nur dass der Regenschirm ca. sechzig Zentimeter lang, rosa und voller Rüschen war, so dass er mit einem Neigungswinkel von ca. sechzig Grad flanieren musste

Das ist doch der Stoff, aus dem die Kiez-Schwärmereien in angesagten Großstadtgegenden gemacht sind. Oder? Man könnte denken, ich wohne auf Sankt Pauli. Tue ich aber nicht.
Ich finde, ich wohne in einer tollen Gegend, um ein Kind aufzuziehen. Noch ein Kind, meine ich.
Und die Chancen stehen dafür gar nicht so schlecht: von vierzehn Zellen haben sich elf 1a befruchten lassen. Freitag gibt es die erste Rutsche zurück. Nennt ihr das ruhig überzogenen Optimismus. Ich nenne das der Kinderlosigkeit den Stinkefinger zeigen, und zwar mit Klopapier hinten in der Hose.

10 Kommentare:

  1. MADE MY DAY!!!

    Und super viel Glück...man kann NIE zu optimistisch sein!!!

    Alles Liebe, N.

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  2. Ich hoffe es ist noch weiß und nicht schon braun? ;)

    Ansonsten: Toi. Toi. Toi. Daumen sind gedrückt!

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  3. Der brüller, ich lach mich schlapp. Was es nicht alles gibt. Die besten Bedingungen ein Kind auf die Welt da draußen vorzubereiten. Ich hoffe alles klappt mit euren zellchen!

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  4. Hm. Dir ist sicherlich bewusst, dass diese von Dir beschriebenen Menschen (!) vielleicht Gründe für ihr "Verhalten", ihr derzeitiges "Dahinvegetieren" - sprich für ihre Situation haben. Ich finde das absolut nicht erheiternd, wie Du über diese Mitmenschen schreibst. Da kann man ja nur hoffen, dass Du nicht in der sozialen Arbeit tätig bist. Nicht jeder Mensch hat das große, glückliche Lebenslos gezogen!! Finde Deinen Beitrag sehr egoistisch und erniedrigend. Ja Ja - Du hast das wahrscheinlich gaaanz anders gemeint. Wie öfter schon.

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    1. Aha. Das ist also egoistisch und erniedrigend, wenn ich mich freue, dass es in meinem Vorort noch reichlich schräge Vögel und Licht und Schatten gibt und es hier nicht so blitzblank gesandstrahlt zugeht wie z.B. in Harvestehude. Na gut.

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  5. Liebe Flora ;o)

    Also ich finde deinen Beitrag wieder herrlich erfrischend!!
    Das wahre Leben - eben. Und du hast recht, ein herrlicher Platz für ein weiteres Kind (Hauptsache gesund, aber diesmal würde ich dir das Mädchen wünschen - ich selbst wollte immer einen großen Bruder ��)

    Ich drücke wieder beide Daumen und möchte der Kinderlosigkeit auch den stinke zeigen!

    Liebe Grüße ;o)

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  6. Hey Flora,

    wünsch dir für morgen auch alles Gute!

    Ich bin morgen auch wieder dran, 2 Kryos warten auf mich die heute aufgetaut wurden nach fast einem Jahr Ruhezeit nachdem es beim letzten Mal wieder mit einer Fehlgeburt endete.

    Auch allen anderen viel Erfolg.

    LG Petra

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    1. Liebe Petra, ich drücke zurück! Viel Glück mit den Kryos, die können mehr, als man so denkt...

      Liebe Grüße!

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  7. Viel Glück und gedrückte Daumen! Mal schauen wann wir mit dem Geschwister-Projekt starten. LG Anja

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  8. Hallo Flora,
    wir hibbeln diesmal auch zusammen. Hatte am Mittwoch die Rueckuebertragung von zwei wunderschoenen Blastos in 5.ICSI und in Summe 8. Uebertragung immernoch fuer Kind eins. Drueck Dir die Daumen, dass sich das Geschwisterkind fuer Deinen Zwerg schneller auf die Socken macht als er damals.
    LG Anita

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