Freitag, 4. Juli 2014

Ohne Glück geht's nicht.

Egal, ob wir vorsichtig mit leichter Schnittmenge zur Paranoia sind. Egal, ob wir schon drei Wochen vor Geburt alle Steckdosen und Treppen sichern. Egal, ob die Messer in unserer Küche in einer Höhe untergebracht sind, die mich fast zwingt, auf eine Trittleiter zu steigen, wenn ich Kartoffeln schälen will. Egal, ob wir alle Vorsorgeuntersuchungen sowohl für Würmchen im Bauch als auch für Würmchen danach machen, die Vitamine schlucken und ihm täglich gewaschenes, in erstickungssichere Würfelchen geschnittenes Obst reichen. Egal, ob wir mit viel Mühe den besten Kinderarzt, Kindersitz und Kindergarten suchen. Egal, ob wir ihn niemals aus den Augen lassen und immer eine Hand auf seinem Bauch haben, wenn er auf der Wickelkommode liegt und wir gleichzeitig nach einem frischen Strampler kramen. Wenn wir kein Glück haben, kann trotzdem etwas Schreckliches passieren, und zwar ganz leicht. Alle Vorsicht der Welt bewahrt uns nicht davor, zur falschen Zeit am falschen Ort zu entdecken, dass unser Kind eine Allergie gegen Bienenstiche, Erdbeeren oder Erdnüsse hat. Oder vor betrunkenen Autofahrern. Oder vor Krankheiten, Stürzen mit Baby auf dem Arm die Treppe runter oder vor dem, was auch im besten Kindergarten der Welt passieren kann. Das wissen vermutlich alle Eltern, aber als IVF-Mutter macht man sich noch ein paar mehr (und ein paar Jahre länger) Gedanken um Glück und Pech und was eine kleine Verschiebung der Balance alles bewirken kann. Kein Wunder, ohne Glück hätten wir ihn gar nicht erst bekommen. Wir wissen, dass wir Glückspilze sind, gewaltige Glückspilze. Bisher jedenfalls.


Gestern ist unser Pflegehund Momo über die Straße gerannt und überfahren worden. Das Putzpärchen kam gerade an, ich war draußen am Auto und dabei, Würmchen in seinen Kindersitz zu schnallen. Als nächstes wollte ich den Kinderwagen holen und verstauen, dann die Hunde angeleint in den Kofferraum hüpfen lassen. Das hatte sich dann erledigt. Denn an den Putzleuten vorbei kam plötzlich Momo über das Vorgartenbeet gerannt. Ich war drei Meter weg, wusste genau, was gleich passiert, und konnte nichts tun, auch wenn ich geschrien habe wie am Spieß. Da kam der fröhliche Hund, da kam der dicke Van, schneller als erlaubt, und auf der anderen Straßenseite die alte Dame mit dem kleinen weißen Pudel, dem Momo gerne guten Tag gesagt hätte. Er gab einen Schlag, einen schrecklichen Hundeschrei, dann kam sie blutüberströmt und hinkend zurück. Ihr linkes Vorderbein ist nur noch ein Haufen blutiges Fell, Matsch und Knochensplitter. Ich habe geschrien und das Kind an mich gepresst, und das bestimmt zwanzig Minuten lang. L. war zum Glück etwas geistesgegenwärtiger, hat sie gepackt, in den Kofferraum gelegt und ist mit ihr zur zum Glück nur zwei Minuten entfernten Tierärztin gefahren. Die hat sie versorgt, die Wunde verbunden, und weiter ging es in die Tierklinik, die auch nicht weit weg ist. Dort bekam sie erst mal einen Tropf gegen den Schmerz und den großen Blutverlust. Seitdem leben wir im Rhythmus der Anrufe in der Klinik. Etwas Neues gibt es heute nachmittag. Heute Abend. Morgen früh um acht. Gegen vier. Gerade kam der Anruf: das Bein ist operiert, und wie durch ein Wunder haben sie es einigermaßen zusammenflicken können, und wenn sie so ein zähes kleines Luder ist wie gehofft, wächst es vielleicht sogar zusammen, stirbt nicht ab und wird irgendwie wieder. Wie durch ein noch größeres Wunder ist ihr rund um das Bein überhaupt nichts passiert. Man könnte sagen, so ein Pech, dass ausgerechnet an diesem Tag die Putzleute zehn Minuten zu spät gekommen sind. Sonst wäre ich nicht gerade draußen gewesen, und Momo hätte keinen Anlass gehabt, überhaupt an den beiden vorbei zu wollen. (Wo ich hingehe, geht sie auch hin. So hat sie das bisher immer gehalten, und steht was im Weg, springt sie drüber oder geht mittendurch.) Dass die beiden nicht aufgepasst haben, obwohl sie wissen, dass wir Hunde haben, die sich zur Begrüßung immer an der Tür herumdrängeln, und dass man vorsichtig sein muss. Dass ausgerechnet in diesem Moment dieser verdammte Van da fuhr, wo fünf Minuten vorher und nachher kein einziges Auto unterwegs war. Dass er zu schnell war. Dass ausgerechnet jetzt der Pudel da langging. Dass auf unserer Straßenseite so viele Autos parkten wegen einem Fußballspiel um die Ecke, und dass der Fahrer sie deshalb nicht kommen sehen konnte. Das war wirklich alles Pech. Aber gleichzeitig ist es nicht zu fassen, dass dieser kleine, weiche, nur von einer lockigen Fellschicht geschützte Hund mit diesem Riesenblechmonster zusammenstößt und sich dabei nur das Bein verletzt, statt sofort mausetot zu sein. Dass wir so dicht bei einem Tierarzt wohnen - eine Viertelstunde später, und sie hätte zu viel Blut verloren. Dass das nicht Sonntagmittag passiert ist, sondern Donnerstag Vormittag. Dass die Verletzungen zwar schrecklich waren, aber trotzdem zu reparieren, und dass es Hoffnung gibt, dass sie weiter auf vier eigenen Pfoten durch die Parks und Flusstäler stromern kann.
Diese zehn Sekunden - der Hund kommt aus der Tür, rennt unter das Auto, schreit und klappt blutüberströmt auf dem Gehweg zusammen - werde ich niemals vergessen. Falls überhaupt möglich, werde ich von heute an noch dichter hinter Würmchen stehen, wenn er eine Treppe herunterkrabbelt. Ich werde niemals nur mal kurz etwas nebenan holen, wenn er allein mit irgend etwas ist, was ihm im übelsten Fall schaden könnte. Ich werde noch dankbarer sein für unser Idiotenglück. Und ich werde mich noch weniger darauf verlassen.

Die Frau mit dem Pudel ist übrigens noch nicht mal stehen geblieben. Nicht, dass sie irgend eine Schuld daran hatte - aber ich hätte nicht gedacht, dass es auf diesem Planeten auch nur einen Hundebesitzer gibt, dem es egal ist, ob vor seiner Nase ein anderer Hund überfahren wird. Falsch gedacht.

6 Kommentare:

  1. Liebe Flora,
    ich habe Gänsehaut beim lesen - was für ein Riesenschreck für euch alle! Alles Gute für Momo, dass ihr Bein gut heilt und sie sich gut erholt.
    Was ist eigentlich mit der/dem Vanfahrer/in? Wird wohl in Zukunft hoffentlich gehörig vorsichtiger fahren im Wohngebiet...

    Alles Gute!
    Nina aus HH

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  2. Wie furchtbar, wie furchtbar und Gott sei dank gibt es Hoffnung, dass für Momo alles wieder gut wird. Leider ging fast die gleiche Geschichte vor zwei Wochen für den geliebten Hund meiner besten Freundin nicht gut aus. In dem Fall ist allerdings nicht einmal der Autofahrer stehen geblieben...

    Ich drücke alle Daumen für die tapfere Momo, da kämpft sie sich schon durch.

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  3. Oh wie schrecklich. Ich sitze hier und heule. Ich denke an euren Momo und sende ihm ganz viel Kraft

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  4. Schrecklich! Ich wünsche Momo alles erdenklich Gute... der Schreck muss tief sitzen, ich will mir das garnicht ausmalen :(

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  5. Pfffft... Arme Hundemaus. Ich drück ihr die Dauemn! Meine Mutter sagt auch immer, Glück ist mit die Doofen (traditionell grammatikalisch verkehrt).

    Lg
    Kathi

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  6. Oh Gott!! Die arme Maus!!

    Hoffentlich wird sie wieder ganz gesund. Und das schnell!

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