Samstag, 19. März 2011

Tag 2 der Fastenwoche, oder: nichts kann, alles muss.

Morgens wacht man auf und weiß schon bevor man die Augen geöffnet hat, heute ist irgendwas. Irgendwas Gutes. Dieses Gefühl, das Kinder bis zum Alter von ca. neun Jahren am 24. Dezember haben. Ich habe ca. dreißig Sekunden gebraucht, bis ich wusste: ich hab den ersten Fastentag überstanden ohne nennenswerte Einbrüche, was Motivation, Wohlbefinden und Laune betrifft, und wenn ich jetzt kurz einen innerlichen Check meiner wichtigsten Organe mache, dann scheint alles in Ordnung zu sein. Keine Kopfschmerzen, kein Schwindelgefühl, kein Hunger, alles scheint bestens zu sein. Zwei Minuten später stehe ich auf dem Balkon und atme ein und aus, rudere dazu mit den Armen, berühre ein paar mal meine Zehen und erkläre damit den Fastenprogrammpunkt "Luftbad" für erledigt. Ich ziehe mich an, nehme das Tier an die Leine, und wir ziehen los. Vor dem Aufbruch packe ich mir sogar noch einen dicken Klumpen Geflügelfleischwurst in die Tasche, die ich auf dem Spaziergang neidlos an Lili verfüttere, wenn sie brav ist (also sitzt, kommt, wartet, nicht wieder am Herrchen ihres Lieblingsschäferhundes auf der ganzen Welt hochspringt und bleibt, wo ich sie absetze). Unterwegs habe ich einiges zu tun. Ich muss mich an frischen Knospen erfreuen, dem Gesang der Vögel lauschen, weiter ein- und ausatmen mit Betonung, "die Seele baumeln lassen" und sonst noch so einiges, das die Fastenbuchautoren von mir erwarten. Gut, gut, mache ich ja, und es ist auch alles halb so wild, weil ich mich sowieso schon ziemlich wohl fühle, wenn ich mit Hund und Gummistiefeln durch den Matsch laufen kann. Außerdem freue ich mich darauf, gleich zu duschen, mich abzubürsten und einzuölen mit dem guten Hauschka Arnika-Öl und mich im Bademantel mit Fastentee ins Bett zu kuscheln, um dort in aller Ruhe zu posten, zu googeln, zu mailen und so entspannt wie nix gegen mindestens vier Fastenbuchautorengebote zu verstoßen.
Aber auch L. reibt sich schon voller Vorfreude die Hände, und als ich endlich nach Hause komme, geht es los. Den ganzen Tag sind wir so dermaßen aktiv, dass es nur so kracht. Wie roden Bäume und tragen die Klötze ins Haus für einen Winter in drei Jahren. Wir reißen den widerlichen alten Laminatboden von den verkrusteten Dielen auf dem Boden und schneiden ihn klein genug, um in Kisten zu passen. Dann fahren wir die Kisten zum Recyclinghof. Ich fege das Haus, gehe einkaufen (Zitronen zum Auslutschen gegen Übersäuerung für mich, Hundefutter für Lili, und ca. drei Kilo Lebensmittel für den verfressenen L.), spaziere noch zwei mal ausführlich mit dem Hund und darf die ganze Zeit nichts essen. Nichts. Es gibt einen kleinen Löffel Honig am Vormittag und wieder die unnachahmliche Fastensuppe, abends auch 100 ml Saft mit viel Wasser verdünnt, aber das war es. L. indessen isst im Lauf des Tages acht Scheiben Toast mit Käse, ein ganzes Schlemmerfilet mit irgendwas tomatigem drauf, einen Topf Dinkelnudeln mit Ketchup und fünf Scheiben Vollkornbrot mit irgendwas, was ich gar nicht erst wissen will. Dann macht er sich zum Feierabend noch drei große fränkische Bierchen auf. Was soll er machen, Gartenarbeit macht hungrig? Ich protestiere zischendurch immer mal wieder, dass ich jetzt aber meinen Leberwickel (so eine Art nasse Wärmflasche) machen muss, dass ich jetzt Tee trinken und hohlwangig aus dem Fenster gucken oder meine Vorräte streicheln muss, aber L. will davon nichts hören und peitscht weiter ein. Und das erstaunliche ist, es geht. Ein paar mal fühle ich mich ein bisschen wie in zu dünner Luft, aber davon abgesehen überstehe ich den Tag ziemlich gut. Vermutlich besser, als wenn ich rumgesessen und aus dem Fenster gestarrt hätte. Einziger Tiefpunkt: L. und ich misten die Bücher vom Dachboden aus, und ich stoße dabei auf die vier Bände "Schwäbische Küche", "Österreichische Küche", "Tapas" und "Dr. Oetker Schulbackbuch". Ich sitze auf der staubigen Treppe habe so etwas wie eine Vision. Was hab ich nur getrieben, als ich noch essen durfte? Wie habe ich nur meine Zeit verschleudert? Wie konnte ich mich jemals mit einer Schüssel Smacks aufs Sofa setzen, wenn ich stattdessen Mutzenmandeln hätte backen können? Warum hab ich jemals Schlemmerfilet gegessen, wo ich doch genau so gut Kärntner Kaasnudeln oder auch mal selbstgemachte Spinatspätzle hätte machen können? All die Kuchen, die ich noch nie gebacken hab, und all die großartigen Rezepte, die schon vor zweihundert Jahren die Leute nicht nur satt, sondern auch noch glücklich gemacht haben... oje, ich war wirklich kurz vorm Heulen vor Rührung über all das gute Essen, das fürs Erste ungekocht bleiben muss. (Ja, ihr erinnert euch richtig, ich bin die, die schon mal bei der Miracoli-Werbung in Tränen ausgebrochen ist.)
Ach je. Man soll ja gute Vorsätze fassen während der Fastenwoche. Hier sind einige:
1. Ich will wieder mehr kochen. Das ist im neuen Haus ein bisschen eingeschlafen, weil ich so viel anderes zu tun hatte. Aber ich will mich wieder am Wochenende mit meinen Kochbüchern auf die Couch legen und jede Woche mindestens ein neues Rezept ausprobieren.
2. Ich will wieder mehr Vollkornbrot kaufen. (Vollkornnudeln oder Vollkornkuchen dagegen: niemals.)
3. Ich will Obstbäume im Garten pflanzen, außerdem Johannisbeersträucher und Heidelbeeren und Himbeeren im Wäldchen. Ich will mich um sie kümmern und versuchen, sie jedenfalls nicht absichtlich zu vernichten.
4. Ich will mindestens einmal pro Monat ins Theater gehen.
5. Ich will keine einzige intouch kaufen, bevor ich nicht meinen Zeitungsstapel aufgelesen habe.

Und Abends schaffe ich es noch nicht mal, lange genug für Pastewka wachzubleiben.

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