Seit ungefähr vier Jahren ist die Elbphilharmonie nächstes Jahr fertig. Und seit ca. einem halben Jahr fange ich in zwei Wochen mit der nächsten IVF an. Jedenfalls habe ich inzwischen das Gefühl. Seit dem Sommer planen und planen wir, und es zeigt sich, dass es in meinem Leben gerade einfach keinen Zeitabschnitt gibt, in dem ich die erforderlichen drei Wochen an einem Streifen in Hamburg und auch sonst imstande bin, mich zwei Wochen regelmäßig zu spritzen, zur Punktion und zur Rückübertragung zu erscheinen sowie zu Ultraschallterminen zwischendurch, während mein Bauch sich immer nikolausiger und nikolausiger anfühlt.
Eigentlich wollte ich schon im Sommer. Dann kam eine Stressphase im Büro, die so dermaßen ausgedehnt und unberechenbar war, dass an drei Wochen Hormondisco und plötzliche Arzttermine nicht zu denken war. Und innere Ausgeglichenheit und Abwesenheit von Stress ist doch ein wesentlicher Faktor, wenn ich das richtig verstanden habe. Dann kam der August, und Ende August wollten wir nach New York. New York mussten wir in letzter Sekunde absagen wegen dieses Rammdösigen Fake-Hurricanes. Dann war wieder Jobstress, eine wochenlange Erkältung und solche Schmerzen im Unterleib, dass ich mir fast schon sicher war, binnen weniger Tage wieder auf dem OP-Tisch zu liegen mit einem geplatzten Sonstwas. Dann war kein Arzttermin zu kriegen. Dann bahnte sich der nächste Urlaub an, New York als Hurricane-Ersatz. Aber danach, danach ganz bestimmt! Jetzt bin ich wieder da, und ein von langer Hand geplantes langes Wochenende in Kopenhagen liegt mitten in meinen Punktionsplänen. Kann ich die nicht einfach um eine Woche nach hinten schieben, fragt ihr? Könnte ich schon, aber dann beginnen auch ziemlich bald die Weihnachtsferien in meiner Klinik, und weil mein Unterleib sowieso normalerweise macht, was er will, und sich nicht an Zeitpläne hält, brauche ich nach vorne und hinten einen Sicherheitsabstand zur Nichts-Geht-Zone von mindestens drei Tagen, sonst kann ich mich nicht entspannen, und dann, siehe oben, wird das ja sowieso nichts. Ich würde wirklich gerne loslegen. Aber ich will auch nach Kopenhagen. Und dann denke ich mir, jetzt warte ich schon so lange, da kann ich auch noch bis Anfang Januar warten. Warte mal, war da was? Richtig: Wien vom 7. bis zum 10.
Was für ein Quatschproblem, denkt ihr. Es ist ja nicht so, dass ein Umzug ins Haus steht oder Großmutters 100ster Geburtstag in Australien: sowas kann man doch schieben. Könnte man, kann man aber irgendwie nicht, denn auch L. hat Termine, die sind fast immer am Wochenende, und die sitzen so Bombenfest wie drei Oma-Geburtstage. Ich habe wieder mal das Gefühl, ich vergurke es mit meiner beschissenen Planung. L. ist auch nicht unschuldig! Es ist Mai, wir sitzen im Garten herum, und L. hat seinen Rechner vor sich und sagt irgendwann sowas wie „Wollen wir dieses Jahr zum Weihnachtsbummel nach Kopenhagen?“ Und Weihnachten ist so weit weg wie nur irgend etwas, also sage ich ja, und ein paar Minuten später ist das gebucht und ist erst mal für viele, viele Monate eine schöne Aussicht. Bis es dann plötzlich der Elchbulle auf den Schienen zum nächsten Befruchtungsversuch ist.
So. Ich fasse jetzt einen Entschluss. Dezember und Januar können wir nicht mehr absagen, das würde uns zu viel Geld und zu viele Nerven und außerdem den schönen Reisespaß kosten. Aber ansonsten werde ich mir von jetzt bis Mai genau gar nichts mehr vornehmen. Nichts. Ich werde bei keiner Party-Einladung blind zusagen, keinen Familienbesuch genehmigen, mich nicht mit den Mädchen zum Gruppenausflug in fremde Städte verabreden und überhaupt gar nichts entsprechendes tun. Denn ich habe wirklich das Gefühl, diesmal kommt’s drauf an.
(Nicht, dass die anderen drei IVFs Trockenübungen gewesen wären...)
Dann nehme ich mir noch vor, in den nächsten Wochen noch mehr auf meine Ernährung zu achten. L. und ich kaufen schon seit ein paar Wochen nur noch Biofleisch, was man in unserem Stadtteil fast 1:1 übersetzen kann mit „gar kein Fleisch mehr“, denn Biofleisch kommt hier nicht so an. Hier isst man sein Fleisch gerne in möglichst riesigen, billigen Mengen, auf einem Bett aus Mett und mit Speck überbacken. Das mit dem Biofleisch ist schon mal ein Anfang, und ich habe mir zwei fabelhafte vegetarische Kochbücher zugelegt. Die nächsten Wochen werde ich zwar nicht nie mehr, aber seltener mit einer Schüssel Pasta mit Trüffelöl auf dem Sofa kollabieren, sondern Favabohnen mit Zitronensaft beträufeln oder Auberginenscheiben um irgendwas wickeln. Und gelaufen wird auch wieder mehr.
Merkt ihr was? Diesen Post zu schreiben, macht keinen Spaß. Ihn zu lesen, deshalb vermutlich auch nicht. Ich weiß auch nicht. Ich bin unwirsch. Ich hätte gerne, dass es jetzt losgeht, an die blöden Klinikweihnachtsferien ab dem 20. hatte ich einfach nicht gedacht, und auch nicht an die vielen vielen Ultraschalls, die diesmal scheinbar von Nöten sind, um meine launigen Eierstöcke unter Kontrolle zu haben. Und am meisten nervt mich, dass ich selbst dran Schuld bin. Aber wer ahnt denn auch im Mai, dass ich im Dezember immer noch keine Babykugel habe? Soll ich mir in Zukunft auf Verdacht einfach ganze Jahre frei halten? Es ist ja nicht so, dass ich in diesem Jahr acht Wochen Urlaub gemacht hätte, aber jeder einzelne Tag davon war auf irgend eine Weise einem Befruchtungsversuch im Weg. Und mein ewiges Gerede über gesünderes Leben kann ich auch nicht mehr hören.
Es ist ein Kreuz: einerseits will ich nicht auf alles verzichten, was ein normales Leben so ausmacht, Pläne, Reisen, Verabredungen und Jobstress. Andererseits komme ich einfach nicht zu Potte mit dem, was mir das Wichtigste sein sollte und eigentlich auch ist. Jetzt ist mir sogar Weihnachten im Weg.
Also gut: Jetzt zählen Taten.
One Meal Fits All
vor 1 Tag