Samstag, 15. März 2014

Da ist sie wieder, die Vorfreude-Vorangst-Schizophrenie.

L. ist bockig. Vermutlich überfällt einen dieses Gefühl als gesunden Großstadtmann, wenn man Freitag Abends aus dem Fenster guckt und weiß, dass auch heute Abend wieder Zehntausende durch die Bars wandern, auf ihrem Weg seltsame und teilweise gleich wieder vergessene Abenteuer erleben und nicht nach Hause kommen, bevor der Morgen graut, während man selbst hier vergessen in der Vorstadt sitzt mit zwei Hunden, einem Baby und einer Frau, die grundsätzlich gerne um zehn in ihren Schlafanzug steigt und sich nach einem Gutenachtküsschen zu ihrem Krimi trollt und die neuerdings dazu übergegangen ist, das auch gerne schon um acht zu tun. Das ist doch kein Leben! Keiner versteht das besser als ich. "Ich will Champagner" sagt L. und starrt finster aus dem Fenster. Nicht, dass ihr euch übertrieben glamouröse Vorstellungen von unserem Lebensstil macht, aber tatsächlich liegt im Keller eine schöne Flasche, die seine Cousine hier mal vergessen und uns dann übereignet hat. "Mach doch" sage ich. Wenn es hilft? "Wobei -" sage ich, "Du könntest ihn auch für eine Gelegenheit aufheben, bei der er irgendwie mehr knallt. Zum Beispiel, wenn Frau B. - (die biestige alte Nachbarin mit der Mülltonnenfehde) - mal wieder im Garten ist, dann wirfst Du Dir den karierten Morgenrock über und gehst auf den Balkon und reißt die Flasche auf. Hm?"
"Jaja. Wenn ich schlau bin, mache ich alles genau wie Du. Ganz genau wie Du, mein Schnutzibutzi." knurrt L. und macht sich jetzt doch ein Bier auf.
Und ich steige mit meinem gemütlichsten Schlafanzug ins Bett, ziehe mir die Decke bis unter die Nase, greife nach meinem Kindle und weiß plötzlich genau, dass meine Idee nichts damit zu tun hat, Frau B. zu ärgern, sondern dass ich heimlich denke: Warte doch noch ein paar Tage, dann bin ich vermutlich schon wieder nicht mehr schwanger, und wir trinken ihn zusammen.

Es tut mir so leid, ich kann nicht anders. Ich tue schon alles, um die Hirnhälfte anzufeuern, die feste hofft und glaubt. Ich habe z.B. nach dem Vorbild von Holly von "Nothing but bonfires" einen klappernden Haufen großer MDF-Zahlen gekauft und (mit angehaltener Luft und im Freien, klar) türkis angesprüht, damit mache ich jetzt jede Woche ein Foto für mein Schwangerschafts-Tagebuch. Auch eine Null ist dabei und zwei Dreien, so dass ich scheinbar zumindest theoretisch davon ausgehe, dass ich irgendwann im zweistelligen Wochenbereich und sogar in die Dreißiger komme. Ich habe auch jetzt schon Schwangerschaftsvitamine bis Woche 13 und genug Wunderöl, um einen Drillingsbauch streifenfrei bis ins Ziel zu bringen. Aber obwohl ich schon einmal erlebt habe, dass unwahrscheinlicherweise tatsächlich auch aus meinem Fusselbauch ein Baby kommen kann, gewinnt meistens die andere Hälfte. Montag ist der Ultraschall, und ich gehe mit extrem gemischten Gefühlen da hin. Ich wollte, ich wäre anders, aber das ist wohl das, was eine Fehlgeburt mit einem macht. Immer noch nicht schwangere Abkürzungsdamen müssen auch nicht wütend werden, ich hänge nicht müffelnd und schniefend auf dem Sofa herum, ich freue mich schon und freue mich noch viel mehr, wenn wir irgendwann in sichereres Fahrwasser kommen, ich weiß auch, was ich vier Jahren Kinderwunschbehandlung schuldig bin und dass ein Positiv und Woche 5 plus irgendwas jetzt schon ein Traum ist, aber irgend etwas bringt mich eben auch dazu, L. dazu zu bringen, die Flasche noch ein paar Wochen zu zu lassen.
Bier schmeckt ihm außerdem fast genau so gut. Und einsamer Champagner ist fast noch trister als Kräutertee am Freitag Abend.

4 Kommentare:

  1. Ach Flora, ich kann Dich so gut verstehen! Bei uns hat es nach 8 Jahren und 12 ICSIs und einer Fehlgeburt endlich geklappt. Ich bin jetzt in der 21. Woche und kann immer noch nicht glauben, dass mir das wirklich passiert! Ich drück Dir die Damen für morgen!
    Liebe Grüße, Jessica

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    1. Wow, was für eine Erfolgsgeschichte!
      Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für euch!
      :-)

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  2. Liebe Flora,
    es sind so viele Daumen für euch gedrückt, das muss gut gehen!

    Auf deinen Champagner musst du noch etwas warten... ;-)

    LG

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  3. Liebe Flora!
    Die eigenen Erfahrungen prägen einen halt. Für die eine ist mit der 12. Woche ein Meilenstein erreicht, für die andere mit der 32. Woche oder noch viel später.
    Nach mehreren Jahren Kinderwunsch, Icsi's und Kryos und Fehlgeburten kenne ich die Vorfreude-Vorangst-Schizophrenie (was für eine Titulierung) nur zu genau. Ich kann dich sehr gut verstehen. Man möchte sich wohl selbst vor der Enttäuschung schützen, nur das funktioniert ja dann doch nicht.
    Deshalb gönne Frau B. doch eine Champagnerdusche du kannst ja 2016 oder 2017 wieder Alkohol trinken.
    Alles, alles Gute für Euch.

    Liebe Grüße Anna-Maria

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