Ich hatte glaube ich schon mal erwähnt, dass eine meiner großen Lebenskrankheiten (außer Endometriose und Myomen) die Macke ist, es immer allen Recht machen zu müssen. Tue ich das nicht, sind zusätzlicher Schlafentzug als Sahnehäubchen auf dem normalen Schlafentzug obendrauf, Unruhe, Beklemmung und insgesamt ein großer Haschmich die Strafe. Ich versuche ja, dagegen anzukommen! Manchmal klappt es auch. Zum Beispiel, indem ich einfach die Momente, in denen ich auf so einer sonnigen Stimmungswelle segele, dass mir gerade jetzt die Meinung der Leute wurscht ist, ausnutze und dann schnell die Dinge mache, die ich mich sonst nicht trauen würde. Oder eben die Dinge schreibe. Dass ich dann mit den Folgen leben muss, weiß ich in diesem Moment zwar, aber was solls: manchmal weiß man, dass das Wasser eiskalt sein wird, und springt trotzdem, zum Springen braucht es nur eine Zehntelsekunde Mut, und dann ist es passiert und war dann doch gar nicht so schlimm, und am Poolrand wartet ein muckeliges Handtuch.
Normalerweise bin ich nicht der Meinung, dass es erstrebenswert ist, die Gefühle und Meinungen anderer grundsätzlich komplett zu ignorieren. Nicht nur, dass genau das eins der Erkennungszeichen von Psychopathen ist, ich kann auch für diese ganze "Nett ist der kleine Bruder von Scheiße"-Philosophie wenig Sympathie aufbringen. Ich finde, nett ist nett und scheiße ist scheiße. Ganz und gar mit der Wurzel ausrotten will ich diesen Instinkt bei mir also nicht. ABER! Zu angepasst ist ungesund und hält klein und grau und mausig, und besonders beim Schreiben kann dieses ewige Bloß-niemandem-auf-die-Füße-treten verhängnisvoll sein. Nicht kann, ist. Als Werbetexterin habe ich jetzt zwölf lange Jahre lang Leuten nach dem Mund getextet: Agenturkollegen, Kreativdirektoren, Beratern, sieben Kunden mit achtzehn Meinungen dazu, wie genau man was genau sagen sollte - ihr könnt es euch in etwa vorstellen, was das mit einem macht, wenn die Aufgabe darin besteht, "witzig" und "originell" und "eine ganz eigene Stimme" zu sein und dabei trotzdem bloß niemandem quer zu kommen. Und bloß nicht den Gesetzgeber vergessen und die Marktforschungs-Gruppe aus zufällig in der Fußgängerzone zusammengekoberten Hausfrauen, Irren und Rentnern! (Jaja, Spaß hat es auch manchmal gemacht, auch wenn das jetzt nicht so klingt.) Und jetzt versuche ich schon seit einer Weile, mich weg vom Texten und hin zum Schreiben nach eigenen Vorstellungen zu entwickeln. Dieser Blog ist ein Teil davon, das Buch natürlich auch, die Zeitschriftenartikel (wobei die auch an einer extrem kurzen Leine geschrieben wurden, etwa der Sorte Leine, an der bei der Hundeschau die frisierten Pudel vorgeführt werden). Und seit geraumer Zeit arbeite ich neben Job, Blog, normalem Leben und Schwangerschaft an einem neuen Buch, einem, das nichts mit Kindern oder Kinderwunsch zu tun hat und dessen Inhalt ich ganz allein zu bestimmen habe. Freiheit! D.h., Freiheit nicht gerade, denn jetzt kommt mir mein Rechtmachinstinkt sowas von quer. Es wird hoffentlich niemanden hier verwundern, dass aus einem Buch nicht so richtig was werden kann, wenn der Autor sich beim Schreiben ständig fragt, was Tante Inge, die Nachbarn und sein alter Deutschlehrer hierzu wohl sagen würden. Das heißt, es gibt jede Menge Bücher, die sind genau so, und bei manchen Genres (Kochbücher z.B.) stört das auch gar nicht, aber das ist nicht die Sorte Buch, die ich gerne schreiben möchte und auf der ich mit Stolz meinen Namen sehen würde (und NEIN, ich arbeite nicht an einem schwiemeligen Sexbuch wie "Shades of Grey" und versuche auch nicht, die neue Charlotte Roche zu werden. Meine Stimmen setzen leider schon viel früher ein). Die Frage ist nur, wie bringe ich die innere Zensur dazu, die Klappe zu halten? Ohropax nützt genau so wenig etwas wie laute Musik. Die Stimmen sind immer da, sie gehören zu mir und werden mir noch auf dem Totenbett erzählen, dieser Lippenstift wäre aber nicht der Situation angemessen.
Das einzige, was hilft, ist, ein dickeres Fell zu entwickeln und im Zweifel einfach zu antworten: "Siehst du das so, Stimme? Fein, ich sehe das anders, und jetzt entschuldige mich, ich hab zu tun." und zu hoffen, dass die Beklemmung, das Unwohlsein und die Schlaflosigkeit irgendwann durch zunehmende Abstumpfung gelindert werden. Und genau das lerne ich gerade! Dank Dir, Internet, bzw. einem Teil meiner Kommentare. Dem kleineren Teil meiner Kommentare, klar, aber jedes vernünftige Training fängt klein an und arbeitet sich dann langsam vor. Ich gehe fest davon aus, dass das hier schlimmer wird mit der Zeit, wenn Würmchen erst da ist und ich noch mehr Chancen habe, Dinge anders zu sehen und zu machen als andere. Dass es in Teilen der Mütterwelt absolut unüblich ist, entspannt zu lächeln und die anderen ihren Stiefel machen zu lassen, hatte ich schon gelesen, und Überraschung: es ist wohl tatsächlich so. Darauf hatte mich die schöne, harmonische Blogzeit als Kinderwunschbloggerin nicht vorbereitet, aber nun geht's hier bootcampmäßig rund. Ich kann also feste darauf bauen, auch in Zukunft das Geld für eine teure Psychotherapie zur Heilung meiner Überangepasstheit sparen zu können. Irgendwann ist das Buch bestimmt fertig. Und wenn es so weit ist, werde ich den vielen aufgebrachten anonymen Damen zwar keine Tantiemen zahlen, aber ich verspreche, es wird auch euch gewidmet sein. Ohne euch würde ich das niemals schaffen. Danke, Danke, Danke.
One Meal Fits All
vor 19 Stunden