Donnerstag, 28. Mai 2009

Wie zum zweiten Mal zuhause ausziehen

Vorletzter Arbeitstag. Und weil das nicht zum ersten Mal mein letzter Arbeitstag ist, weiß ich, dass das morgen alles viel zu schnell gehen wird, um irgend was zu kapieren. Ich werde den ganzen Tag rumlaufen und Leuten um den Hals fallen und fieberhaft meinen Kram vom Rechner brennen, und dann muss ich pinke Getränke trinken und Blödsinn reden und meinen Schlüssel abgeben, ach je. Deshalb ist wohl heute der bessere Tag, um sich noch mal zu überlegen, wie das eigentlich alles war und was genau ich da aufgegeben habe.

Ich werde bestimmt eine Menge Dinge kein bisschen vermissen.

Zum Beispiel den einen oder anderen Kunden und die dazugehörigen Jobs, die mich viele Stunden und Tage und Monate mit Aufgaben zugeballert haben, die so gar nicht das sind, was ich machen will. Zäher und undankbarer Kram, anstrengend und meistens dann doch für die Tonne, weil plötzlich doch alles wieder anders war.
Ich werde auch nicht dieses unnachahmliche 80er-Flair vermissen, das über diesen Räumen hängt. Nichts ist oller als „klassische“ Modernität von vor zwanzig Jahren. Klassisch. Genau. Übersetzbar mit langweilig, ein bisschen verklemmt und vollkommen freudlos. (Und ja, ich rede von Möbeln.)
Ich werde auch nicht vermissen, mit sechs Wochen Urlaub im Jahr auszukommen und zu wissen, dass auf jeden Sonntag unweigerlich ein Montag folgt und auf den ein Dienstag, Mittwoch, Donnerstag und Freitag, und das mit den Jahren die Samstage irgendwann zu dem Tag vor dem Tag vor Montag werden, und die Urlaube zu der Woche, bevor es wieder losgeht, und jede Woche genau zu wissen, was einen erwartet. Jedenfalls so in etwa.

„Also, du kommst rein, und dann?“
Dann grüßt das Murmeltier.

Ich werde den Capuccino nicht vermissen, bei dem man sich jeden Tag überraschen lassen kann: Schmeckt er heute nach Ruß, nach Schmieröl, nach Nagellackentferner oder nach angebrannter saurer Milch? (Ein bisschen wie diese Sirupe bei Starbucks, nur dann doch wieder anders. So ganz anders sogar.)

Ich werde aber auch schrecklich viel vermissen. (Nein, ich bin nicht am frühen Morgen schon betrunken!)

Ich werde vermissen, Teil einer Firma zu sein, auf die ich immer noch ein bisschen stolz bin. Und ich werde viele Leute vermissen, jeden auf seine Art. Wer jetzt sagt: ach, was soll’s, die, auf die es ankommt, kann man ja immer noch treffen – erstens ist das im wirklichen Leben Blödsinn, denn es passiert viel seltener, als ich mir heute gerne einreden würde, und es wäre zweitens nicht das Gleiche. (Die chicen und klassischen Möbel würden fehlen, unter anderem.)
Ich werde vermissen, dass ich jeden Monat genau weiß: noch drei Tage, und dann liegt ein schöner Batzen Geld auf dem Konto.
Ich werde vermissen, dass ich bei Migräne in den meisten Fällen meinen Arbeitstag im Bett und überm Klo verbringen kann, und nicht am Schreibtisch und überm Firmenklo hängen muss.
Ich werde die unsagbar peinlichen und sehr schönen Firmenpartys vermissen.
Und mein Büro, meine email-Adresse, meine Visitenkarten, meinen Rechner, meine Jungs und meine Mädchen, denen ich was beibringen kann.
Die Präsentationen werden mir fehlen. Immer dieses zusammenstehen und frieren und rauchen vorm Flughafen im Abgasqualm der Taxis. Und die Geschichten, die man hinterher erzählen kann.
Diese ganzen Hasen hier im schlimmsten Stress und im schlimmsten Suff zu erleben, sie mit Augenringen am Montag hier anlaufen zu sehen, mitzukriegen, wie sie sich mit noch nicht mal 30 fast einen Herzfehler holen und zu denken: das geht nicht mehr lange gut, und dann zu sehen: die müssen nur eine Mittagspause in der Sonne haben, dann ist es wieder gut. Die alle zu kennen und zu wissen: denen kann am Ende nichts passieren, egal was passiert.
Ach je. Das ist alles nicht so leicht. Aber nächste Woche habe ich vermutlich schon die Hälfte von all dem vergessen. Wie gesagt, vermutlich.

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