Freitag, 14. August 2009

Nachtgedanken einer Ex-In Vitro-Patientin in ungeordneter Reihenfolge

Was, wenn mit den Keimzellen etwas nicht stimmte, und durch die Hormone ist mein Körper gezwungen worden, sie trotzdem wachsen zu lassen, und nun bekomme ich ein fürchterlich krankes Kind, das sein ganzes kurzes Leben lang leiden muss?

Was, wenn das mit dem Herzschlag neulich zwar ein Wunder war, aber nur ein vorübergehendes, und beim Ultraschall in drei Tagen wird klar, dass eigentlich nie eine Hoffnung auf ein Baby bestand?

Was, wenn auf der ellenlangen Liste all der Sachen, die ich nicht essen und trinken darf, eine Sache noch fehlte, und ich bin die erste, bei der deshalb etwas schief geht?

Was, wenn meine gerade aus Mallorca wieder eingeflogenen Hochzeitsgäste mir und dem Kind die Schweinegrippe verpassen? Und ich muss entscheiden, ob ich lieber Hirnschäden durch Fieber oder durch Medikamente riskiere?

Was, wenn wir feststellen, dass wir zwar als Paar ganz toll sind, aber als Eltern eine glatte 5?

Was, wenn ich ein Kind kriege, das vollkommen gesund ist, ein Prachtstück, aber irgendwie... irgendwie kann ich es nicht leiden? Weil es abgesehen von einem beeindruckenden IQ und auch sonst astreinen Fähigkeiten einfach nur eine blöde Kuh ist?
Und dann habe ich die kleine Nervensäge die nächsten 20 Jahre um mich?

Was, wenn mich das alles so schlaucht, dass ich gar nichts anderes mehr kann als das Baby zu ernähren und zu wickeln, und nach einem Jahr gucke ich mich um und habe keine Freunde mehr, sondern nur noch ein paar Muttis, die genau so lethargisch rumschluffen und die mich zu Tode langweilen? Und ich habe meinen letzten Abend in einer Kiezbar verbracht? Ohne es zu wissen und es richtig würdigen zu können? Und die Zukunft hält höchstens noch ein Theaterabo für mich bereit? Zu dem ich aber noch nicht mal komme, weil der Babysitter nie Zeit hat? Und wenn doch, dann sitzt direkt vor mir ein Kopfwackler?

Was, wenn ich nie wieder einen Fuß auf den Boden kriege in meinem Job?

Was, wenn ich nie wieder mit L. in New York sitzen, ein Steak essen und mich mit ihm zuschütten kann?

Was, wenn es mir so geht wie meiner Oma, die in der Schwangerschaft schwer depressiv wurde und davon nie wieder runter kam, ihr ganzes Leben lang nicht?

Was, wenn diese 20-Euro-Billo-Pumps die letzten Schuhe mit Absätzen waren, die ich in meinem ganzen Leben gekauft habe, weil ich in sechs Wochen zur Tonne werde und mir danach vermutlich die Kraft fehlen wird, auch nur Schnürschuhe zu schließen, so dass mir eine Zukunft in Fellstiefeln, Klettverschlussfußbettalbträumen und Birkenstocks bevorsteht?

Was, wenn L. beim Joggen überfahren wird und ich dann wie diese Frau aus der Zeitung bis aufs Messer mit der Klinik kämpfe, damit sie die befruchteten Prilblümchen nicht wegwerfen? (Das ist so ein ganz eigenes Kapitel. Ich war nie schlimm ängstlich, aber jetzt könnte ich mich regelmäßig in die grässlichsten Phantasien reinsteigern, was alles passieren kann. Autounfälle, besoffene Fahrer, Herzinfarkte, Kneipenprügeleien, ausgebrochene Löwen, Meteoriteneinschläge, das ist alles schon passiert, niemand kann also garantieren, dass es nicht auch L. passiert. Und dann denke ich an meine Oma und wie schlimm das war, wenn sie immer Angst vorm Schlimmsten hatte und heulend am Fenster klebte, wenn wir weggefahren sind, und dann kriege ich noch mehr Angst, weil ich befürchte, dass die Hormone mir den gleichen miesen Streich spielen wie ihr. Harrrg.)

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