Donnerstag, 18. Februar 2010

Wunderhund Lili

Kleine Jungs aus eingestürzten Bergwerken zu retten ist ein Scheiß dagegen, was dieser Hund alles kann. Und dabei hatte ich gar nicht so fest damit gerechnet. Ich wollte immer schon einen Hund, schon zu Zeiten, als in mir noch kein Krümelchen Muttergefühle zu finden war. In den letzten Monaten wollte ich ihn noch ein bisschen doller, und natürlich habe ich lange darüber nachgedacht und mir dabei überlegt, dass ein Hund sich gar nicht so schlecht mit meinem Kinderwunsch verträgt. Erstens hält er mich auf Trab, zweitens sorgt er dafür, dass ich mich nicht zu sehr hängen lassen kann, wenn es mal wieder schief geht, drittens nimmt er Druck raus (immerhin sind wir jetzt zu dritt, ein bisschen wie Adoptivkind light, nur ohne das umständliche Verfahren), und viertens sorgt er dafür, dass ich gesünder lebe, was auch wieder gut ist für die Fruchtbarkeit. Denn wer morgens um halb acht auf der Wiese stehen und Häufchen in Plastiktüten aufsammeln muss, der zieht nicht nachts um drei übern Kiez. Überhaupt war ich zwar immer dankbar dafür, in einer großen Stadt zu leben und damit an einem Ort, an dem es freundlich toleriert wird, wenn Mittdreißiger zumindest Nachts das Leben von Mittzwanzigern führen, aber trotzdem war mir das auch langsam unheimlich, wie alt man eigentlich werden muss, bis die Leute tuscheln, wenn man die Bar in Goldleggins betritt. Jedenfalls, ich dachte, der Hund sorgt dafür, dass ich viel an der Luft bin, mich ordentlich bewege, weniger trinke, früher schlafen gehe und weniger egozentrisch und schlampig sein kann.

All das macht der Hund bestimmt, so einen elenden Tag wie den nach der herrlichen Ausgehnacht mit den Mädchen neulich kann ich mir nicht öfter als einmal pro Monat leisten, sonst geh ich drauf. Ich stehe apfelwangig mit dem Tier auf der Hundewiese, werfe Stöckchen, verteile Leckerchen und bringe ihm bei, an der Straße zu sitzen und zu kommen, wenn ich ihn rufe, egal wie viele Dalmatiner gerade auf ihm draufsitzen.

Aber er macht noch viel mehr. Er macht so ziemlich alles, was ein Baby auch machen würde. Jetzt haben wir ihn noch keine vier Wochen, und ich kann mir nicht mehr vorstellen, wie es ohne ihn war. Er bestimmt, wann ich Abends schlafen gehe und vor allem, wann ich morgens aufwache. Ich kann nie länger planen als für die nächsten 90 Minuten, denn dann ist spätestens das nächste Gassi fällig. Die Zeiten dazwischen müssen durchgeplant werden, sonst ist es plötzlich 17 Uhr und ich bin weder geduscht noch hab ich etwas anderes gegessen als kalten Toast. Ich war seit dem Mädchenbesuch in keiner Bar mehr und seit fünf Wochen nicht mehr im Kino. Morgen haben L. und ich was zu feiern und wollen essen gehen, das wird dann der zweite Restaurantbesuch mit Hund, und diesmal wird es ein garantiert krokettenfreies Superlokal, ich bin gespannt und sehe uns noch nicht da sitzen, nicht nur geduscht, sondern auch noch angezogen (und zwar nicht im Schlafanzug), gekämmt und mit den Taschen voller Leckerchen, nur für alle Fälle. (Hunde dürfen da nur rein, wenn sie reich und/oder schön sind, zum Glück ist Lili zwar nicht reich, aber wunderschön. Ich wäre sowieso nicht auf die Idee gekommen, sie mitzunehmen, wenn nicht beim letzten Mal ein Labrador am Nachbartisch gesessen und die Speisekarte in Brand gesteckt hätte, und der Kellner hat gelächelt. Immer weiter gelächelt. Also darf Lili mit.) Um es kurz zu machen, wir führen das Leben eines Rentnerpaares oder aber das Leben junger Eltern. Und jetzt kommts: ich, die in den ersten 27 Jahren ihres Lebens keinen größeren Traum hatte, als in die Stadt zu ziehen, aber in die richtig große. Ich, die niemals wieder irgendwo wohnen wollte, wo man nicht zu Fuß ins Programmkino und in mindestens acht nette Lokale kommt. Ich, die mit Nachbarn überhaupt nichts anfangen kann und deshalb eher auf einer Hallig leben wollte als in der Vorstadt. Ich habe gerade meinen halben Rechnerschreibtisch voll mit pdfs und Fotos von Häusern, die in Stadtteilen liegen, von denen ich bis vor Kurzem noch nicht mal gehört hatte, weil sie einen Garten haben und Platz. Viel Platz. Gerade steht ein Haus ganz oben auf der Liste, das ist aus roten Backsteinen, hat eine Sauna im Keller, einen großen Garten mit Bäumen, die Lili benagen könnte, einen Park direkt um die Ecke, einen Wintergarten, einen Kamin (es zeigt sich, dass Lili Kamine genau so gern hat wie ich und mir auch mit dem Holz gerne zur Hand geht), genug Zimmer, um alle Bücher aus dem Keller holen zu können, sogar ein eigenes Zimmer für mich wäre drin und ein Gästezimmer, eine Vorratskammer und ansonsten nichts von all dem, was mir mal wichtig war (Programmkinos, Bars, vietnamesische Restaurants, Fischgeschäfte). Dachte ich. Jetzt stelle ich mir vor, wie wir da leben würden: Freunde kämen zu Besuch (hoffe ich schwer, die UBahn ist nicht weit, ich würde euch auch das Taxi zahlen, Mädchen!) und es könnte eine Pyjamaparty mit Übernachtung draus werden, wir würden den Kamin anmachen, L. würde Wein aus dem Weinkeller holen und ich gewaltige Mengen Essen aus Vorratskammer und Vorratskeller, im Sommer wären wir draußen, ich würde Kirschen ernten und Kletterrosen pflanzen (keine Ahnung, wie das geht, aber das kriegen wir dann schon raus), und Freitags würde ich manchmal meinen auch nicht mehr ganz blutjungen Hintern in die Stadt schwingen und es krachen lassen, denn ich wüsste ja: morgen kann ich die Sauna anheizen, die macht alles wieder gut. Vielleicht würde ich auf einem Flohmarkt einen alten Tisch für mein Zimmer finden und dann eines Tages daran sitzen und versuchen, einen Krimi zu schreiben, während vor dem Fenster die Schneeflocken vorbeirieseln. Wir hätten Nachbarn um die 60, die hoffentlich einverstanden wären mit uns und uns ansonsten in Ruhe lassen würden. Und irgendwann hätten wir vielleicht sogar ein Kind. Als wir heute über die Alster spaziert sind, habe ich zu L. gesagt "würden wir uns langweilen? Sag mal? Mit unserem spontanen Nachtleben wäre es vermutlich vorbei." und L. hat gesagt "erstens ist unser Nachtleben eigentlich nicht besonders spontan. Und zweitens werde ich diesen Sommer 40. Wie lange will ich mich denn noch zum Affen machen?"

Und da war ich sehr glücklich.

Aber das ist das Doofe bei mir, die Mädchen können das bestätigen: jetzt finde ich das fabelhaft. In einer Woche finde ich vielleicht, das ist wie Wachkoma. Hoffentlich finde ich das, falls ich das finde, bevor wir da eingezogen sind und es zu spät ist. Wenn ich doch nur genauer wüsste, was ich will. Hat der Hund mich jetzt durch gruselige Airedale-Strahlen manipuliert, nur um einen eigenen Garten zu haben, oder hat sie mir klar gemacht, was mir wichtig ist und dass ich mich auch ein bisschen verändert habe in den letzten paar Jahren? Harrgh. Sonntag gucken wir uns das Häuschen an. Danach weiß ich hoffentlich ein bisschen mehr darüber.

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