Montag, 15. März 2010

Sternenkinder, mein Arsch

Neulich sitze ich auf dem Sofa, lese die Zeitung, da kommt L. rein und schaltet den Fernseher ein und geht sofort wieder raus. Ein bisschen so wie meine Oma früher, wenn ich gelesen habe, sie kam rein, hat das Licht angemacht und gesagt "Kind, du verdirbst dir die Augen." (Nicht, dass nun hier der Eindruck entsteht, von uns beiden wäre ich die mit den Zeitungen und L. der mit der Fernbedienung. Das wäre ein falscher Eindruck.) Und plötzlich sehe ich mich konfrontiert mit einem Beitrag, ich glaube auf RTL, zum Thema Fehl- und Totgeburten. Darüber, dass das heute zum Glück seltener vorkommt als früher, ein dickes Dankeschön an die Medizin, aber trotzdem - es passiert. Und dann kam dieser Satz, zu dem man ein Bild gesehen hat, auf dem ein orangefarbenes und vage embryohaftes Etwas von einer Art Heiligenschein umgeben war: "Wir nennen diese Kinder Sternenkinder."

Nein, tun wir nicht. Wir nennen diese Kinder Fehlgeburten oder Totgeburten, und ich habe das dumpfe Gefühl, damit sind wir besser dran. Sternenkinder. Ehrlich. Es ist hart genug, so wie es ist.

(Beginn des Teils, der mich wie ein Talisman vor biestigen Kommentaren bewahren soll: ich verstehe, dass jeder eine eigene Art zu Trauern hat. Und dass jeder das Recht auf diese eigene Art hat. Ich hab das nur auch erlebt und glaube, hätte ich mir ein Sternchen tätowieren lassen oder dem Kleinen einen Namen gegeben oder ihm eine Ecke in meiner Wohnung oder auch nur ein Blatt in einem Album eingerichtet, wäre es schlimmer geworden und vielleicht jetzt noch nicht vorbei. Ich weiß auch, dass das Ziel von Trauer nicht ist, alles wegzuschieben, sondern einen Verlust zu verarbeiten. Und trotzdem bin ich mir sicher, dass "Sternenkinder" für jede Art von Trauerverständnis der falsche Weg sind. Aber ich habe natürlich nur meinen begrenzten Horizont als Maßstab, vielleicht sitzt da draußen die Frau, die ihrem Sternenkind einen Blumenstrauß hinstellt und damit glücklicher ist. Und vielleicht ist sie ein sensiblerer und glücklicherer Mensch als ich. Ende des Teils, der mich wie ein Talisman vor biestigen Kommentaren bewahren soll.)

5 Kommentare:

  1. Liebe Flora,

    ich lese schon ziemlich lange und ziemlich gerne deine Blog, und hatte schon öfter den vagen Impuls, mal einen Kommentar zu schreiben, aber eigentlich hatte ich nie wirklich was zu sagen. Jetzt also ganz kurz, trotz Talisman, ein biestiger Kommentar von mir.
    Ich finde den Begriff Sternenkinder auch doof. Aber meine Kinder haben Namen, und ich kann dir auch sagen, warum. Weil sie nicht orangefarben und vage embryohafte Etwasse waren, sondern fertige, (leider viel zu) kleine Kinder. Und es war auch nicht mit einer Ausschabung getan, ich habe sie auf die Welt gebracht, das eine tot, das andere ist in meinen Armen gestorben. (Und zwischen einer Fehlgeburt in den ersten 12 Wochen und einer Geburt im 5. oder 6. Monat (weitere Klammer auf: oder noch später) liegen Welten, und bevor jetzt ich einen biestigen Kommentar bekomme: ja, ich kann das aus persönlicher Erfahrung sagen).
    Und deshalb haben meine Kinder Namen und deshalb habe ich ein Grab für sie. Auf das ich auch Blumen bringe. Und glücklich bin ich damit nicht. Und hoffentlich jetzt nicht zu biestig.

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Flora,
    es ist richtig, jeder trauert anders und jeder verarbeitet anders, deshalb gibt es kein "richtiges" oder "falsches" Verhalten,sondern xMillionen Wege für jeden individuell. Ich glaube auch,dass es nochmal ein großer Unterschied ist, zu welchem Zeitpunkt man ein Kind verliert, aber dennoch: wir haben unsere Embryonen verloren,bevor sie sich richtig entwickelt haben,aber für mich war es Leben und da ich nie zuvor gefühlt habe,wie es ist ein Embryo in mir zu tragen und zwar egal wie groß,egal wieviel Zellen usw,habe ich den Verlust sehr stark bereist in den ersten Wochen empfunden und betrauert.ICh habe Abschied genommen mit Ritualen,die mich immer wieder an sie erinnern werden,mein Weg mit der Trauer umzugehen und es hat geholfen, ich kann nun an die Szenen denken,dorthin gehen und bin jedes Mal ein wenig weniger ergriffen,aber vergessen werde ich die Kleinen nie.und das will ich ich auch gar nicht,denn sie waren bei mir, in mir und ein Teil von mir..

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Kommentatorin,

    das stimmt, dazwischen liegen wirklich Welten, und wie es ist, noch später eine Fehlgeburt zu haben, kann ich überhaupt nicht wissen. Es tut mir leid, wenn ich Dir wehgetan habe. Aber so ist das leider bei mir: ich kann mich aus kleinem Anlass in gewaltige Ausbrüche steigern, und die sind dann manchmal einen drüber. So auch diesmal. Eigentlich wollte ich den Post schon beim Aufwachen wieder löschen, dachte dann aber: nein, was liegt, liegt. Denn auch meine doofen Momente gehören dazu.

    ich glaube sowieso feste daran, dass alles, was hilft, hilft. Und ich weiß, wie schrecklich egozentrisch ich sein kann. Darum bin ich gestern Abend davon ausgegangen: mir hat's geholfen, von dem, was mir passiert ist, als einer Fehlgeburt zu sprechen, und den Babykram erst mal in eine Kiste zu packen. Wumms, soll der Rest der Welt das genau so machen, und wer das nicht tut, ist doof.

    Ihr Hasen da draußen alle, bitte seid mit nicht böse. Ich weiß nicht mehr, was ich gedacht habe, als ich das geschrieben habe. Aber ich habe glaube ich nicht an Frauen gedacht, die im fünften Monat eine Fehlgeburt hatten, sondern eher an einen Privatsender, der das, was passiert, verkitscht und verquast und uns seine komische Esoterik überstülpt. Ich hab an den Zorn gedacht, mit dem ich nach der Fernbedienung gegriffen hab.

    AntwortenLöschen
  4. Und noch ein Nachtrag zu diesem Dusselspost: als ich klein war, hatten meine Eltern Freunde, die hatten eine Tochter in meinem Alter. Ich war in den Ferien oft da zum Spielen. Eines Tages, als ich schon ein Teenie war, hat meine Mutter mir erzählt, dass diese Freunde noch ein Kind gehabt hatten. Es war schwer behindert zur Welt gekommen und als Kleinkind schon gestorben. Von diesem Kind gab es in dem Haus keine Spur. Sicherlich in irgend einem Album oder irgend einer Schublade ein Foto, aber niemand sprach von diesem Kind oder hängte Bilder auf. Das fand ich gruselig und schrecklich. So könnte ich das auch niemals. Und so war mein Post auch nicht gemeint. Ich wollte nur... ach, Schluss damit.

    AntwortenLöschen
  5. Liebe Flora,
    jetzt muss ich doch auch mal wieder einen Kommentar schreiben...
    Ich war ja gestern nach dem Lesen etwas hin- und hergerissen. Hab mich so ein bisschen auf die Füße getreten gefühlt und dann aber auch ermuntert, das ganze mal etwas anders zu sehen.

    Und ich kann dein Unbehagen nachvollziehen, die Fehlgeburt doch bitteschön Esoterikfrei halten zu wollen. Ich habe mal gesagt bekommen, ich müsste meinen Kindern unbedingt Namen geben, damit ich richtig trauern kann und richtig darüber reden und so.
    Aber das geht nicht. Es waren nicht Zellhaufen, sondern meine Kinder, meine Würmchen, Pünktchen oder Sternchen oder wie auch immer ich sie gerade nenne. Aber die brauchen keine persönlichen, einzigartigen Namen - da passen deine Überlgungen zum Hundenamen. Es könnte ja sein, dass man den Namen nochmal braucht. Soll ich dann die beiden mit Namen abspeisen, die sie als lebende Kinder nie bekommen hätten? Damit die "schönen" Namen noch zur Verfügung stehen falls doch noch ein Baby in unser Leben komt? Das geht ja auch nicht.
    Also, mal wieder danke für deine Worte, die mich zum Nachdenken über meine eigene Trauer und den Umgang mit meinen Sternchen gebracht haben.

    gruß, fieselchen

    AntwortenLöschen