Samstag, 27. März 2010

Tag 9 mit Würmchen

Noch nichts. Weder Blut, noch Ahnungen von Blut, noch Schmerzen, noch Ahnungen von Schmerzen. Gerade fiel mir ein: beim allerersten Mal sollte ich auch Dienstag zum Test, und Freitag Abend hatte ich meine Tage. Oder wusste jedenfalls sicher, dass ich sie kriege. Würmchen liegt also nicht schlecht im Rennen. Der Zweizeller, Respekt! Das ist ungefähr so, als würde Finnland das 100 Meter-Rennen bei den olympischen Spielen gewinnen. Finnland, ein Land, das mir schon immer sympathisch war! Go go go!

Während Würmchen da unten kämpft und wächst und die Zähne zusammenbeißt, haben L. und ich gestern den Küchenkampf gekämpft. Dazu muss ich etwas weiter ausholen. Ich esse nicht nur wahnsinnig gern und wahnsinnig viel, sondern ich beschäftige mich auch gerne mit Essen, und das auf jede nur mögliche Weise. Wenn ein neues Stadtmagazin rauskommt, lese ich als erstes die Restaurantkritiken. Wenn wir einen Urlaub buchen, gucke ich im Reiseführer zuerst, was man da so isst und wo am besten. Der Anteil meines Budgets, den ich für Essen ausgebe, ist bei mir bestimmt zwei Drittel höher als bei fast jedem anderen Menschen, den ich kenne, egal, ob das Budget gerade im vierstelligen oder nullstelligen Bereich liegt. Zum Einschlafen lese ich mindestens so oft ein Kochbuch wie einen Krimi. Und als wir angefangen haben, uns in Gedanken im neuen Haus einzurichten, habe ich zwar von meinem eigenen Zimmer geträumt, von Frühstück im Wintergarten und von Abenden vorm Kamin, aber ich habe auch von der Küche geträumt. Ich wollte viel Platz für meine geliebten, an den meisten Stellen schon von Sojasauce, Bearnaise oder Butter zusammengeklebten Kochbücher. Ich wollte einen Einbaubackofen in einem hohen Schrank, vielleicht sogar einen Dampfgarofen dazu. Ich wollte von Innen beleuchtete Milchglasklappdingsschränke. Ich wollte tausend Sachen. Gestern war ich mit Lili, Würmchen und Maßband in der Küche und habe gemessen. Und seitdem geht es mit dem Träumen etwas holpriger. Zwar sieht es jetzt so aus, dass L. trotz seiner Panik vor Gasherden einsehen muss, dass alles andere fünfmal so aufwändig wäre und deshalb seine fusselhirnige Frau an einer offenen Flamme die einzig vernünftige Lösung ist. (Das muss man erst mal hinkriegen, und darauf bin ich auch ein bisschen stolz.) Aber ganz viel geht nun einfach nicht. Denn wir haben nur zwei über Eck liegende Wände, an denen wir eine Küche einbauen können, und in der Ecke zwischen diesen beiden Wänden ist ein Schacht. Ich spreche das Wort "Schacht" voller Hass aus, etwa so: "Schachchchchchchhkkkkchchcht." Und dieser Schacht, die Lage von Wasser- und Gasanschluss und die Länge der Wände läuft total quer zu fast allem, was ich mir gedacht habe. Jetzt werden wir Ärmsten vermutlich nur eine Single-Spülmaschine unterkriegen, der Backofen wird da sein, wo meine Oma ihn auch schon hatte, nämlich unter dem Herd, der Dampfgarofen ist in Abrahams Wurstkessel, die Kochbücher vermutlich im Bücherregal, und wenn ich mal vorsichtig überschlage, werde ich in Zukunft ungefähr ein Drittel weniger Platz für Geschirr und Töpfe haben als jetzt. Ihr denkt euch, wenn sie sich nun deshalb leid tut, dann hat sie Haue verdient. Bei Tageslicht sehe ich das genau so. Aber heute Nacht lag ich, ob ihr es glaubt oder nicht, mehrere Stunden da und bin Gedankenkarussell gefahren.

Nach ein paar Stunden, die wir haareraufend bei IKEA am Küchenplancomputer verbracht haben, mussten wir zuhause unsere Sorgen mit tonnenweise Kokosbollar, Snöre (oder wie auch immer), Haferkeksen und Kalles Kaviar betäuben. Ich bin ins Bett gefallen, erst eingeschlafen wie ein Stein und dann zu einer wilden Zeit mit Herzklopfen wieder hochgeschreckt.
Bin ich schwanger? Wenn nicht, wieso nicht? Wenn ja, wie kann ich jetzt einen Job finden? Falls ich überhaupt jemals wieder ein Angebot habe? Und wenn ich ein Angebot habe, muss ich denen sagen, dass ich schwanger bin? Wenn es nach wenigen Wochen vermutlich sowieso schon wieder vorbei ist mit dem Würmchenzauber? Wenn es also wegen Schwangerschaft, Fluch oder Unfähigkeit nicht klappt mit Job, woher soll das Geld kommen für die ganzen Sachen, die ich dringend machen lassen muss, damit ich mich da wirklich wohl fühle? Wir müssen den Balkon renovieren, ich muss aus dem merkwürdigen Behelfsbad eines alten Sacks mein Mädchenzimmer machen, ich brauche einen Wäschetrockner? Was, wenn das jetzt jahrelang so geht, dass ich nie genug Geld habe, um auch nur einigermaßen schön zu wohnen, und wir hocken da draußen in der Vorstadt, weit weg von all meinen Freunden, und und und, und wohin zum Teufel soll ich meinen Toaster stellen?
So geht das dann. Nachts um vier kann ich mich schweißgebadet hin und her werfen, weil ich denke, ich kann mir die hübsche dänische Schlafcouch aus den 60ern, die es bei ebay gibt, nicht leisten, und mein Balkongeländer ist hässlich. Und über kurz oder lang bin ich mit weit aufgerissenen Augen beim Sinn des Lebens und dass es im Grunde schon zu spät ist. Mit allem. Ich habs vermasselt. Alles.

Noch drei mal schlafen bis zum Test.

1 Kommentar:

  1. Liebe Flora,
    da bin ich aber froh, dass Du das nächtliche Gedankenkarusell auch kennst, an dessen Ende meistens die große Sinnfrage steht. Wenn sogar Dir positiver Lebensbejaherin (wie ich an Deinem Blog erkenne & weshalb ich ihn so gerne lese) das passiert, dann kann es um mich zumindest nicht ganz so schlimm stehen, wie ich manchmal glaube. Ich drück die Daumen für das Würmchen!
    Jo

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