Donnerstag, 7. Februar 2013

Aber happy

Eins der düstersten Kapitel meiner ohnehin schon nur schummerig beleuchteten Teenie-Zeit spielte sich so ungefähr 1987 ab. Sowieso kein gutes Jahr, um Teenie zu sein: meine Schule war eine Popper-Diktatur, ich hatte eine Sportbrille und musste mich mit zwei Hosen - eine grüner Breitcord, die andere kariert mit Bundfalten - durch das Schuljahr retten, auf dem Rücken als eine der letzten aus meiner Klasse allen Ernstes einen Ranzen (man trug damals Aktenkoffer aus Blech mit sich rum, auf denen Frauen mit Glitzerlippen Coke tranken). Denkt euch einen Vollbart dazu, und ich wäre ein Hipster gewesen, so war ich nur ein ziemlich trauriges und hässliches armes Würstchen. In irgend einer Regenpause wurden vor dem Chemiesaal ein paar Jungs - nein, nennen wir sie ruhig kleine Soziopathen - aus der sechsten Klasse auf mich aufmerksam, und von der Sekunde an war mein Leben die Hölle. Sie lauerten mir täglich auf, nahmen mir die Mütze oder die Brille oder den Schirm ab und schubsten mich rum. Ich war so doof und wehrte mich, aber auch mit zwei Jahren Vorsprung kann ein stinkwütendes Mädchen wenig ausrichten gegen eine Bande aus sechs kleinen Scheusalen. Es gab auch Zuschauer, die das aber alles wohl ziemlich dufte fanden. Die kaltherzigen 80er! Ich war dabei und kann sagen, alles, was man über sie hört, stimmt. Es war kein Wunder, dass die Biester mit der Zeit immer mutiger und brutaler wurden. Irgendwann kam ich nach Hause und hatte dreckige und zerrissene Klamotten, und meine Mutter glaubte mir das mit den 12jährigen aus der Hölle nicht. Hätte es damals schon ipods gegeben, hätte ich gut daran getan, meinen hübsch zuhause zu lassen. Ich kann mich noch besonders gut an einen der Jungs erinnern, nicht nur, weil er der Anführer war, sondern auch, weil er mich Jahre später mal auf der Tanzfläche eines Clubs nach Leibeskräften anbaggerte, woraufhin ich wenigstens den Abglanz einer späten Rache bekam, und nicht zuletzt deshalb, weil er völlig sinnlos ständig zu mir sagte "Epilepi, aber happy! Epilepi, aber happy!" So war das.

Ok, um endlich zu Potte zu kommen: unser Pflegehund, die liebe alte fusselhirnige und fusselfellige Momo, ist Epileptikerin. Dass ich das ausgerechnet rausfinde, wenn L. für ein paar Tage in Wien ist, wundert mich irgendwie gar nicht, euch? Gestern Abend jedenfalls, als ich gerade in der Küche dabei war, Zwiebeln zu schnibbeln für das Risotto, das ich für die Mädchen machen wollte (wir wollten uns vorm Ofen zusammenrotten und den Bachelor angucken), scharrte sie plötzlich wie wild unter dem Küchenschrank. "Klar, ein Käfer, hoffentlich ist er schlau und versteckt sich", dachte ich noch, da fiel sie auch schon mit verdrehten Augen und nach Luft schnappend einfach um und ruderte wie wild mit allen vier Beinen. Ich habe ihr als erstes in den Hals gegriffen, um zu gucken, ob sie irgend etwas verschluckt hat, was ihr jetzt die Luft abschnürt, Vielfraß, die sie ist. Da war nichts, sie keuchte und ruderte weiter erbärmlich und hatte inzwischen auch eine Pfütze und ein Häufchen auf dem Küchenfußboden gemacht, was sonst nicht ihre Art ist. Dann riss sie sich los und warf sich erst kopfüber in mein Topf- und Pfannenregal, dass die Topfdeckel nur so flogen, dann raste sie ins Wohnzimmer und versuchte, die Zimmerecke hinter dem Barwagen hochzuklettern, woraufhin sie das Schuhregal im Flur umriss und L.s Ablage an seinem Schreibtisch verwüstete, und an diesem Punkt habe ich sie endlich eingefangen und von da an noch fünf Minuten fest im Arm gehalten, bis es vorbei war. Und die ganze Zeit dachte ich, das arme Tier hat Gift gefressen, nur wann und wo? Hamburg ist voller mieser, mieser Häufchen Dreck, die in Parkanlagen präparierte Würstchen und Fleischbällchen auslegen und denen ich allesamt das schlimmste Schicksal an den Hals wünsche, das denkbar ist. Aber ich hatte den Hund seit zwei Tagen eigentlich nur mit Leine ausgeführt, da hätte nichts passieren können. Trotzdem war ich mir sicher, das war es jetzt, und die kleine Maus geht drauf. Bis sie dann irgendwann wieder auf wackeligen Beinchen stand und ängstlich vor mir von einem Zimmer ins nächste geflohen ist. Da habe ich den Tierärztlichen Notdienst angerufen, eine Adresse und eine Telefonnummer in Uhlenhorst bekommen, das zitternde Tier ins Auto gepackt, den Mädchen abgesagt und bin da hingefahren. Und schon unterwegs dachte ich: wenn das mal kein epileptischer Anfall war. Und genau das scheint es gewesen zu sein. Wenn das jetzt nicht häufiger vorkommt, müssen wir gar nichts machen, außer sie gut beobachten und im Zweifelsfall aufpassen, dass sie sich nicht verletzt. Werden es mehr, muss sie Tabletten haben. Und auf dem Rückweg dachte ich: willkommen in der Welt, in der etwas Kleines und ziemlich Verletzliches komplett von Dir abhängig ist, in der von jetzt auf gleich Abendplanung für den Arsch ist, und in der auf einmal nichts anderes mehr wichtig ist, als dass es diesem anderen Wesen wieder gut geht, denn vorher wird es Dir auch nicht wieder gut gehen.

Heute morgen sind die Hunde wie zwei Disney-Rehe über die verschneite Wiese gehüpft, ihre Welt ist wieder in Ordnung. Meine zwar auch, aber auf irgend eine merkwürdige Weise ist sie trotzdem anders als gestern.

In meinem Bauch bewegt sich immer noch nichts, was eindeutig identifizierbar wäre. Aber seitdem ich beschlossen habe, nicht mehr entspannt sein zu müssen, kann ich damit umgehen. Es soll Damen geben, die vor Woche 22 nichts gespürt haben, habe ich mir sagen lassen. Und dieses ganze "also ich hab es schon in der zwölften Woche gespürt, ätschbätsch" ist vermutlich eine besonders frühe Form vom Mein-Kind-kann-das-längst-Battle. "Also, meine Eizelle hat sich innerhalb von drei Tagen 16mal geteilt! Ha!" Oder auch wahlweise eine Form von ausgeprägter Schwangerschaftsblähung. Nein, wir wollen nicht giftig werden: also, andere spüren was, ich spüre nichts.

Was war noch? Heute Abend gehe ich wieder zum Yoga. Ich überlege mir noch, ob das das letzte Mal wird. Und ich habe eine Produktempfehlung: Girls. Ich hatte lange nicht mehr so viel Ehrfurcht vor jemandem wie jetzt vor Lena Dunham, die die Serie mit 26 geschrieben, an HBO verkauft und dann gleich noch Regie geführt und die Hauptrolle gespielt hat. Und selbst, wenn sie 56 wäre und ein alter Hase, hätte ich trotzdem Ehrfurcht, denn das ist wirklich ganz, ganz toll. So toll, dass ich ab und zu sogar den Bildschirm anfasse, um einer der Figuren über den Kopf zu streicheln. (Den könnte ich auch mal wieder saubermachen, den Bildschirm.)

8 Kommentare:

  1. Girls ist auch meine aktuelle entdeckung. gerade eben habe ich die folge gesehen, in der hannah und elijah koksen und eine halbe stunde tränen gelacht. besonders an der stelle, als sie im club das oberteil tauscht.einfach super!

    AntwortenLöschen
  2. Ich habe zwei Katzen.
    Als ich schwanger war, dachte ich auch bei vielen Situationen (wenn sie krank waren und ich mir Sorgen gemacht habe oder wenn sie nachts mehrere Male an der Tür kratzten und und weckten): Super, dann kannst du dich schon an das Leben mit dem Zwerg gewöhnen.
    Oder als in den letzten Schwangerschaftswochen halbstündliche Klobesuche die Regel waren: Was soll mir das Kind noch anhaben? Ich bin an den Schlafentzug gewöhnt.
    Aber Pustekuchen!!! Es ist alles so anders mit Kind. Nichts, aber rein gar nichts kann einen darauf vorbereiten.
    Ich habe Frauen, die mir das gesagt haben, immer gehasst. Aber leider ist es so auch eingetreten.
    Ich bin gespannt, ob es bei dir auch so sein wird.

    Ich habe den Zwerg auch ziemlich spät gefühlt. Zumindest bewusst und sicher.
    Aber dann ist es das Tollste der Welt! Es gibt (für mich) wenig schönere Dinge.
    Und vor allem muss man dann nicht ständig Angst haben, weil der Zwerg dann allgegenwärtig ist.
    Ich konnte meinen sogar "wecken". Also wenn ich eine Reaktion wollte, bekam ich sie auch. Grandioses Gefühl!

    Viel Spaß noch!

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Flora,

    keine Sorge, ich habe meine Zwillinge (und man sollte doch meinen, bei Zweien geht im Bauch die Post ab...!) erst in der 24. SSW gespürt. Und so richtig deutlich und eindeutig sogar noch später.
    Das geht alles gut :-) Ganz bestimmt.

    Kerstin mit zwei zauberhaften Knatschbienen

    AntwortenLöschen
  4. Also, ich hab erst bei 28+3 überhaupt was gespürt, um mal den "mein Kind kann das längst" Battle zu verlieren... liebe Flora (unbekannterweise), das wird schon!

    Und was die Hundegeschichte angeht, als unsere Betty im Sommer beinahe an einer Magendrehung verreckt wäre, da war mir meine Schwangerschaft einige Momente ziemlich egal....

    Kathi

    AntwortenLöschen
  5. Ich spüre das Babymädchen erst seit Ende der 21 SSW.Und auch noch sehr unregelmäßig. Gut ich habe eine Vorderwandplazenta. Aber 12 SSW halte ich für Blödsinn. Da spielt die Fantasie eine große Rolle, bei den Damen.

    AntwortenLöschen
  6. weia.....arme momo und arme flora. ein hund mit grand mal anfall bietet einen furchtbar erschreckenden anblick. einziger trost ist, dass sie selber davon nichts mitbekommen. ich weiß genau, was du da durchgemacht hast. ich selber bin damals noch lange bei dem kleinsten geräusch unseres hundes zusammen gezuckt. genauso wenig, wie du berechtigterweise med. ratschläge zur schwangerschaft leiden kannst, wirst du nun ratschläge zu deinem hund haben wollen *vermut* daher parke ich dir hier einfach nur den hinweis, falls ihr mit den ansässigen tä irgendwann nicht weiterkommt (was sein kann): es gibt eine tä-neurologin, die auf eplilepsi beim hund spezialisiert ist und die bundesweit als die spezialistin auf diesem gebiet gilt. wir haben damals auch einen weiten weg auf uns genommen. und endlose recherchen gebraucht um sie zu finden. ich dachte, dass kann ich dir abkürzen im bedarfsfall. die frau ist super. ganz ehrlich. es ist frau dr. kornberg in trier.
    ideopathische epilepsi ist am ende eine aufwändige ausschlussdiagnostik. aber sie ist gut behandelbar. und jetzt bin ich schon wieder fein still. und hoffe, du nimmst den hinweis einfach als hinweis für bedarfsfälle zu den akten im hinterkopf. ansonsten klopp ihn einfach in die tonne und vergiss was ich gesagt habe ! LG...die Funny

    AntwortenLöschen
  7. Liebe Funny, da nehm ich gar nichts übel, danke für den Tipp! Gestern hatte sie noch zwei Anfälle, ein schwerer und ein mittelschwerer, und wir waren noch mal bei unserer normalen Tierärztin, ein wahres Kompetenzbiest. Die hat dann beim Abhorchen im Gegensatz zu dem Notfall-Tierarzt Herzgeräusche gehört und gesagt, das könnte eine Ursache sein (und muss in jedem Fall geklärt werden). Jetzt steht ein großer Herzultraschall bei einem Tierkardiologen an. Sollte das nicht zielführend sein, habe ich schon die Hypothese entwickelt (nachdem alle Anfälle kurz nach dem Essen aufgetreten sind), dass es was mit ihrem Blutzucker zu tun hat (was laut Literatur eine Ursache für Anfälle sein kann). Und dann machen wir uns irgendwann vielleicht wirklich von meinen Eltern aus mal auf den Weg nach Trier. Danke für den Tipp und liebe Grüße!

    AntwortenLöschen
  8. differentialdiagnostisch kommt da leider eine menge in frage. epilepsi als sekundäre form im schlepptau einer anderen primärerkrankung ist, wenn der hund älter 4 ist, auch eher wahrscheinlich als die ideopathische form. kardiologisch abzuklären ist unbedingt sinnvoll und oft ist damit eine ursache schon gefunden! blutzucker, jaaaa..möglich...immer nach dem essen sagst du ? da denk ich grad auch richtung lebershunt. es gibt so einiges, leider. wenn ihr nach dem kardiologen noch nicht weiter seit, rate ich wirklich, zu einer neurologischen klinik zu wechseln. das spart euch geld, und euch und ! dem hund nerven. denn kliniken wiederholen später viele untersuchungen nochmal, weil sie sich nur auf ihre eigenen ergebnisse verlassen. wenn sie sich im anfall beruhigen lässt, ist das schonmal sehr gut! kündigt sich der anfall an? wird sie unruhig zuvor? starrt sie luftlöcher? sieht sie gespenster? schnappt sie imaginäre fliegen? zeigt sie andere auffälligkeiten? du wirst bald ein gefühl dafür bekommen.....
    achte darauf, dass sie ihre zunge nicht verschluckt. aber pass auf deine hände auf ! verkrampfte kiefer können böse zuschnappen. einen beißklotz parat zu haben, ist immer hilfreich. und halte sie niemals zu fest oder ihre gliedmaßen auf den boden...du kannst ihr dabei die knochen brechen im anfall. die kräfte, die sich da aufbauen, können immens werden. und für den fall der fälle eines status epileptikus ist es gut valium-rektal-tubes im haus zu haben. zur not tut es auch aufgelöste luminal per spritze. aber das wird sich dann nach der kardiologischen untersuchung ja weiter klären.
    das klingt jetzt alles sicher schrecklich - aber man wächst da rein. und auch der hund wächst da rein. und sobald ihr eine ursache habt könnt ihr gezielt mediakmentös handeln. alles liebe weiterhin für euch und die maus.... ich denk an euch und drück die daumen. LG, die Funny.

    AntwortenLöschen