Dienstag, 15. Januar 2013

Tiefpunkt an der Milchtheke

Ich habe etwas Schreckliches gemacht. Jedenfalls sehe ich das jetzt so, als es passiert ist - am Samstag - fand ich es zunächst ganz ok. Ich war im Supermarkt, in der Gemüseabteilung, als ich irgendwann bemerkte, dass die Frau, die sich da über Säfte unterhielt, gar nicht mit irgendwem Bestimmten sprach, sondern Hilfe brauchte. Sie war blind, ungefähr 30 Jahre alt, klein und extrem, extrem dick. Ich kann nicht gut schätzen, aber ich würde sagen, dass sie bei einer Körpergröße von 1,55 über 120 Kilo wog. Sie fragte in die Luft, wo denn in diesem Saftregal Granini Multivitamin zu finden wäre. Ich ging hin und fragte, wie viele Flaschen sie denn wollte, dann legte ich ihr zwei in ihren Wagen. In dem Wagen lagen außerdem schon mehrere Tüten Chips, einige Tiefkühlpizzas, einige "Schlemmergrillpfannen" aus gemischtem Quälfleisch und anderer Mist. Ich starre ständig anderen Leuten in den Einkaufswagen, das ist mein Spannerlaster. Andere gucken in beleuchtete Fenster, hinter denen sich Menschen umziehen, oder beobachten, wie oft ihr Nachbar zum Altglas geht, ich gucke in Einkaufswagen. Was ich da sah, gefiel mir nicht. Jetzt ging die Frau weiter zum Keksregal und bat mich - nein, eigentlich wies sie mich an - ihr mehrere Tafeln Trauben-Nuss-Schokolade in den Wagen zu tun. "Ach, dass es die noch gibt", dachte ich. "Die hat früher mal mein Opa gegessen und dann niemand mehr." Um der Nostalgie willen rümpfte ich über die Schokolade nicht die Nase. Weiter ging es zum Joghurtregal. "Ich will Bauer", sagte sie. "Welche Sorten sind da?" Ich las ihr die Joghurtdeckel vor: "Toffee, Stracciatella, Birne-Schoko..." "Ich will Himbeer und Heidelbeer, drei Stück von jedem" kam die präzise Anweisung. Und jetzt kommt es, das Schlimme: klammheimlich habe ich der dicken, blinden Frau sechs Light-Joghurts untergeschmuggelt. "Wenn sie so weitermacht, bekommt sie Diabetes" dachte ich. "Und so, wie sie sich ernährt, ist sie irgendwann dann nicht nur blind, sondern hat auch keine Füße mehr. Das ist doch keine schöne Aussicht!" Außerdem dachte ich wohl, "Bauer schmeckt eh nicht so dolle, da merkt sie den Unterschied vielleicht gar nicht."

Und das von mir. Wo ich einen Riesenbogen um Light-Produkte mache und mich immer ein bisschen darüber beömmele, wie man ernsthaft denken kann, das würde einen Unterschied machen. Wo ich eigentlich finde, das Gewicht der Leute geht nur sie etwas an und niemanden sonst. Wo ich jedem ins Gesicht springe, der mir irgendwas darüber erzählen will, wie ich mich zu ernähren habe und wie nicht. Die arme Frau. Ich blöde, herablassende, bevormundende, arrogante Ziege. Jetzt schäme ich mich mit jeder Stunde ein bisschen mehr. Bis ich den nächsten Mist anstelle und mich zur Abwechslung für etwas anderes schämen werde.

4 Kommentare:

  1. Ach ich musste lachen :D Vielleicht hast du Sie ja auf den Geschmack gebracht ;)

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  2. Sehr süß!! Cool auch das die Diabetis-Anwärterin Dich gleich wie eine Einkaufsorganisatorin befehligte! Ich vermute den gut gemeinten Joghurt wird sie sicher enttarnen und siehst Du sie erneut beim einkaufen lieber nix sagen, sonst bewirft sie Dich am Ende mit ihrem geliebten Bauer-Heidelbeere mit den Worten: "Ich wollte DEEEN hier!" ;o) ;o)

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  3. Genial! Einfach nur genial!
    Auf so eine Idee wär ich im Leben nicht gekommen. :)
    Ein schlechtes Gewissen brauchst du nicht haben...du hast ihr ja schließlich nichts Schlechtes getan.

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  4. Das wäre mal wieder eine interessante Frage an Prof. Dr.Dr. Rainer Ehrlinger vom Magazin der Süddeutschen Zeitung ("Die Gewissensfrage", z.B. hier: http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/39335/Die-Gewissensfrage ) Kennst Du den? Dem fällt sicher was Kurzweiliges ein zu den ethisch-moralischen Gesichtspunkten in Sachen Joghurt-light.

    Liebe Grüße von
    Jo

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