Samstag, 12. Januar 2013

Das ist doch nicht normal

Ich liege schwanger auf dem Sofa, unterdrücke schwanger ein dickes fettes Gähnen, habe eine Wolldecke auf meinem schwangeren Bauch und trinke ein schönes großes Mineralwasser, wie Schwangere das so tun, während L., der demnächst vielleicht Vater wird, oben ein kleines Discorätzchen macht, um sich für die zweite Folge Dschungelcamp zu stärken. Sollte ich besser auch machen, aber ich musste bis vor fünf Minuten die erste Folge nachholen, denn gestern Abend habe ich diesen Finalisten um das schönste Fernsehereignis des Jahres leider verpasst: meine Schwiegermutter (wird im Juli vielleicht, ganz vielleicht Oma) hat ihren 70. Geburtstag mit Saus und Braus gefeiert, meine Eltern (werden demnächst... nein, ok, ich hör schon auf, jajajaja) waren auch zu Besuch, und als wir gegen elf wieder hier ankamen, wollte ich ihnen das nicht zumuten. Man muss dazu wissen, dass ich noch sehr lebhafte Erinnerungen an die Zeit habe, als wir zuhause einen Schwarz-Weiß-Fernseher hatten, bei dem es vier große einrastende Tasten für die Programme ARD, ZDF, SWR und HR gab. Fernbedienung gab es gar nicht, man hatte aufzustehen, wenn einem was nicht passte. Schaltete man diesen Fernseher an, dann dauerte es ca. zwanzig Sekunden, bis ein Bild und kurz danach ein Ton erschien. Ich bin nicht 1950 geboren, es gab schon richtig fabelhafte Farbfernseher mit Fernbedienungen, aber meine Eltern waren an sich eher prinzipiell gegen einen Fernseher, es sei denn für die Nachrichten, und dieses Mammut war ein Statement. Muss ich erwähnen, dass ich mit ca. 12 zum ersten Mal (heimlich bei Nachbarn) einen James Bond-Film gesehen habe? Dass ich mit 14 zum ersten Mal "Wetten Dass" sah (bin bis heute nicht beeindruckt)? Dass es absolut undenkbar gewesen wäre, auf dem heimischen Sofa und vor den Augen meiner Eltern eine Folge Denver Clan zu sehen? Inzwischen haben sie zuhause sogar zwei Fernseher, beide mit Farbe und Fernbedienung, und meine Mutter guckt sich auch mal einen Tatort an, aber sie war ziemlich entgeistert von meiner Eröffnung, dass ich unbedingt vorhätte, heute Abend das Dschungelcamp aufzunehmen. (Hat übrigens nicht geklappt, die Aufnahme mit unserem sonst immer so treuen Festplattenrecorder. Ich musste mir den ganzen Spaß im Netz ansehen. Hat sie da etwa am Ende... Warte mal. Fernsehverbot mit 39?!?)

Es tut mir leid, eigentlich hatte ich gehofft, nachdem das doppelte Flörchen sich endlich erledigt hat, kann ich zur Normalität zurückkehren und völlig unbeschwert vor mich hinschwadronieren, aber es geht einfach nicht - man kann nicht zur Normalität zurückkehren, wenn so gar nichts normal ist. Ich weiß, ich hatte jetzt seit Anfang November Zeit, mich daran zu gewöhnen, aber das habe ich immer noch nicht, und es ist fast, als hätte eine von diesen Frauen voller Gottvertrauen, bei denen nie was schief geht, ungefähr Dienstag einen positiven Test gemacht. Normal kommt dann vielleicht irgendwann im Mai, vielleicht aber auch nie. Während der ganzen Kinderwunschzeit hatte ich immer wieder eine bestimmte Gehirnblähung: ich war mir nie ganz sicher, ob ich im Grunde nicht dran glaube, aber weitermache, weil die Kinderlosigkeit sonst so endgültig wäre - oder ob ich doch eigentlich ganz sicher bin, dass es früher oder später klappt, und jede gegenteilige Beteuerung ist ein bisschen so wie das Gezicke der Mädchen nach der Englischarbeit, die rumjammern, sie hätten bestimmt eine Fünf geschrieben, wo doch jedem klar ist (vor allem denen, die tatsächlich eine Fünf geschrieben haben), dass sie am Ende enttäuscht wären, wenn es diesmal nur eine 2- wäre. Jetzt, wo ich wirklich und wahrhaftig schwanger bin (und heute vielleicht zum letzten Mal für lange Zeit meinen Jeansrock anhatte, der mir immer zu groß war), ist mir klar: Variante 2 war es jedenfalls nicht. Hätte ich heimlich immer dran geglaubt und es bloß aus Aberglaube nicht zugegeben, dann könnte ich vielleicht nahtloser übergehen in den Modus, in dem man sich durch Kinderwagen klickt und sich aufregt, was das alles kostet.

Schwangerschaftsbezogene Aktivitäten:
Gestern habe ich mir einen Rock "für hinterher" gekauft. Er war zu schön und zu runtergesetzt, ging nicht anders. Nächsten Oktober vielleicht ja schon, wer weiß? Er ist in das große, noch halbleere Fach ganz oben im Kleiderschrank gewandert, wohin ich alles schieben will, was nicht endgültig weg kommt, nur erstmal. Außer dem Rock sind darin ein Kleid, eine Jeans mit 0,0% Stretchanteil und zwei Paar Barfuß-Laufschuhe.
Ich hatte für meine Eltern den ganzen Rohmilchkäse wieder aufgetaut, den ich schon zu Weihnachten für den Familienbesuch angeschafft hatte und von dem sie pro Riesenstück nur Mäuseportiönchen gegessen hatten, während mir der Sabber übers Kinn lief mit meiner traurigen Goudaschnitte. Noch mal einfrieren will ich das alles nicht, deshalb feiere ich jetzt ein Festival der Käseküche, heute gab es Käsefondue (Morbier, Ziegenweichkäse, Appenzeller und ein Stückchen Weinbergkäse) mit fürs Gewissen einer Riesenrohkostplatte zum Reindippen (neues Rezept Nr.6), morgen eine Blumenkohl-Käse-Suppe (Nigel Slater, Nr.7) und übermorgen vermutlich ein Käse-Lauch-Risotto (Nigel Slater, Nr.8). Jetzt muss ich mir nur noch eine Listerien-sichere Verwendung für den luftgetrockneten Schinken überlegen, dann ist der Kühlschrank wieder clean. Wenn ich so weitermache, kann ich mir den neuen Rock für alle Zeiten abschminken, schwanger hin oder her.
Und ich habe mein Arbeitszimmer aufgeräumt und saubergemacht. In ein paar Monaten müssen wir entscheiden, ob wir da drin einen Wickeltisch aufstellen oder im Gästezimmer. Ich habe das dumpfe Gefühl, meine Chancen, mein Arbeitszimmer erfolgreich zu verteidigen, stehen besser, wenn sich nicht auf jeder freien Fläche einschließlich Fußboden drei Jahrgänge Zeit, leere Teetassen und gemischte Geschenkpapierreste türmen.
Ich habe ausgerechnet, wie viele Tage ich noch arbeiten muss, wenn ich bis Ende Mai weiter drei Tage pro Woche in die Agentur gehe, geplanten Urlaub abgezogen. Es sind 56 Tage. Kommt das nur mir so wenig vor? 56 Tage, das wären weniger als zwei Monate, wenn ich immer noch so ran müsste wie in den ersten vier Jahren im Job.

Normal oder nicht: es ist schön, endlich hier über all diesen Kram schreiben zu können, nicht irgendwo nebenan mit angeklebtem Schnurrbart.

2 Kommentare:

  1. Sieht man denn schon was? :)
    Wenn ich das lese, sehne ich mich an meine Schwangerschaft zurück. War das eine schöne Zeit! :)
    Ich hatte ständig im Kopf: Ich bin schwanger!!!
    Ich hatte anfangs jedoch auch ständig Angst!
    Es wurde erst besser als ich den Kleinen fühlen konnte.
    Dann war die Angst weg, denn ständig war Radau im Bauch. :)
    Viel Spaß noch!

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  2. Hallo Flora,
    erstmal: herzlichen Glückwunsch! Ich freu mich riesig für dich, dass es endlich geklappt hat! Auch wenn ich das Thema Kinderwunsch nun schone eine Weile hinter mir gelassen habe (13 Monate und 1 Tag plus (fast) 9 Monate, um genau zu sein ;-)), fiebere ich doch mit dir mit, seit ich dein tolles Buch gelesen habe. Und ich kann auch so gut nachfühlen, dass sich das alles nicht nach "normaler" Schwangerschaft anfühlt. Ging mir genauso (nach gut 4 Jahren inklusive einer Fehlgeburt nicht verwunderlich, würde ich meinen) - bis der Spuk dann vorüber war und ich meine beiden kleinen Räuberchen endlich in den Armen halten konnte :-)
    Aber all das hast du hier schon in 1000 Varianten von wildfremden Mädels gelesen, richtig? Also warum ich heute dann doch mal meinen Senf dazugebe: der luftgetrocknete Schinken! Wie wär's denn mit einer feinen luftig-leichten herrlich duftenden Pizza mit eben jenem luftgetrocknetem Schinken und (wenn sie dann aus dem Ofen raus ist) ein wenig Rucola und Parmesan? Mit sowas (und Salamipizza und Lachspizza und...) hab ich mich durch die Schwangerschaft gerettet - damit der Countdown zum nächsten Mettbrötchen nicht mehr ganz so grausam lang erscheint ;-)
    Aber ich bin mir sicher, dass du auch noch die eine oder andere leckere Idee hast...
    Ich wünsch dir und deinem Kleinen alles Gute!
    Liebe Grüße aus Düsseldorf
    Andrea

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