Freitag, 25. Januar 2013

Liebes Würmchen,

Alles für's Kind! Klar! Daran sollte ich mich jetzt mal langsam gewöhnen und über meinen eigenen widerborstigen Schatten springen. Und darum werde ich auch nächsten Donnerstag abend wieder in etwas Dehnbares schlüpfen, ins Auto steigen und zum Schwangerschaftsyoga fahren. Auch wenn das gestern eine Stunde war, in der ich so etwas wie einen psychischen anaphylaktischen Schock hatte. Von den 90 Minuten gingen mindestens 25 drauf für das Singen spirituellen Gebrabbels und für freies Tanzen: Augen schließen, Becken locker und los. Und ich kann das nicht. Jede Zelle meines Körpers - ich weiß nicht, wie es Dir geht - weigert sich. Es ist auch nicht so, dass ich mir wünsche, ich könnte aus meiner Haut und mitmachen. Ich will einfach nicht. Ich will, ich will, ich will nicht. Ich wollte Sport, stattdessen gab es 90 Minuten Yoga minus 25 Minuten Singen und Tanzen, minus 10 Minuten Blitzlicht, wie es uns so geht, minus 15 Minuten Entspannung. Was kann man denn da machen? Hoffentlich störe ich die anderen nicht in ihren Schwingungen, das kann man nur hoffen, dass das nicht zu sehr stört, wenn da eine zwischensitzt, die zwar auch mit dem Becken kreist und die Schultern lockert und atmet mit Betonung, aber sich jedes Mal ausklinkt, wenn gesungen und getanzt wird. Auf dem Kiez geht's doch auch, wieso denn nicht hier? Weil ich das nicht bin. Ich kann auch nicht mit der Lunge lächeln oder mich der Magie der mütterlichen Kraft hingeben. In anderen Yogastunden wurde auch schon mal gesungen, aber das waren dann drei Minuten, und danach ging es rund. Was mich damals immer wieder, auch beim dreißigsten Mal, noch positiv überrascht hat, war, dass man an all den spirituellen Kram gar nicht glauben musste - die Übungen haben auch so funktioniert und mich wirklich wacher, entspannter, schlanker, stärker, aufmerksamer, gelenkiger und was weiß ich noch alles gemacht. Drei Minuten Augenrollen standen also 87 Minuten toller Sportstunde gegenüber. Das hier... aber die Abkürzungsdamen sagen ja, wenn der Bauch wächst, sinkt auch der Bewegungsdrang, und dann passt das vielleicht schon besser. Was bleibt, ist nur leider das Gefühl, der party pooper zu sein. Die sind doch nett, der Früchtetee schmeckt lecker, und die Viertelstunde Entspannung (wovon genau?) hinterher unter einer warmen Decke und bei Kerzenschein ist auch schön. Einige Damen fangen an zu schnarchen, un wieder mal ist Deine Mutter neidisch, dass sie das nicht so kann, und denkt sich, die schlafen bestimmt auch auf jeder Bahnfart und jedem Flug einfach tief und selig ein. Wie soll das nur werden mit mir und meinem Schlaf, wenn Du erst da bist und ich immer noch nach jedem Aufwachen mindestens eine Stunde brauche, bis ich wieder eingeschlafen bin? Was? Ach ja, ich höre schon wieder die Abkürzungsdamen, die sagen, Herzchen, das Problem wird sich nun wirklich von alleine regeln. Also gut, warten wir ab.
Heute wieder einen Tag weniger. Genau genommen sogar einen Monat. Jetzt sind wir im Fünften. Wenn mir eine andere Dame erzählen würde, sie wäre im fünften Monat, dann würde ich ihr von Herzen gratulieren und mir denken, na nun wird es ja wohl ganz sicher was. Wenn ich das nur auch für uns zwei tun könnte. Aber auch das kommt vermutlich noch, wie der noch dickere Bauch und die sicher ganz demnächst steigende Zufriedenheit mit meinem Yogakurs.

Würmchen, hast Du es gut da drin? Bekommst Du alles, was Du brauchst? Dein Gewicht verdoppelt sich in den nächsten Wochen, und wenn es mir nicht genau so gehen soll, dann gib bitte genaue Anweisungen, wovon Du gerne mehr hättest, damit ich nicht auf Verdacht alles verschlingen muss, was mir in den Weg kommt. Ich warte immer noch täglich auf das Einsetzen irrer Fress-Gelüste, aber die gehen bei mir in der allgemeinen Gefrässigkeit vielleicht ja unter. Wenn Du also wirklich unbedingt Chips, Popcorn, Pizza und Brathuhn für Dein Wohlergehen brauchst, gib Bescheid. Joghurt, Obst und Gemüse isst Deine Mutter nämlich gerade schon von alleine, bis es ihr zu den Ohren wieder raus kommt. Hast Du es warm und gemütlich? Laut meinen Apps kannst Du jetzt hören, was um Dich herum vor sich geht. Die Hunde hast Du also schon mal bellen gehört, und das soll Dir angeblich später helfen, den Radau einfach zu verschlafen und Dich nicht davor zu erschrecken. Zehn Yogadamen beim Gesang hast Du auch schon gehört, Deine Mutter allerdings nicht, und ich verspreche, ich werde Dir auch in Zukunft nur dann was vorsingen, wenn Du sehr, sehr unartig warst. Aber pfeifen kann ich wie ein Weltmeister, und pfeifen werde ich ab sofort. Irgendwann in den nächsten drei Wochen, da sind sich ausnahmsweise alle einig, ist auch mit den ersten unmissverständlichen Tritten und Knüffen zu rechnen. Ich bin gespannt, ob sich das wirklich so anfühlt wie das leise Kitzeln, das da ab und zu schon war, nur doller, oder ob es irgendwann kommt und ich dann wieder mal einsehen muss: Flora, altes Fusselhirn, Du bist ein kleiner Wirrkopf und Idiot. Die App, die Deine Größe immer in Bezug zu irgendwelchem Gemüse setzt, vergleicht Dich jetzt mit einer Avocado. Und das, wo Du doch vor kurzem noch eine Limette, eine Himbeere und ein Mohnsamen warst!

Weißt Du, was wir jetzt machen? Ich veröffentliche kurz den Post, dann suche ich auf dem Speicher den alten Freibad-Plattenspieler und meine Kinderplatten, und dann ziehen wir um in die Küche, ich verarbeite die drei Kilo Bitterorangen vom Obstmann in Eis und Kuchen (Neue Rezepte Nr.8 und 9) und dazu hören wir wahlweise Fünf Freunde im Nebel oder die kleine Hexe.
"Wir sind die besten Freunde, Jaaaaaaaa!"

6 Kommentare:

  1. Hihi, was ein toller Kurs :-p. Ich habe lange nach einem "Sportkurs" für Schwangere gesucht und in einem unserer Schwimmbäder "Aquafitness für Schwangere" gebucht. Der ist wirklich gut - vielleicht wäre das auch was für dich. Leider sind die anderen Teilnehmerinnen nicht so sportlich und eine denkt immerzu, dass ihr Kind stirbt... Also egal wozu man sich anmeldet, irgendwas ist immer... Halt durch! Ich finde Bewegung auch essentiell, grade für die Schwangerschaft - wie soll man ohne trainierten Körper eine Geburt überstehen? Aber wie das durch Mantra-Singen werden soll, versteh ich nicht ;-)! Vielleicht gibts geeignetere Kurse?

    AntwortenLöschen
  2. Liebe Flora,

    Euer Yogakurs entfaltet offenbar seine stärkste und beste Wirkung, wenn Du ihn hier beschreibst - nämlich auf Zwerchfell und Lachtränenfluss! Das ist doch auch etwas Schönes (zumindest für mich ;-))

    Aber ich sehe schon, Du hast daneben auch gute Kontrastprogramme zum Wohlfühlen. In diesem Sinne wünsche ich Dir und dem Würmchen weiterhin viel Spaß in dieser Zeit, die Ihr so besonders eng miteinander verbringen dürft.

    Grüße,
    Christiane

    AntwortenLöschen
  3. Liebe Flora,

    das war wirklich erfrischend. :-))) Ich kann mir das nur zu gut im Yogakurs vorstellen, weil ich auch mal einen Schwangerschaftskurs Yoga besucht hatte.... 2 Mal und dann konnte und wollte ich nicht mehr... :-)
    ooooooooooooooooooooohhhhhhhhhhhhhhmmmmmmmmmmmmmmmmm.....

    Und bei den Hörspielkassetten bin ich voll dabei... :-)

    Alles Gute weiterhin. :-))

    AntwortenLöschen
  4. Ich habe mich innerlich vom Schwangerschaftsyoga verabschiedet, als wir wiederholt kräftig die Oberschenkel schütteln sollten - da sitzen die alten Liebhaber. Und auch dieses linke Seite = männlich = gebend, warm; rechte Seite = weiblich und das Gegenteil hat mich mehrmals fast zum Platzen gebracht. Die sollte mal Bourdieu lesen...
    Aber immerhin blieb mir das freie Tanzen erspart.
    Liebe Grüße, Tina

    P.S. und das mit dem Schlaf...ich hatte die umgekehrte Sorge. Aber ich werde mittlerweile kurz vor meinem drei Wochen alten Kind wach und stille im Halbschlaf, so dass ich mich manchmal hinterher kaum daran erinnern kann. Das geht schneller als man denkt...

    AntwortenLöschen
  5. In welche Kurse geht ihr bloß? Bucht mal was gescheites bei Yoga-Janne in Ottensen

    AntwortenLöschen
  6. Hahahah - laut gelacht. Herrlich beschrieben. Das hört sich verdächtig nach einem Kundalini-Zirkel an. Habe in einer Probestunde genau das gleiche erlebt und saß still und blinzelnd auf meiner Matte, während die anderen beseelt durch Guru-Guru-Mantra armkreisend 7 Minuten durch den Raum schwebten. Nun gut- wems gefällt. Aber soviel Schwangerschaftshormone kann ich gar nicht produzieren, dass ich hier in die Entspannung abtauchen kann. Im Bauch war auch eher heftiges strampeln angesagt und ich habe versprochen, dass wir da nicht mehr hingehen. Bis zum 7. Monat ging normales Yoga mit ein paar abgewandelten Übungen super. Und nach einigen Probestunden, endlichen einen guten Hatha-Kurs gefunden - ohne Guru-Guru und Vertreibungen von schlechten Schwingungen. .

    AntwortenLöschen