Donnerstag, 9. Juli 2009

Omas tragen keinen Bikini

Meine Mutter hat ein altes Fotoalbum, das ist von außen mit einem flotten 50er-Jahre-Muster in beige und grau bedruckt, und innen besteht es aus dickem, cremigem weißem Büttenpapier und Zwischenblättern aus dünnem Transparentpapier mit Spinnweben-Prägung. Darin sind all ihre Fotos bis zur Hochzeit. Fotos, auf denen sie vier Jahre alt ist und Kuchen isst, ganz manierlich (wie ich meine Oma kenne, waren schlechte Tischsitten ein Grund für die Apokalypse), Fotos, auf denen sie mit Freundinnen spielt (auch ganz manierlich in ihrer manierlichen Siedlung), und dann irgendwann Strandfotos im Bikini, Fotos mit netten Strandjungs, Fotos, auf denen sie in einem Kostümchen Seil springt und Fotos von einer Klassenfahrt nach Hamburg, auf dem diese 15jährigen Mädchen alle frisiert und angezogen sind wie Jackie Kennedy. Ich habe mir dieses Fotoalbum als Kind so oft angeguckt, am liebsten Sonntag Morgens, wenn meine Eltern noch schliefen. Ich bin im Nachthemd ins Wohnzimmer geschlichen, habe mir das Album aus dem riesigen Bücherregal gezogen, mich auf den Teppich in einen Sonnenfleck gesetzt, meine besondere Lesehaltung eingenommen (sitzen, Knie anziehen, in den Nachthemd-Stoff überm Knie beißen, Album vor die Füße, zusammenkauern, vollkommenes Glück) und meiner Mutter beim Kuchen essen, Schlitten fahren, Puppen spielen und flirten zugeguckt. Und weil ich es so oft angeguckt habe, fühlt es sich inzwischen an, als wäre ich die ganze Zeit dabeigewesen. Und manchmal kam es mir in meinem Sonnenfleck auf dem Teppich auch vor, als wären diese Fotos, auf denen man die Delial Schutzfaktor drei förmlich riechen konnte, wirklicher als die Frau, die gerade in ein paar Metern Entfernung versucht, noch ein bisschen zu schlafen, bevor der ganz große Rummel losbricht und mein Bruder ins Plantschbecken will.

Und diese heiße Biene im Bikini wird jetzt Oma?

Es ist wirklich nicht zu begreifen.

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